Das Szenario ist bekannt: Baugruppen werden kleiner und komplexer. Insbesondere angesichts der zunehmenden Vernetzung des IoT (Internet of Things) sind immer mehr Gegenstände des Alltages mit elektronischen Baugruppen versehen, um schließlich Teil eines großen Netzes zu werden. Während die Größe der Baugruppen weiter sinkt, steigen zugleich Leistungsanforderungen und Komplexität, etwa durch Mixed-Signal-Komponenten, bei sinkendem physikalischen Zugriff. Über verschiedene Märkte hinweg berichten Anwender von einem Rückgang an Testpunkten um bis zu 20 Prozent innerhalb der letzten fünf Jahre, es gibt also zunehmend weniger Zugriffsmöglichkeiten für elektrische Testverfahren zum Sicherstellen der Qualität. Vor allem Fertiger im mittleren Volumenbereich stehen vor dem Problem, trotz dieser verzwickten Lage die volle Funktionsweise zu garantieren. Einen Lösungsansatz bietet die Kombination zweier Testverfahren.
FPT und Boundary Scan kombinieren
In der Herstellung von Flachbaugruppen treten verschiedene Fehler auf, die sich durch unterschiedliche Testverfahren ausfindig machen lassen. Allerdings bietet keines der einzelnen Verfahren allein die maximale Testtiefe. Elektrische oder optische Testverfahren können Defekte oder fehlende Bauteile, Fehlbestückung, unzureichende Lötstellen, fehlende Kontakte oder überschrittene Toleranzen detektieren. Optische Verfahren wie die automatische optische Inspektion (AOI) oder automatische Röntgeninspektion (AXI) decken (mehr oder weniger) sichtbare Fehler auf. Aufschluss über korrektes Verhalten von Bauteilen sowie richtige Funktionsweise im Netz dagegen geben elektrische Tests. Zu den bekanntesten zählen heute Flying-Probe-Test (FPT), In-Circuit-Test (ICT), Funktionstest und JTAG/Boundary-Scan-Test.
Gemeinsam stark
Testen auf hohem Niveau sorgt für mehr Qualität im Fertigungsprozess. Wie der Beitrag zeigt, kann indes kein Prüfverfahren allein eine hundertprozentige Testabdeckung gewährleisten. Deshalb hat sich die Kombination von Flying-Probe-Test und Boundary Scan durchgesetzt. Göpel electronic kooperiert bereits seit Jahrzehnten mit Takaya, Hersteller des laut eigenen Angaben weltweit ersten Flying-Probe-Testsystems, und bietet als Pionier des Boundary-Scan-Testverfahrens eine sinnvolle Ergänzung der etablierten Flying-Probe-Tester für eine nachhaltige Prüfstrategie mit niedrigeren Testkosten.
Nachfolgend ist die Kombination des Flying-Probe- mit dem Boundary-Scan-Test dargestellt, die völlig neue Möglichkeiten beim Test elektrischer Baugruppen verspricht.
Flying-Probe-Test ohne Prüfadapter
Das Flying-Probe-Testverfahren prüft überwiegend diskrete, analoge Bauteile und ähnelt dem In-Circuit-Test, wobei allerdings frei positionierbare Nadeln den Kontakt auf der Leiterplatte herstellen. Der FPT fährt die Testpunkte mit hoher Genauigkeit an und prüft die Komponenten innerhalb der Platzierung sequentiell. In-Circuit-Tester benötigen dafür spezielle Adapter mit einem festgelegten Nadelbett, was schnelles paralleles Testen ermöglicht.
Dank der beweglichen Nadeln hat der FPT gegenüber dem ICT den Vorteil, dass keine kostenintensiven Adapter mit langen Lieferzeiten notwendig sind. Anwender können Testprogramme schnell an sich ändernde Designs anpassen, was den FPT zu einer flexiblen Lösung macht. Digitale Tests lassen sich mit Flying Probe aufgrund des limitierten parallelen Zugriffs hingegen nur sehr eingeschränkt umsetzen.
Allerdings erfolgte in der letzten Dekade eine beachtenswerte Entwicklung in puncto Kontaktiergenauigkeit- und Geschwindigkeit, bedingt durch schnellere und genauere Mechaniken. Zum einen beschränken sich mechanische Zugriffe nicht mehr nur noch auf Testpunkte oder Stecker, zum anderen hat sich der Testdurchsatz stetig verbessert.
