Ganzjährig auf dem Prüfstand
Weil die Entwicklungszyklen in der Automobilindustrie immer kürzer werden, müssen Tests von Fahrzeugen und Komponenten schnell sowie zu jeder Jahreszeit möglich sein, ohne die Fahrzeughersteller oder OEMs zu stark finanziell und zeitlich zu belasten. Genau das ist in Klimakammern möglich.
Um den Einfluss von extremen Klimabedingungen auf die Bordelektronik zu prüfen, waren klimatische Tests in der Vergangenheit von den Jahreszeiten abhängig. Dies bedeutete für Fahrzeughersteller oder Zulieferfirmen, dass sie für bestimmte klimatische Bedingungen in entsprechende Länder reisen mussten: Für Kälte und Schnee transportierten sie die Testwagen nach Nordschweden, für Dauerhitze nach Südafrika oder in die USA. Die Entwicklungszyklen in der Automobilindustrie werden aber immer kürzer: Fahrzeuge sowie Komponenten sollen sich schnell und zu jeder Jahreszeit prüfen lassen, ohne die Fahrzeughersteller oder OEMs zu stark finanziell und zeitlich zu belasten. Hier helfen Tests in Klimakanälen – und Spezialisten, die diese vornehmen und auswerten können.
Einer der größten deutschen Automobilhersteller testet bereits einen großen Anteil an neuen Fahrzeugmodellen in seinen Klimakanälen. Die Rede ist von dem Mercedes-Benz-Technologie-Zentrum in Sindelfingen. Die Fahrzeuge werden zwar nach wie vor in den USA unter realen Umweltbedingungen geprüft, doch durch vorbereitende Maßnahmen in den Kanälen konnte der Testzeitraum von zwei Wochen auf etwas mehr als einen halben Tag reduziert werden. Hieraus ergibt sich eine spürbare Kosteneinsparung. Ökonomische wie auch ökologische Gründe sprechen deshalb für Klimatests in Windkanälen, die sich idealerweise in der Nähe der jeweiligen Hersteller befinden. Dies ist allerdings mit entsprechenden Anforderungen verbunden wie etwa dem nötigen Know-how, um Testszenarien zu entwickeln und Messergebnisse realistisch interpretieren zu können.
Energiemanagement und -bilanzierung setzen Erfahrung voraus
Im Bereich Energiemanagement und Bordnetzarchitektur existieren nur wenige Spezialisten oder Entwicklungspartner, die die nötige Expertise und Erfahrung mitbringen. „Diese Voraussetzungen sind entscheidend für eine erfolgreiche Testreihe“, erklärt Dirk Fratzke, Leiter Energiesysteme, Fahrzeugtest & Erprobung bei Gigatronik in Stuttgart: „In Straßentests haben sich unsere Gigatronik-Experten jahrelang einen großen Wissensschatz in den Bereichen Energiemanagement und Energiebilanzierung angeeignet. So konnten wir Benchmarks zu Energiebilanzen und Fahrzeugen entwickeln, die sich nun unter bestimmten von uns vorgegebenen Bedingungen und Fahrszenarien auch im Windkanal simulieren lassen.“ Wichtig sei hierbei, dass die Ergebnisse richtig interpretiert und mit den Resultaten der Straßentests abgeglichen werden. Dies ermögliche Testbedingungen, die unter anderem „auch eine komplette Simulation von Klimaauswirkungen erlauben.“
Die Stuttgarter Unternehmensgruppe, die auch weitere Standorte in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat, arbeitet eng mit dem Modine-Klimakanal in Filderstadt zusammen und bietet dadurch die Möglichkeit, unabhängig von Jahreszeiten und Klimabedingungen Fahrzeuge und Bauteile testen zu lassen. Diese Anlage ist technisch so ausgestattet, dass Ingenieure Versuche bei Temperaturen von – 30 bis + 55 °C ausführen können. Fahrzeuge lassen sich so unter realen Wetterbedingungen wie sehr hoher Luftfeuchtigkeit, extremer Sonneneinstrahlung oder Kälte und leichten bis orkanartigen Windstärken testen.
Auch eine gute Um- und Unterströmung des Fahrzeuges ist ausschlaggebend für vergleichbare Prüfstandergebnisse. Dies wird erreicht durch eine entsprechende Düsengröße und Maßnahmen, welche die Grenzschichtdicke reduzieren. Viele Tests kann Gigatronik auch direkt in seinen eigenen Laborräumen durchführen und simulieren, betont Dirk Fratzke.
