Patrick Leinenbach vor der neuen Halbleiterfab von Bosch in Dresden erkärt die Halbleiterstrategie von Bosch

Patrick Leinenbach (Geschäftsführer der Robert Bosch Semiconductor Manufacturing Dresden GmbH): „Wir haben jeden einzelnen Halbleiter jederzeit im Blick, weil jeder über eine individuelle Kennzeichnung verfügt.“ (Quelle: Bosch)

In Reutlingen fertigt Bosch seit 50 Jahren Halbleiter für den Automotive-Bereich, in der Fab in Dresden laufen die ersten Wafer durch. Welche Standorte gehören denn weltweit zum Fertigungsverbund?

Dr. Patrick Leinenbach: Wir fertigen bei Bosch im internationalen Halbleiter-Fertigungsverbund an insgesamt 23 Fertigungsstandorten in 13 Ländern. Dazu zählen sowohl interne Bosch-Werke als auch externe Foundry- und Assembly-Partner. Unser Know-how reicht vom Rohwafer bis zum vollständigen System – dementsprechend breit ist unsere Aufstellung. Mit dem Neubau in Dresden kommt neben Reutlingen ein zweites Frontend hinzu. Zum Backend zählen neben Reutlingen unsere Standorte Hatvan/Ungarn, Suzhou/China sowie künftig auch Penang/Malaysia. Diese internationale Ausrichtung bietet mehrere Vorteile: Jeder Standort hat seine spezifischen Kompetenzen und bringt diese in unser Fertigungsnetzwerk ein. Gleichzeitig sind wir mit unserem weltweiten Netzwerk da, wo unsere Kunden sind. Diese Kundennähe ist eine wichtige Voraussetzung, um frühzeitig auf sich ändernde Anforderungen der Kunden einzugehen – und um im Zukunftsmarkt Halbleiter nachhaltig zu wachsen.

Wie arbeitet das Halbleiter-Netzwerk von Bosch?

Dr. Patrick Leinenbach: Die Fertigung eines Halbleiters ist komplex: Sie umfasst mehrere Hundert Prozessschritte. Vom Start bis zum fertigen Produkt dauert es oft mehrere Monate. Umso wichtiger ist ein optimal aufgestelltes Fertigungsnetzwerk.

Wir haben jeden einzelnen Halbleiter jederzeit im Blick, weil jeder über eine individuelle Kennzeichnung verfügt.

Unser Semiconductor-Operations-Bereich, SCO, betreut deshalb den Fertigungsprozess über alle Stufen und Standorte weltweit – mit dem Blick für das große Ganze und für Synergien. Das bedeutet beispielsweise, dass wir die komplexe Logistik zentral steuern, dass wir weltweit ein einheitliches Qualitätsverständnis sichern und dass wir überall dieselben Prozesse und Standards anwenden. Mindestens genauso wichtig ist, dass wir innerhalb der SCO-Organisation sämtliche Daten im Fertigungsprozess bündeln. Ganz bildlich gesprochen: Wir haben jeden einzelnen Halbleiter jederzeit im Blick, weil jeder über eine individuelle Kennzeichnung verfügt.

Dr Patrick Leinenbach Bosch im Interview über die Halbleiterstrategie von Bosch
Dr. Patrick Leinenbach, Bosch: „Unser Semiconductor-Operations-Bereich, SCO, betreut den Fertigungsprozess über alle Stufen und Standorte weltweit – mit dem Blick für das große Ganze und für Synergien.“ (Quelle: Bosch)

Sind die Standorte also durchaus strategisch gewählt?

Dr. Patrick Leinenbach: Selbstverständlich! Reutlingen hat rund 50 Jahre Halbleiter-Erfahrung und ist das Herz unseres internationalen Verbunds. Von hier aus sind auch die Wege zu unseren europäischen Kunden sehr kurz. In Dresden haben wir eine Fab auf der grünen Wiese gebaut. Grüne Wiese ist allerdings relativ, weil die Fabrik mitten in einem der bedeutendsten Mikroelektronik- und IT-Cluster Europas steht – im Silicon Saxony. Wir sind hier in bester Gesellschaft: in unmittelbarer Nähe zu wichtigen Lieferanten, zu anderen Marktpartnern und auch zur TU Dresden. Wenn Sie nach Asien blicken, ist das ganz ähnlich. Auch hier haben wir unsere Standorte bewusst und unter strategischen Gesichtspunkten ausgewählt. Wir sind beispielsweise in Suzhou in der Nähe der Assembly-Partner und vor allem auch ganz nah bei unseren Kunden. Von diesem direkten Austausch profitieren wir enorm. Das Feedback der Kunden spiegeln wir über die SCO-Organisation unmittelbar zurück an unsere anderen Standorte.

