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(Bild: Data4PCB)

Vorauszuschicken ist: Ein Unternehmen ist nicht dazu da, ein bestimmtes Produkt herzustellen, sondern es ist dazu da, Geld zu verdienen. Um das zu erreichen, sind in diesem Fall Leiterplatten der Weg dazu. Die permanente und vielfach erpresserische Art mancher Einkäufer, jahrelang die Preise zu drücken, führte letztendlich dazu, dass entweder weniger in den Kapazitätsausbau investiert oder auf lukrativere Produkte ausgewichen wurde. Ein Beispiel war die Lieferentwicklung von MLCCs im letzten Jahr.

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Anteile der Leiterplattenproduktion am Weltmarkt: Der Handelskrieg lässt SOA wachsen, besonders in Thailand und Vietnam. Data4PCB

Erschwerend kommt hinzu, dass die Lieferkette für bestimmte Erzeugnisse unangenehm kurz sein kann. So sehen sich 2500 Leiterplattenhersteller mit ihren etwa 3000 Werken weltweit einer Minderheit von jeweils ein Dutzend Herstellern von Kupferfolien, Glasgeweben oder Stopplacken gegenüber. Überdies gibt es nur zwischen 20 und 30 Hersteller von Bohrern, Fräsern oder Laminaten. Sicherlich gibt es in Einzelbereichen mehr Anbieter, doch die sind aus den unterschiedlichsten Gründen international nicht bekannt, akzeptiert und/oder nicht zugelassen. Dass diese Minderheit vielfach die Preise diktieren, liegt auf der Hand.

Struktur der asiatischen Leiterplattenindustrie

Generell wird die Industrie von kleinen Firmen dominiert. In Europa und Amerika erreichen mehr als dreiviertel aller Firmen nur einen Jahresumsatz von weniger als 10 Mio. Dollar. Das dürfte auch in
China so sein, dort gibt es schätzungsweise 1200 bis 1600 Leiterplattenhersteller. Hinzu kommen tausende Zulieferbetriebe, die nur einen oder wenige Arbeitsschritte anbieten, wie etwa nur Bohren, nur Galvanik, nur Lötstopplack, nur Vereinzelung oder eben nur Prüfung. Diese leiten anschließend die Halbfertigware an den nächsten Produktionsschritt weiter.

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Geschickte Industriepolitik Chinas: Die meisten der weltweit benötigten Produkte kommen aus China, erst recht die Leiterplattenproduktion. Data4PCB

Diese Firmen sind der Grund dafür, dass es oft – salopp formuliert – schauerliche Angebote gibt. Die kostengünstige Nichtbeachtung von Umwelt- oder Arbeitsschutz konnte oft durch „nützliche Abgaben“ bei den Behörden ausgeglichen werden. Diese Unzahl an Anbietern nutzen Händler als Vertriebsweg. Das können schon Händler in China sein, die die Produkte mehrerer Hersteller bündeln und ihrerseits wieder Händler im Ausland einsetzen. Durch die Zersplitterung von Arbeitsgängen ist im Falle eines Falles die Qualitätsfrage ein Risiko…

Umweltbewusstsein forciert Veränderungen

Das Geschäftsmodell der „Billigheimer“ war seit Ende der 1980er Jahre erfolgreich und China wurde zur Werkbank der Welt und die Welt kaufte billig ein. Inzwischen gab es jedoch wesentliche Veränderungen: Der zunehmende Mangel an Arbeitskräften und steigende Löhne führten zu einer Weiterentwicklung der Industrie. Das ist auch das erklärte Ziel der chinesischen Regierung. Mit dem im Jahr 2015 beschlossenen Programm „Made in China 2025“ hat die chinesische Regierung die Marschrichtung hin zur Technologieführerschaft vorgegeben. Das Reich der Mitte will weg vom Billig-Image. Das ist aber mit der bisherigen Firmenstruktur nicht möglich. Daher werden – auch unter dem Vorwand des Umweltschutzes – kleine und nicht sehr leistungsfähige Firmen geschlossen.

