Soft-Sensorlösung von SSV

Durch das Nachrüsten einer passenden (Soft-)Sensorlösung lässt sich die Datenblindheit bezüglich einer ­bestimmten Maschine innerhalb einer Produktions­umgebung beseitigen. (Bild: SSV)

Angenommen Anwender wollen ihre Produktion im Rahmen eines Digitalisierungsvorhabens mit Hilfe der künstlichen Intelligenz (KI) beziehungsweise des maschinellen Lernens (ML) optimieren, um die Anlagenverfügbarkeit zu erhöhen und dadurch die Gesamteffizienz zu steigern. Dafür wurden auch schon etliche geeignete Datenquellen identifiziert, die den erforderlichen Input liefern können. Für eine wichtige Produktionsmaschine hat ein Hersteller sogar ein OPC-UA-Nachrüstkit geliefert. Es gibt aber auch noch den einen oder anderen Bereich im Umfeld älterer Maschinen, aus dem sich keine Daten gewinnen lassen, weil die technischen Voraussetzungen fehlen. Durch diese selektive Datenblindheit wird der zur Produktionsoptimierung eingesetzte Algorithmus unter Umständen nur Ergebnisse mit unzureichender Genauigkeit liefern, so dass sich die Gesamtinvestition nicht lohnen würde. In diesem Fall braucht es eine kostengünstige und anpassungsfähige Sensoriklösung, die alle Maschinen einbindet und der KI ein möglichst vollständiges Echtzeitdatenbild liefert.

Als Problemlöser eignen sich virtuelle Sensoren (Softsensoren), die selbst KI- bzw. ML-Algorithmen nutzen, um für die Optimierungsanwendung geeignete Ausgangsinformationen zu liefern. Solche Softsensoren enthalten üblicherweise zwei Hauptkomponenten: mindestens ein Hardware-basiertes Sensorelement plus einen zur Aufgabe passenden Algorithmus (zum Beispiel ein neuronales Netzwerk oder multivariantes Verfahren des statistischen Lernens), um aus den Sensorikmessdaten (Rohdaten) die erforderliche Softsensorausgangsinformation zu bilden. Ein praktisches Beispiel wäre ein virtueller Maschinensensor, der aus einem 6-Achsen-MEMS-Inertialsensor mit jeweils einem triaxialen Winkelgeschwindigkeits- und Beschleunigungssensorelement sowie einem Supervised-Machine-Learning-Algorithmus plus Modell besteht, um ausgangsseitig anderen Anwendungen die Betriebszustände einer Maschine in Echtzeit zur Verfügung zu stellen.

Was ist ein Softsensor?

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Die 3D-Messdaten des Inertialsensors zu Winkelgeschwindigkeit und Beschleunigung werden mit ­einer bestimmten Frequenz abgetastet und digitalisiert. Jede abgetastete Messung erzeugt eine Liste mit sechs Messwerten. Drei Messwerte repräsentieren die Beschleunigung in x/y/z-Richtung, die weiteren drei Zahlen die Winkelgeschwindigkeit im dreidimensionalen Raum. SSV

Laut Wikipedia ist ein Softsensor kein real existierender Sensor, sondern eine Modell-basierte Abhängigkeitssimulation mit stellvertretenden Messgrößen und einer – nicht direkt messbaren – Ausgangsinformation. Ein solcher Softsensor basiert somit auf dem Zusammenhang von korrelierenden „Eingangsmesswerten“ zu einer Zielgröße am Ausgang des virtuellen Sensors. Als Eingangsdaten kommen sowohl die Ausgangsdaten realer Sensoren als auch Prozessvariablen aus Steuerungen oder anderen geeigneten Datenquellen in Frage.

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Bei der Inbetriebnahme des Softsensors wird ein 6-stufiger Engineering-Prozess iterativ durchlaufen, um u.a. aus zuvor ­erfassten Trainings- und Testdaten ein Modell für einen Supervised-Machine-Learning-Algorithmus zu erzeugen. SSV

