Der vielversprechendste Innovationsbereich im Gesundheitswesen ist und bleibt die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI). Sie eröffnet in jeder Stufe des Gesundheitsmanagements – Vorsorgeuntersuchungen in der Bevölkerung, Epidemiologie, Diagnose, Nachbehandlung, Behandlungsplan – neue Möglichkeiten und wird in der Pharmaindustrie umfassend genutzt. Da Radiologen auch schon vor vielen Jahren die ersten bei der digitalen Revolution waren, zählen sie zweifellos auch jetzt zu den Vorreitern der KI im medizinischen Bereich.
Mit einer Jahr für Jahr stetig ansteigenden Menge an erfassten Daten zum Füttern der KI-Anwendungen hat der Markt der medizinischen Bildverarbeitung in den vergangenen zehn Jahren stark von diesem Trend profitiert und im Jahr 2019 30 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. In jeder Sekunde werden weltweit etwa 360 Bilder mit medizinischer Bildverarbeitung erfasst und analysiert; 2019 geschahen mehr als zwei Milliarden Untersuchungen mit medizinischer Bildverarbeitung. Die KI im Allgemeinen und das Deep Learning im Besonderen können Radiologen dabei unterstützen, so viele Informationen wie möglich aus diesem enormen Datenpool zu extrahieren.
Killerapplikationen für die Nutzung von KI in der Medizin
Das Deep Learning ist eine Art von KI-Technologie, die auf künstlichen neuronalen Netzen basiert, welche automatisch erfassen können, was gelernt wurde. Diese Technologie wurde zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts ursprünglich für Erkennungsmodelle in Bildern implementiert und zeigt seitdem außerordentliche Ergebnisse. Die medizinische Bildverarbeitung ist eine perfekte Fallstudie für die Nutzung von KI im Medizinbereich.
Die Komplexität und der Wert von Deep-Learning-Modellen steigen aufgrund der Notwendigkeit, immer präziser zu sein. Zu diesen Modellen gehören:
- Screeningmodelle: Erkennen von Anomalien
- Diagnosemodelle: Beurteilung von Erkrankungen
- Behandlungsplanmodelle: Vorhersage der adäquatesten Behandlung aufgrund der Pathologie und der körperlichen Verfassung des Patienten.
Je höher der Mehrwert für den Workflow im Krankenhaus und für das Patientenergebnis wird, desto höher sind die Kosten für den Algorithmus (Bild 1). Heute sind die meisten auf dem Markt für medizinische Bildverarbeitung verfügbaren KI-Modelle Screeningmodelle, die auf das Erkennen von Anomalien oder das Segmentieren von Läsionen abzielen, doch es befinden sich auch immer mehr Modelle für die automatische Diagnose in Entwicklung. Dies wird in den kommenden fünf Jahren der größte Trend sein. Später wird die KI auch als Tool zur Vorhersage des Behandlungsergebnisses und für Ratschläge zur Behandlung aufgrund von medizinischen Bildern Verwendung finden.
Deep Learning für MRT, CT, Ultraschall und Röntgen
Deep-Learning-Modelle auf Basis der KI lassen sich auch im Hinblick auf Bildverarbeitungsmodalitäten segmentieren. Die KI wird für unterschiedliche Arten von Bildern verwendet: von der Magnetresonanztomographie (MRT) bis hin zur Computertomografie (CT) oder Röntgen- und Ultraschalluntersuchung. Nicht alle Modalitätentypen benötigen jedoch den gleichen Algorithmus. Im Grunde lassen sich die Modalitäten in zwei Untersuchungsarten unterteilen: Qualitätsverfahren, zu denen MRT und CT gehören, und rasche Bildverarbeitungsverfahren, zu denen Ultraschall und Röntgen gehören.
MRT und CT sind intensive Verfahren, die qualitativ hochwertige Bilder liefern können. Durch Anmerkungen auf dem Bild kann das Modell eine sehr hohe Präzision erreichen, um Pathologien zu klassifizieren oder Objekte zu segmentieren. Außerdem muss die Ausführungsgeschwindigkeit des Modells nicht sehr hoch sein, da das Bildverarbeitungsverfahren in der Regel lange dauert. Andererseits benötigen Modelle, die an Ultraschallbildern trainiert werden, eine sehr rasche Ausführung, um Bilder in Echtzeit verarbeiten zu können. Diese Modelle kommen dann zum Einsatz, um Anomalien rascher zu erkennen und Fälle zu priorisieren, was die Produktivität deutlich verbessert.