Umweltgesetze bestehen schon seit Jahren, doch werden sie erst seit etwa Ende 2016 richtig durchgesetzt. Zum Umweltschutz gehört der schonende Umgang mit Ressourcen wie Wasser und Luft, aber auch Rohstoffe und Energie etc., Abwasser und Abluft müssen gereinigt werden. Standorte in Natur- oder Wasserschutzgebieten müssen geschlossen werden und unterliegen bis dahin einer Sonderüberwachung. Im vergangenen Jahr wurden schon Fälle bekannt, in denen Firmen, die die Grenzwerte nicht einhielten, eine kurze Frist von 14 Tagen bis 2  Monaten zur Nachbesserung gegeben wurde. Wurden die Grenzwerte dann immer noch überschritten, wurden die Firmen nicht nur geschlossen, sondern – wie dieses Jahr zum Beispiel in Shenzhen mehrfach passiert – abgerissen!

Zusätzlich wurden „Regionalgrenzen“ eingeführt. Das bedeutet: wenn in einer Region mehrere Unternehmen produzieren, dann gelten die Grenzwerte nicht nur für das individuelle Unternehmen, sondern zusätzlich auch für alle zusammen. Werden die Werte insgesamt überschritten, muss im ersten Schritt die Produktion ge-drosselt werden, im zweiten Schritt droht die Schließung und der Abriss. Darüber hi-naus werden Produktionsstätten gleicher Industrien in gemeinsamen Industrieparks angesiedelt. Das erleichtert die Überwachung, aber auch den Bau von Gemeinschaftskläranlagen.

Technologische Ausrichtung

Unter die Lupe genommen hat die Regierung auch Investitionen und die weitere technische Ausrichtung. So müssen Investitionen Mindestbeträge und nach Realisierung auch Mindestumsätze erreichen. Für einseitige Leiterplatten beträgt die Mindestinvestition umgerechnet etwa 5,5 Mio. Dollar, der zusätzliche Umsatz muss 15 Mio. Dollar erreichen. Bei doppelseitigen dk-Leiterplatten beträgt die Mindest-investition 15 Mio. Dollar, der daraus resultierende Umsatz ist mit 45 Mio. Dollar festgelegt. Allerdings stimmt hier wohl die Relation nicht, denn üblich gilt in der Branche schon seit vielen Jahren die Faustregel: pro Mio. geplanter Umsatz sind jeweils Investitionen in gleicher Höhe nötig.

Machine learning analytics identify vehicles technology , Artifi

Der „gläserne Mensch“ ist in China Realität: Mit unzähligen Kameras wird der einzelne Bürger im Zuge des noch zu etablierenden Systems des „Sozialbonus“ täglich auf jedem Schritt überwacht. zapp2photo ‒ AdobeStock

Mehr noch: Die Produktion einfachster Technologien soll eingestellt werden. Dafür gilt es, Produkte weiterzuentwickeln, weshalb Hersteller für Forschung und Entwicklung mindestens 3 Prozent des Umsatzes bereitstellen müssen. Die Mindestauslastung soll durchschnittlich 50 Prozent übersteigen. Dazu passt, dass gesetzliche und technische Standards unbedingt einzuhalten sind – auch beim Arbeitsschutz.

Steigende Anzahl insolventer Betriebe

Scheinexporte oder die Verschiebung von Produkten zur geplanten Erzielung von Verlusten etc. war bislang gängige Praxis einer „krea-tiven Buchführung“. Das passt nicht mehr ins moderne China-Bild, genauso wenig wie die Verteilung großzügiger, von jeglicher Bedarfsplanung losgelöster Kredite durch die Kommunal-, Provinz- und Zentralregierung. Daher wurden zur „Bereinigung“ der Überkapazitäten neue Gesetze zur Buchführung erlassen. Schlagartig sichtbar wurde die Überschuldung vieler Firmen. Ziel ist es, schwache Firmen auszumerzen. Die Insolvenzfälle steigen daher derzeit rapide an: 2016 waren es 11 Prozent mehr als 2015. Hingegen stieg 2017 die Zahl um 74 Prozent und im Jahr 2018 um weitere 60 Prozent an. Dieses Jahr sollen es weitere 20 Prozent mehr werden.

