Der globale Medizintechnikmarkt war 2011 etwa 273 Milliarden US-Dollar schwer. Seit einiger Zeit wächst die Branche jährlich um zirka 8 % (Bild 1). Der US-Markt ist hierbei mit Abstand der größte Einzelmarkt, gefolgt von Japan und Deutschland. Obwohl der chinesische Medizintechnikmarkt bisher vergleichsweise klein ist, erwarten Beobachter bis 2016 nahezu eine Verdopplung gegenüber 2011.
Deutschland verfügt über eine herausragende Stellung in der Medizintechnik, was sowohl durch robuste Wachstumsraten als auch durch die hohe Innovationskraft deutscher Medizintechnikunternehmen deutlich wird. Einheimische Unternehmen haben zuletzt im Medizintechniksektor 9 % des generierten Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiert, verglichen mit durchschnittlich 4 % in anderen Industrien. Zudem ist Deutschland in Europa führend im Export von Medizintechnikprodukten und erzielt zwei Drittel seiner Umsätze im Ausland (Bild 2).
Profitabilität und Stabilität
Medizintechnikunternehmen gelten als profitabel und zeichnen sich durch eine durchschnittliche Nettoumsatzrendite von etwa 14 % aus. Beim gängigen „Razor-Blade“-Geschäftsmodell entsteht ein Großteil der Profite nicht durch den Verkauf medizintechnischer Geräte, sondern durch das dazugehörende Verbrauchsmaterial. Das prominenteste Beispiel hierfür sind Blutzuckermessgeräte, bei denen 90 % des Umsatzes mit Teststreifen erwirtschaftet werden und die eigentlichen Testgeräte häufig kostenlos abgegeben werden. Ähnliche Konzepte finden sich auch bei molekularen Diagnostiktests und sogar bei chirurgischen Robotersystemen.
Die Auswirkungen der Finanzkrise waren zwar auch im Medizintechnikmarkt spürbar, fielen jedoch deutlich milder aus als in anderen Industrien. Davon hat zum Beispiel Agilent profitiert und ihr sonst volatiles Geschäft ausgeglichen. Schon im Jahr 2000 hat das kalifornische Unternehmen die Geschäftsbereiche „Life Science“ und „Chemical Analysis“ gegründet. Ähnlich Carl Zeiss: dieses diversifizierte Unternehmen konnte seinen Verlust während der Finanzkrise 2008/2009 durch die stabilen Umsätze im Medizintechniksektor abfedern. Das half vor allem dem sehr volatilen Geschäft im Halbleitersektor.
Neue Player dringen in den Markt
Robustes Wachstum und Stabilität sind einige der maßgeblichen Gründe für das verstärkte Engagement im Medizintechnikmarkt. Betrachtet man die großen Akquisitionen der Branche in den letzten zehn Jahren, so finden sich neben Käufern aus dem Medizintechniksektor und Finanzinvestoren auch verstärkt Pharmafirmen, Industriekonglomerate, Distributoren, Elektronikunternehmen und Dienstleister.
Das starke Engagement der Pharmaindustrie im Medizintechnikmarkt leitet sich neben der Verbreiterung ihrer Produktpalette unter anderem auch aus dem zunehmend schwierigen Geschäftsumfeld im traditionellen Pharmamarkt ab. Diese Branche leidet unter auslaufenden Patenten diverser Blockbuster-Medikamente und einer Innovationslücke in der Pipeline. Folglich bietet der Medizintechnikmarkt eine attraktive Gelegenheit zur Diversifikation, was zu einer verstärkten Verschmelzung dieser beiden Sektoren führt. Daneben zeigen auch andere Industrien wie Elektronikunternehmen und Automobilzulieferer vermehrte Anzeichen zur Expansion in den Medizintechnikmarkt: etwa die Firma Robert Bosch, die 2009 erstmalig auf der weltgrößten Medizintechnikmesse Medica Innovationen präsentierte.
Trend zu mehr Elektronik
Im Medizintechnikmarkt finden sich viele Technologien mit unterschiedlichen Komplexitätsgraden: Im Lowtech-Bereich sind das einfache Spritzen, chirurgische Instrumente oder Wundverbände. Auf der Hightech-Seite gibt es Entwicklungen in diversen Bereichen, etwa mikrofluidische Systeme für die Diagnostik, innovative Implantate zur gezielten Freisetzung von Wirkstoffen sowie neue oder verbesserte biomedizinische Bildgebungsverfahren. In vielen dieser komplexen Anwendungen kommen verstärkt medizinelektronische Systeme zur Anwendung.
In neuesten Ultraschallsystemen kommen MEMS-Bauteile mit oszillierenden Membranen zum Einsatz, die künftig hochauflösende 3D-Aufnahmen ohne Strahlenbelastung ermöglichen. Ebenso finden Robotersysteme zunehmend Anwendung in der Medizintechnik. Die Firma Intuitive Surgical hat als erstes Unternehmen einen chirurgischen Roboter auf dem Markt etabliert: Das „da Vinci“-System ist ein ferngesteuerter chirurgischer Roboter für minimalinvasive Eingriffe und wird maßgeblich für Prostataoperationen eingesetzt. Intuitive Surgical kann auf rund 2000 installierte Systeme weltweit verweisen und ist mit einer Umsatzrendite von 27 % hochprofitabel.
Auf einen Blick
Fragmentierung: Novumed Life Science Consulting hat einen Medtechatlas mit mehr als 600 Marktsegmenten in der Medizintechnik erstellt. Der Markt ist demnach sehr fragmentiert und es gibt neben Geräten und Verbrauchsmitteln, Diagnostika und Therapieanwendungen eine Vielzahl von Möglichkeiten in den Markt einzusteigen. Ob ein Transfer der existierenden Technologien oder die Akquisition von Medizintechnikunternehmen die bessere Strategie ist, sollte sehr behutsam analysiert werden.
Ein weiterer Megatrend ist die Telemedizin. Ihre Anwendungen lassen sich anhand der entsprechenden Interaktionen segmentieren: „Arzt zu Arzt“-Interaktionen beinhalten Konsultationen zwischen Experten, die zum Beispiel Analysen aus bildgebenden Verfahren in Echtzeit austauschen. Im Gegensatz hierzu werden im Telemonitoring Patientendaten durch mobile Systeme erfasst und kontinuierlich zu Überwachungsstationen übertragen. Diesen Anwendungen wird ein besonderes Potenzial bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder chronischer Herzinsuffizienz vorausgesagt. Die Bosch-Gruppe hat diesen Trend bereits erkannt und mit Vitelcare ein System entwickelt, das besonders in Altersheimen aber auch Privathaushalten durch mobil getragene diagnostische Messsysteme ein konstantes Monitoring der Patienten ermöglicht.
Attraktiver Markt
Die Medizintechnik ist ein attraktiver Markt mit geringer Volatilität, überdurchschnittlichen Margen und interessanten Geschäftsmodellen. Vor allem für Hightech-Unternehmen und Firmen mit hoher Forschungsintensität kann eine Expansion in die Medizintechnik eine sinnvolle Erweiterung ihres Produktportfolios bedeuten. Die häufig hohen regulatorischen Auflagen bremsen zwar einen schnellen Markteintritt, das hat aber auch einen Vorteil: diese Markteintrittsbarrieren halten Wettbewerber auf Distanz.
(lei)