abstract Pixel Art Chaos, Internet of Things

Die Erwartungen der produzierenden Unternehmen an das IIoT sind hoch. Digitale Zwillinge können Entwicklerteams hier helfen, multidisziplinäre und äußerst Komplexe Fragestellungen anzugehen. (Bild: AdobeStock 649803389, sevector)

Fertigungsabläufe anhand von Daten optimieren. Somit Ausfallzeiten verkürzen. Erzeugnisse produktiver herstellen und nachhaltiger gestalten, zu geringeren Kosten und mit weniger Ressourcenverbrauch. – Die Erwartungen produzierender Unternehmen an das Industrial IoT als hoch zu bezeichnen wäre untertrieben. Die Technologien des IIoT gelten branchenübergreifend als Gral; als Garant für Qualitäts- und Effizienzgewinn und als wichtigstes Werkzeug, um die nächste Sprosse des Fortschritts zu erklimmen: die intelligente Produktionsanlage der Zukunft, in der das Konzept von Industrie 4.0 real werden soll (Bild 1).

Wer die Berichterstattung in den Fachmedien verfolgt, findet dort eine Vielfalt IIoT-befähigter Produkte und darauf bezogener Projekte, die exponentiell anzuwachsen scheint. Schnell lässt sich der Eindruck gewinnen, Industrie 4.0 und Industrial IoT markierten schon heute den Status quo der Industrie. Dem widerspricht jedoch die Realität in den Fertigungshallen und Prozessanlagen; dort wird vielmehr deutlich, dass die vierte industrielle Revolution zwar eingeläutet, aber längst nicht vollendet ist.

Bild 1: Robotereinsatz in der Batteriemodulfertigung beim Automobil-Zulieferer Webasto. Die Umsetzung von Industrie 4.0 schreitet branchenübergreifend fort.
Bild 1: Robotereinsatz in der Batteriemodulfertigung beim Automobil-Zulieferer Webasto. Die Umsetzung von Industrie 4.0 schreitet branchenübergreifend fort. (Bild: Kuka)

Das Entwicklungstempo und wichtige Erfolge lassen sich beispielsweise hier beobachten: Im Nordosten Nordrhein-Westfalens setzen Mitarbeiter der Fraunhofer-Forschungseinrichtung IOSB-INA – gemeinsam mit der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe – Industrie 4.0 in die Wirklichkeit um. Die SmartFactoryOWL, geschaffen als frühes Reallabor und zertifizierte Testumgebung für das Industrial IoT, ist den Technologien der Industrie 4.0 und der datenbasierten Wertschöpfung gewidmet, die von der Sensorik über maschinelles Lernen bis zu digitalen Assistenzsystemen reicht. Erfolgsgeschichten aus diversen Industriezweigen berichten von Vernetzung, Zustandsüberwachung, Fernwartung oder Energieoptimierung [1]. Ein Blick auf das Leistungsspektrum der Einrichtung offenbart die Potenziale des IIoT – verdeutlicht jedoch gleichermaßen seine Herausforderungen; allen voran eine Komplexität, die sorgfältige Planung und Umsetzung in den Unternehmen und Institutionen erfordert, bevor die Technologie als Katalysator für die Produktivität wirken kann.

Elektronikentwicklung als IIoT-Schlüsselfunktion

Das Industrial IoT als komplexe Aufgabe – für Elektronikentwickler ist diese Interpretation besonders relevant, weil ihnen eine technologische Schlüsselrolle zukommt. Das Erfassen und Analysieren von Daten vernetzter Geräte, Datenverarbeitung über eine Cloud oder an der Edge sowie Lösungen zur Nutzung von künstlicher Intelligenz gehören immer häufiger zu den gefragten Elektronikanwendungen. Entwicklerteams stehen in IIoT-Projekten folglich multidisziplinären Aufgaben gegenüber, die von der (5G-) Industriekommunikation und der dazugehörigen Messtechnik über das Cloud- und Edge-Computing, nebst Hardware und Software für die KI-Implementierung, bis zum Optimieren von Leistungsversorgung und Ressourceneinsatz reichen. Ergänzt um das allgegenwärtige Problem der Cybersicherheit.