Eindrücke aus dem neuen Halbleiterwerk von Bosch in Dresden

Seit Anfang 2021 laufen die Tests in einer der – laut Bosch – modernsten Waferfabriken der Welt. Das Video zeigt kurz vor der Öffnung Anfang Juni Impressionen aus dem Inneren.

Waren Fachkräfte auch einer der Gründe, mit der 300-mm-Fertigung nach Dresden zu gehen?

Dr. Patrick Leinenbach: Die Halbleiterei ist eine Branche mit Zukunft – und sowohl für Berufseinsteiger als auch für erfahrene Fachkräfte sehr attraktiv. In der Region Dresden ist in den vergangenen Jahren ein erstklassiges Hightech-Netzwerk entstanden, das hervorragende Arbeitsbedingungen und ganz unterschiedliche Blickwinkel auf die Halbleiter-Industrie bietet. Viele unserer Lieferanten sitzen hier, die Service-Struktur ist exzellent. Insofern ja, natürlich profitieren wir bei Bosch von diesem Umfeld. Es ist deutlich einfacher, in einem solchen Umfeld Fachkräfte für die hochkomplexen Aufgaben in der Halbleiterei zu finden. Dazu kommt: Unsere enge Zusammenarbeit mit der TU Dresden sichert nicht nur den Transfer von der Wissenschaft in die Praxis, sondern öffnet natürlich den Studierenden auch Türen, was die Wahl des künftigen Arbeitgebers betrifft.

Bei der Planung der Fab in Dresden kam auch ein digitaler Zwilling zum Einsatz. Können Sie das kurz erläutern?

Dr. Patrick Leinenbach: Ganz allgemein gesprochen helfen uns die Digitalen Zwillinge der Fab in Dresden dabei, alle Zusammenhänge unserer vernetzten Fabrik schnell zu erkennen. Entscheidend ist die Abbildung des Maschine-Material-Prozesses: Das heißt, wir bilden mit dem Digitalen Zwilling die Haupt-Fab mit den dort stehenden Equipments, den dort gefertigten Produkten und den Prozessflüssen ab, die wiederum die Produkte mit Equipments verbinden. Diese Transparenz ist ein enormer Vorteil für die Optimierung der Produktionsabläufe und der Qualität.

Jedes Rohr, jedes Kabel und jeder Schlauch besitzen ein digitales Pendant, ebenso jedes Ventil und andere Elemente im ganzen Werk.

Denn die Prozesse in der Halbleiterfertigung sind sehr komplex und beginnen schon in der sogenannten SubFab, eine Art zweiter Fabrik, die unterhalb der Reinraumebene liegt. Sie versorgt die Produktion mit Spezialgasen, Luft und Strom. Deshalb verlaufen hier kilometerweise Rohre, Kabel und Schläuche. Jedes Rohr, jedes Kabel und jeder Schlauch besitzen ein digitales Pendant, ebenso jedes Ventil und andere Elemente im ganzen Werk. Das gesamte Gebäude ist detailgenau in einem 3D-Modell abgebildet. Dieses wird um zusätzliche Informationen, zum Beispiel Verbrauchsdaten, ergänzt und ergibt so einen Digitalen Zwilling – also eine virtuelle Abbildung des Werks und aller seiner Prozesse. Das bietet Vorteile, wenn wir Optimierungen oder Umbauarbeiten vorab virtuell simulieren können, ohne in die laufende Fertigung eingreifen zu müssen.