Ein Softsensor, den die meisten im Alltag nutzen, ist der GPS-Sensor eines Navigationssystems oder Smartphones. Die Position unseres aktuellen Standorts lässt sich auch nicht direkt messen. Sie wird stattdessen per Trilateration – also die Entfernungs- beziehungsweise Abstandsmessung zu drei Punkten – aus den empfangenen Signalen mehrerer Satelliten gebildet. Da GPS-Sensoren heute als Halbleiterchips und somit auf den ersten Blick als real existierende Sensoren zur Verfügung stehen, bezieht sich der Begriff „Softsensor“ in erster Linie auf die Methode, wie aus den Eingangsdaten die jeweilige Ausgangsinformation gewonnen wird. Gebräuchlich sind sowohl analytische als auch empirische Verfahren. Im ersten Fall wird der Sensorausgangswert durch ein programmiertes Verfahren berechnet, wie beispielsweise bei einem GPS-Sensor. Der empirische Ansatz basiert auf Historiendaten, also „Erfahrungswerten“, die zur Modellbildung dienen. An Hand des Modells mit dem „Erfahrungswissen“ wird dann jeweils aus den Echtzeit-Eingangsdaten per Klassifizierung oder Regression die Ausgangsinformation gebildet.

In drei Schritten zum lernfähigen Sensor

Im Gegensatz zu konventionellen Sensoren, die in der Regel betriebsbereit ausgeliefert werden, muss ein (virtueller) Softsensor zunächst für die jeweilige Aufgabenstellung in Betrieb genommen werden. Für einen Maschinensensor mit MEMS-Inertialsensorelementen sind dafür beispielsweise drei Einzelschritte erforderlich.

  • In einem ersten Schritt wird die Sensor-Hardware fix an der Maschine befestigt, um permanent die Vibrationen im dreidimensionalen Raum zu messen. Dabei ist zu beachten, dass die Position des Sensorelements während des späteren Praxiseinsatzes nicht mehr verändert werden darf, weil die für ein Modell erzeugten Messdaten zu einer bestimmten X-, Y- und Z-Achsausrichtung gehören. Jede direkte oder indirekte Veränderung der Sensorposition erfordert daher jeweils ein neues Modell.
  • Nach abgeschlossener Sensormontage wird ein 6-stufiger Engineering-Prozess durchlaufen, um ein Machine-Learning-Modell mit einem zur Aufgabe passenden Algorithmus zu erstellen und eine logische Ausgangsschnittstelle für den Softsensor zu definieren (siehe Tabelle). Im letzten Schritt dieses Prozesses werden Modell und Algorithmus in eine sogenannte Inferenzmaschine integriert, die in einer Endlosschleife (State Machine mit zwei Zuständen) aus den Echtzeit-Vibrationsdaten eine Ausgangsinformation zum aktuellen Maschinenzustand berechnet und an andere Funktionen weiterleitet. Bei ausreichender Modellqualität lassen sich damit beispielsweise Stillstand, Leerlauf, Normalbetrieb mit unterschiedlichen Belastungen, Überlastsituationen (Anomalien) usw. mit sehr hoher Genauigkeit klassifizieren. Innerhalb des gesamten Prozesses sind zwei Iterationsschleifen vorgesehen, um zum einen die Fehlerquote mit verschiedenen Machine-Learning-Algorithmen zu untersuchen und zum anderen die sogenannten Hyperparameter für den gewählten Algorithmus anzupassen. Des Weiteren kann natürlich auch der gesamte Engineering-Prozess beliebig oft durchlaufen werden, bis der virtuelle Sensor ein zufriedenstellendes Ergebnis liefert.
  • Im dritten Schritt wird der Ausgang des virtuellen Sensors mit Hilfe der physikalischen und logischen Schnittstelle, beispielsweise Ethernet und OPC UA, mit der übergeordneten Anwendung (z. B. die KI-Anwendung zur Gesamteffizienzoptimierung) verbunden und die Gesamtlösung getestet.

Entwicklungskit für lernfähige Maschinensensoren

Basierend auf dem Edge-Gateway RMG/941 und dem Sensorelement MLS/160 bietet SSV ein adaptives Softsensor-Entwicklungskit, um an Hand von Echtzeit-Schwingungsdaten ein Condition-based Monitoring für praktisch jede Maschine zu ermöglichen.

Durch das Zusammenspiel der RMG/941-Machine-Learning-Bausteine und dem 6-Achsen-Beschleunigungssensor MLS/160 entsteht ein Softsensor, der die spezifische Schwingungscharakteristik von Kraft- und Arbeitsmaschinen als Funktionsprinzip nutzt. Da die kennzeichnenden Schwingungsmerkmale zustandsabhängig sind, lässt sich ein solcher Softsensor für Condition-based-Monitoring- und Predictive-Maintenance-Anwendungen einsetzen. Die gesamte Echtzeitdatenanalyse erfolgt direkt im RMG/941. Daher ist für den Praxiseinsatz eines solchen Softsensors keine Cloud erforderlich.