In der Automatisierungstechnik wächst die Dichte smarter, kommunizierender Feldinstrumente rasant. Intelligenz und Vernetzung bedeuten jedoch nicht nur einen Zuwachs an Performance und Funktionalität der Elektroniksysteme. In automatisierten Fabriken beginnt die klassische Grenze zwischen der Betriebstechnik (Operational Technology, OT) auf dem Shopfloor und der Informationstechnik (IT) aus den Leitebenen aufzuweichen. Automatisierer zitieren hier oft die „Konvergenz von OT und IT“, aus der ihnen ernsthafte Probleme erwachsen. Denn zwar ist diese Konvergenz die Grundlage durchgängiger Vernetzung und datenbasierter Optimierungen. Jedoch ist das Zusammenwirken – die Interoperabilität – von OT und IT auf neue Standards angewiesen, und besonders seitens der OT besteht in Bezug auf die Netzwerksicherheit ein immenser Nachholbedarf.

Intelligenz und Sicherheit am Netzwerkrand

Anders als etablierte IT-Devices sind beispielsweise netzwerkfähige Sensoren und Aktoren keine Produkte mit Jahrzehnten an Entwicklungshistorie. Ihre Schöpfer verfügen selten über dementsprechend lange Erfahrung, um die Integrität beziehungsweise Authentizität von Daten, Geräten und Prozessen sicherzustellen. Je mehr sich hier maschinelles Lernen und KI ausbreiten und an Bedeutung gewinnen, etwa bei der Qualitätskontrolle oder der prädiktiven Instandhaltung, um so gravierender werden die Probleme mit der Cybersicherheit.

Mithilfe des Edge-Computing, also der dezentralen Datenverarbeitung in der Feldebene, sinken nicht nur Datenlast, Energiebedarf und Latenz im Netzwerk, sondern es verringert sich auch die Angriffsfläche auf Instrumente und Daten. Unter anderem lassen sich letztere an der Edge verschlüsseln oder vorab verarbeiten, um Anomalien zu erkennen, die auf Angriffe hindeuten. Ist eine Gefahr identifiziert, kann sie gegebenenfalls eingedämmt und lokal entschärft werden, bevor sie sich weiter im Netzwerk verbreitet. Dezentrale Intelligenz in der Form smarter Edge-Devices hat sich heute als eine Grundlage für deterministisches, hochverfügbares und sicheres IIoT etabliert.

Zu den anspruchsvollsten Industrieanwendungen lokaler Intelligenz gehören autonome Maschinen wie Roboter und Cobots. Hier stehen die Jetson-Systemmodule von NVIDIA beispielhaft für eine Embedded-Computing-Architektur auf dem oberen Performance-Niveau (Bild 2). Für lokale Deep-Learning-Applikationen an der Edge, aber auf Server-Level konzipiert, umfassen die Systems-on-Module (SoM) Prozessor- und Grafikeinheiten sowie Speicher, Power-Management und breitbandige Datenschnittstellen. Robotik-typische Funktionen, wie Sensorfusion, Edge-KI und Lokalisierung, sollen sich mit NVIDIA Jetson vergleichsweise zügig in die Realität überführen lassen. Außerdem betont der Hersteller Sicherheits-Features wie hardwarebasierte Root-of-Trust, Secure Boot und hardwarebeschleunigte Kryptografie [2].

Bild 2: Als Embedded-Systemmodul in verschiedenen Ausbaustufen sowie als Developer Kit erhältlich: Jetson AGX Orin verspricht ausreichend Performance für Deep Learning und lokale KI in Edge-Anwendungen sowie integrierte Security-Funktionen.
Bild 2: Als Embedded-Systemmodul in verschiedenen Ausbaustufen sowie als Developer Kit erhältlich: Jetson AGX Orin verspricht ausreichend Performance für Deep Learning und lokale KI in Edge-Anwendungen sowie integrierte Security-Funktionen. (Bild: Nvidia)

Probate Werkzeuge für die Arbeit an der Cybersicherheit sind Simulation, Modellierung und vor allem Tests. Häufige Sicherheitstests helfen in der Regel, bei vernetzten Geräten ein hohes Schutzniveau aufrecht zu erhalten. Sind diese allerdings im Fertigungs- oder Prozessfeld installiert und ist Verfügbarkeit ein Kriterium, kann es schwierig sein, die realen Systeme häufig zu testen. Hier bieten sich digitale Zwillinge als Alternative an.

