Im Zuge der Modernisierung und Digitalisierung brechen Unternehmen ihre Insellösungen der Beschaffung auf und verwandeln den Einkauf in eine offene Organisationseinheit mit Management- und Querschnittsaufgaben. Waren Einkäufer früher hauptsächlich dafür zuständig, Bestellungen zu tätigen und dabei niedrige Preise auszuhandeln, wirken sie heute strategisch auf Geschäftsabläufe ein. Moderne Einkäufer entwickeln Strategien für die Beschaffung, ermitteln Einsparpotenziale und beraten Entwicklung, Produktion oder Vertrieb. Neben reiner Fach- und Umsetzungskompetenz brauchen sie also eine umfassende Marktkenntnis, Wissen zu Technologien sowie Organisations-Know-how und ausgeprägte Soft Skills.
auf einen blick
Durch die zunehmende interne und externe Vernetzung im Rahmen der Digitalisierung agieren Einkäufer als Schnittstellenmanager zwischen allen internen und externen Akteuren entlang der Lieferkette. Das Kompetenzprofil geht daher über reines Fachwissen hinaus. Wer dieser neuen Schlüsselrolle gerecht werden will, muss verstärkt Managementaufgaben wahrnehmen und den Austausch mit Fachabteilungen suchen.
Gesucht: Experten mit Allround-Qualitäten
Aber welche Kompetenzen sind für Einkäufer wirklich relevant und wie lassen sich diese gezielt ausbauen? Eine Inverto-Befragung von Experten aus Industrie und Handel ist diesen Fragen nachgegangen. Dabei haben sie zwischen operativen und strategischen Einkäufern unterschieden und jeweils ein eigenes Kompetenzprofil erstellt.
Als Kernkompetenzen für operative Einkäufer wurden Organisationsfähigkeit, Umsetzungsbereitschaft und Zuverlässigkeit identifiziert. Strategische Einkäufer benötigen insbesondere analytische Fähigkeiten und Verhandlungsgeschick und zeichnen sich durch ergebnisorientiertes Handeln aus. In der Praxis unterscheiden Unternehmen allerdings nur selten zwischen operativen und strategischen Einkäufern, sondern suchen echte Allrounder, die insgesamt zehn Disziplinen beherrschen sollten.
1. In-Depth-Analyse von Bedarfen und Prozessen
Einkäufer sollten Ist-Analysen durchführen können, um alle relevanten Informationen auszuwerten und Transparenz zu schaffen. Auf dieser Grundlage lassen sich dann mögliche Einkaufsstrategien erarbeiten. Außerdem ist es hilfreich, die Ist-Analyse regelmäßig zu wiederholen und Strukturen zu schaffen, die eine Wiederholung ermöglichen, etwa durch Anpassungen im ERP-System für toolunterstützte Auswertungen.
Darüber hinaus müssen Einkäufer verstärkt digitale Kompetenzen vorweisen: Sie sollten sich mit spezieller Einkaufssoftware beispielsweise für E-Procurement auskennen und Lieferanten mit einem Supplier-Relationship-Managementsystem verwalten können. Vor allem aber sollten sie in der Lage sein, manuelle Prozesse in digitale zu überführen und den Automatisierungsgrad der Bestellabwicklung zu erhöhen.
2. Crossfunktionale Kommunikation und Teamarbeit
Ausgeprägte soziale Kompetenzen sind wichtig für Einkäufer, da sie als Schnittstelle innerhalb des Unternehmens und Ansprechpartner für Lieferanten agieren. Einkäufer sollten gut auf verschiedenen Hierarchieebenen kommunizieren können und Teamplayer sein. Eigeninitiative, Verbindlichkeit, Hilfsbereitschaft, Einfühlungsvermögen und Flexibilität sind weitere wünschenswerte Eigenschaften. Kommunikationstechniken helfen dabei, Gespräche bewusst zu steuern und damit bessere Ergebnisse zu erzielen.
