Welche Rolle spielen der Mensch und Lean Production in der Gestaltung von Produktionssystemen mit Industrie-4.0-Technologien? Welche Anforderungen werden an die Gestaltung gestellt und wie wirkt sich die digitale Transformation auf die einzelnen Ebenen ganzheitlicher Produktionssysteme aus? Zu diesen und weiteren Themen hat das Fraunhofer IPA zahlreiche Experten aus der produzierenden Industrie im 2. Halbjahr 2020 befragt. Die Studienergebnisse zeigen die praktischen Anforderungen an die Gestaltung von Methoden und Werkzeugen; sie bieten damit einen konkreten Handlungsrahmen für Manager und Fabrikbetreiber. Die befragten Unternehmen berichteten darüber hinaus, mit der Kombination aus Industrie 4.0 und ganzheitlichen Produktionssystemen jährliche Verbesserungen im zweistelligen Prozentbereich erzielen zu können.
Lean Production entwickelt sich weiter
Eines zeigt die Fraunhofer-Studie klar: Die Digitale Transformation rüttelt nicht an den Grundsätzen der ganzheitlichen Produktionssysteme (GPS). Die Methoden der Lean Production werden weiter die Abläufe in den Fabriken bestimmen. Allerdings entwickeln sie sich im Verbund mit einer zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung stetig fort. Ziel dieses Wandels ist, die Produktion beziehungsweise bislang starre Takte in automatisierten Fertigungslinien flexibler zu gestalten in Richtung Varianten- oder sogar Einzelfertigung – und das bei reduzierten Kosten.
Kooperatives Datenmanagement
Das gelingt freilich nur mit einem guten Datenmanagement. Die Daten von jeder Maschine und jedem Vorgang aus dem eigenen Produktionsablauf müssen stets verfügbar sein — aber auch Daten von Kunden und Zulieferern müssen in die eigenen Abläufe integriert werden. Die Vernetzung geht also weit über den eigenen Maschinenpark hinaus.
Werkzeugkasten und Anwendungsbeispiele
All das erhöht die Komplexität in der Produktion enorm. Um die Abläufe dennoch beherrschen zu können, sind Hilfen für das Industrial Engineering nötig. Das ist ein wichtiges Ergebnis der Studie: Ein Werkzeugkasten (Toolbox) muss her. Dieser Werkzeugkasten soll es ermöglichen, Probleme nach standardisierten Verfahren zu lösen. Bei jeder Veränderung von Abläufen oder an Maschinen gibt ein gut strukturierter Werkzeugkasten die notwendigen Hinweise, was zu tun ist. Voraussetzung dafür ist: Er muss leicht zu handhaben und möglichst intuitiv bedienbar sein. Bestandteil des Werkzeugkastens sollten auch Anwendungsbeispiele (Use Cases) sein. Das Fraunhofer IPA will im Sommer einen Industriearbeitskreis gründen, in dem die Ausgestaltung einer solchen Werkzeugkastens praktisch durchgeführt wird.
Die 10 Richtlinien für die Gestaltung zukunftsfähiger Produktionssysteme
- Mensch als zentraler Erfolgsfaktor: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme ist auf die individuellen menschlichen Bedürfnisse und die Partizipation von interdisziplinären Teams auszurichten.
- Integrierter Ansatz aus Lean und Industrie 4.0: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme ist in einem integrierten Ansatz aus Lean Production und Industrie 4.0 umzusetzen.
- Kundenintegration und -individualisierung: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme ist durch Elemente der Kundenintegration und -individualisierung am Kundennutzen auszurichten.
- Unternehmensübergreifende Kooperation und End-to-End-Prozesse: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme ist auf die unternehmensübergreifende Kooperation für eine durchgängige Betrachtung von End-to-End-Prozessen ohne Systembrüche auszuweiten.
- Datenmanagement und Transparenz: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme muss ein systematisches Datenmanagement und systemweite Transparenz berücksichtigen.
- Flexibilität und Wandlungsfähigkeit: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme ist konsequent zur Ausweitung von Flexibilität und Wandlungsfähigkeit zu nutzen.
- Standardisierung mit nötigen Freiheitsgraden: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme muss umfassende Standardisierung bei gleichzeitiger Wahrung von Freiheitsgraden für individuelle Anwendungsdomänen ermöglichen.
- Neue digitale Methoden und Werkzeuge: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme ist unter Einbezug neuer digitaler Methoden und Werkzeuge durchzuführen.
- Toolbox für Methoden und Werkzeuge: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme ist mit einer Toolbox für Methoden und Werkzeuge zu begleiten.
- Industrie 4.0 durch Use Cases: Die Gestaltung Ganzheitlicher Produktionssysteme ist unter Einbezug neuer technologischer Industrie 4.0-Anwendungen und deren Beschreibung in Form von Use Cases umzusetzen.
Das Studien-Design
Die Studie ist Teil der Forschungsarbeiten im Future Work Lab und basiert auf einer zweistufigen Erhebung. Am ersten Teil der Umfrage, einer Online-Umfrage (Web-Survey), beteiligten sich 73 Fachleute. Dabei wurden sieben allgemeine Hypothesen aus der Forschung in der Praxis überprüft. Auch wenn die Studie insgesamt nicht beanspruchen kann, repräsentativ zu sein, so vermittelt das Meinungsbild der befragten Fachleute einen sehr genauen Eindruck hinsichtlich der Veränderungsdimensionen ganzheitlicher Produktionssysteme vor dem Hintergrund der digitalen Transformation. Im zweiten Teil der Studie hat das Projektteam 18 ausführliche Interviews mit Fachleuten aus produzierenden Unternehmen – der Automobilindustrie sowie dem Maschinen- und Anlagenbau – geführt, darunter auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU).
Die ganze Studie zum Herunterladen
Die Studie ‚Ganzheitliche Produktionssysteme 4.0“ (PDF, 100 Seiten) ist kostenlos und kann zum Herunterladen bei Fraunhofer IPA unter diesem Link hier angefordert werden.