Automatisierung

06. Aug. 2018 | 17:01 Uhr | von kuppingers

B&R: Jahr 1 nach der Übernahme

Interview mit Dr. Peter Terwiesch, ABB

In der Politik genießt der Neue rund 100 Tage Schonfrist, bei Übernahmen ein Jahr. Zeit also, bei ABB nachzufragen, die vor rund einem Jahr B&R gekauft haben. Dr. Peter Terwiesch, Leiter der Division Industrial Automation im ABB-Konzernvorstand, zieht Bilanz

ABB - Portrait Dr. Peter Terwiesch

Dr. Peter Terwiesch ist Mitglied der ABB Konzernleitung und verantwortet die Division Industrieautomation zu der seit der Übernahme auch B&R als neu geschaffene Geschäftseinheit zählt. (Bild: ABB)

Herr Dr. Terwiesch, was waren nochmal die wesentlichen Aspekte beim B&R-Kauf?

Peter Terwiesch: Es geht uns bei der Übernahme vor allem darum, das Wachstum von B&R voranzutreiben und gemeinsam noch mehr zu erreichen. Zusammen haben ABB und B&R ein einzigartiges Angebotsspektrum, von der Prozessautomatisierung über die Elektrifizierung, die Messtechnik, die Robotik und das ganze Spektrum an Antrieben bis hin zu einer breiten Steuerungstechnik. Das führen wir nun zum Vorteil unserer Kunden zusammen, bauen es weiter aus und schreiben so die Wachstumsgeschichte von B&R nicht nur fort, sondern bringen sie auf ein neues Niveau. Ich bin mit der Entwicklung in diesem ersten Jahr seit Ankündigung der Transaktion sehr zufrieden.

Was gibt es im Hinblick auf Wachstum und Integration zu sagen?

Peter Terwiesch: Wir wachsen schneller als erwartet und profitieren sehr voneinander. Ein Beispiel aus unserem komplementären Angebotsspektrum ist die Orange Box. Mit ihr lassen sich Brownfield-Produktionen – also bestehende Maschinenparks und Anlagen – in IoT-Szenarien einbinden und für die Digitalisierung erschließen – egal mit welcher Steuerung die Anlage automatisiert wurde. Umgekehrt schließt ABB bei Frequenzumrichtern Lücken im Angebotsspektrum von B&R. Auch bei der Integration von Maschinensteuerungen und Robotersystemen sehen wir viel Potenzial. Auch mechatronische Lösungen, insbesondere die auf der SPS 2017 neu eingeführte Langstator-Linearmotor-Technik – wir nennen das System Acopostrak – begeistert Kunden im Maschinenbau und ermöglicht innovative Maschinendesigns.

Für ABB ist die Orange Box von B

Für ABB ist die Orange Box von B&R interessant, eine modulare Standalone-Lösung, mit der sich auf Basis Aufgaben-spezifischer Apps die Datenerfassung in Brownfieldanlagen nachrüsten lässt. B&R

Ein Jahr ist nicht viel Zeit für die Annäherung zweier großer Unternehmen. Was ist in der kurzen Zeit umgesetzt worden?

Peter Terwiesch: Die allererste Frage, die wir uns gestellt haben war, wie wir uns gemeinsam noch stärker aufstellen, um Kundenbedürfnisse noch besser zu bedienen. Wir haben unsere Kundenbeziehungen miteinander betrachtet: Wer fragt was nach? Wer hat welche Zugänge zum Kunden? Wie sieht es beispielsweise in den verschiedenen Ländern und Regionen aus? Wir sind in den vergangenen Monaten bei diesen Fragen gut vorangekommen und haben reichlich Potenzial entdeckt.

Bei Akquisitionen wird viel über Kostensynergien gesprochen – in unserem Fall liegt der Schwerpunkt auf Wachstumssynergien. Das unterstreicht auch unsere Investition von 100 Millionen Euro in ein neues Innovations- und Ausbildungszentrum am Standort Eggelsberg. Damit setzen wir ein Ausrufezeichen hinter diese Wachstumspriorität.