3. Erarbeiten von Einkaufsstrategien
Einkäufer müssen die Voraussetzungen für Veränderungen erkennen und bewerten können, Ziele festlegen und diese kommunizieren. Nur so lassen sich aus der Ist-Analyse die passenden Einkaufsstrategien ableiten: Wie hoch soll die Anzahl der Lieferanten sein? Wie sieht die Vergabestrategie aus? Auch Kenntnisse verschiedener Best Practices im Einkauf sowie analytisches und lösungsorientiertes Denken sind gefragt. Darüber hinaus gilt es, Innovationen zu beobachten und die bisherigen Strategien immer wieder zu hinterfragen. Wenn Unternehmen Strategien nicht vollumfänglich umsetzen, sind Einkäufer als Problemlöser und unter Umständen Mediatoren gefragt.
4. Strategische KPI-basierende Steuerung
Die Ziele der Einkaufsstrategie zu erreichen erfordert eine Steuerung anhand verschiedener KPIs (Key Performance Indicator). Diese Kennzahlen sollten allen Beteiligten bekannt sein und regelmäßig erhoben werden. Sie sind notwendig, um die Unternehmensziele mit denen des Einkaufs abzugleichen. In der Praxis liegt der Fokus häufig noch zu stark auf der Versorgungssicherheit und Kostensenkung. Heutzutage sollten Einkäufer jedoch Aspekte wie Qualitätssicherung, Risikominimierung und Flexibilitätssteigerung stärker im Blick haben. Dadurch wird der Einkauf aktiver Teil der gesamten unternehmerischen Wertschöpfungskette.
5. Verhandlungsführung
Verhandlungen mit internen und externen Gesprächspartnern wie Stakeholdern oder Lieferanten wollen gut geführt sein. Denn hier geht es nicht ausschließlich um Kosten, sondern auch um Qualitätssicherung, Risikominimierung und Innovationsmanagement. Immer häufiger führen deswegen Expertenteams mit Mitgliedern verschiedener Fachbereiche die Verhandlungen an. Crossfunktionale Teams haben den Vorteil, dass sie die unterschiedlichen internen Interessen berücksichtigen. Hier müssen Einkäufer moderativ tätig sein und die Interessen aller auf einen Nenner bringen.
Wesentlicher Punkt für den Erfolg einer Verhandlung ist auch die entsprechende Vor- und Nachbereitung. Vor Verhandlungsbeginn sollten Einkäufer die Ausgangssituation im Detail analysieren und Wissen über den Gesprächspartner, dessen Motivation und Verhandlungsmacht sammeln. Zudem sollten sie immer klare Verhandlungsziele festlegen und entsprechende Argumentationshilfen entwickeln. Auch eine Aufbereitung der Ergebnisse ist unerlässlich und ebnet den Weg für die zukünftige Zusammenarbeit.
6. Vertragsmanagement
Einkäufer müssen zwar keine Rechtsanwälte sein, sollten aber die aktuellen kaufmännischen Vorgaben kennen und die Vertragsgestaltung dem Produktions- und Vertriebsablauf der Organisation anpassen können. Es geht nicht nur darum, Preise zu fixieren, sondern alle Anforderungen entlang der Lieferkette vertraglich festzulegen. Für die Vertragsgestaltung ist daher die Einbeziehung der anderen Abteilungen unabdingbar und vom Einkauf zu forcieren. Dazu gehören auch Aspekte wie Qualität, Service Level und Lieferzyklen sowie die Definition von Konsequenzen bei Nichteinhaltung. Zudem ist wichtig, dass alle Vertragsbestandteile durch die Einkäufer überprüfbar sind. Das hängt im großen Maße von Kennzahlen ab, die im Controlling bereitstehen sollten. Eine weitere Möglichkeit ist die Überprüfung im Rahmen regelmäßiger Audits.