Zwei Menschen mit Tablets betrachten per Augmented Reality das Innenleben der Bosch-Fab in Dresden - digitale Zwillinge sind ein wesentlicher Aspekt im Rahmen der Halbleiterstrategie von Bosch
Dr. Patrick Leinenbach über die Halbleiterfertigung von Bosch in Dresden: „Wir bilden mit dem Digitalen Zwilling die Haupt-Fab mit den dort stehenden Equipments, den dort gefertigten Produkten und den Prozessflüssen ab, die wiederum die Produkte mit Equipments verbinden. Diese Transparenz ist ein enormer Vorteil für die Optimierung der Produktionsabläufe und der Qualität.“ (Im Bild der Einsatz von Augmented Reality; Quelle: Bosch)

Fabrikautomatisierung wird in Dresden großgeschrieben. Wie sieht die Arbeit im Reinraum dann konkret aus, und was unterschiedet Dresden zum Beispiel vom Werk in Reutlingen?

Dr. Patrick Leinenbach: In Reutlingen arbeiten wir teilautomatisiert in der MEMS-Fertigung, bei ASICs sowie bei den Leistungshalbleitern im Hochvolt- und Niedervoltbereich. Das bedeutet beispielsweise, dass wir automatisch gesteuerte Schienensysteme an der Decke installiert haben. Auch Handling-Roboter, die unsere Maschinen mit Material versorgen, kommen zum Einsatz. Außerdem hat Reutlingen eine mehr als 50-jährige Expertise im Automotive-Bereich.

Die hier gesammelten Erfahrungen haben uns beim Bau und Hochlauf der Fab in Dresden sehr geholfen: Dort führen wir die langjährige Fertigungserfahrung mit neuen State-of-the-Art-Fertigungslinien zusammen. Von diesem technologischen und infrastrukturellen Know-how, das wir in Dresden aufbauen, profitieren dann in der Folge wiederum die anderen Werke.

In Dresden erfolgt die Fertigung für ASICs und Niedervolt-Leistungshalbleiter vollautomatisiert – rund um die Uhr und sieben Tage die Woche. Jedes einzelne ASIC aus Reutlingen und Dresden verfügt über eine individuelle Kennzeichnung in seinem Datensatz. Wir können also auch nach Jahren noch exakt nachvollziehen, wann es auf welcher Maschine mit welchem Ergebnis prozessiert oder getestet wurde. So erkennen wir auch über Standorte hinweg Zusammenhänge zwischen einzelnen Fertigungsschritten, beispielsweise beim Vormessen am Ende der Waferproduktion und dem Endmessen der fertigen Komponente. Diese Datenschätze bergen ein riesiges Potenzial, um unsere Produkte und Prozesse auch Supply-Chain-übergreifend noch weiter zu optimieren.

Dr. Patrick Leinenbach

Die Halbleiterstrategie von Bosch erklärt Dr Patrick Leinenbach VP Bei Bosch und Werkleiter des Halbleiterwerks Reutlingen und Geschäftsführer der Robert Bosch Semiconductor Manufacturing Dresden GmbH
(Quelle: Bosch)

Dr. Patrick Leinenbach ist Senior Vice President Automotive Electronics sowie darüber hinaus auch Werkleiter des Halbleiterwerks Reutlingen und einer der beiden Geschäftsführer der Robert Bosch Semiconductor Manufacturing Dresden GmbH. Er ist zudem Leiter des Halbleiter-Fertigungsverbunds bei Bosch.

Wie wird sich das Thema Prozessoptimierung weiterentwickeln?

Dr. Patrick Leinenbach: Bei der Produktion von Halbleitern entstehen täglich Millionen unterschiedlicher Daten. Wenn Sie sich eine Fab wie in Dresden vorstellen, dann sprechen wir von Produktionsdaten im Umfang von umgerechnet 500 Textseiten pro Sekunde. Das wären im Vergleich an einem Tag mehr als 42 Millionen beschriebene Blatt Papier mit einem Gewicht von 22 Tonnen. Durch unsere SCO-Organisation sind alle Standorte vernetzt, die Daten an zentraler Stelle verfügbar. KI unterstützt uns, die riesigen Datenmengen auszuwerten. Bei der Optimierung des Fertigungsprozesses profitieren wir in Dresden auch davon, dass die gesamte Fabrik und sämtliche Prozesse als Digitaler Zwilling vorliegen. Auf diese Weise können wir Optimierungen und Umbauarbeiten virtuell simulieren, ohne in die laufenden Prozesse der realen Welt eingreifen zu müssen. Wir setzen also mithilfe von Digitalisierung, Datenanalyse und Künstlicher Intelligenz neue Standards, verkürzen Prozesszeiten und können so an all unseren Standorten schnell attraktive, wettbewerbsfähige Produkte mit dauerhaft hoher Qualität anbieten.