Schnell wachsendes Software-Business
Durch diese leistungsstarken Tools, die das Deep Learning in den Bereich der medizinischen Bildverarbeitung bringen, wird der KI-Markt in diesem Segment wahrscheinlich rasch wachsen. Die Erstausrüster (OEM) Siemens Healthineers, Philips und GE Healthcare (Bild 2) haben diese Chance früh erkannt und führen bereits KI-Tools in ihr Produktportfolio ein; dieser Trend wird mit der Einführung von diagnostischen Algorithmen ab dem Jahr 2021 noch stärker ausfallen. Der deutliche Produktivitätsanstieg im Zusammenhang mit der Verwendung solcher Modelle ist wertvoll und ermöglicht es Krankenhäusern, ihre Patienten effektiver zu diagnostizieren und zu behandeln.
Die Analysten von Yole Développement schätzen, dass im Jahr 2025 der Gesamtmarkt für softwaregenerierte Einkünfte durch den Verkauf von KI-Tools 2,9 Milliarden US-Dollar bei einem durchschnittlichen Marktwachstum von 36 Prozent zwischen 2019 und 2025 (CAGR(2019-2025)) erreichen wird. Diesen Markt teilen sich die Hauptanwendungen verbesserte Bilderfassung, Geräuschreduktion, Bildrekonstruktion, Screening, Diagnose und Behandlungsplanung (Bild 3).
Das Ökosystem der KI für die medizinische Bildverarbeitung besteht aus unzähligen Software-Start-ups, meist unterschiedlichste Spin-offs von Universitäten. Dies verdeutlicht, dass dieser Markt noch immer nicht stabil ist und von historischen OEM der medizinischen Forschung und Hardware sowie von Cloudunternehmen angetrieben wird, die hier durch das Bedürfnis nach Hochleistungsrechnern zur Entwicklung dieser Art von Algorithmus ganz klar eine nette Gelegenheit erkennen.
Jedes Softwareunternehmen ist hochspezialisiert und bietet KI-Algorithmen für spezielle Anwendungen und Modalitäten. Sie können ihre Produkte direkt an Krankenhäuser oder über zwei Arten von Player verkaufen: über Marktplätze wie TeraRecon, die diese Algorithmen in den Radiologenworkflow integrieren, oder über OEMs wie Siemens, die diese Modelle in ihren Geräten zur medizinischen Bildverarbeitung optimieren (Bild 4). OEM-Maschinenhersteller und Unternehmen mit Ausrichtung auf Software bieten eigentlich das gleiche Produkt an. Welche Art von Player wird in den kommenden Jahren die stärkste Position innehaben? Es ist noch zu früh, dies endgültig zu beantworten, doch all diese Unternehmen gewinnen an Dynamik, während immer mehr Produkte aufkommen und mehr zu holen ist.
Einschränkungen bei medizinischen Daten
Im Vergleich zu anderen Märkten wie dem Konsumenten- oder Automobilmarkt gelten für die Entwicklung und Bereitstellung von KI-Algorithmen im medizinischen Bereich einige Einschränkungen. Diese beziehen sich entweder auf die medizinischen Daten oder auf Bestimmungen und ethische Bedenken. Hersteller von Algorithmen haben mit zahlreichen Hindernissen zu kämpfen, wenn sie ihre Produkte auf den Markt bringen möchten. Natürlich wird der medizinische Bereich stark überwacht, um eine Einführung von Produkten zu verhindern, die Patienten schaden könnten. Einer der wichtigsten Schritte in diesem Prozess ist die Beurteilung nationaler Behörden wie der FDA (Food and Drug Administration) und der Europäischen Behörde für die CE-Kennzeichnung. Das Verfahren zum Erlangen dieser Genehmigung ist zeitraubend und kann schwer zu managen sein; dies stellt vor allem für kleinere Unternehmen und Software-Start-ups große Hürden dar.
