Herr Kern, was kann man von 5G erwarten und wer braucht das?
Jürgen Kern: 5G verspricht ein mobiles Internet mit sehr hoher Bandbreite und niedriger Latenz und wird damit die Netzwerkfunktionalität insgesamt steigern. Der nahezu verzögerungsfreie Verbindungsaufbau ermöglicht den verbesserten Austausch von Echtzeitinformationen und eine Datenübertragung, die deutlich sicherer, belastbarer und zuverlässiger ist. An 5G wird niemand vorbeikommen, früher oder später sind alle betroffen. Laut einer Untersuchung von Ericsson gab es zu Ende 2020 etwa 220 Millionen 5G-Verträge, und in 2026 sollen über 60 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zu 5G-Netzen haben.
5G ist vor allem in Zusammenhang mit der Industrie bekannt, weniger vom Verkehrswesen. Welche Vorteile bringt die Technologie hier?
Jürgen Kern: Grundsätzlich folgen die Kommunikationsarchitekturen von Zügen und Bussen und PKWs denselben Prinzipien: Trennung von sicherheitsrelevanter Kommunikation und Infotainment sowie der Übergang von Feldbus zu Ethernet. Schon Regionalzüge haben bis zu neun parallele Mobilfunksysteme mit jeweils eigener Antennenanlage auf dem Dach. Mit 5G zieht die MIMO-Antennen-Technologie ein (das heißt 9 × 4 Antennen und Kabel), als Schlüssel, um die hohen Datenraten von 5G zu erzielen. Das mit 5G einhergehende „Slicing“ ermöglicht es, Anwendungen auf der gleichen Hardware strikt voneinander zu trennen und unabhängige Leistungsmerkmale zu setzen. Weil nur ein System anstelle von zweien notwendig ist, lassen sich Unterhaltung bzw. Infotainment kosteneffektiver betreiben während zugleich sicherheitsrelevante Funktionen durch kurze Latenzzeiten und garantierte Leistungsmerkmale realisiert werden. Die Kombination der beiden Informationsströme erzielt eine bessere Leistung. Letztlich spart man am Investment in Hardware-Ausstattung, und profitiert von vielen Vorteilen. Allerdings ist die Voraussetzung für 5G bei öffentlichen Verkehrsmitteln, dass eine explizite Netz-Abdeckung entlang der Bahnen gegeben sein muss, an der noch gearbeitet wird. Es ist also noch ein bisschen Zeit.
Was bringt 5G für den öffentlichen Bahnverkehr?
Jürgen Kern: Bahn frei für eine größere Anzahl an gleichzeitig stattfindenden Zugriffen auf Internet- und Netzwerkdiensten. Vorbei mit Internetservices, die bei hoher Auslastung an ihre Grenzen stoßen. 5G schafft die Grundlage für ausreichenden Internetzugriff für die Passagiere in Bus, Zug oder Straßenbahn und zugleich auch für Betreiber. Sie können dieselben Kommunikationskanäle für zusätzliche Dienste für Passagiere nutzen, darunter Fahrgast- und/oder allgemeine Informationen, Passagier-WLAN, Infotainment und lokalisierte Werbung, ohne dass zusätzliche Geräte notwendig sind. Das erleichtert wiederum die Finanzierung eines modernen Netzwerks mit eingebundenen 5G-Routern über Marketingmodelle (z.B. Coop-Werbung). Dank der hohen Bandbreite können auch sicherheitskritische Anwendungen zeitgleich laufen wie die Betriebsdatenübermittlung, Video-Surveillance in HD-Qualität oder E-Ticketing. Zudem wird die Unterstützung von beeinträchtigten Personen beim Ein-/Aussteigen unterstützt – ein Bestandteil der vom PBefG (Personenbeförderungsgesetz) geforderten Barrierefreiheit zum 1.1.2022.
Welche Unterstützung bietet Netmodule beziehungsweise welche Strategie verfolgt Ihr Unternehmen?
