Ein Oszilloskop stellt in seiner Basisfunktion den zeitlichen Verlauf einer Spannung dar. Um den genauen zeitlichen Verlauf des Stroms zu sehen, sind einige Anpassungen nötig. „Generell lassen sich dafür auch Zeigermessgeräte einsetzen“, erklärt Patrik Kalberer, European Category Manager T&M beim Elektronikdistributor Distrelec. Der Experte für Messtechnik führt weiter aus: „Das funktioniert allerdings nur, wenn die Veränderungen nicht zu plötzlich auftreten. Weil das beim Einschaltstrom der Fall ist, eignen sich Oszilloskope für diese Anwendung besser.“
Der Einschaltstrom tritt unmittelbar nach dem Anlegen einer elektrischen Spannung auf. Er kann ein Vielfaches des später fließenden Nennstromes betragen, weshalb Entwickler ihn bei der Auslegung elektrischer Betriebsmittel berücksichtigen müssen. „Motoren, Stromversorgungen, Leuchtstofflampen und Hochdruckentladungslampen haben jeweils eigene Einschaltstromeigenschaften“, berichtet Kalberer. „Um Schaltungsproblemen vorzubeugen, muss man diese erfassen und analysieren.“ Das Ziel ist, die Höhe und Dauer der Leistungsspitzen zu ermitteln.
Anforderungen an das verwendete Oszilloskop
Allerdings eignen sich nicht alle Oszilloskope für diese spezielle Art der Messung: Es muss möglich sein, Signalformdaten über einen ausreichend langen Zeitraum kontinuierlich zu erfassen und zu speichern und diese in möglichst hoher Detailgenauigkeit auszuwerten. „Geeignete Geräte aus dem Distrelec-Portfolio wären zum Beispiel die THS3000-Serie von Tektronix oder die OX7000-Serie von Metrix“, sagt Kalberer. „Für den professionellen mobilen Einsatz besonders empfehlenswert ist das Fluke Scope-Meter der Serie 190 II.“ Mit diesem tragbaren Gerät (Bild 1) lassen sich Einschaltströme über den gesamten Zyklus ohne weiteres erfassen und anzeigen. Die gesammelten Daten kann der Anwender vor Ort im Speicher des Oszilloskops ablegen (Bild 2) und später mit der Software Fluke-View untersuchen. Mittels Cursor und Zoomfunktionen (Bild 3) kann er zudem Stromspitzen und Schaltzeitparameter in voller Detailgenauigkeit analysieren.
„Mit diesem Gerät gestaltet sich die Messung des Eingangsstroms relativ einfach“, verrät Kalberer. Bevor es losgehen kann, ist allerdings noch Zubehör in Form eines externen 10:1-Spannungstastkopfes und einer Stromzange nötig. Diese verbindet der Anwender mit der Versorgungsspannung oder mit einem der dreiphasigen Stromleiter. Für die Messung ist der Scope-Record-Gerätemodus zuständig (Bild 2). Er ermöglicht eine Speichertiefe von 30.000 Punkten mit einer Zeitbasis von 5 ms/Division bis 2 min/Division, was je nach eingestellter Zeitbasis einer kontinuierlichen Speicherung von 6 s bis 48 h entspricht. Das Gerät tastet im Scope-Record-Modus mit 125 MSamples/s alle Eingänge synchron ab. „Daraus ergibt sich eine Störerfassungsrate von bis zu 8 ns schnellen Impulsen und Ereignissen“, berechnet Kalberer. Sobald sich das Gerät im richtigen Modus befindet, muss der Anwender noch die Amplitude und die Position auf dem Bildschirm auf eine sich nicht überlappende optimale Anzeige einstellen. Zusätzlich lassen sich am Gerät die Messwerte auswählen, die aufgezeichnet werden sollen.