Vor dem Jahr 2018 wurden nur sehr wenige Algorithmen genehmigt, da die Bestimmungen keine Deep-Learning-Möglichkeiten abdeckten. Die FDA setzte im Jahr 2018 ein Spezialistenteam ein, das sich nur mit der Bewilligung von Deep-Learning-Algorithmen befasste; seitdem ließ sich bei den bewilligten Algorithmen ein exponentielles Wachstum verzeichnen.
Auch die Ethik ist mit Sicherheit eine der schwierigsten Hürden, die Deep-Learning-Unternehmen überwinden müssen. Die meisten Menschen sind nicht bereit, bei ihren gesundheitlichen Problemen einem Computer zu vertrauen. Außerdem ist die Technologie des Deep Learning nicht einfach zu verstehen und zu erklären. Diese Komplexität vergrößert die derzeitigen Bedenken von Patienten und Pflegepersonal gegenüber der KI noch weiter. Radiologen sahen der KI-Entwicklung vor einigen Jahren noch mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Akzeptanz gegenüber der KI lässt sich über eine bessere Erklärung der Technologie anhand von praktischen Demonstrationen erreichen, doch auch die Schulung von Radiologen bei der Unterstützung des Trainings für Deep-Learning-Modelle, bei der sie diese trainieren können, kann helfen. Die Entwicklung von Modellen, die nur für einfache Fälle wie die Automatisierung wiederkehrender Aufgaben zum Einsatz kommen, wird der künstlichen Intelligenz wahrscheinlich dabei helfen, in den Krankenhausalltag einzukehren, ohne direkt ausschließlich zur Diagnosefindung für Patienten herangezogen zu werden.
Ein anderes Problem mit den medizinischen Daten liegt im Zugriff darauf. Mit Kommentaren versehene Bilder sind der Kraftstoff der KI und der Zugriff darauf ist meist eingeschränkt; dies gilt auch für andere interessante Daten wie Alter, Geschlecht, Größe, Krankengeschichte etc. des Patienten. Bei manchen Unternehmen (zum Beispiel Google) basiert das Geschäftsmodell ausschließlich auf der Datenanalyse vor allem für die Verwendung in der Werbung. Offensichtlich bieten medizinische Daten jenen, die sie effizient verarbeiten können, große Chancen. Was diese Unternehmen einschränkt, sind die derzeitigen Bestimmungen im Hinblick auf den Datenschutz, was zur Verschlüsselung und Anonymisierung von medizinischen Daten führt.
Im November 2019 kam es zu einem Skandal, als eine Partnerschaft zwischen Google und Ascension, einem der führenden Non-Profit-Gesundheitssysteme der USA, bekannt wurde, wodurch Google Zugriff auf nicht anonymisierte medizinische Daten von Millionen von US-Amerikanern erhielt. Durch diesen Zugriff auf die Namen von Patienten kann Google das Patientenergebnis mit der Krankengeschichte und der Entwicklung des Gesundheitszustandes des Patienten in Zusammenhang bringen. All diese Daten finden Verwendung, die Modelle zu trainieren, und ermöglichen das Ausführen von Diagnosetools sowie die Behandlungsplanung. Interessant ist hier, dass weder die Patienten noch die Ärzte von diesem Datentransfer wussten, obwohl diese Partnerschaft vollkommen legal ist. Der HIPAA (Health Insurance Portability and Accountability Act) gestattet es privaten Akteuren, Daten zu teilen, ohne die Patienten darüber zu informieren, wenn diese Daten zur Organisation dabei helfen, ihre Mission für die Gesundheit auszuführen.
Heute Cloud-Infrastruktur, morgen OEM-Geschäft?
Das Training benötigt so viele Rechenressourcen, dass es von Software-Start-ups, die das trainierte Interferenzmodell verkaufen möchten, in der Cloud durchgeführt wird. Dieses wird im Krankenhaus aus Datenschutzgründen auf Servern ausgeführt. Die direkt in Krankenhäusern vorhandene IT-Infrastruktur ist sicherer als das Cloud Computing, da die medizinischen Daten das Krankenhaus nicht verlassen und so geschützt sind. Die Einrichtung einer solchen Umgebung ist schwierig und zeitraubend. Dennoch bietet es Krankenhäusern die Möglichkeit, die volle Kontrolle über ihre Daten zu behalten.
