Anknüpfend an den Artikel in der productronic 01-02/2020, der die Kalibrierung von Messgeräten im eingebauten Zustand in Testsystemen behandelte, werden nun die Flexibilität einer Kalibrierung, die Mächtigkeit der Datenanalyse sowie die Möglichkeit der Einbindung in vorhandene Abläufe beleuchtet.Solange die eingesetzten Geräte ihre Grenzwerte einhalten, werden sie als gut empfunden und selten hinterfragt. Daher ist es bei der Gerätekalibration in den meisten Fällen von untergeordneter Wichtigkeit, wie und was während einer Kalibrierung im Detail ausgeführt wird. In der Praxis ist die erfolgreiche Verifikation der Geräte der relevante Teil. Das Justieren von Werten, die außerhalb der Spezifikation liegen, wird bei modernen Geräten über eine elektronische Nachstellung realisiert. Da sich die Kalibration hierdurch über Software realisieren lässt, wird in diesem Artikel die Kalibration der Verifikation gleichgesetzt.Im Gegensatz zu Messgeräten werden Systeme selten auf Einhaltung ihrer Spezifikationen überprüft. Bei der Planung wird zur Vereinfachung häufig von einem idealisierten System ausgegangen, das keinen Einfluss auf die Messung hat. Folglich wird die Spezifikation der einzelnen Messgeräte unverändert als Systemspezifikation übernommen.Bei Systemen stellt sich dagegen häufiger die Frage, ob sie noch korrekt funktionieren oder einen Fehler haben. Z.B. nach einem Prüflingsausfall, bei dem kein Problem mit dem Prüfling festgestellt werden konnte.
Funktioniert das System noch korrekt?
Diese Frage wird oft zu schnell beantwortet, indem lediglich auf die zuletzt ausgeführte Kalibrierung sowie auf ähnliche und unauffällige Messungen zurückgegriffen wird. Dies trifft jedoch lediglich auf die im jeweiligen Ablauf verwendeten Messgeräte, der zur Messung verwendeten Pfade und den verwendeten Messgrößen zu. Im besten Fall kann ein Fehler im System gefunden, behoben und damit dem „Fail“ im Report eine eindeutige Ursache zugewiesen werden. Falls dem nicht so ist, können andere Ursachen zu Grunde liegen:
- Der Fehler trat auf einem anderen Messpfad auf.
- Es existiert kein Fehler im System und z.B. die Adaption hat ein Problem.
- Es ist ein sporadischer Fehler durch einen Wackelkontakt, unzuverlässigen Relaiskontakt, fehlerhafte Isolierung, …
- Es ist eine Verkettung von Messunsicherheiten
Für einige Bereiche und Anwendungen mag es ausreichend sein, sich auf eine Fehlerhäufung zu verlassen und so die Unterscheidung über Zeit und Wahrscheinlichkeiten zu treffen. Jedoch ist die Unterscheidung ohne vorher aufgenommene Referenzdaten, auf die zurückgegriffen werden kann, äußerst kritisch und daher nicht in allen Bereichen empfehlenswert. Auch erscheint der Aufwand für eine detaillierte Überprüfung jedes aufgetretenen Fehlers unwirtschaftlich. Jedoch schaden Pseudo-Fehler (positive wie negative) ebenfalls der Wirtschaftlichkeit und müssen mit einbezogen werden.
Die systematische Datenerfassung des Systems und damit eine fundierte Aussage bei aufgetretenen Fehlern ist initial aufwändiger. Sie birgt dafür aber eine hohe Sicherheit bei der Fehleranalyse sowie die Möglichkeit, einige Fehlerquellen deutlich schneller auszuschließen. Die Fehlersuche und -bestimmung ist eine aufwändige und spontan auftretende Aktion. Die Kalibrierung hingegen ist planbar. Beide generieren jedoch ähnliche Verifikationsdaten. Hier besteht ein Synergieeffekt in den auszuführenden Aufgaben, die zu den Kernaufgaben eines Testingenieurs gehören:
- Erstellen von Tests für komplexe Prüflinge (oder Systeme!)
