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TRW

Vor allem die Ausstattung von Neufahrzeugen mit einer automatischen Notbremse (Autonomous Emergency Braking – AEB) soll vorangetrieben werden, denn mit dieser Technologie lässt sich die Zahl der Verkehrsunfälle um bis zu 27 % reduzieren. Ab 2014 wird daher die AEB, wie auch die Spurverlassenswarnung und Spurhalteassistenz beim Euro-NCAP-Rating mitbewertet.Für die Fahrzeughersteller bedeutet dies, dass sie voraussichtlich ab

2015 zum ersten Mal Umfeldsensorik benötigen, um weiterhin 5-Sterne-Bewertungen erzielen zu können.

Überblick über das Euro-NCAP-Rating

Das European New Car Assessment Program (Euro-NCAP) bewertet Neufahrzeuge in vier Kategorien:

Wichtigste Änderungen im Euro NCAP-Bewertungsschema

Wichtigste Änderungen im Euro NCAP-BewertungsschemaTRW

  • Insassenschutz für Erwachsene
  • Insassenschutz für Kinder
  • Fußgängerschutz
  • Sicherheitsunterstützung.

Diese Kategorien bestehen aus verschiedenen, inhaltlich zugeordneten Testelementen, die in genau festgelegten Testszenarien mit unterschiedlichen Punktzahlen bewertet werden. Die Ergebnisse in den einzelnen Kategorien werden zu einer Gesamtbewertung des Fahrzeugs zusammengefasst, die zwischen null und fünf Sternen liegt. Jede der vier Kategorien fließt mit unterschiedlicher Gewichtung in das Gesamtergebnis ein. Außerdem ist für jede Sternbewertung ein Mindestwert pro Kategorie festgelegt, der erreicht werden muss, um die Gesamtbewertung zu erzielen.

Neu ab 2014

Ab 2014 werden Systeme der aktiven Sicherheit und der Unfallvermeidung mit einer höheren Priorität in das Euro-NCAP-Rating einbezogen. Damit dies jedoch nicht zu Lasten der passiven Sicherheitsleistung geschieht, wurden Mindestgrößen für die Bewertung der passiven Sicherheit definiert. Erst wenn der Hersteller diese erzielt, kommen die aktiven Sicherheitssysteme bei der Gesamtwertung zum Tragen.
Außerdem sind für die Bewertung nur Technologien relevant, die als Standardausstattung im getesteten Fahrzeugmodell verfügbar sind. Lediglich für die Kategorie „Sicherheitsausstattung“ wird nach gegenwärtigem Stand eine Einführungsphase mit Mindestausstattungsraten definiert. Bild 1 fasst die wichtigsten Neuerungen bezogen auf die Umfeldsenorik zusammen.

Wichtigste Neuerungen im Euro-NCAP-Bewertungsschema

Die Euro-NCAP-Gruppe hat in ihrem turnusmäßigen Review das Bewertungsschema angepasst und für die nächsten Jahre für fast alle Bereiche Verschärfungen angekündigt. Laut Stand vom Juni 2012 stehen vor allem aktive Sicherheitssysteme im Mittelpunkt, die erstmalig eine Umfeldsensorik benötigen. Für die nächsten Jahre bestehen folgende Pläne:

2013

Ab dem Jahr 2013 werden in der Kategorie „Sicherheitsunterstützung“ nicht mehr nur sogenannte Geschwindigkeitsbegrenzer bewertet. Bei diesen Systemen kann der Fahrer eine Geschwindigkeit einstellen und wird vom Fahrzeug entweder gewarnt, wenn diese überschritten wird, oder das System verhindert aktiv das Überschreiten der Geschwindigkeit.
Auch Geschwindigkeitsassistenten, die Geschwindigkeitsbeschränkungen automatisch erkennen und die Fahrgeschwindigkeit entsprechend anpassen, werden jetzt berücksichtigt. Allerdings müssen diese Systeme in 2013 in über 50 Prozent der Fahrzeuge für den europäischen Markt integriert sein, damit die Technologie in die Bewertung einfließt. 2016 muss eine Ausstattungsrate von 100 Prozent erreicht werden.

