Bosch hat seine 300-mm-Fab in Dresden jetzt offiziell eröffnet und will noch im Juli die ersten Chips aus Dresden in Richtung Test & Montage schicken. Damit liegt Bosch bei diesen für Bosch-Elektrowerkzeuge bestimmten Power-MOSFETs sechs Monate vor dem ursprünglich geplanten Produktionsbeginn. Im September 2021 sollen dann die ersten 65-nm-ASICs für den Einsatz im Automobil die Fabrik verlassen – drei Monate vor dem geplanten Termin. Damit es so schnell so weit kommen konnte, waren nicht nur Investitionen von rund 1 Milliarde Euro nötig – die höchste Einzelinvestition von Bosch in der mehr als 120jährigen Geschichte des Unternehmens – sondern auch viel Engagement der Mitarbeiter und Fördergelder der Bundesrepublik Deutschland.
Die Fakten und Hintergrundinfos zur neuen Bosch-Fab in Dresden
Halbleiterfabrik von Bosch in Dresden offiziell eröffnet
Corona-bedingt lief die Eröffnung der Fab anders ab alle anderen Fab-Openings der letzten Jahrzehnte. Dr. Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, begrüßte die virtuell Geladenen daher mit den Worten „Die Eröffnung ist ein Fest, das wir nicht wirklich feiern können; wir feiern virtuell. … Mit unserer ersten AIoT-Fabrik setzen wir neue Maßstäbe bei der Chip-Produktion.“
Die bestens gebriefte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel beschrieb in ihrer Festansprache die neue Bosch-Fab folgendermaßen: „Eine Fabrik, die neue Maßstäbe setzt in der vollvernetzten und vollautomatisierten Produktion und damit ein Paradebeispiel für eine Fabrik der Zukunft.“ Über die in punkto Fertigung wirklich äußerst fortschrittliche Fabrik spricht die Kanzlerin so: „Hier gehen natürliche und künstliche Intelligenz mit dem Internet der Dinge eine produktive Symbiose ein.“
Automotive-Chips aus Dresden
Bosch fertigt die Halbleiter überwiegend für den Eigenbedarf und ist nach eigenen Angaben „im Automotive-Bereich der sechstgrößte Halbleiterhersteller der Welt“. Heute arbeiten im Halbleiterwerk in der sächsischen Landeshauptstadt bereits rund 250 Menschen auf einer Fläche von 72.000 Quadratmetern. Die Zahl der Beschäftigten soll in der Endausbauphase des Standorts auf 700 Mitarbeiter anwachsen.
Selbst Bundeskanzlerin Merkel fragte im Rahmen der Eröffnung nach der Chip-Produktionsmenge, aber weder sie noch die Presse erhielt von Bosch einen adäquaten Zahlenwert als Antwort, denn über die Anzahl der Waferstarts pro Woche wahrt Bosch Stillschweigen. Bosch-CEO Dr. Volkmar Denner gab immerhin zu bedenken, dass die Reinraumfläche in Dresden etwa doppelt so groß ist wie in der bereits existierenden Fab in Reutlingen und dass 300-mm-Wafer (in Dresden) eine mehr als doppelt so große Fläche aufweisen wie 200-mm-Wafer (in Reutlingen), so dass Bosch laut Dr. Denner „im Vollausbau eine deutlich erhöhte Kapazität“ zur Fertigung von Halbleitern haben wird.
Halbleiter-Investitionen auch in Reutlingen
A propos Reutlingen: Auch dort plant Bosch, weitere 50 Millionen Euro zu investieren – für Sensor- und Siliziumkarbid-Chips. Nach Angaben von Harald Kröger, der als Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH das Dresden-Projekt betreut, plant das Unternehmen, SiC-Halbleiter nur aus Reutlingen zu liefern, wozu Dr. Denner sogleich Folgendes ergänzte: „Wir planen nicht nur, wir liefern bereits in Stückzahlen.“
Bosch-Fab in Dresden mit virtuellem Zwilling
Die Fab selbst hat von Anfang an einen virtuellen Zwilling – von den Rohren und der Infrastruktur bis zu jedem prozessierten Wafer selbst. Alle Teile der Fabrik und alle relevanten Bauwerksdaten des kompletten Halbleiterwerkes wurden dafür bereits während der Bauphase digital erfasst und in Form eines dreidimensionalen Modells visualisiert. Der Zwilling besteht aus rund einer halben Million 3D-Objekten – von Gebäuden und Infrastruktur, über Ver- und Entsorgungsanlagen, Kabeltrassen und Lüftungssystemen bis zu den Maschinen und Fertigungsanlagen. Damit lassen sich Prozessoptimierungen, aber auch Umbauarbeiten simulieren, ohne in die laufende Fertigung einzugreifen. Auch bei Wartungsarbeiten in der Dresdner Fabrik kommt die neuste Technologie zum Einsatz, indem die Fernwartung der Maschinen auch per Datenbrille und Augmented Reality möglich ist. Damit können Wartungsarbeiten in Dresden von dem Spezialisten eines Anlagenherstellers in Asien erledigt werden, ohne dass dieser vor Ort sein muss. Die Kamera der Datenbrille überträgt Videobilder einmal um die halbe Welt, der Experte dort führt den Mitarbeiter in Dresden dann in Echtzeit durch den Wartungsprozess. Diese Technologie war auch ganz entscheidend, um die Maschinen trotz Corona-bedingter Reisebeschränkung in Betrieb nehmen zu können.