Analyse des Einschaltstroms am Beispiel eines Drehstrommotors
Je nach zu untersuchendem Objekt braucht die Messung eine externe Triggerung, zum Beispiel beim Einschaltstrom eines Dreiphasenmotors einer Lüftungseinheit. Eine externe Triggerung ist in diesem Fall über den Eingang möglich, der nicht für die Dreiphasenmessung verwendet wird. Ein Relais mit Zeitverzögerung steuert den Schaltvorgang: Wegen dieser Verzögerung ist eine externe Triggerung erforderlich, um im Scope-Record-Modus exakt zum Zeitpunkt des Schaltvorgangs die Aufzeichnung zu starten. „Um die Vorgänge während der Messung bei diesem Anwendungsbeispiel zu verstehen, muss man sich das Prinzip eines asynchronen Motors mit Stern-/Dreieckumschaltung vor Augen halten“, erklärt Kalberer. Sie reduziert den Einschaltstrom um den Faktor √3. In der Sternschaltungskonfiguration liegt die dreiphasige Spannung an zwei Spulen der Motorschaltung mit Sternschaltung an. Dies bedeutet, dass die Sternspannung Uλ von 230 V (115 V) für die Motorwicklung verfügbar ist. In der Dreieckschaltung steht die volle Leiter-Leiter-Spannung U∆ von 400 V für die Motorwicklung bereit.
Drehstrommotoren werden durch den Phasenunterschied zwischen den drei Spannungen gestartet. Es entsteht ein rotierendes Feld, das eine Drehbewegung des Stators hervorruft. Ein einphasiger Motor benötigt jedoch eine Anlaufwicklung und einen Kondensator, um für das Anlaufdrehmoment ein rotierendes Feld zu erzeugen. Dieser Startschaltkreis wird abgeschaltet, wenn der Motor eine bestimmte Drehzahl erreicht hat. Jeder Motor hat spezielle Anlaufeigenschaften, die man bei der Analyse des Einschaltstroms berücksichtigen muss. Nicht nur die interne Motorkonstruktion, sondern auch externe Faktoren wie Spannungsamplitude, Umgebungstemperatur und Last beeinflussen den Einschaltstrom.
All diese Faktoren muss der Anwender aufzeichnen und beachten, wenn er eine Trenddarstellung des Motors im Zeitverlauf erstellt. Bei Drehstrommotoren kommt es darauf an, den Einschaltstrom der zuerst angelegten Phase zu messen. „Zusätzlich zur Analyse der Spitzenströme sollten Anwender auch messen, wie lange der Übergang vom Einschaltstrom zum normalen Betriebsstrom dauert und wie hoch der normale Betriebsstrom ist“ empfiehlt Kalberer. „Daraus lassen sich Rückschlüsse zum Beispiel im Fall von defekten Anlasserschaltungen ziehen.“
Das richtige Oszilloskop für jede Anwendung
Die Fluke Scope-Meter-Serie 190 II eignet sich jedoch auch für ganz andere Prüfaufgaben von der Mikroelektronik bis hin zur Energieanlagenelektronik (Bild 4). „Es handelt sich hier um ein Profi-Gerät speziell für Instandhalter und Anlagentechniker in der Industrie“, betont Kalberer. Die Baureihe kombiniert höchste Sicherheitsstandards und robuste Verarbeitung für den mobilen Einsatz mit der hohen Leistung eines Tischoszilloskops. Dank der Schutzart IP51 stellen raue Umgebungsbedingungen, Schmutz und selbst der Einsatz in Gefahrenbereichen kein Problem dar. Die tragbaren Oszilloskope mit drei unabhängigen, getrennten Eingängen für potenzialfreie Messungen sind zugelassen für sichere Messungen in CAT-IV-Umgebungen bis 600 V und CAT-III-Bereichen bis 1000 V.
Im Sortiment von Distrelec finden sich nicht nur Geräte von Fluke, sondern auch von anderen Premium-Herstellern wie Tektronix, Keysight, Pico Technology und LeCroy. „Die Art der Anwendung und die benötigten Funktionen sollten bei der Wahl des richtigen Gerätes ausschlaggebend sein“, rät Kalberer.
(lei)