- Umsetzen und Verifizieren der Testsequenzen
- Auswerten der Prüflingsdaten
Damit existiert bereits ein relevanter Teil der Systemverifikation für die Kalibration und gleichzeitig für die Fehlersuche. Auch ist die systeminterne Verdrahtung und Verschaltung Bestandteil der Fehlersuche und Systemkalibration. Somit können Messwerte systematisch aufgenommen und gespeichert werden und für eine Analyse von Abweichungen zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen werden. Außerdem ist es mit geringem Aufwand möglich, zusätzliche Pfade mit zu vermessen. Lediglich Schaltmatrizen sind etwas aufwändiger, da viele parallele Pfade vermessen werden müssen. Dank Automatisierung stellt jedoch auch dies kein Problem dar.
Auswertung der erfassten Daten
Hier stehen beinahe alle Möglichkeiten zur Verfügung, die von Prüflingen bekannt sind. Im einfachsten Fall eine Auswertung, in der Auffälligkeiten über konfigurierbare Filter vorselektiert werden. Auf Basis der ausgewählten Daten werden Reports und Analysen erstellt, statistische Betrachtungen sowie Maschinen- und Prozessfähigkeitsanalysen durchgeführt. Bei LXinstruments werden das Reporting und Analysewerkzeug Magpie 2 verwendet, das alle diese Funktionen enthält. Damit können zum einen fehlerhafte oder für die Auswertung irrelevante Daten ausgefiltert werden. Zum anderen können Grenzen oder einzelne Messwerte für eine Wenn-Dann-Analyse in einem Report angepasst werden. So können spezielle Reports generiert werden, die auf nachträglich verschärften Limits fußen. Obwohl diese Reports keine Gültigkeit für eine Kalibrierung besitzen, haben sie ihre Daseinsberechtigung bei der Fehlersuche. Standardmäßig kann eine Auswertung über FPY, Cp, Cpk, Limits, etc. erfolgen. Aussagekräftige Auswertungen können sich z.B. aus Temperaturabhängigkeiten, Kurvenverläufen oder Auswertungen über verschiedene Zeiträume ergeben.
Anwendungsbeispiel
Die Messung einer Größe, die zwar durch korrekt ausgelegte Limits und Überprüfungen während der Testauslegung richtig verifiziert wurde, kann trotzdem einen Fehler entwickeln, ohne dass dieser im täglichen Umfeld bemerkt wird. Aufgrund von Chargenschwankung eines Bauteils verschiebt sich der Messwert nach oben, bleibt jedoch innerhalb der Grenzen. Soweit kein Problem. Verschiebt sich die Messung durch einen Fehler im System nach unten, kann sie die Testsequenz trotzdem mit „Pass“ bestehen. Dies kann aufgrund eines gequetschten Kabels, erhöhter Übergangswiderstände in Relaiskontakten oder reduzierter Isolationswerte durch ein Überspannungsevent im Testsystem geschehen. Dies sind „schlafende“ Fehler, da sie noch nicht voll ausgeprägt sind, sich aber jederzeit verschlimmern können.
Ein solcher Zustand kann sich unbemerkt über die Zeit einschleichen und lässt sich nicht über Prüflingsfehler detektieren. Es können Abweichungen vorhanden sein, die trotzdem nicht zu einem „Fail“ führen. Auch die regelmäßige Kalibrierung der Geräte kann dies nicht aufdecken. Lediglich eine Untersuchung mit unabhängigen Daten kann dieses Problem zuverlässig entdecken. Hierzu können in der Vergangenheit oder auf einem vergleichbaren Pfad erfasste Messwerte als Referenzwerte herangezogen werden, da diese getrennt voneinander erhoben wurden. Abgesehen von Unsicherheiten müssen bei einem fehlerfreien System diese Messwerte gleich sein.
Der Mehraufwand der Systemkalibration inklusive Pflege der Testpläne steht damit einer beschleunigten und sichereren Fehlersuche gegenüber. Bei regelmäßig ausgeführten Verifikationen können auf diese Weise Fehler systematisch gefunden werden. Die Sicherheit dieses Ablaufs hat direkte Auswirkungen auf die Testqualität und auf die dafür benötigte Zeit. Werden Ausfälle und Abweichungen vom Referenzzustand rechtzeitig erkannt, kann ungeplanter Stillstand des Systems präventiv vermieden werden. Dies erhöht die Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und reduziert die ungeplanten Ausfallkosten drastisch. Sind gar Prozesse einzuhalten, welche zu jedem „Fail“ im Report eine Begründung fordern, können Systemfehler einfacher und sicherer begründet werden.
SMTconnect 2020: Halle 5, Stand 434B
Bernhard Altvater
(pg)