Von Cloud über Edge bis V2X: Konnektivität im Auto erlaubt neue Fahrerlebnisse und Geschäftsmodelle.

Von Cloud über Edge bis V2X: Konnektivität im Auto erlaubt neue Fahrerlebnisse und Geschäftsmodelle. (Bild: AdobeStock_195216316_sdecoret)

Wo verbringen die Menschen die meiste Zeit? Für viele sind das im Wesentlichen drei Bereiche: zu Hause, in der Arbeit und im Auto. Jede Information, jederzeit und an jedem Ort – und damit hat das Auto schon heute einen hohen Stellenwert für die Konnektivität. Sowohl als Ort, an dem Zugriff auf Informationen besteht, als auch als Informationsquelle. Apps, die über die Cloud mit dem Auto kommunizieren, sind längst alltäglich geworden. Mit ihrer Hilfe lassen sich verschiedenste Daten in Echtzeit abrufen, vom aktuellen Ladestand der Batterien bis zur Effizienz-Analyse der Fahrten und automatischen Dokumentation für ein Fahrtenbuch ist alles vorhanden. Darüber hinaus lässt sich ein Fahrzeug natürlich auch in einen Smarthome-Controller einbinden.

Das ist aber nur die berühmte Spitze des Eisberges. Die automobile Industrie befindet sich derzeit im bisher wohl größten Umbruch ihrer Geschichte. Klassische Automobilbauer treten einen Wandel an, hin zu Anbietern von Mobilität. Sie sehen ihre Zukunft mehr als Tech-Unternehmen anstatt als OEMs. Und das ist auch nötig, weil die Endanwender schon heute ganz andere Erwartungen haben, wie sie ihre Zeit in ihren Autos verbringen wollen. Die Zukunft wird hier noch viel weitreichendere Neuerungen bringen. Aller Voraussicht nach werden im Jahr 2026 mehr als 60 Prozent aller Neufahrzeuge vernetzt sein, bis 2030 steigt dieser Anteil auf fast 100 Prozent. Doch was macht ein vernetztes Auto eigentlich konkret aus? Und welche Rolle spielt dabei eine gut funktionierende und immer verfügbare Konnektivität?

HD-TV, Video-Streaming, WLAN für alle Passagiere und vieles mehr gehören zu den Funktionen im Auto, die in Zukunft zum Standardrepertoire im Auto gehören.
HD-TV, Video-Streaming, WLAN für alle Passagiere und vieles mehr gehören zu den Funktionen im Auto, die in Zukunft zum Standardrepertoire im Auto gehören. (Bild: AdobeStock_137392515_zapp2photo)

Funktionen auf Abruf

Die Zeiten, in denen die Funktionen eines Autos (einmalig und unwiderruflich) beim Kauf ausgewählt werden, sind eigentlich schon heute vorbei. Mit Software-Updates Over-the-Air (OTA) lassen sich Fehler beheben und Programme aktualisieren. Darüber hinaus ist es möglich, neue oder verbesserte Funktionen über das Internet zu installieren, ohne dass dafür ein Werkstattbesuch notwendig ist.

Einen Schritt weitergedacht, wird das, was heute im Konfigurator ausgewählt wird in Zukunft in Echtzeit direkt im Fahrzeug ein- oder ausgeschaltet. Die Kosten für solche Funktionen werden nach Bedarf abgerechnet, abhängig davon, wie lange oder wie oft sie Verwendung finden. Ein Benutzerkonto beim Autohersteller der Wahl wird bald eine Grundvoraussetzung sein, so wie es von Amazon oder Spotify bekannt ist. Derzeit wird, um einige konkrete Beispiele zu nennen, etwa an den folgenden „features on demand“ gearbeitet: HD-TV und Video-Streaming, Premium Audio, WLAN für alle Passagiere, automatisiertes Parken, Concierge Services, spezielle Fahrprogramme (Schneefall, Regen, Sport, Offroad, etc.), Mitnahme der Fahrzeugkonfiguration zwischen mehreren Fahrzeugen.

Konnektivität im Auto

So wie heute jeder zu Hause und am Arbeitsplatz permanent online ist, so wird es in Zukunft auch im Auto sein. Konnektivität auf hohem Niveau, hoch verfügbar, performant und zuverlässig ist die Grundlage für erhöhte Fahrsicherheit und mehr Komfort für alle Passagiere. Und sie bietet neue Geschäftsmodelle für die gesamte Nutzungsdauer eines Fahrzeugs. Ein ausgewogenes Lösungs-Portfolio von einer Telematics Control Unit (TCU) über Road Side Units (RSU) bis zu Mobile Edge Computing (MEC) stellt sicher, dass diese Anwendungen sauber und nahtlos ineinander übergehen.