Im Aufbau ist ein „Sozialbonus“-System, das im Jahr 2020 eingeführt wird und die totale Überwachung der Bevölkerung darstellt. Dabei wird das Wohlverhalten des einzelnen Bürgers mit Bonus beziehungsweise mit Maluspunkten bewertet. Bei positivem Verhalten gibt es Vorteile wie billigere Kredite oder berufliche Beförderung. Dagegen steht die Verweigerung von Krediten oder Transportverweigerung in Flugzeugen oder Schnellzügen bei negativem Verhalten. Dafür wurden alle privaten und öffentlichen Datenbanken vernetzt. Die Überwachung (durch Kameras) ist umfassend: Letztes Jahr waren bereits über 150 Mio. Kameras in China installiert, weitere 400 Mio. kommen bis Ende 2020 hinzu. Und die eingesetzte Software zur Gesichtserkennung liefert neben dem Bild den dazugehörigen Namen, die Adresse, die Telefonnummer, das Bankkonto, etc. Der Begriff „gläserne Mensch“ kommt da zum Tragen. Dieses System greift auch bei Firmen, die dafür bis zu 300 Kriterien erfüllen müssen. Bekommt das Unternehmen Maluspunkte, sinkt die individuelle Bewertung der Führungskräfte. Auch das dürfte etlichen Firmen die Existenz kosten.

Die durch diese Schritte verursachte Reduzierung der Gesamtzahl an Herstellern wird aber deutlich durch den Zuwachs an neuer Kapazität ausgeglichen. Großunternehmen haben bereits vor Jahren begonnen, ihre Fertigung ins Landesinnere zu verlegen. Die ab 2020/2021 zur Verfügung stehende Gesamtkapazität wird – trotz der erwähnten Fabrikschließungen – etwa 20 bis 25 Prozent größer sein als im Jahr 2016. Aber die Großfirmen werden nicht auf jeden Preis und jede Bedarfsmenge einsteigen. Das dürfte der europäischen Leiterplattenindustrie wieder zusätzliche Aufträge bescheren.

Handelskrieg mit Auswirkungen

Um unabhängig zu werden, wird China die Entwicklung eigener Technologie und Software schneller als geplant vorantreiben, denn die USA haben gezeigt, dass sie kein verlässlicher Vertragspartner mehr sind. Durch den Handelskrieg verlieren viele, vor allem kleinere Firmen ihre Abnehmer. Zwar erfolgt der größte Teil der chinesischen Leiterplatten-Lieferungen an amerikanische Firmen an deren Standorte in China. Doch wenn diese nicht mehr zollfrei in die USA liefern dürfen, bricht ein wesentlicher Teil des Umsatzes weg, und dezimiert die Zahl der Anbieter.

Wachstumsmotor 5G

Der neue Standard 5G ist mehr als nur schnelles Internet oder ein besserer Kommunikationsstandard: er ist vielmehr ein System von Systemen, das auf die meisten Industriezweige erheblichen Einfluss nehmen wird. Das wiederum macht neue Geräte erforderlich. Der Vorsprung Chinas ist schon jetzt sehr groß. Die Ironie an der Sache ist: weil die USA dem Reich der Mitte den vollen Zugang zu 4G verweigerten, startete China 2009 die Entwicklung von 5G. Und hier wird deutlich, weshalb die USA vor Huawei warnt: den amerikanischen Firmen wird mit ihrer rückständigeren Technik sehr viel Umsatz entgehen.

5G wird also in den sogenannten Smart-Bereichen einen Nachfrageboom auslösen. Das betrifft besonders den HF-Bereich. Da sich aber die Technik erst entwickeln wird, bleibt neben Hightech noch auf Jahre auch für diese Anwendungen ein Mainstream auf Basis von Standard-Leiterplatten mit viel normalem Geschäft übrig. Denn nicht jede Schaltung muss zwingend 5G-fähig sein. Trotzdem ist für die Leiterplattenherstellung, die für die neuen Geräte zum Einsatz kommen, hohe Sorgfalt nötig und das können die oben angesprochenen Kleinfirmen nicht leisten. Also geht dieses Geschäft an die Großfirmen.