Wenn man mit einer Wärmebildkamera auf die Integration schauen würde, an welchen Stellen wäre Reibungswärme zu sehen?

Peter Terwiesch: So eine Wärmebildkamera hätte ich gerne (lacht). Um bei Ihrem Bild zu bleiben: Ich müsste die Empfindlichkeit der Kamera schon sehr hoch einstellen. Es gibt keine offenen, rotglühenden Bereiche. In den Blauschattierungen müsste man die Verstärkung aufdrehen, um ein kontrastreiches Bild zu bekommen.

Wir haben ein hohes Maß an Übereinstimmung über die Richtung und Potenziale. Auch hinsichtlich der Unternehmenskultur passen ABB und B&R sehr gut zusammen – das zeigt sich auch im alltäglichen Miteinander der Kollegen. Wir kommen zwar von unterschiedlichen Erfahrungshorizonten, aber die technologische Orientierung ist eine Gemeinsamkeit, die tief in der DNA von ABB und B&R verankert ist. Über den besten Weg, wie wir ein Ziel erreichen, führen wir durchaus Diskussionen. Das sind jedoch gute gemeinsame Diskussionen, die es auch braucht und die ich sehr begrüße. So lernen alle voneinander und wir profitieren als Team.

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Umgekehrt schließen ABB-Frequenzumrichter eine Lücke im bisherigen B&R-Sortiment. ABB

Der Neubau eines Technologiecampus für 100 Millionen Euro schafft Platz für weitere 1 000 Mitarbeiter. Das schafft ebenso Raum für Spekulationen, welche Entwicklungskompetenzen zusätzlich zum globalen Technologiecenter für Maschinenbau wandern könnten?

Peter Terwiesch: Mit der Akquisition haben wir B&R und Eggelsberg zu unserem globalen Zentrum für Maschinen- und Fabrikautomation gemacht. Wir haben ein sehr starkes Team hinzu gewonnen, das die Erfolgsgeschichte von B&R geschrieben hat und diese nun als Teil von ABB weiter fortschreiben wird. Die Investition ist ein klares Bekenntnis zum weiteren organischen Wachstum am Standort Eggelsberg.

Keiner sagt es, viele denken es: Wann kommen die ersten Produktbereinigungen, etwa bei den Controllern oder Servoverstärkern?

Peter Terwiesch: Wir folgen grundsätzlich unserem Credo: Wie können wir die Bedürfnisse unserer Kunden optimal bedienen? Wenn es also Kunden gibt, die eine bestimmte Lösung bevorzugen, werden wir diese Kunden auch in Zukunft nicht allein lassen. Wir werden aber sicher im Laufe der Zeit schauen, welche Elemente wir aus unterschiedlichen Lösungen in zukünftigen Produktgenerationen vereinen können, um so die Kundenbedürfnisse langfristig zu bedienen. Der Fokus liegt darauf, gemeinsam mehr zu schaffen. In einem wachsenden Markt, wie wir ihn derzeit haben, hat das eine andere Priorität, als in einem stagnierenden. Wir wachsen schneller als der Markt, und das wollen wir so auch beibehalten.

Und wie sieht die Migrationsstrategie hinsichtlich der Engineeringtools Automation Studio und ABBs Automation Builder aus?

Peter Terwiesch: Auch hier ist die Einschätzung ganz ähnlich: Mit Blick auf die Kunden sind die Tools in hohem Maße komplementär und decken unterschiedliche Bedürfnisse ab. Dass es für beide Plattformen im Laufe der Zeit mehr gemeinsame Komponenten geben kann, ist durchaus denkbar. Aber unsere Prioritäten sind auch hier: Kundenbedürfnisse adressieren und Wachstum vorantreiben.

Das Interview führte Chefredakteur Stefan Kuppinger.

 

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(sk)

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