Digitaler Zwilling verbessert die Sicherheit

Eine Definition des digitalen Zwillings gibt die Industrial Digital Twin Association (IDTA, [3]). Demzufolge handelt es sich, kurz und etwas vereinfacht ausgedrückt, um Datenabbilder von Systemen oder Prozessen, die deren relevante Funktionen und Verhaltensweisen umfassend beschreiben. Wichtig ist, dass sie sich an definierten Schnittpunkten in standardisierten Formaten austauschen lassen. Seitens der IT und besonders im Kontext der Industrie 4.0 hat sich dafür seit Längerem der Begriff der Asset Administration Shell – der sogenannten Verwaltungsschale – etabliert: Sie fasst relevante Aspekte der Things im Industrial IoT als Teilmodelle zusammen. Die Verwaltungsschale gewährleistet den herstellerübergreifenden Austausch dieser Informationen auf der Grundlage branchenneutraler Standards. Ausführliche Informationen sowie einige Use Cases [4] stellt die IDTA bereit: darunter auch einen Demonstrator ‚Open Industrie 4.0 Sensor’, der den Nutzen der Verwaltungsschale für das Vereinheitlichen der Datenstruktur und die Interoperabilität – als Voraussetzung zur Digitalisierung – veranschaulicht [5].

Im Sinne der Cybersicherheit lassen sich digitale Zwillinge verwenden, um Sicherheitstests in großer Zahl vorzunehmen, ohne dabei auf reale Systeme zuzugreifen. Dabei sind automatische periodische Tests ebenso möglich wie Penetrations- oder Systemtests, und es entstehen keinerlei Auswirkungen auf den Betrieb der Systeme im Feld [6]. Außerdem können digitale Zwillinge große Mengen an Daten liefern, um damit beispielsweise die Erkennungsmechanismen von Intrusion-Detection-Maßnahmen zu trainieren.

Eine der größten Herausforderungen im Zusammenhang mit digitalen Zwillingen besteht darin, dass sie selbst kontinuierliche Ströme an Daten in hoher Auflösung benötigen [6]: Die Big Data speisen sich aus den Entwicklungstools, jedoch auch aus den realen Systemen, während des Betriebs im Feld. Eine ausreichende Datenauflösung zu erzielen, Daten aus verschiedenen Quellen zu fusionieren und sie einheitlich zu verarbeiten zählt derzeit noch zu den großen Hürden des Konzepts. Lösungsansätze verspricht wiederum die Verwaltungsschale, wenn sie bereits bei der Datenerfassung zum Einsatz kommt.

Verwaltungsschalen für interoperable Feldkomponenten

Unternehmen in der Automatisierungsindustrie haben die Chancen, die aus digitalen Zwillingen und der Asset Administration Shell erwachsen, erkannt. Feldgerätehersteller wie der Sensorspezialist Sick statten daher ihre Produkte mit Informationen in Form von Verwaltungsschalen aus, um einen standardisierten Datenaustausch zu ermöglichen. Nach Angaben von Sick erfüllen diese die Kriterien der IDTA und sind bereits für mehr als 40.000 Produkte des Unternehmens verfügbar (Bild 3, [7]).

Bild 3: Im sogenannten Asset Hub stellt der Sensoranbieter Sick mehr als 40.000 Verwaltungsschalen seiner Produkte zur Verfügung.
Bild 3: Im sogenannten Asset Hub stellt der Sensoranbieter Sick mehr als 40.000 Verwaltungsschalen seiner Produkte zur Verfügung. (Bild: Sick)

Für die IIoT-Sicherheit kann der digitale Zwilling, wie oben dargestellt, einen wertvollen Beitrag leisten; weitere Anwendungsfälle finden sich in [8]. Seinen größten Nutzen wird er jedoch Experten zufolge auf dem Gebiet der vorausschauenden Wartung entfalten. Die Erwartungen an die Technologie sind riesig, was dazu führt, dass Voraussagen das Marktvolumen digitaler Zwillinge für das Jahr 2028 mit mehr als 110 Milliarden US-Dollar beziffern [9].