Ein Operator in der Bosch-Halbleiterfab in Dresden prüft Prozessdaten die Bosch mit Hilfe von Kuenstlicher Intelligenz ermittelt, was ein wesentlicher Teil der Halbleiterstrategie von Bosch ist: Frontend und Backend inhouse
Dr. Patrick Leinenbach, Bosch, über die Halbleiterfertigung von Bosch in Dresden: „Wir setzen also mithilfe von Digitalisierung, Datenanalyse und Künstlicher Intelligenz neue Standards, verkürzen Prozesszeiten und können so an all unseren Standorten schnell attraktive, wettbewerbsfähige Produkte mit dauerhaft hoher Qualität anbieten.“ (Quelle: Bosch)

In Reutlingen haben Sie ein 5G-Testnetz für die Fertigung aufgebaut. Welche Projekte verfolgen Sie hier ganz konkret?

Dr. Patrick Leinenbach: Das Reutlinger Halbleiterwerk ist Teil des EU-Forschungsprojekts 5G-SMART, an dem neben Bosch in Reutlingen beispielsweise auch das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT beteiligt ist. Dass ausgerechnet die Halbleiterfertigung zur 5G-Testumgebung wurde, kommt nicht von ungefähr: Sie zählt zu den Vorreitern einer vernetzten Produktion; außerdem sind die Produktionsbedingungen im Reinraum herausfordernd: Die empfindlichen Komponenten reagieren hochsensibel auf äußere Einflüsse, das Wegenetz zwischen den Anlagen ist engmaschig.

Die Halbleiter zählen zu den Vorreitern einer vernetzten Produktion

In Reutlingen können wir nun 5G unter Real- und Idealbedingungen testen. Daten können zwischen Maschinen ausgetauscht oder in der Cloud gespeichert werden. Wo vorher umfangreiche Verkabelungen notwendig waren, nutzen wir in der Testumgebung ein Hochleistungsnetz mit einer Zuverlässigkeit von fast 100 Prozent. Wir testen hier beispielsweise, wie wir intelligente Handling-Roboter einsetzen können oder wie wir die Vielzahl an Daten nutzen können, um im Sinne von Predictive Maintenance zum optimalen Zeitpunkt Maschinen zu warten und sie so optimal auszulasten sowie teure, ungeplante Ausfälle zu verhindern. Alles, was wir in Reutlingen erproben, können wir unmittelbar für Dresden nutzen: Die neue Fab in Sachsen ist 5G-ready.

150-mm-SiC-Wafer von Bosch in der Fab
Dr. Patrick Leinenbach, Bosch: „Den Übergang auf 200-Millimeter-SiC-Wafer haben wir fest im Blick, die Vorbereitungen hierzu laufen bereits.“ (Quelle: Bosch)

Wie sehen Sie die Zukunft von SiC für Bosch?

Dr. Patrick Leinenbach: Wir erwarten, dass die Nachfrage nach Siliziumkarbid (SiC) steigen wird – trotz der im Vergleich zu Silizium höheren Anschaffungskosten. Das Potenzial ist groß, dass sich die höheren Anschaffungskosten sehr schnell amortisieren, vor allem durch einen höheren Wirkungsgrad und eine Verkleinerung der passiven Komponenten. Langfristig erwarten wir eine Senkung der Preise für SiC-Produkte. Im Reutlinger Werk erweitern wir unsere Kapazitäten, um den steigenden Bedarf an SiC-Lösungen zu erfüllen. Dazu gehört auch, dass wir individuelle Kundenwünsche bereits bei der Bauteileauslegung berücksichtigen. Bereits seit 2010 fertigen wir am Standort Reutlingen unsere 200-Millimeter-Wafer sehr erfolgreich. Den Übergang auf 200-Millimeter-SiC-Wafer haben wir fest im Blick, die Vorbereitungen hierzu laufen bereits.

Stichpunkt Siliziumkarbid: Die Herstellung läuft in Reutlingen. Bosch setzt dabei auf 750-V- und 1200-V-Bausteine. Warum gehen Sie gleich auf 750 V anstatt auf die üblichen 650 V?