Neu- und Gebrauchtwagen

Wie wird der Preis eines neuen oder gebrauchten Fahrzeugs bewertet? Natürlich sind Dinge wie Markenimage usw. wichtige Kriterien. Daneben zählten bisher aber vor allem mit technischen Dingen wie Leistung, Kraftstoffverbrauch oder Schadstoffausstoß, und ob bei einem Gebrauchtwagen noch alles funktioniert.

Online verbundene Fahrzeuge stellen diesen Ansatz auf den Kopf. Dinge wie Unterhaltung, „user experience“ und ein dynamisches Mensch-Maschine-Interface werden immer wichtiger. Ein hochwertiges Fahrzeug ohne Konnektivität lässt sich heute kaum noch verkaufen. Und was heute Premium ist, wird morgen schon zur Standardfunktion. Das wird auch den Gebrauchtwagenmarkt ändern, weil immer mehr Fahrzeuge ein permanentes Tagebuch führen. Damit kann sehr einfach dokumentiert werden, ob über die bisherige Lebenszeit alles fehlerfrei funktioniert hat, ob der Fahrstil defensiv oder aggressiv war, oder wann welche Teile getauscht wurden. Auch Online-Bestellungen von Neuwagen werden zur Normalität, so wie Tesla es schon heute zeigt.

Services

Dienstleistungen wie eine Versicherung, die ihre Prämiengestaltung von der Fahrweise abhängig berechnet, sind schon heute mehr oder weniger Standard. Konnektivität ermöglicht darüber hinaus noch viel mehr, zum Beispiel eine Art Bonusprogramm. Wie wäre es, wenn der Endverbraucher zum Beispiel bei effizienter und sicherer Fahrweise jeden Monat einige Meilen auf sein miles&more-Konto gutgeschrieben bekäme? Oder die Reichweite der Batterie wird erhöht, wenn unfallfrei gefahren wird.

Vernetzte Fahrzeuge eröffnen kreativen Unternehmen ein weites Feld für Innovationen. So sind Spieleplattformen für Kinder denkbar, die bei Langstreckenfahrten die aktuelle Umgebung mit interaktiv einbeziehen. Solche Services haben eines gemeinsam: sie erzeugen eine Kundenbindung. Die Kundenbeziehung wird sich vom einmaligen Verkaufen alle paar Jahre wandeln hin zu einer lebenslangen Geschäftsbeziehung – mit mehreren Anbietern für jeden Verbraucher.

Es gibt noch viele Fragen zu klären für solche Dienste, technische wie rechtliche (Datenschutz). Die Konnektivität zukünftiger Fahrzeuge wird aber auf jeden Fall das Erlebnis des bisher reinen Fahrens von A nach B gravierend ändern.

Flottenmanagement

Die Verwaltung und Aufrechterhaltung größerer Fahrzeugbestände benötigt viel Zeit und Ressourcen. Immer wieder erstaunlich ist etwa, wie lange die Anmietung eines Autos vor Ort dauert, auch wenn schon alle Daten vorab bekannt sind. Wenn auf dem eigenen Smartphone die gesammelten Daten des gemieteten Fahrzeuges verfügbar wären, der Mieter einfach zum Parkplatz gehen und mit dem Smartphone die Türen öffnen könnte, wäre das auch eine Erleichterung für den Vermieter. Dazu müssen sich die Hersteller auf standardisierte Dienste einigen, die Technologie der benötigten Konnektivität ist schon heute vorhanden.

Das Management von Fahrzeugflotten umfasst viele Geschäftsbereiche und -prozesse, die alle durch vernetzte Fahrzeuge neu definiert werden. So kann eine Firma das Leasing und den Wiederverkaufswert ihrer Dienstautos individuell nach Fahrtleistung optimieren. Anbieter von Car-Sharing setzen Konnektivität schon heute als grundlegenden Bestandteil ihres Geschäftsmodells ein. Auch alles rund um die Logistik wäre ohne Konnektivität (auch bei LKWs) nicht mehr denkbar.

Konnektivität und Geschäftsmodelle: Die Anwenderfreundlichkeit und die Erwartungen des Endanwenders müssen geklärt sein, bevor ein Projekt in Entwicklung geht.
Konnektivität und Geschäftsmodelle: Die Anwenderfreundlichkeit und die Erwartungen des Endanwenders müssen geklärt sein, bevor ein Projekt in Entwicklung geht. (Bild: Harman International)

Den Endanwender verstehen

Ohne Online-Verbindung wären alle in den vorigen Abschnitten genannten Anwendungsfälle nicht oder nur sehr eingeschränkt denkbar. Und es kommen noch mehr Bereiche, an die heute vielleicht noch gar nicht gedacht wird. Eine Sache ist in diesem Zusammenhang jedenfalls ganz besonders entscheidend: Es muss ein Geschäftsmodell hinter den Anwendungen bestehen können, damit sie erfolgreich sind. Die meisten der beschriebenen Fälle stoßen früher oder später auf eine Hürde – nämlich auf die Frage der Anwenderfreundlichkeit des Produkts. Es sind die Probleme der Endanwender zu verstehen, bevor eine Lösung erarbeitet wird.