In der Zukunft wird diese Technologie wahrscheinlich von OEM übernommen, welche die Analyse in ihrer eigenen Engine durchführen und dem Radiologen direkt die Ergebnisse liefern. Dies setzt zwei Dinge voraus: Die Interferenz wird, auch wenn sie weniger anspruchsvoll ist als das Training, eine leistungsstarke Hardware benötigen, um die Einbettung dieser Technologie zu ermöglichen. Die Effizienz der Technologie muss von Stellen wie der FDA getestet und genehmigt werden, um eine Bewilligung zu erreichen. Dies ebnet jedoch über die sehr wertvolle Lizenzierung von Softwareupdates auch den Weg für einen neuen Geschäftstyp. Ein Beispiel dafür ist im Automobilbereich das Unternehmen Tesla.
Zukunft des Berufsbilds Radiologe
Eck-Daten
Die medizinische Bildverarbeitung ist eine perfekte Fallstudie für die Nutzung künstlicher Intelligenz im Medizinbereich. Die heute auf dem Markt befindlichen KI-Screening-Modelle dienen dem Erkennen von Anomalien, doch es sind noch viel weitreichendere Modelle für die automatische Diagnose in Entwicklung. In den kommenden fünf Jahren wird dies der größte Trend im Medizinsektor sein. Besonders der Softwaresektor wird wahrscheinlich rasch wachsen, denn die Grundlage für die KI sind die Algorithmen für das maschinelle Lernen – und Daten. Hier müssen OEMs und Krankenhäuser besonderen Wert auf deren ethisch und datenschutzrechtlich saubere Verarbeitung legen.
Dass KI für die medizinische Bildverarbeitung das Ende für den Beruf des Radiologen sein wird, stimmt so nicht. Es ist ein häufiger Irrglaube zur Zukunft der Medizin, dass Roboter Ärzte immer mehr verdrängen. KI-Modelle verändern das Berufsbild des Radiologen natürlich, doch zum Guten. Dank der KI wird die Produktivität von Radiologen deutlich steigen, da der Workflow durch das Priorisieren von Aufgaben und das automatische Durchführen von sich wiederholenden Aufgaben verbessert wird. So können sie sich mehr auf die Diagnose und ihre Patienten konzentrieren. Außerdem liegt die wahre Macht heute in der Hand der Radiologen, da sie die Einzigen sind, die Daten der medizinischen Bildverarbeitung, die für das Trainieren der Algorithmen zum Einsatz kommen, mit entsprechenden Kommentaren versehen können – und dies ist, wie schon gesagt, der Kraftstoff der KI. Ohne Daten gibt es keine KI!
In den kommenden Jahren wird die KI auch auf Krankenhausebene deutliche Auswirkungen haben. Die künstliche Intelligenz und hier vor allem das Deep Learning ermöglichen im Bereich der medizinischen Bildverarbeitung eine ausführlichere Analyse sowie ein autonomes Screening. Medizinische Bilder stellen bei Weitem den Großteil der globalen medizinischen Daten dar und aufgrund der zahlreichen verfügbaren Daten lassen sich Deep-Learning-Algorithmen ohne Einschränkungen durch die Datenmenge entwickeln, wie es bei der KI in anderen Bereichen oft der Fall ist.
Diese neue Technologie wird den Übergang von der volumen- zur wertbasierten Pflege in Gang bringen. Deep-Learning-Tools können einen großen Datenbereich berücksichtigen und konsistente Informationen extrahieren, die für Radiologen oder andere medizinischen Fachkräfte direkt nutzbar sind. Die Features zur Zusammenfassung und Extraktion sind bei Weitem die wichtigsten Funktionen des Deep Learning und ermöglichen es Krankenhäusern, die Datenverwaltung zu beschleunigen (Bild 5). Diese Tools bieten Krankenhäusern Möglichkeiten zur besseren Verwaltung ihrer Kosten durch eine Steigerung der Produktivität. Sie stellen eine deutliche Verbesserung für Patienten dar, die eine raschere und präzisere Diagnose erhalten und vorgezogen werden können, wenn eine Anomalie einen raschen Eingriff erfordert. Dies wird auch die Kosten des Patienten senken, wenn er auf das Gesundheitswesen angewiesen ist.
(na)