Schnelle und kosteneffiziente Tests für Fahrzeugaufbauer
Neben allen Fahrzeugherstellern sowie Zulieferfirmen ist diese Möglichkeit für klimatische Tests des Bordnetzes besonders für Fahrzeugaufbauer interessant. Hierbei handelt es sich oftmals um Hersteller von Derivaten und Sonderfahrzeugen, denen aber immer wieder das Know-how im Bereich Energiemanagement fehlt. Durch die räumliche Nähe zwischen Hersteller und Klimakanal entfallen teure Anfahrtswege oder Fahrzeugtransporte um die halbe Welt. Bei geringen produzierten Stückzahlen sind solche aufwändigen Prüfreihen im Ausland darüber hinaus mit sehr, manchmal gar unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich die Messtechnik bereits vor Ort befindet. „Zudem kennen sich die Gigatronik-Spezialisten mit den Geräten, dem Testgelände und den verschiedenen Analyseverfahren sowie -szenarien aus“, hebt Dirk Fratzke hervor.
Deshalb greift beispielsweise die Firma Kerstner als Hersteller von Kühlaufbauten für Nutzfahrzeuge auf einen solchen Service zurück. Das Unternehmen wollte schon in der frühen Entwicklungsphase seiner Kühlaufbauten wissen, wie das neu entwickelte Kälteaggregat mit dem gerade auf den Markt kommenden Basisfahrzeug zusammenspielt. Dabei soll das Aggregat auch in heißen Gegenden zum Einsatz kommen, ohne die Bordelektronik zu beeinflussen. „Unsere Techniker untersuchen das Verhalten des Fahrzeugs in Extremsituationen wie zum Beispiel bei einer Bergfahrt im spanischen Hochgebirge“, führt Dirk Fratzke weiter aus. „Tatsächlich wird aber der Test hier bei uns in der Klimakammer simuliert – und zwar mit validen Ergebnissen.“ Die hochsommerlichen 40 Grad Lufttemperatur in Verbindung mit der 2000 Watt pro Quadratmeter – das ist die Maßeinheit für die Strahlungsintensität der Sonne – starken Höhensonne belasten den Kühlaufbau und über den elektromechanischen Kompressor somit auch das Fahrzeugbordnetz. Dirk Fratzke erklärt die Vorgehensweise: „Aus den Untersuchungsergebnissen erarbeiten wir dann gegebenenfalls Änderungen beziehungsweise Maßnahmen, die zur Stabilisierung und Verbesserung der Fahrzeugelektronik führen. Am Ende wird so ein Bordnetz realisiert, das trotz Zusatzaufbau die vom Fahrzeughersteller geforderte Verfügbarkeit aufweist.“
Frühling, Sommer, Herbst und Winter: jederzeit valide Tests der Fahrzeugelektronik
Kunden, die das Bordnetz einem klimatischen Test unterziehen lassen wollen, erhalten bei Gigatronik hierzu ein komplettes Service-Paket. Dieses beginnt mit der Entgegennahme des Fahrzeugs. Es wird anschließend mit der entsprechenden Messtechnik ausgerüstet und unter den beauftragten Voraussetzungen getestet sowie bewertet. Am Ende erhält der Kunde eine vollständige Einschätzung der Experten mit sämtlichen Messergebnissen.
„Auf Wunsch lässt sich, basierend auf diesen technischen Ergebnissen, auch ein vollständiges Energiekonzept für das Fahrzeug erstellen oder bestimmte klimatische Bedingungen simulieren“, erklärt Dirk Fratzke. „Viele Teststrecken und -szenarien liegen uns bis ins kleinste Detail digitalisiert vor. Anhand dieser Daten können wir zum Beispiel ein an das europäische Klima angepasstes Auto für eine Ausfuhr in heißere Zonen testen, umrüsten und diese Lösung dem Kunden anbieten oder Alternativen vorschlagen – und zwar ohne dass das Fahrzeug das Testgelände verlassen muss.“ Auf diese Weise erarbeiten Techniker und Ingenieure völlig neue Bordnetzarchitekturen für Kunden. Mithilfe des Klimakanals können diese Entwicklungen schnell und direkt dem Auftraggeber mit validen Messergebnissen vorgeführt werden. Fratzke stellt abschließend fest: „Das System der Energiebilanzierung und des Bordnetz-Benchmarks in Verbindung mit Umwelt- und Fahrsimulation ist in dieser Kombination die wirtschaftlichste Art, um Fahrzeuge zu testen und zu entwickeln.“
(av)