Dr. Patrick Leinenbach: Mit Siliziumkarbid-Komponenten erreichen wir im Vergleich zu IGBTs wesentlich schnellere Schaltflanken – allerdings führen diese zu Überspannungen. Um hier unseren Kunden die nötige Sicherheit und Designfreiheit zu bieten, haben wir die MOSFETs auf eine höhere Spannungsfestigkeit ausgelegt. So bieten wir Lösungen für die aktuellen und kommenden Leistungsklassen in der E-Mobilität.

Welche Trends sehen Sie bei der MEMS-Sensorik, sowohl im Automotive- als auch im Consumer-Sektor – und können beide Bereiche voneinander lernen und profitieren?

Dr. Patrick Leinenbach: Im Segment Consumer-Elektronik sind aus unserer Sicht vor allem die Entwicklungen im Bereich MEMS-basierter Laserprojektoren für Augmented-Reality- beziehungsweise Smartglasses-Systeme interessant: Hier werden in den kommenden Jahren völlig neue AR-Anwendungen mit einer normalen Brille möglich sein.

Eine weitere, sehr spannende Entwicklung in der MEMS-Technologie sehen wir in der Erweiterung von MEMS-Sensorlösungen mit Künstlicher Intelligenz, die im Sensor – also direkt auf dem Chip – integriert ist. Durch den Einsatz von Algorithmen, die maschinelles Lernen ermöglichen, erschließen sich auch hier komplett neue Anwendungsfelder auf Basis bestehender MEMS-Technologien. Inertiale Bewegungssensoren erkennen nicht nur vorab im Algorithmus hinterlegte Bewegungsmuster, sondern auch neue Bewegungsmuster im Betrieb: Sie lernen durch den Endnutzer hinzu.

Immer mehr Innovationen aus der Consumer-Elektronik finden Einzug ins Automobil.

Im Automotive-Segment treiben autonomes Fahren und immer neue Assistenzfunktionen die Sensorik voran. Hochpräzise Inertialsensoren ermöglichen es zum Beispiel, auch bei einem Nothalt das Fahrzeug sicher auf der Standspur zum Halten zu bringen.

Unsere Fertigung erfüllt die hohen Anforderungen des Automotive-Bereichs; daher können wir diese Qualität auch für die Fertigung von Consumer-Chips anwenden. Gleichzeitig stellen wir fest, dass immer mehr Innovationen aus der Consumer-Elektronik Einzug ins Automobil finden. Im Consumer-Bereich erleben wir stetig neue Technologien, wie den Edge-AI-Sensor, der künftig auch in Fahrzeugen Anwendung finden könnte.

Winziger MEMS-Sensor in der Bosch-Fab in Reutlingen; MEMS-Sensoren sind ein wesentlicher Teil der Halbleiterstrategie von Bosch
Dr. Patrick Leinenbach, Bosch: „Eine weitere, sehr spannende Entwicklung in der MEMS-Technologie sehen wir in der Erweiterung von MEMS-Sensorlösungen mit Künstlicher Intelligenz, die im Sensor – also direkt auf dem Chip – integriert ist.“ (Im Foto ein MEMS-Sensor; Quelle: Bosch)

Wer an Bosch und Halbleiterherstellung sowie besonders an MEMS denkt, stolpert unausweichlich über den Bosch-Prozess. Woher kam der Prozess, und wie sieht er heute aus?

Dr. Patrick Leinenbach: Der Bosch-Prozess hat die Fertigung vom MEMS-Sensoren revolutioniert. Das können wir heute, rund ein Vierteljahrhundert nach der Patentanmeldung von Andrea Urban und Franz Lärmer im Jahr 1994, ohne Zweifel sagen. Ihr Patent beschreibt das anisotrope Ätzen von Silizium. Urban und Lärmer suchten damals nach einem kostengünstigeren Verfahren, um Sensoren aus Silizium zu fertigen. Sie erfanden den Trenchprozess: In jedem Zyklus wird zunächst mittels eines SF6-Plasmas Silizium geätzt. Anschließend wird ein C4F8-Plasma verwendet, um die Wände mit einer Polymerschicht zu belegen. Diese Polymerschicht muss anschließend zu Beginn des nächsten Zyklus mittels Ionenbeschuss am Boden des Trenches wieder entfernt werden. Die Seitenwände bleiben dabei intakt. Mit jedem Zyklus schreitet so die Ätzung nach unten fort. Durch die alternierende Prozessführung entstehen die beim Trenchen typischen Rillen an den Seitenwänden.