Wirtschaftliche Bedeutung der 300-mm-Fab in Dresden
Kanzlerin Merkel erklärte bei der Eröffnung: „In der Region Dresden wird nun ein gutes Stück Zukunft greifbarer“, um dann auch gleich einen politisch-finanziellen Ausblick zu bieten: „Wir werden Mikroelektronik noch weiter und stärker fördern. Wir sprechen gerade über ein zweites solches wichtiges Projekt europäischer Dimension; es wird vorbereitet.“ Denn eines steht für die Kanzlerin klar fest: „Früher galt Öl als Lebenselexier, und heute sind wir dringender als je auf Halbleiter angewiesen.“
„Silicon Saxony“: Europas größter Mikroelektronik-Standort
Bosch hatte sich eigenen Angaben zufolge nach einem weltweiten Städtevergleich für Dresden als Standort für seine Halbleiterfabrik entschieden. Das „Silicon Saxony“ ist Europas größter Mikroelektronik-Standort und der fünftgrößte weltweit. Jeder dritte in Europa produzierte Chip wird hier gefertigt. Dafür bietet die Region wirklich gute Bedingungen.
So verfügt Dresden über eine gute Infrastruktur mit kurzen Wegen und guten Anbindungen. Das umfasst Unternehmen der Zulieferer-, Dienstleister- und Anwenderindustrie sowie Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit entsprechender technologischer Expertise. „In Dresden trifft modernes Unternehmertum auf wissenschaftliche Exzellenz und industriepolitische Verantwortung“, erklärte Harald Kröger. „Bosch hat sich daher bewusst entschieden, die größte Einzelinvestition in seiner mehr als 130-jährigen Geschichte hier in der Region zu tätigen“.
Welche Entwicklung 2017 zur Bosch-Investition in Dresden führte
Vier Jahre ist es her, dass die Europäische Union ankündigte, die Mikroelektronik in Europa mit 1,75 Mrd. Euro zu unterstützen. Die vier Mitgliedstaaten Frankreich, Deutschland, Italien und das Vereinigte Königreich sagten zu, diese Summe bereitzustellen, um weitere 6 Mrd. Euro an privaten Investitionen zur Stärkung der Mikroelektronik-Industrie zu mobilisieren. In Deutschland profitieren von dem sogenannten IPCEI-Förderinstrument (Important Project of Common European Interest) neben Bosch unter anderem die Unternehmen Globalfoundries, Infineon, Osram und Zeiss sowie eine Reihe weiterer Firmen. Mit der Genehmigung durch die EU wurde der Weg für die Bundesregierung frei, um Halbleiterunternehmen finanziell zu unterstützen. Vor ziemlich genau vier Jahren, am 19. Juni 2017, verkündete dann Bosch, eine Fabrik für Halbleiter zu bauen, die überwiegend für Automobilelektronik benötigt werden.
Der Branchenverband Silicon Saxony e. V. ist sich daher sicher: „Die Fördermöglichkeit des Instrumentes IPCEI sowie die unternehmerisch mutige Entscheidung der Robert Bosch GmbH haben wesentlich dazu beitragen, die Halbleiterkompetenz in Europa und in Deutschland zu stärken.“ Für Frank Bösenberg, Geschäftsführer von Silicon Saxony e.V., stellt sich die Situation so dar: „Die aktuellen Investitionsankündigungen von international führenden Technologiekonzernen wie Vodafone oder Jenoptik am Standort Dresden zeigen, welche Wirkung die Entscheidung von Bosch auf die Branche hatte. Außerdem wird Globalfoundries allein 2021 nochmal rund 400 Millionen Euro in den Ausbau seines Standortes in Dresden investieren.“
Jenoptik wird bis Ende 2022 in Dresden die Produktion von Zulieferprodukten für den Einsatz im Reinraum ausbauen und dazu in neue Kapazitäten investieren. Vodafone wird in Dresden ein neues 5G/6G-Mobilfunk-Entwicklungszentrum aufbauen und sucht dazu ebenfalls die Nähe zu den Halbleiterproduzenten im Silicon Saxony.