Deutschland ist im Ausland bekannt für seine Autobahnen, das Bier, die Brezeln, Lederhosen und Dirndl. Die meisten Dinge allerdings sind weniger der Bundesrepublik an sich zuzuschreiben, sondern vielmehr dem Freistaat Bayern. Dass das so ist, lässt sich schon beim alljährlichen Oktoberfest feststellen: Ein ganzes Bundesland befindet sich tagelang in traditioneller Tracht gekleidet im Ausnahmezustand. In ähnlicher Euphorie schwelgt die Elektronikbranche zur Electronica – die ja auch dieses Jahr wieder in der bayerischen Landeshauptstadt München stattfindet. Kein Wunder also, dass der Freistaat nach zwei Jahren auch wieder in den Fokus der elektronik industrie rückt.
München und Umgebung
Wie der süße Senf zur Weißwurst gehört die Antriebstechnik zum Münchner Anbieter Maccon. Das Unternehmen stellt seit 1982 unter anderem Motoren, Controller und Sensoren her. Maccon kombiniert seine Standardprodukte mit eigenen Entwicklungen, gestützt durch CAE-Softwaretools. Damit entwickeln und fertigen die Münchner kundenspezifische Antriebsprodukte. Maccon hat Anfang des Jahres den Geeplus vorgestellt und ist damit folgendes Problem angegangen: Für vergleichsweise lange Hübe haben sich Schrittmotoren mit Spindel über eine lange Zeit bewährt, aber in vielen Anwendungen konnte man kein geeignetes Produkt mit einer Kombination aus Motor und Spindel finden, das auch zur gewünschten Anwendung passt. Geeplus hat für eine Reihe von Schrittmotoren kundenspezifische Spindeln, die in Länge, Pitch und Material auf die Kundenanwendung abgestimmt sind. Das ist vor allem in der Medizinelektronik von Vorteil.
Doch nicht jedes Unternehmen erlebt derzeit rosige Zeiten: Erst im März diesen Jahres hat der ebenfalls in München ansässige Technologiekonzern Siemens den Abbau von weltweit 2500 Stellen in der Antriebssparte bekannt gegeben. Davon sollen laut Konzernangaben allein 2000 Stellen in Bayern gestrichen werden. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner hat den Abbau bei Siemens als einen „schmerzlichen Veränderungsprozess“ bezeichnet und den betroffenen Menschen ihre Unterstützung zugesagt. Sie sei mit Siemens bereits darüber im Gespräch, wie betriebsbedingte Kündigungen vermieden und wo neue Perspektiven für die betroffenen Arbeitnehmer entwickelt werden können, so heißt es.7
Oberbayern
Der südlichste Zipfel der Republik gehört wie München zu Oberbayern. In diesem Regierungsbezirk hat etwas westlich von München die Data Display Group in Germering ihren Sitz. Der Leistungsumfang des Entwicklers und Produzenten von TFT-Systemlösungen reicht von der klassischen Distribution bis hin zum Full Service mit Eigenentwicklungen für Systemintegration. Ihre amerikanische Tochterfirma Apollo Display Technologies hat am Flughafen San Francisco die veralteten roten LED-Anzeigen der Flughafenbahnhöfe durch TFT-Monitore ersetzt. Das serielle Kommunikationsprotokoll, mit dem die Daten an die LED-Anzeigen übertragen wurden, blieb bestehen. Die Lösung ist ein kundenspezifischer POS-Line-Monitor, der aus einem hellen 46″-TFT-Display besteht. Durch das helle Display lassen sich die Informationen auch bei Sonneneinstrahlung gut ablesen.
Ebenfalls in Oberbayern produziert ODU seit mehr als 70 Jahren Steckverbinder. Das Unternehmen beschäftigt weltweit etwa 1700 Mitarbeiter und hat neben dem Hauptsitz und der Produktionsstätte in Mühldorf am Inn weitere Fertigungen in Sibiu (Rumänien), Camarillo (USA) und Shanghai (China). 2015 steigerte ODU seinen Umsatz von 139 Millionen Euro auf 146 Millionen Euro: „Unser Ziel, die 140-Millionen-Euro-Marke, haben wir damit übertroffen“, erklärt Dr. Joachim Belz, Geschäftsführung ODU. „Der Erfolg macht auch zufrieden angesichts der stark abgekühlten, globalen Konjunktur.“ In den USA und in China lag ODU über dem Branchendurchschnitt. Grund dafür ist das amerikanische Projektgeschäft mit applikationsspezifischen Produkten sowie das erfolgreiche Geschäft mit lokalen, chinesischen Kunden. Hier erwirtschaftet ODU entgegen dem Trend sogar ein zweistelliges Wachstum.