Fazit: Verteilte Intelligenz, standardisierte Daten – und vieles darüber hinaus

Je weiter Digitalisierung und IIoT in der Fertigungs- und Prozesstechnik um sich greifen, umso problematischer ist es, die Sicherheit von Geräten und Daten zu gewährleisten. Das Edge-Computing offeriert Lösungen für dezentrale Cybersicherheit, und leistungsstarke Embedded-Module mit integrierten Securuty-Features sind selbst den erhöhten Ansprüchen der Robotik gewachsen. Außerdem können digitale Zwillinge die Sicherheit von IIoT-Anwendungen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg unterstützen. Sie sind ihrerseits auf immense Datenmengen angewiesen, wobei die Verwaltungsschale eine gute Grundlage für deren Standardisierung und für die herstellerübergreifende, auf Standards fußende Interoperabilität darstellt. Die Themen dieses Beitrags streifen lediglich einen Bruchteil der Technologien, die das Industrial IoT ausmachen. Die Industrie 4.0 ist auf eine Vielzahl fortschrittlicher Systemkomponenten angewiesen, darunter Stromversorgung und Verbindungstechnik, die ihrerseits zur Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit von IIoT-Applikationen beitragen. Nicht zuletzt sind es aber die IIoT-Kompetenz sowie das multidisziplinäre Know-how der Entwickler und Systemintegratoren, die für den Projekterfolg den Ausschlag geben.

Literatur zu diesem Beitrag

  • 1 SmartFactoryOWL: Erfolgsgeschichten; https://smartfactory-owl.de/erfolg/; aufgerufen am 04. Januar 2024
  • 2 NVIDIA Jetson Orin NX-Modul mit 16 GB, https://www.nvidia.com/de-de/autonomous-machines/embedded-systems/jetson-orin/; aufgerufen am 04. Januar 2024
  • 3 Industrial Digital Twin Association: Digitaler Zwilling – Herzstück der Industrie 4.0; https://industrialdigitaltwin.org/technologie; aufgerufen am 04. Januar 2024
  • 4 Industrial Digital Twin Association: Use Cases – der Digitale Zwilling in der Praxis; https://industrialdigitaltwin.org/use-cases; aufgerufen am 04. Januar 2024
  • 5 Industrial Digital Twin Association: Sensordaten als Basis für die Digitalisierung; https://industrialdigitaltwin.org/use-cases/demonstrator-open-industrie-4-0-sensor-informationen-interoperabel-und-transparent; aufgerufen am 04. Januar 2024
  • 6 Alexander Giehl: Digitale Zwillinge und ihr Potenzial für sichere Betriebstechnik (OT); https://www.cybersecurity.blog.aisec.fraunhofer.de/digitale-zwillinge-und-ihr-potenzial-fuer-sichere-betriebstechnik-ot/; aufgerufen am 04. Januar 2024
  • 7 Sick ermöglicht Industrie 4.0 Anwendungen mit über 40.000 Verwaltungsschalen; https://www.sick.com/de/de/sick-ermoeglicht-industrie-40-anwendungen-mit-ueber-40000-verwaltungsschalen-/w/press-2023-aas/; aufgerufen am 04. Januar 2024
  • 8 Colin McMahon: Digitaler Zwilling – Anwendungsfälle, https://www.ptc.com/de/blogs/corporate/best-practical-digital-twin-use-cases; aufgerufen am 04. Januar 2024
  • 9 MarketsandMarkets: Digital Twin Industry worth $110.1 billion by 2028; https://www.marketsandmarkets.com/PressReleases/digital-twin.asp; aufgerufen am 04. Januar 2024
Dr. Matthias Laasch
(Bild: Dr. Matthias Laasch)

Dr. Matthias Laasch

selbstständiger Fachjournalist

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