2014

Die automatische Notfallbremse wird 2014 in zwei Kategorien eingeführt: Beim „Insassenschutz für Erwachsene“ wird sie als AEB-City bezeichnet und adressiert neben dem Eigenschutz ebenfalls den Schutz der vorausfahrenden Insassen, da eine Aufprallminderung oder -vermeidung dabei hilft, deren mögliche Schleudertraumata zu reduzieren oder gar zu vermeiden.

Bild 2: Veränderungen der Tests und Punkte im Euro-NCAP-Bewertungsschema für die Jahre 2012 bis 2017. Die Werte für 2016 und 2017 sind noch nicht bestätigt.

Bild 2: Veränderungen der Tests und Punkte im Euro-NCAP-Bewertungsschema für die Jahre 2012 bis 2017. Die Werte für 2016 und 2017 sind noch nicht bestätigt.Euro-NCAP, Stand Juni 2012

Um für eine Wertung im AEB-City-Test qualifiziert zu werden, müssen die Fahrzeuge Mindestanforderungen in gesondert durchgeführten Bewertungen des Schutzpotenzials von Sitz und Kopfstützenauslegung erfüllen. Eine AEB im Sinne der City-Funktion muss außerdem Standardausstattung sein.
Darüber erfolgt ab 2014 in der Kategorie „Sicherheitsunterstützung“ eine Wertung der automatischen Notfallbremse – und zwar in Form einer interurbanen AEB für mittlere bis hohe Geschwindigkeiten (bis möglicherweise 80 km/h). Hier, wie auch im Anspruch des AEB-City-Tests, gilt eine anfängliche Mindestausstattungsrate von 50 Prozent aller für den europäischen Markt entwickelten Fahrzeuge als Voraussetzung, die sich bis zum Jahr 2017 auf 100 Prozent erhöht. Außerdem werden in dieser Kategorie erstmalig Systeme zur Spurverlassenswarnung und Spurhalteassistenz bewertet. Sie detektieren die Fahrbahnmarkierungen und warnen den Fahrer entweder, wenn er die Fahrspur verlässt oder führen das Fahrzeug automatisch mittels eines Lenkmoments zurück in Richtung Fahrbahnmitte. Diese Systeme werden mit einem Punkt bewertet, wenn sie eine Mindestausstattungsrate von 50 Prozent aufweisen.
Dabei ist nach gegenwärtigem Stand der Grenzwert der „Sicherheitsunterstützung“ ab 2015 für eine fünf Sternebewertung so gewählt, dass mindestens ein aktives Sicherheitssystem – also Geschwindigkeitsassistent, Spurverlassenswarnung/Spurhalteassistent oder eine interurbane AEB – für die Höchstbewertung vorhanden sein muss.

Bild 3: Veränderungen der Grenzwerte und Gewichtungen im Euro-NCAP-Bewertungsschema für die Jahre 2012 bis 2017. Dabei sind Änderungen hervorgehoben. Die Werte für 2016 und 2017 sind noch nicht bestätigt.

Bild 3: Veränderungen der Grenzwerte und Gewichtungen im Euro-NCAP-Bewertungsschema für die Jahre 2012 bis 2017. Dabei sind Änderungen hervorgehoben. Die Werte für 2016 und 2017 sind noch nicht bestätigt.Euro-NCAP, Stand Juni 2012

Um den Neuerungen in dieser Kategorie gerecht zu werden, ändert sich auch die Gewichtung der einzelnen Kategorien bereits 2014. Der „Insassenschutz für Erwachsene“ fließt nur noch mit 40 statt der bisherigen 50 Prozent in die Gesamtbewertung ein, während die „Sicherheitsunterstützung“ statt mit zehn jetzt mit 20 Prozent berücksichtigt wird.