In Kombination mit automatischen Be- und Entladesystemen ist der FPT inzwischen auch für mittlere und große Produktionsvolumen überaus interessant. Die höheren Anschaffungskosten kompensiert der Flying Probe durch die niedrigeren Projektkosten.
Boundary-Scan-Test prüft digitale Signale
Das Boundary-Scan-Prüfverfahren basiert auf Registerzellen, die zwischen Pin und Logik eines IC implementiert sind (Bild 3). Das ermöglicht das Messen und Stimulieren digitaler Signale an den IC-Pins unabhängig von den IC-Funktionen. Die einzige Voraussetzung sind Boundary-Scan-fähige Komponenten im Design (Design for Testability). Die Informationsübertragung zwischen Testsystem und Bauteil geschieht über den so genannten JTAG-Port (Testbus), der das einzige zu berücksichtigende Testelement im Design ist. Im Gegensatz zu einem ICT-Adapter sinkt die Komplexität erheblich, Testsequenzen lassen sich einfach erstellen. Da keine mechanischen Abläufe notwendig sind, gilt Boundary Scan als sehr schnelles Testverfahren, mit Prüfzeiten im Millisekunden-Bereich. Allerdings ist das Prüfen analoger Bauteile bis dato unmöglich. Für Mixed-Signal-Anwendungen also eigentlich eine unlösbare Aufgabe – ließen sich nicht die Vorteile zweier Verfahren kombinieren.
Kombinierte Testverfahren maximieren Prüftiefe
Die Flying-Probe-Testysteme von Takaya (Bild 1) sind modular gestaltet und nach Kundenwünschen aufrüstbar. Eine Boundary-Scan-Option von Göpel electronic bildet die Basis für höhere Testabdeckung und schnellere Testausführung. Dabei übernimmt der Flying Probe den Test der diskreten, analogen Komponenten, während Boundary Scan den digitalen Bereich mit parallelem Zugriff über die Zellen abdeckt. Prüfzeiten sinken, indem zum Beispiel durch Boundary Scan getestete Netze aus dem Kurzschlusstest des Flying Prober entfallen.
Durch die hohe Genauigkeit des Takaya-Systems ist es möglich, Pads bis zu einer Größe von 60 µm zu kontaktieren. So lassen sich Bauteile und Bereiche kontaktieren, die der ICT nicht erreicht. Nutzer profitieren somit von hohen Geschwindigkeiten und einer sehr hohen Fehlerabdeckung auch bei sehr kompakten Flachbaugruppen. Teure Adapter und aufwändige Testprogrammerstellung gehören der Vergangenheit an. Wie das folgende Beispiel verdeutlicht, ermöglicht die Kombination schließlich auch ein vollumfängliches Testen, wenn es kaum Testzugriff im Design gibt.
Testzugriff ohne Testpunkte
Eine beispielhafte Baugruppe aus der Praxis verfügt über einen Boundary-Scan-fähigen BGA, weist aber weder Testpunkte noch weitere Boundary-Scan-Komponenten auf. Durch die präzisen Kontaktiermöglichkeiten des Flying-Probe-Testers ergeben sich völlig neue Möglichkeiten für die Interaktion mit Boundary Scan. Beispielsweise lassen sich ungelötete BGA-Pins ohne weiteren Testpunkt durch folgendes Szenario finden:
Boundary Scan stellt die Ausgangswerte High und Low an dem entsprechenden BGA-Pin bereit. Der Flying Probe kontaktiert ein Bauteil-Pad (ganz gleich ob IC-Pad, SMD-Pad, THT-Lötstelle oder Durchkontaktierung) möglichst am anderen Ende des Netzes und führt die Messungen durch. Diese so genannten interaktiven Tests lassen sich inzwischen bequem automatisch generieren und bieten eine komfortable Fehleranalyse.
Ein anderes typisches Beispiel ist der Test von D/A-Wandlern. Mit Boundary Scan wird der Wandler mit den digitalen Werten gespeist und der analoge Ausgangswert aktiviert. Das Boundary-Scan-System von Göpel electronic kann nun auch die Probes entsprechend gezielt platzieren und den erwarteten analogen Messwert aufnehmen und auswerten.
Solche Szenarien deckt keines der Einzelsysteme alleine ab, nur die Kombination beider Verfahren bietet den entsprechenden Mehrwert.
Matthias Müller
Alexander Beck
Boris Opfer
(mou)