
Der Energiesektor der Prysmian-Gruppe umfasst eine große Palette an Produkten wie Hochspannungskabel für terrestrische und unterseeische Anwendungen, sowohl für Wechselstrom- (HVAC) als auch für Gleichstromsysteme (HVDC). Im Jahr 2010 hat die R&D-Abteilung bei Prysmian veränderte Design- und Testmethoden für neue Kabel und Systeme eingeführt. Beim Neugeschäft und hinsichtlich höherer Gewinnmargen hat diese Umstellung bereits Früchte getragen. Dank multiphysikalischer Simulationssoftware ist die Abteilung nun in der Lage, Kabel- und Systementwürfe für ein breites Spektrum rauer Umgebungsbedingungen zu optimieren.

Bild 1: Querschnittsansicht der Temperaturverteilung in einem doppelt verstärkten Versorgungskabel.Comsol
Von der groben Abschätzung zur thermischen Simulation
Ein Energieübertragungssystem muss die vorgegebene Strommenge im stationären Zustand liefern, ohne die erlaubten Betriebstemperaturen zu überschreiten. Um das System entsprechend auszulegen, braucht der Entwickler ein detailliertes thermisches Modell, das zahlreiche Variablen berücksichtigt. Dazu gehören zum Beispiel die Kabelstruktur und interne elektrische Verlustquellen (Bild 1), die Geometrie der Anlage sowie die Anlagenumgebung mit Erdboden, Wasser, erzwungener oder durch Auftrieb verursachter Luftströmung. Dazu kommen die Umgebungstemperatur, externe Lasten durch Sonneneinstrahlung sowie die Nähe des Systems zu bereits vorhandener Infrastruktur.

Bild 2: Mit Comsol Multiphysics kombiniert Prysmian thermische und strömungstechnische (CFD) Analysen eines Hochspannungskabel-Systems innerhalb eines horizontalen Tunnels mit natürlicher Belüftung.Comsol
Vor dem Einsatz der multiphysikalischen Simulation verwendeten Prysmian und andere Unternehmen der Kabelbranche traditionelle Formeln oder Berechnungsmethoden nach internationalen Standards. Diese funktionieren sehr gut für Anlagen, in denen sich die Kabel in einem störungsfreien thermischen Zustand befinden, etwa bei erdverlegten Leitungen. Heutzutage liegen die Systeme jedoch zunehmend in Bereichen mit ungünstigen thermischen Umgebungseigenschaften, etwa wenn ein Kabel unmittelbar neben anderer Infrastruktur verläuft oder andere Kabelrouten kreuzt. Prysmian hat daher in Comsol Multiphysics eigene Computermodelle entwickelt, welche die Struktur jedes Kabels sowie die des Energieübertragungssystems, die Lastbedingungen und die Eigenschaften der externen Umgebung miteinander kombinieren. Damit gelingen den Ingenieuren realistische und zuverlässige Simulationen (Bild 2).

