Die ständig steigenden Anforderungen hinsichtlich Packungsdichte, Leistungsdichte und Preis-Wertigkeit erfordern Maßnahmen, die eine Balance zwischen Anforderungsprofil und Eigenschaftsprofil darstellen. Insbesondere bei Einrichtungen der Telekommunikation-, Automobil- und Luftfahrtindustrie, da diese Baugruppen häufig stark wechselnden klimatischen Bedingungen ausgesetzt sind. Sie müssen hoch-zuverlässig und hoch-verfügbar sein, sollen aber dennoch als „Massenprodukt“ bezahlbar bleiben. Das führt zu einem Zielkonflikt, der bei Auswahl falscher, vermeintlich günstiger Materialien die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls durch elektrochemische Migration erhöhen kann. Deswegen ist es wichtig, sich über Ursache und Folgen dieser Fehlerursache bewusst zu sein.
Problem: Feuchtigkeit auch unterhalb des Taupunkts
Insbesondere bei Tag-Nacht-Unterschieden oder intermittierendem Betrieb kann es durch die Temperaturschwankungen zur Kondensation von Wasser auf den Oberflächen kommen. Selbst wenn sich kein direkter Wasserfilm bildet, können Kunststoffe (Schaltungsträger, Vergussmassen, Schutzlacke) Feuchtigkeit auch unterhalb des Taupunktes aufnehmen. Dieser Fall tritt je nach Material bereits bei etwa 70% relativer Feuchte auf. Insbesondere Metallflächen können wegen ihrer größeren Wärmeträgheit auch noch bei geringerer relativer Feuchte Betauung verursachen.
Ein häufig beschriebener Ausfallgrund für Isolierstoffe bei Anwesenheit von Feuchtigkeit ist die Ausbildung von Kriechstrompfaden. Bei Anwesenheit von Feuchtigkeit (Elektrolyt) wird durch ionische Verunreinigungen und Lösung von Kohlendioxid der Oberflächenwiderstand reduziert. Die elektrochemische Zersetzung des Isolationswerkstoffes und die Ausbildung von Teilentladungen führen zu einer zunehmenden Carbonisierung der Isolationsstrecke. Ist die Strecke durch diese leitfähigen Pfade ausreichend kurz, kann es zum Überschlag kommen. Der sogenannte Tracking-Index macht eine Aussage dazu, wie empfindlich ein Isolator-Werkstoff gegenüber diesem elektrochemischen Abbauprozess ist.
Im Gegensatz dazu bildet sich bei der elektrochemischen Migration ein leitfähiger Pfad durch Metallionen und -salzen. Sie entstehen entweder als direkte Folge einer Betauung oder durch Adsorption/Absorption an/in Isolierwerkstoffen oder an Verunreinigungen und in Fehlstellen. Insbesondere nicht abgereinigte Lötrückstände können regelrechte Feuchtigkeitspuffer darstellen, die auch nach Abtrocknen der Oberfläche Feuchtigkeit speichern. Staub und andere Rückstände wirken als Kristallisationskerne für Kondensation.
Elektrochemische Migration in Kürze
Mit steigenden Gleichspannungsniveaus erhöht sich massiv die Gefahr der elektrochemischen Migration durch verstärkte Mobilisierung der Metallionen. Voraussetzung für diesen Schädigungsmechanismus ist Feuchtigkeit und eine ausreichend geringe Distanz der unterschiedlichen Potentiale zueinander. Damit ist gleichzeitig klar, wie man die Ausbildung von metallischen Leitpfaden vermeiden kann: Verhinderung, dass sich ein leitfähiges Elektrolyt (Wasser) ausbildet und/oder ausreichende Abstände, um über die Lebensdauer einer elektrischen Baugruppe eine sichere elektrische Trennung sicher zu stellen.
Was ist Elektrochemische Migration?
In Folge von chemischem (Metalle gehen in alkalische Lösung) oder elektrochemischem Abbau (unterschiedliches Spannungspotenzial vorhanden) bilden sich wasserlösliche Metallionen, die sich entlang des Potentialgradienten und Konzentrationsgradienten bewegen. Der Potenzialgradient wird maßgeblich durch die eingesetzte Spannung und den Abstand der Potenziale zueinander bestimmt. Der Konzentrationsgradient dagegen durch zum Beispiel die Lage der Verunreinigung zu den Metallionenquellen. Bei Abtrocknung kommt es zur Rückfällung und bei wiederholter Betauung zur Aufkonzentration.
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Liegt ein kontinuierlicher Potenzialunterschied vor, bilden sich durch Elektrolyse an der Kathode (Ground) metallische Abscheidungen, die als Dendriten, Faserbündel oder Bänder auftreten. Die Ausbildung solcher leitfähigen Beläge erfolgt am intensivsten an Stellen hoher Feldlinienkonzentration, also Kanten und Spitzen. Durch die Feldkonzentration werden auch Auswaschungseffekte erhöht und führen zu einer verbesserten Ionenleitfähigkeit. Die elektrochemische Migration innerhalb von Werkstoffen (z.B. entlang von Glasfasern) wird auch als Conductive Anodic Filament (CAF) bezeichnet. Voraussetzung dafür ist das Eindiffundieren von Feuchtigkeit in das Substratmaterial.
Insbesondere die seit wenigen Jahren verstärkt eingesetzten hohen Gleichspannungen (300-450 VDC und 750-1050 VDC) bei gleichzeitig weiter voranschreitender Miniaturisierung erhöhen die Gefahr einer elektrochemischen Migration von Metallionen. Im einfachsten Fall wird durch die Fehlerströme eine Störung detektiert und die Baugruppe abgeschaltet. Im schlimmsten Fall erhöht sich die Leitfähigkeit so lange, bis der unerwünschte Strompfad zur Zündquelle wird.
Es gibt mehrere standardisierte Verfahren (z.B. IEC 60068, Umwelteinflüsse), wie man die Klimasicherheit von Baugruppen überprüfen kann. Da es neben den beiden Haupteinflussgrößen „Wärme“ und „Feuchtigkeit“ jedoch weitere geometrische (Abstände, Delaminationen, Feldlinienkonzentrationen) oder umweltbedingte (aggressive Gase, Verunreinigungen) und mechanische (Vibration, Wärmeausdehnung, etc.) Einflussgrößen gibt, ist eine generelle Aussage zu der passenden Prüfmethodik kaum möglich. Eine beschleunigte Alterung durch Einsatz überhöhter Spannung, besonders hoher Luftfeuchtigkeit oder bewusster Einbringung von Verschmutzungen ist je nach Anwendungsfall nur bedingt aussagekräftig. Dagegen bilden beschleunigte Temperaturwechsel-Tests bei unterschiedlichen Feuchtegraden die realen Einsatzbedingungen häufig recht gut ab.