5G: HF-Sektor als Platinen-Booster

Zu erwarten ist, dass der HF-Sektor sprunghaft ansteigen wird. 5G verlangt andere Materialien und Prozesse. Die notwendigen Laminate sind sehr empfindlich, daher sind vorsichtige Handhabung sowie präzise und sorgfältige Produktion der Leiterplatte Voraussetzungen für den Erfolg. Die Ausschussrate liegt aber trotzdem hoch und selbst nach einer Lernkurve vielfach immer noch über 50 Prozent. So müssen Multilayer bei sehr viel höheren Temperaturen laminiert werden. Dadurch können die Presspakete „verschwimmen“. Deshalb sind beispielsweise andere Registriertechniken erforderlich. Im mittleren Bereich von 24 GHz kommen Laminate mit Keramikverstärkung infrage, das hat jedoch Einfluss auf Bohren und Fräsen. Für den obersten Frequenzbereich von > 50 GHz sind spezielle PTFE-Laminate erforderlich. Doch gibt es weltweit zurzeit weniger als ein Dutzend Leiterplattenhersteller, die die Verarbeitungstechnik für große Serien überhaupt beherrschen.

Der Preisverfall bei Leiterplatten hat logischerweise auch entsprechenden Druck auf die Vorlieferanten ausgeübt und deren Preise gedrückt. Demgegenüber sind die Preise für Vormaterialien und die Löhne gestiegen. Es ist deshalb den Laminatherstellern nicht zu verübeln, dass sie sich auf lukrativere Produkte konzentrieren. Bislang war das HF-Segment klein und lag in den Händen von wenigen amerikanischen und japanischen Firmen. Das wiederum bedeutet, dass Hersteller in Südostasien nunmehr ihre Kapazitäten von Standardlaminat auf HF-Laminat umbauen. Das zieht ein mengenmäßig kleineres Angebot für Standardlaminat nach sich, was zu höheren Preisen führt. In Asien sind bereits erste Versuche zu beobachten, die Preise um 5 Prozent anzuheben.

Fazit

Wir stehen vor der Situation, dass die Zahl der Leiterplattenhersteller in China abnimmt, während gleichzeitig die Kapazität insgesamt allerdings steigen wird. Dadurch verlieren einige Händler ihre Lieferbasis, und die Abnehmer müssen neue Leiterplatten-Lieferanten finden und qualifizieren. Ob die dann allerdings zu den bisherigen Preisen liefern (wollen), ist offen. Das sollte zum Anlass genommen werden, eine ehrliche Rechnung der Gesamtkosten aufzustellen und zu prüfen, ob eine Lieferbasis in Europa nicht billiger und sicherer ist.

Productronica 2019: Halle B3, Stand 360 (PCB & EMS Marketplace)

Leiterplatten-Tag im PCB & EMS Cluster

Mit dem PCB & EMS Marketplace bietet die productronica in Halle B3 ein Forum für die gesamte PCB- und EMS-Branche. Ein Treffpunkt also für alle, die sich für das gesamte Spektrum der Schaltungsträger- und Leiterplattenfertigung interessieren oder die optimal passende Systemlösung von einem Dienstleister für Electronic Manufacturing Services suchen. Traditionell veranstaltet der ZVEI während der Messe das Rahmenprogramm am Speakers Corner rund um die Themen Leiterplatten, Schaltungsträgerfertigung und EMS. Der dritte Messetag, Donnerstag, der 14. November 2019, wird sich mit Vorträgen hochkarätiger Referenten ganz dem Thema Leiterplattenfertigung widmen. Einen Part wird Michael Gasch, Inhaber und Geschäftsführer von Data4PCB, bestreiten. Der Leiterplattenmarktexperte wird die aktuellen Entwicklungen beleuchten.

Michael Gasch

(Bild: Marisa Robles)
Inhaber und Geschäftsführer von Data4PCB

(mrc)

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