Um Anwender bei den ersten Schritten zu unterstützen, gehört zum Lieferumfang des Softsensor-Entwicklungskits auch ein Webinar mit folgenden Inhalten: 1. Grundlegende Prinzipien und Terminologie des maschinellen Lernens mit Sensordaten. 2. Ein vollständiger Softsensor-Engineering-Prozess, einschließlich Sensordatenerfassung, Datenaufbereitung, Modellierung und Modellbewertung. 3. Bewertung und Anpassung von maschinellen Lernmodellen. 4. Den Ausgang eines Machine-Learning-basierten Softsensors mit einer SPS oder anderen IT-Systemen verbinden.

Durch den Lieferumfang erhalten Anwender nicht nur die Hard- und Softwarebausteine, sondern auch das nötige Grundwissen, um eigenständig Softsensor-Anwendungen für Digitalisierungsprojekte zu entwickeln und Maschinen und Anlagen per Daten-Retrofit zielgerichtet aufzurüsten.

Varianten des maschinellen Lernens

Da die wesentlichen Grundlagen der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens bereits aus den 50er Jahren stammen, gibt es mittlerweile eine schwer überschaubare Methoden- und Algorithmenvielfalt. Für lernfähige Softsensoren eignen sich besonders zwei Verfahren:

Supervised Machine Learning – Überwachtes maschinelles Lernen.

Die meisten der gegenwärtig in der Praxis genutzten Machine-Learning-Algorithmen, wie Convolutional Neural Networks (CNNs) gehören zu dieser Kategorie. Bei diesem empirischen Verfahren ist der Zusammenhang zwischen den Eingangs- und Ausgangsgrößen anhand von Historiendaten im Vorfeld bekannt. Insofern handelt es sich um ein Mapping der Eingangsdaten auf den Ausgang. Der jeweils zum Einsatz kommende Algorithmus muss zunächst trainiert werden, wodurch ein Modell entsteht. Für die Trainingsphase braucht es gelabelte (Historien-) Daten. Bei einer sinnvollen Abstimmung zwischen den Daten und dem jeweils gewählten Algorithmus sowie einer ausreichenden Trainingsdatenmenge von guter Qualität lassen sich anschließend mit Hilfe bisher unbekannter Datenwerte relativ genaue diskrete Klassifizierungs- oder kontinuierliche Regressionswerte vorhersagen. Typische Anwendungsbeispiele für überwachtes Lernen sind die Objekterkennung in Bilddaten (Mustererkennung) und die Vorhersage des Energiebedarfs einer Maschine. Die in der Trainingsphase des Supervised Machine Learnings entstehenden Modelle sind statisch und müssen bei Bedarf durch ein erneutes Training an veränderte Bedingungen angepasst werden.

Unsupervised Machine Learning – Unüberwachtes maschinelles Lernen.

Dieses Verfahren wird bei Bedarf auf Daten mit unbekannten Zusammenhängen angewendet, um in den Eingangsdaten mit Rechnerunterstützung nach Mustern (Clustern) und den Grenzen zwischen den gefundenen Clustern zu suchen. Insofern spricht man bei dieser Kategorie des maschinellen Lernens auch häufig von Clusteranalysen, also die Zuordnung der vorliegenden Datenpunkte zu bestimmten Gruppen (den Clustern). Die in der Mathematik zur Verfügung stehenden Methoden nutzen unterschiedliche Ansätze, wie das prototypische Bilden von Cluster-Zentren in einem n-dimensionalen kontinuierlichen Raum oder Dichte-basierte Regionen als Zentrum eines möglichen Clusters. Darüber hinaus gibt es auch noch hierarchische Clusterverfahren. Die gefundenen Ähnlichkeitsstrukturen und die per Clusteranalyse festgelegten Gruppen können in der Praxis als Vorlage zum Labeln der bisher unbekannten Daten für ein anschließendes Supervised Machine Learning dienen.

Klaus-Dieter Walter

Geschäftsführer SSV Software Systems

(ml)

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30419 Hannover
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