In Oberbayern ansässig ist auch TQ. Als Elektronikdienstleister (E²MS-Anbieter und CEM) bietet TQ das Leistungsspektrum von der Entwicklung über Produktion und Service bis hin zum Produktlebenszyklusmanagement. Aus Bayern sein und sich für Bayern engagieren: Die TQ-Mitarbeiter spenden jährlich für einen guten Zweck. Dieses Jahr kann sich die Kinderkrebshilfe Bayern über den Scheck freuen. Der Verein fördert bayernweit Aktivitäten und Projekte der kinder- und jugendmedizinischen Kliniken, der Deutschen Kinderkrebsstiftung, der regionalen Elterninitiativen und der Nachsorgeeinrichtungen.
Oberpfalz und Mittelfranken
Dr. Markus Schmitz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit, bezeichnete sie erst kürzlich als „die Lokomotive am Arbeitsmarkt in Bayern“: die Oberpfalz. So ist es nicht verwunderlich, dass auch namhafte Unternehmen aus der Elektronikbranche in dieser Region angesiedelt sind. Conrad, zum Beispiel, hat seinen Sitz in Hirschau. Sein Logistikzentrum in Wernberg-Köblitz gilt als modernes Distributionszentrum, in dem sich auf 100.000 m² ein vollautomatisches Hochregallager mit 42.000 Palettenplätzen sowie 10 km Förderstraße befinden. Im Schnitt verlassen 35.000 Pakete täglich das Versandgebäude, in Spitzenzeiten können es bis zu 50.000 Sendungen sein. Erst Anfang Mai hat der Mehrkanal-Distributor den zweipoligen Spannungsprüfer 2100-Gamma ins Portfolio aufgenommen. Er ist der Neuling der 2100-Serie von Beha-Amprobe. Das Gerät ist robust genug, um in rauen kommerziellen Umgebungen zum Einsatz zu kommen, darunter auch in Solarstromanlagen.
In Nürnberg fertigt und entwickelt sein 1982 MEN Mikro Elektronik Embedded-Standardbaugruppen und Komplettgeräte, die typischerweise in mobilen, industriellen und sicherheitskritischen Anwendungen mit extremen Umweltbedingungen zu finden sind. Die Kernkompetenzen des Unternehmens umfassen x86- und RISC-Prozessorarchitekturen, Richtlinien für die Entwicklung sicherer Anwendungen, das Design analoger I/O, FPGA-Technologie sowie Windows, Linux und Echtzeit-Betriebssysteme. Erst Anfang Mai hat MEN die PCI-Express-Mini-Card PX5 vorgestellt, um die störungsfreie Übertragung von Audiosignalen zu ermöglichen, die etwa für Durchsagen in Zügen oder im Flugzeug erforderlich ist. Diese Stereo-Audio-Funktionalität ist modularer Bestandteil moderner Passagierinformationssysteme.
Innovationsförderung
An der Spitze bleiben kann man nur, wenn man sich mit Innovationen an der Spitze hält – das gilt auch für den Freistaat. Anfang Mai beriet der Bundesrat über einen Antrag der Länder Bayern und Niedersachsen, mit dem sie sich für die Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung für den Mittelstand in Deutschland einsetzen. Ziel der Initiative ist, die Attraktivität des Standorts Deutschland zu steigern. „Der ZVEI begrüßt die Entschließung der beiden Länder, die Innovationsleistungen mittelständischer Unternehmen steuerlich zu fördern. Wir stimmen darin überein, dass mit Blick auf den internationalen Standortwettbewerb eine innovationsfreundliche Steuergesetzgebung dringend geboten ist“, so Dr. Klaus Mittelbach, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung. Insbesondere die schnell voranschreitende Digitalisierung mache es erforderlich, dass kleine und mittlere Unternehmen ihre Innovationsausgaben wieder erhöhen können. „Hier beobachten wir über die vergangenen Jahre einen Abwärtstrend, der dringend gestoppt werden muss“, erklärt Dr. Mittelbach.
Bislang fehlt es am deutschen Standort nicht nur an struktureller Förderung. Die Unternehmen werden aktuell von eine Reihe innovationsfeindlicher Regelungen wie beispielsweise der Besteuerung von Funktionsverlagerungen in ihren Aktivitäten für Forschung, Entwicklung und Innovation eingeschränkt. Daher ist der Antrag für die sogenannte „Forschungsprämie“ aus Sicht des ZVEI ein wichtiger Meilenstein zur Steigerung der Investitions- und Innovationskraft des deutschen Industriestandortes. „Größtmögliche Effekte entfaltet eine steuerliche Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation jedoch erst dann, wenn sie allen Unternehmen – kleinen, mittleren und großen – gleichermaßen zugänglich ist“, betont Dr. Mittelbach.
Die Innovationsaufwendungen der deutschen Elektroindustrie betrugen 2015 insgesamt 17,6 Milliarden Euro, davon 15,5 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung (F&E). Die Investitionen beliefen sich auf 6,4 Milliarden Euro, das entspricht einem Zugewinn von 700 Millionen Euro zum Vorjahr. Hinzu kamen noch 2 Milliarden Euro Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung. Die Elektroindustrie nimmt hiermit eine Sonderstellung innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes ein: Die Branche kommt für ein Viertel aller F&E-Aufwendungen auf.