7. Identifikation und Prävention von Risiken
Um Risiken frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen, müssen Einkäufer die gesamte Lieferkette überblicken und vorausschauend handeln. Als Schnittstellenmanager kennen sie natürlich die Auswirkungen auf alle Glieder der Supply Chain. Darüber hinaus haben sie die Unternehmensstrategie immer im Hinterkopf, um dementsprechend die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Ist eine risikoreiche oder eine risikoarme Strategie ratsam? Geht es darum, immer den besten Preis (reaktiv) oder feste Preise über einen möglichst langen Zeitraum (Planungssicherheit) zu erzielen?
Dazu sind Kompetenzen im Umgang mit entsprechenden digitalen Informations- und Frühwarnsystemen und der Auswertung relevanter Daten gefragt. Hierzu gehört zum Beispiel die Abschätzung und Gegensteuerung von Lieferausfall- und Preisanstiegsrisiken durch eine regelmäßige Bewertung der Marktentwicklung und der Schlüssellieferanten. Nur so können Einkäufer rechtzeitig mit den Fachbereichen kommunizieren und gegebenenfalls Notfallpläne einleiten.
8. Controlling und Supply Chain Performance
Mit den steigenden Anforderungen und der Einbeziehung der gesamten Lieferkette erweitert sich auch das Kennzahlensystem. Beim Einkaufscontrolling geht es nicht mehr nur darum, ob die vereinbarten Preise gezahlt wurden. Andere KPIs wie Bestell- und Lieferzeitpunkte hinsichtlich des Bestandsmanagements, Fremdwährungsquoten sowie die Maverick-Buying-Quoten rücken in den Fokus und machen letztlich auch die Leistung der Einkäufer messbar. Ein effektives Controlling schafft Klarheit über die relevanten KPIs, kann Abweichungen schnell erkennen und in Abstimmung mit den anderen Abteilungen Gegenmaßnahmen einleiten.
9. Liquidität und Geschäftsprozesse
Auch das Working Capital Management ist heute komplexer denn je und geht über die reine Optimierung von Zahlungszielen und Skonto hinaus. Faktoren wie Lagerbestände oder Vertriebsaktionen sind zu berücksichtigen. Darum ist aktives Bedarfs- und Bestandsmanagement eine weitere Kernkompetenz von Einkäufern. Über IT-Systeme bekommen sie Informationen von anderen Abteilungen und müssen diverse Faktoren wie das Abrufverhalten der Produktion, ideale Bestellzeitpunkte oder rechtzeitige Investitionen berücksichtigen. Damit werden Einkäufer zu Finanzmanagern und können die Innenfinanzierung durch Freisetzung von gebundenem Kapital stärken.
10. Wettbewerbsvorteile durch Warengruppenmanagement
Für die richtige Sortimentsplanung und -gestaltung sollten Einkäufer die Kundenwünsche und den Markt gut kennen sowie neue Anforderungen wie kleinere Losgrößen oder individualisierte Produkte berücksichtigen. Durch die Nähe zu den Lieferanten können Einkäufer auch im Innovationsmanagement eine tragende Rolle spielen. Wer Innovationen einkaufen und nicht selbst entwickeln will, sollte langfristige Partnerschaften pflegen und einen Überblick über den Lieferantenmarkt haben. Um die Kundenbedürfnisse zu erkennen und mit einem optimalen Sortiment darauf reagieren zu können, ist ein regelmäßiger Austausch mit anderen Abteilungen hilfreich.
Um Einkäufer für den Einkauf 4.0 fit zu machen, bieten sich gezielte Workshops und Schulungen an. Da die Fähigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeiter von Unternehmen zu Unternehmen und von Fachbereich zu Fachbereich variieren, ist es außerdem wichtig, Qualifikationsmaßnahmen auf die spezifische Situation einer Abteilung, einer Stelle und der jeweiligen Mitarbeiter abzustimmen.
(mou)