Bild 3: Massimo Bechis ist Modeling and Simulation Manager bei Prysmian (ehemals Pirelli Cables) in Mailand, Italien.Prysmian
„Mit Comsol lösen wir diese Art Probleme, weil wir damit ein parametrisches Modell aufbauen können, das die Geometrie und die Lage der Kabel optimiert und dabei die erforderlichen physikalischen Phänomene der Luftkonvektion berücksichtigt“, erklärt Massimo Bechis (Bild 3), Modeling and Simulation Specialist bei Prysmian. „Wir können umfangreiche zeitabhängige Analysen durchführen, um sich ändernde Bedingungen wie den Tagesgang der Sonneneinstrahlung und der Umgebungstemperatur einzukalkulieren. Darüber hinaus können wir auch Veränderungen der Stromlast mit einbeziehen und müssen nicht von konstanten Betriebsbedingen ausgehen. So können wir auch den Anfragen gerecht werden, bei denen instationäre Zustände aufgrund von Lastveränderungen zu berücksichtigen sind. Die multiphysikalische Simulation erlaubt uns also, nun auch solche Probleme zu lösen, die wir früher nur schwer oder gar nicht lösen konnten.“
Prozessoptimierung für ein perfektes Ergebnis
Mit Hilfe numerischer Simulationen konnten Bechis und seine Kollegen bereits das Entwicklungsverfahren einiger hochtechnologischer Produkte verbessern. Sie führen jetzt parametrische Studien durch, um geometrische Größen oder die Position von Komponenten in gemischtadrigen Kabeln zu optimieren. Diese gemischtadrigen Kabel können aus Hochleistungsleitern, Kabeln für Signalübertragung und Schlauchleitungen zur Flüssigkeitsversorgung bestehen – alle innerhalb einer Gesamtstruktur. Bechis geht davon aus, dass die fortschreitende Implementierung dieser Technologien auch bald zu verbesserten Herstellungsprozessen führen wird.
Auf einen Blick
Multiphysikalische Simulationssoftware spart Entwicklern teure und aufwendige Prototypen: Comsol beschreibt hier das Beispiel der Prysmian-Gruppe, die Hochspannungskabel thermisch simuliert und damit fürhzeitig im Entwurfsprozess das System passend zur Anwendung auslegt.
Vor dem Einsatz der multiphysikalischen Simulation haben die Ingenieure viele Untersuchungen mit firmenintern entwickelten, vereinfachten Modellen durchgerechnet und dazu Excel oder Visual Basic verwendet. Indem er das vorhandene Know-how aus dem intern entwickelten Code in die neuen Werkzeugen überträgt, kann Bechis diese Art von Systemen wesentlich detaillierter und mit einer viel höheren Genauigkeit modellieren. „Wir erhalten jetzt, da unserer Kollegen wissen, dass Comsol zur Verfügung steht, viele Anfragen mit der Bitte, ihnen bei der Analyse und Lösung verschiedener thermischer, elektromagnetischer und struktureller Fragestellungen zu helfen“, berichtet Bechis.
Auch vor dem Einsatz der Simulationswerkzeuge verzeichnete Prysmian keinen Kabelausfall. Aber um diese Bilanz zu erreichen, mussten die Designer in allen Kabeln und Systemen erhebliche Sicherheitsfaktoren einbauen. „Wir sind nun unter anderem in der Lage, die Struktur unserer Kabel zu optimieren und gleichzeitig die vorgegebenen Spezifikationen zu erfüllen“, sagt Bechis. „Darüber hinaus können wir aufgrund der Simulation erklären, warum wir eine bestimmte Menge an Material in einer bestimmten Schicht verwenden und zeigen, wie unsere Entscheidungen zustande kamen.“
Wenn es hart auf hart kommt
Dank der Computermodelle lässt sich auch die Aufpralltestanalyse eines Mittelspannungskabels (Bild 4b) simulieren. Die Ingenieure optimieren anhand dieser Einblicke die Wandstärken und Werkstoffarten der externen Kabelschichten. „Heute müssen wir aufgrund des Einsatzes von Simulation in unserem Labor nicht mehr viele Versuche durchführen“, freut sich Bechis. „Stattdessen können wir viele virtuelle Tests schon vorher am Computer laufen lassen. Wenn wir dann anschließend sicher sind, das optimale Design für unser Kabel gefunden zu haben, können wir es herstellen und die üblichen Feldtests in unserem Labor durchführen.“
Auch heute sind physikalische Versuche aktueller Prototypen nötig, die Prototypen liegen jedoch dank der vorab durchgeführten Simulation erheblich näher am finalen Design. Die Gesamtentwicklungszeit verkürzt sich damit. Die durchgeführten Versuche verifizieren dann das simulierte mechanische Verhalten der Kabel und Systeme.
Mehr machen
Der Erfolg der neuen Modellierungswerkzeuge zeigt sich am deutlichsten darin, dass Bechis und sein Team auf viele Kundenanforderungen reagieren konnten, die neben den normalerweise verwendeten Standards auch den zusätzlichen Einsatz von Simulationen verlangen. „Wir können nun einen besseren Service anbieten“, sagt Bechis. „Wir sparen Geld und haben die Designprozeduren unserer Kabel und Energieübertragungssysteme deutlich verbessert. Wir verfügen nun über einen zusätzlichen, sehr leistungsstarken Weg, um auf Kundenanforderungen zu reagieren.“
Gerd Wurmann
(lei)
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