2016 und danach

Der „Fußgängerschutz“ wird 2016 um eine AEB mit Fußgängerschutz erweitert. Damit die neue Technologie mit sechs Punkten in die Bewertung einfließen kann, müssen 55 Prozent bei den Bewertungen der passiven Sicherheit im Fußgängerschutz erzielt werden. Außerdem muss die AEB zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehören. Es ist davon auszugehen, dass das Euro-NCAP-Bewertungsschema angepasst wird, sobald neue oder verbesserte Technologien zum Schutz von Fahrzeuginsassen und Verkehrsteilnehmern serienreif werden. Ein Ziel wird sein, die häufig bei Dämmerung oder schlechten Sichtverhältnissen vorkommenden Verkehrsunfälle mit Fußgängern weiter zu reduzieren. Außerdem könnte die Punktzahl für Spurverlassenswarnung/Spurhalteassistent ansteigen, sobald wirksames Datenmaterial und realitätsnahe Testprotokolle verfügbar sind.

Bedeutung der Euro-NCAP-Verschärfungen für die Umfeldsensorik

Den Fahrzeugherstellern bleibt nicht mehr viel Zeit, ihre neuen Modelle an das verschärfte Euro-NCAP-Rating anzupassen und die geforderten Verbesserungen bei der Ausstattung mit aktiven Sicherheitssystemen, respektive bei der Umfeldsensorik, zu realisieren. Da die relevanten Systeme nur gewertet werden, wenn sie zur Serienausstattung gehören (Ausnahmen siehe Abbildung 4), können bei einer Ausstattungsverbesserung zudem erhebliche Kosten entstehen, die sich für den Hersteller möglicherweise nicht sofort amortisieren. Weiter erschwerend kommt hinzu, dass die Bewertungskriterien noch in der Diskussion sind und somit Modifikationen nicht auszuschließen sind. Außerdem wurden die Testprotokolle für die Szenarien der einzelnen Elemente noch nicht exakt definiert und können weiteren Aktualisierungen unterliegen.

Bild 4: Einführungsphase bei Mindestausstattungen in der Kategorie „Sicherheitsausstattung“ im Euro-NCAP-Bewertungsschema für die Jahre 2012 bis 2017. Die Werte für 2016 und 2017 sind noch nicht bestätigt.

Bild 4: Einführungsphase bei Mindestausstattungen in der Kategorie „Sicherheitsausstattung“ im Euro-NCAP-Bewertungsschema für die Jahre 2012 bis 2017. Die Werte für 2016 und 2017 sind noch nicht bestätigt.Euro-NCAP, Stand Juni 2012

Aktuell diskutiert die Euro-NCAP-Gruppe, wie die Details der Prüfszenarien aussehen sollen. Voraussichtlich werden Erkenntnisse aus Studien anderer Organisationen wie Thatcham, ADAC und BASt einfließen und erste Entwürfe in den nächsten Wochen mit Vertretern der Fahrzeughersteller sowie der Zulieferer diskutiert. Mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgen die Versuche mit statischen und dynamischen Prüfkörpern, die dem Erscheinungsbild eines anderen Fahrzeuges oder eines Fußgängers entsprechen. Die im Prüfszenario geforderten Geschwindigkeiten, Abstände und Konditionen des eigenen Fahrzeuges sowie des Gegenübers bestimmen hierbei maßgeblich die darstellbare Leistungsfähigkeit von aufprall-vermeidenden Maßnahmen.