Mit diesem Verfahren war es plötzlich möglich, Sensoren kostengünstig, in hoher Stückzahl und für sehr viele unterschiedliche Anwendungen zu fertigen. Sie kamen zunächst in Airbags zum Einsatz. Heute werden nahezu alle MEMS-Sensoren weltweit mithilfe des Bosch-Prozesses hergestellt. Die winzigen Sensoren nehmen mechanische Signale auf und wandeln sie in elektrische Informationen um. Sie sind unverzichtbar in Fahrzeugen und einer Vielzahl von elektronischen Geräten: Diese sorgen beispielsweise dafür, dass Smartphones ihr Bild passend für den Betrachter ausrichten. Was nach der Patentanmeldung folgte, war eine Erfolgsgeschichte, die Andrea Urban und Franz Lärmer selbst vermutlich so nicht vorausgesagt hätten. Für ihre revolutionäre Erfindung wurden beide mehrfach ausgezeichnet. Was die beiden für Bosch geleistet haben, ist deshalb nicht hoch genug einzuschätzen.

Die Halbleiternachfrage ist enorm, und neue Technologien wie autonomes Fahren und Elektromobilität heizen diese weiter an. Spüren Sie den Druck auch, und wie reagiert Bosch darauf?

Dr. Patrick Leinenbach: Der Halbleitermarkt ist für Bosch ein Markt mit großem Wachstumspotenzial. Wir haben in den vergangenen Jahren massiv investiert – in die neue Wafer-Fab in Dresden genauso wie in Penang/Malaysia, als neues Testcenter für Halbleiter aus Dresden. Auch in Reutlingen haben wir unsere Kapazitäten in bestehenden Gebäuden noch einmal erweitert.

Mit unseren Lösungen bearbeiten wir Zukunftsfelder: Dazu zählen beispielsweise anwendungsspezifische integrierte Schaltungen – unter anderem für autonomes Fahren oder für IoT-Anwendungen. In Reutlingen entstehen MEMS für viele unterschiedliche Anwendungen. Unsere Siliziumkarbid-Lösungen eignen sich hervorragend für Anwendungen in der E-Mobilität. Unser internationaler Fertigungsverbund ist auf Skalierbarkeit ausgelegt; so sind wir in der Lage, uns jederzeit flexibel auf eine veränderte Nachfrage und aktuelle Anforderungen des Marktes einzustellen.

 

Jeder redet aktuell von Digitalisierung und Big Data, welche Rolle spielt Digitalisierung bei Ihnen?

Dr. Patrick Leinenbach: Digitalisierung unterstützt uns in nahezu allen Arbeitsfeldern: auf Ebene der einzelnen Fabrik, über die gesamte Supply Chain hinweg, sowie in den unterstützenden Prozessen. Sie leistet also einen enorm wichtigen Beitrag, die Komplexität der Halbleiterfertigung beherrschbar zu machen. Wie groß das Potenzial einer konsequenten Digitalisierung ist, wird deutlich, wenn man sich einmal einige Zahlen der Halbleiterfertigung vergegenwärtigt.

In Dresden beispielsweise erfolgt der Materialtransport vollautomatisch. Komplexe Systeme können wir dank Digitalisierung in Echtzeit steuern. Verfahren wie die Automatische Optische Inspektion helfen uns, die Qualität zu verbessern und bisher unbekannte Fehlermechanismen zu identifizieren. Überhaupt trägt KI dazu bei, versteckte Zusammenhänge zu erkennen und unsere Prozesse noch besser zu verstehen. Auffälligkeiten im Fertigungsablauf werden frühzeitig erkannt – und können behoben werden. Hier zeigt sich auch, wann Digitalisierung ihr volles Potenzial entfaltet: nämlich im Zusammenspiel mit den Menschen bei Bosch. Sie bringen jahrelange Erfahrungen ein. Sie sind diejenigen, die die Daten sichten, bewerten und nutzbar machen, um unsere Prozesse in der Folge noch robuster und kostengünstiger auszulegen. (av)

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