Jürgen Kern: Für uns ist 5G Standalone ein wichtiges Element unserer Produktstrategie. Bis es funktionierende 5G-Standalone-Netze gibt, werden sicherlich noch zwei Jahre vergehen. Bis dahin wird es auch Bedarf geben, 5G einzusetzen. Wir sind schon heute im Bahnsegment mit unseren Wireless Routern NB3800 vertreten, die sich durch eine modulare Architektur und standardisierte Schnittstellen auszeichnen. Diese bestehende Produktlinie werden wir mit entsprechenden Modems, die inzwischen verfügbar sind, ergänzen und 5G-fähig gestalten. Diese Strategie verfolgen wir auch für unsere anderen Zielmärkte, und werden bis in eineinhalb Jahren alle unsere Router 5G-fähig gestalten, und auch mit neu zu entwickelnden Geräten die Leistungsmerkmale von 5G-Standalone ausnutzen.
Sind denn schon Produkte verfügbar?
Jürgen Kern: Unser erster 5G-High-End-Router NB3850 – speziell für den Bahnverkehr zertifiziert nach EN 50155 und EN 45545 – ist inzwischen auf den Markt gekommen. Er bietet, wie übrigens alle unsere Router, ein modulares Hardwaredesign und dazu funktionsreiche Software, die ihn als universelles Kommunikationsgateway auszeichnet. Dank Standardschnittstellen können wir das Gerät kundenspezifisch konfigurieren und je nach Verfügbarkeit mit benötigten Modems zu bestücken. Das aktuell eingesetzte 5G-Modem unterstützt das Zeitduplexverfahren (TDD) sowie das Frequenzduplexverfahren (FDD) und bietet bis zu 4 × 4 MIMO. Im 5GNR-Modus werden die Frequenzbänder N1 (2100), n3 (1800), n7 (2600), n8 (900), n78 (3500) unterstützt; im 4G TLE-Modus B1 (2100), B3 (1800), B7 (2600), B5 (850), B8 (900), B20 (800), B42 (3500). Dies ist wichtig, weil der Router wegen des Abdeckungsproblems auf LTE und manchmal sogar auf UMTS zurückfallen wird.
Die NB3850 5G-Router unterstützen sowohl 5G standalone (SA) als auch 5G non-standalone (NSA). Dies ist vor allem in der momentanen Aufbauphase wichtig, da noch nicht alle Mobilfunknetze auf 5G SA ausgebaut sind. Im 4G LTE advanced Mode wird Cat20 mit Kanalbündelung angeboten. Theoretisch erreichen die Router Datenraten von 5,5 Gbps im Download-Betrieb und 1,6 Gbps im Upload.
Ergänzend dazu führen wir nun auch 5G-fähige Antennenmodule im Angebot, die gleichzeitig abwärtskompatibel zu den bisherigen Mobilfunkstandards sind. Bei den Bahnantennen bleibt zudem das Antennendesign gleich flach und leicht, und die äußere Mechanik wurde beibehalten. So können bestehende Anlagen problemlos nach- oder umgerüstet werden. Seit dem GSM-Standard unterstützen Endgeräte die sogenannte Empfangsdiversität, das heißt zwei Empfangsantennen. Im 5G-Standard spielt nun die MIMO-Technologie (Multiple In / Multiple Out) eine wichtige Rolle. Somit werden für die 5G-Kernbänder vier Empfangsantennen (RX-Antennen) benötigt. Für den Sendebetrieb benötigen die aktuell verfügbaren Modems für die Frequenzen der europäischen Netzbetreiber drei Antennen. Die Netmodule 5G-Router unterstützen diese Anforderungen.
Brauchen wirklich alle Betreiber in Zukunft 5G? Und was ist bei der Nutzung zu beachten?
Jürgen Kern: Von 5G zu profitieren, heißt auch sich korrekt vorzubereiten und erst dann zu investieren, wenn es sich lohnt. Daher ist es ratsam, vor Einsatz von 5G-Geräten einige Fragestellungen zu prüfen:
- Wie hoch ist die Abdeckung im Einsatzgebiet bzw. entlang der Zugstrecke?
- Ist es möglich, die angestrebten Datenraten in Uplink (Endgerät zur Infrastruktur) und Downlink (Infrastruktur zum Endgerät) zu erreichen?
- Kann 4 × 4 MIMO eingesetzt werden (aus Platzgründen) und was ist die optimale Antenneninstallation?
- Kann der Router so installiert werden, dass Kabelverluste minimiert werden?
- Und generell: Bringt 5G in der Praxis wirklich mehr als LTE, das heißt lohnt sich die Investition?
(neu)