Wahl der Umfeldsensorik

Für eine automatische Notbremse können prinzipiell drei verschiedene Sensoren zum Einsatz kommen: Radar, Mono- oder Stereokamera. Die präzise Entfernungsmessung des Radars sowie seine Dopplermessung, welche die Relativgeschwindigkeit direkt erfasst, eignen sich vor allem für die Testszenarien der AEB-City und der interurbanen AEB. Im Vergleich zu einer Kamera, die ihre Informationen zunächst aus der laufenden Bilddatenerfassung ableiten muss, kann die direkte Radarmessung insbesondere bei verzögerndem Zielfahrzeug schneller eine Bremsung einleiten. Der Kamerasensor ist hingegen sehr präzise in der Winkelmessung sowie bei der Identifizierung von Fußgängern und Bewegungsmustern, und eignet sich daher vor allem für die AEB mit Fußgängerschutz. Außerdem kann die Kamera Fahrbahnmarkierungen und Verkehrszeichen erkennen, so dass sie auch Spurverlassenswarnung/Spurhalteassistent und Geschwindigkeitsassistenten unterstützt, die ebenfalls im Euro-NCAP-Rating bewertet werden.
Die richtige Wahl bei der Umfeldsensorik und die passende Sys-temauslegung sind entscheidend, denn eine automatische Vollbremsung darf nur ausgelöst werden, wenn eine Kollision auch sicher bevorsteht. Die Schwierigkeit besteht darin, den richtigen Zeitpunkt für den Bremseingriff zu finden. Je weniger Zeit bis zur Kollision bleibt, desto sicherer kann das System sein, dass kein Fahrmanöver wie ein Abbiegen die Situation entschärft. Aber gleichzeitig bleibt noch weniger Zeit, Geschwindigkeit abzubauen. Das Ziel muss also sein, eine möglichst exakte Messung durch die Umfeldsensorik bei minimaler Fehlerquote zu realisieren. Der Automobilzulieferer TRW bevorzugt aufgrund dieser Problematik aktuell den Weg der Datenfusion von Radar und Monokamera, denn nur die Fusion zweier physikalisch unterschiedlicher Prinzipien sorgt für echte Redundanz und minimale Fehlerraten sowie für maximale Sicherheit.
Bei den von Euro-NCAP geforderten höheren Geschwindigkeiten ist davon auszugehen, dass mit einer erschwinglichen Umfeldsensorik und einer vertretbaren Fehlerrate die volle Punktzahl einer Kollisionsvermeidung schwer zu erreichen ist. Um bei einer zu erwartenden Kollision einen vorausgehenden bestmöglichen Geschwindigkeitsabbau zu erzielen, ist es unumgänglich, neben der Sensorik auch das Bremssystem in die Überlegungen einzubeziehen.
Eine Vorbefüllung der Bremsen kann beispielsweise dafür sorgen, dass die volle Bremskraft zur Verfügung steht, sobald der Fahrer auf die AEB-Warnung reagiert und das Bremspedal betätigt und dadurch noch möglichst viel Geschwindigkeit abbauen kann. Außerdem können leistungsstarke Bremssysteme wie das vollständig integrierte Bremsregelsystem IBC (Integrated Brake Control System) von TRW eine extrem schnelle Vollverzögerung aufbauen.

Fazit

Auf der Suche nach weiteren Potenzialen zur Verbesserung der Fahrzeugsicherheit, wird der Umfeldsensorik eine immer stärkere Bedeutung zugemessen. Fahrzeughersteller setzen bereits heute in diversen Serienanwendungen analoge Systeme ein. Deren Leistungsfähigkeit aufzuzeigen hat sich Euro-NCAP – wie in der Vergangenheit bereits die passive Sicherheit – zum Ziel gemacht. Den Bestrebungen der Fahrzeugindustrie, immer sicherere Technologien einzusetzen, kommt dies entgegen. Wie viel Umfeldsensorik die Fahrzeughersteller in Zukunft für eine verbesserte Straßenverkehrssicherheit einsetzen und ob auch weiterhin gute Bewertungen beim Euro-NCAP-Rating erzielt werden, wird unter anderem vom jeweiligen Fahrzeugdesign und den Leistungen bei der passiven Sicherheit abhängen.
Bei der Wahl der Sensorik besteht das Spannungsfeld zwischen der Sensorleistung, den Kosten für eine Standardausstattung und den damit ableitbaren Fähigkeiten im Prüf- wie im Realumfeld. Es ist davon auszugehen, dass einige Fahrzeughersteller dabei auf Zulieferer zurückgreifen, die ihnen sowohl die Sensorik als auch die Datenfusion aus einer Hand anbieten, damit größtmögliche Systemstabilität und -zuverlässigkeit garantiert werden können.

Auf einen Blick

Euro-NCAP
Ab 2014 bewertet das Euro-NCAP-Rating auch die autonome Notbremse AEB sowie die Spurverlassenswarnung und die Spurhalteassistenz mit. Für die Fahrzeughersteller bedeutet dies, dass sie voraussichtlich ab 2015 zum ersten Mal Umfeldsensorik benötigen werden, um auch weiterhin 5-Sterne-Bewertungen erzielen zu können.

Sascha Heinrichs-Bartscher

ist Chief Engineer Driver Assist Systems bei TRW

(av)

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