Das Ziel von Industrie-4.0-Anlagen ist, eine große produktionstechnische Flexibilität zu ermöglichen. Um neue Produktvarianten herstellen zu können, müssen Anlagen einfach und schnell umrüstbar sein. Dafür müssen sich neue Maschinen unkompliziert in den Produktionsprozess integrieren lassen. Doch wie lässt sich der flexible Umbau zugleich auch sicher gestalten? Mit einem modularen Safety-Konzept – das erste Konzept dafür ist 2018 im Partnerkonsortium aus Forschung und Industrie in der Smartfactory-KL entstanden und wird seither stetig erweitert. Die jüngsten Forschungsergebnisse sind nun im Whitepaper ‚Safety-Anforderungen an die digitale Maschinenrepräsentanz 2020‘ publiziert.
Es entstand in der SmartFactory-KL-Arbeitsgruppe 2 (Connect & Control) und legt den Schwerpunkt auf die digitale Maschinenrepräsentanz beziehungsweise den sogenannten Digital Twin, das virtuelle Abbild einer Produktionsanlage. „Wir verwenden einen digitalen Zwilling der Anlage, da eine dynamisierte Maschinensicherheit aufgrund der komplexen Anforderungen nicht ohne digitale Hilfsmittel umsetzbar ist“, sagte Michael Pfeifer, Mitglied im Smart Manufacturing Council und Koordinator der Arbeitsgruppe Industrie 4.0 bei TÜV Süd sowie Mitautor des Whitepapers. Betrachtet werden also vor allem die Vorgänge auf Software-Ebene. Die Neuheit ist: Alle Safety-Parameter werden direkt in der Verwaltungsschale angelegt. Die Summe dieser Parameter ergeben dann ein sogenanntes Teilmodell (engl. Submodel) der Verwaltungsschale. Dieses ist nicht statisch, sondern kann je nach Anforderung unterschiedliche Safety-Parameter beinhalten.
Was ist die Verwaltungsschale/AAS
Die Asset Administration Shell (kurz: AAS, deutsch: Verwaltungsschale) ist das virtuelle Abbild und zugleich die interoperable Kommunikationsschnittstelle einer Hard- oder Softwarekomponente in der Produktion (z. B. einer Maschine): Über die AAS können beispielsweise die Betriebsdaten einer Fräsmaschine gespeichert werden. Gleichzeitig kann die Maschine über die AAS angesteuert oder Daten ausgelesen werden. Damit wird die Basis für die Anwendung von KI und neuer Geschäftsmodelle gelegt – für Fabrikausrüster wie auch für Anwender etwa aus der Fahrzeug- und Prozessindustrie.
Plug & Produce-Prozess veranschaulicht Funktionsweise und Nutzen
Am konkreten Beispiel des Plug & Produce-Prozesses in der SmartFactory-KL zeigt sich der Nutzen: Wird ein Produktionsmodul an die Anlage angeschlossen, muss mittels Konformitätsprüfung festgestellt werden, ob alle nötigen Anforderungen erfüllt sind. Neben den genannten Safety-Anforderungen können dies beispielsweise auch weitere Teilmodelle wie das Prüfen der Strom- und LAN-Verbindung sein oder die Abfrage, an welcher Stelle der Anlage das Modul eingebaut wird.
„Der große Vorteil der Verwaltungsschale ist, dass direkt alle notwendigen Daten und Informationen zur Verfügung stehen und bei Bedarf ein schneller Zugriff gewährleistet ist. Das hält den Prozess an sich sehr flexibel, effizient und treibt den Gedanken der dynamischen Safety weiter voran“, so Alexander David vom Deutschen Forschungszentrum Künstliche Intelligenz (DFKI) und Leiter der Arbeitsgruppe 2.
Smart Safety-Agenten als Enabler von Production Level 4
Ein weiterer Aspekt, den das Whitepaper beleuchtet, sind Safety-Agenten. Im Gegensatz zu den erwähnten Teilmodellen zur modularen Zertifizierung, die punktuell und auf Anfrage wirken, dienen Safety-Agenten der permanenten Produktionsüberwachung unter Sicherheitsaspekten.
Die Risikobewertung läuft dabei im Hintergrund als Abfrage eines vorgegebenen Entscheidungsbaums ab. So bemerkt beispielsweise ein fahrerloses Transportsystem (Automated Ground Vehicle, kurz AGV) mittels Sensorik eine Gefährdung durch Menschen in der vorgesehenen Fahrbahn. Statt wie bislang üblich das AGV unmittelbar zum Stillstand zu bringen, prüft der Safety-Agent im Entscheidungsbaum weitere Optionen, zum Beispiel eine Routenänderung. Dank vollständiger Vernetzung innerhalb der Fabrikhalle erkennt der Safety-Agent, dass ein alternativer Fahrweg möglich und sicher ist – entsprechend wird die Route des AGV geändert und ein Stillstand der Produktion vermieden. Der Safety-Agent kann sich somit künftig optimal in die agentenbasierte Gesamt-Systemarchitektur des Production Level 4-Demonstrators einfügen.
Wie die Smart Factory KL Production Level 4 definiert.
Erkenntnisse werden in die Praxis überführt und getestet
„Die Initiative bei der Smartfactory-KL ermöglicht die Diskussion von Anforderungen und möglichen Lösungsansätzen, die aus einer dynamisierten Maschinensicherheit resultieren – direkt mit einschlägigen Firmen beziehungsweise Komponentenherstellern“, betont Michael Pfeifer die Vorteile der engen Zusammenarbeit. „Des Weiteren ist ein Verproben zur Verifizierung von neuen Ideen am neuen Demonstrator möglich, so dass die Umsetzung im Rahmen von Industrie-Pilotprojekten beschleunigt wird“, so Pfeifer weiter.
Auch William Motsch, Forscher und Mitautor auf Seiten der Smartfactory-KL, sieht in dem Whitepaper einen wichtigen Schritt hin zur voll funktionsfähigen, modularen Zertifizierung: „Diese wird nun nicht nur auf Anlagen- und Komponenten-, sondern auch auf Softwareebene möglich, was Stillstandzeiten deutlich reduziert.“ Die Erkenntnisse werden nun in die Praxis überführt und innerhalb der Smartfactory-KL-Arbeitsgruppe 2 am neuen Production Level 4-Demonstrator getestet.
(dw)