Wird eine (meist technische) Lösung entwickelt, ohne das Problem genau zu kennen, besteht die Gefahr, dass ein wunderschönes Produkt entsteht, das aber niemand kaufen will. In der virtuellen Welt vernetzter Fahrzeuge ist diese Denkweise umso wichtiger, zumal es darum geht, das Problempotenzial bestehender Verfahren zu erkennen. Auch wenn es nicht immer einfach ist, Abläufe, die schon lange Zeit etabliert sind, zu hinterfragen und mit Hilfe der Konnektivität neu zu definieren.

Vehicle-to-everything bedeutet, dass Fahrzeuge untereinander, aber auch mit der städtischen Infrastruktur kommunizieren können.
Vehicle-to-everything bedeutet, dass Fahrzeuge untereinander, aber auch mit der städtischen Infrastruktur kommunizieren können. (Bild: AdobeStock_181323761_zapp2photo)

Konnektivität: die technische Komponente

In technischer Hinsicht baut die Vernetzung von Fahrzeugen im Wesentlichen auf drei Ebenen der Konnektivität auf, wobei die Anwendungsfälle und Geschäftsmodelle davon abhängig sind, auf welcher Ebene sie implementiert sind: Cloud, Edge und V2X.

Cloud

Die Verbindung von Fahrzeugen via Cloud bzw. Internet war der Eintritt in die Ära der vernetzten Fahrzeuge. Es handelt sich um große Rechenzentren, die meist unter Hoheit der Fahrzeughersteller gewisse Dienste zur Verfügung stellen, oftmals Dienste rund um die Kernkompetenz der Hersteller – also das Auto an sich. Darin enthalten sind Services wie automatische Karten-Updates, Software OTA, elektronische Fahrtenbücher oder Ferndiagnose-Tools, die sich schon beim Kauf eines neuen Autos im Konfigurator auswählen lassen.

Cloud-Dienste von Drittanbietern gehen hingegen einen Schritt weg vom reinen Fahrzeug, hin zu Verwaltung, Unterhaltung und Multimedia. Beispielhaft zu nennen sind Streaming oder positionsabhängige Services wie Veranstaltungen in der Nähe oder Parkplatzsuche.

Edge

Ein Cloud-Server kann irgendwo im weiten Internet stehen. Mit einer großen Anzahl verteilter Edge-Server rücken die Dienste näher an das Geschehen vor Ort. Der Vorteil davon ist, dass geringere Laufzeiten der Nachrichten auch sicherheitsrelevante Dienste ermöglichen. Auch dass die Edge das Umfeld eines jeden Fahrzeuges in seinem Umfeld besser kennt, ist ein Unterschied zur Cloud. So sind typische Smart-City-Dienste prädestiniert für die Edge. Das reicht von einer effizienten Verkehrssteuerung bis hin zu lokalen Werbemöglichkeiten.

Ein weiterer Unterschied der Edge zur Cloud ist das Geschäftsmodell, denn bei einem Edge-Service steht nicht ein großer Anbieter im Hintergrund, sondern viele kleinere lokale. Das ist eine Herausforderung, derer sich aller Wahrscheinlichkeit nach die Mobilfunkanbieter annehmen werden. Denn diese haben zum einen schon eine Infrastruktur, auf sich aufbauen lässt. Zum anderen können die Edge-Dienste leicht über einen vorhandenen Mobilfunkvertrag abgerechnet werden, was keinen Neuaufwand für Mobilfunkanbieter darstellt.

V2X

Noch einen Schritt näher in das unmittelbare Umfeld der Fahrzeuge kommt die V2X-Kommunikation (Vehicle to anything). Dabei werden über einen speziellen Funkkanal Nachrichten direkt zwischen den Fahrzeugen (und anderen Verkehrsteilnehmern) ausgetauscht.

Ohne im Detail auf die Technikfrage einzugehen, ist ein sehr wichtiger Faktor bei V2X, dass dieses Frequenzband kostenfrei zur Verfügung steht, allerdings ausschließlich für sicherheitsrelevante Anwendungen. Ein klassisches Geschäftsmodell mit gewinnorientierten Betreibern ist hier also eher nicht anzuwenden. Anders auf Seiten der Autohersteller, denn Fahrzeuge in Europa bekommen laut der Euro NCAP Roadmap ab 2024 einen Bonus für die Sicherheitsbewertung, wenn sie mit V2X ausgestattet sind – für Premium-Anbieter ein wichtiges Verkaufsargument. (na)

Gerhard Großberger, Harman
Gerhard Großberger, Harman (Bild: Harman International)

Gerhard Großberger

Director Product Management Telematics bei Harman

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