Winding road curves through autumn foliage trees in New England

Die Interaktion zwischen Spurhalteassistent und Fahrer konnte bisher nur im direkten Fahrversuch untersucht werden. Nun gibt es auch eine Simulationslösung, die die Vorarbeiten deutlich beschleunigt. (Bild: leekris.adobe.com)

Spurhalteassistenten versprechen nicht nur eine erhöhte Fahrsicherheit, sondern auch eine tiefgreifende Veränderung der Interaktion zwischen Fahrzeug und Fahrer. Der Spurhalteassistent verhindert, dass das Fahrzeug ungewollt die Spur verlässt. Sobald das System bemerkt, dass das Fahrzeug aus der Spur läuft und der Fahrer keine entsprechenden Indikatoren dafür gesetzt hat, wie zum Beispiel das Betätigen des Blinkers, dann wird diese Funktion automatisiert gegenlenken, um das Verlassen der Spur zu verhindern, das Fahrzeug wieder in der Spur ausrichten und dann die Interaktion beenden. Die Akzeptanz dieser Technologie hängt in starkem Maße davon ab, wie der Assistent in das Fahrmanöver eingreift. Hilft er dem Fahrer oder – im Extremfall – verunsichert er den Fahrer? Obwohl die Entwicklung immer mehr auf CAE gestützte Simulation setzt, konnte diese Fahrer-Assistent-Interaktion bisher nur im Fahrversuch bewertet werden. Um die Lücke zwischen Offline-Simulation und Versuch zu schließen, kommt bei Ford in Köln ein statischer Fahrsimulator der Firma VI-grade zum Einsatz.

Balance zwischen Assistenz und Eigenverantwortung bei Assistenzsystemen

Während Spurhaltesysteme einen wichtigen Fortschritt in der Fahrsicherheit darstellen, stehen Ingenieure und Hersteller vor der Herausforderung, die Systeme in jeder erdenklichen Situation so präzise und zuverlässig wie möglich zu gestalten. Die Systeme müssen in der Lage sein, nicht nur gut sichtbare Fahrbahnmarkierungen zu erkennen, sondern auch unter schwierigen Wetterbedingungen wie Regen, Schnee oder Nebel zu funktionieren. Darüber hinaus muss der Spurhalteassistent neben der Geradeausfahrt auch beliebige Kurven mit Eingangs-, Ausgangs- und Übergangsszenarien unterstützen (Bild 1).

Bild 1: Spurhaltesysteme extrahieren Fahrspurdaten aus den erkannten Informationen der Windschutzscheibenkamera.
Bild 1: Spurhaltesysteme extrahieren Fahrspurdaten aus den erkannten Informationen der Windschutzscheibenkamera. (Bild: Ford Motor Company)

Eine weitere Herausforderung ist die Interaktion zwischen dem Spurhaltesystem und dem menschlichen Fahrer. Die Reaktionen, Erwartungen und Wahrnehmungen von Fahrern gegenüber Assistenzsystemen können stark variieren, von uneingeschränktem Vertrauen bis hin zur Vernachlässigung der Verantwortung. Daher ist es entscheidend, die Fahrer in den Entwicklungsprozess einzubeziehen, um einen entsprechenden Fahrkomfort zu erzielen und die Interaktionsschnittstellen so zu gestalten, dass sie die Bedürfnisse und Erwartungen der Fahrer angemessen berücksichtigen. Es ist wichtig, dass das System den Fahrer nicht übermäßig bevormundet, sondern vielmehr als unterstützende Funktion agiert. Die Schwierigkeit besteht darin, die richtige Balance zwischen Assistenz und Eigenverantwortung des Fahrers zu finden.

Die eigentliche Funktionsentwicklung der Fahrassistenten erfolgt dabei mittels Offline-Simulationen. Anschließend werden die Parameter der Regelalgorithmen in aufwendigen Fahrversuchen so angepasst (kalibriert), dass der Assistent das gewünschte Fahrerlebnis gewährleistet.

Insbesondere die Bewertung der Interaktion mit dem Fahrer ist in dieser traditionellen Herangehensweise erst im Fahrversuch gegeben und kann so zu kostspieligen Korrekturen im späten Entwicklungsstadium eines Fahrzeuges führen. Weil die Prüfgelände nur eine begrenzte Auswahl an Strecken bieten, können manche Szenarien erst nach vollständiger Straßenfreigabe der Prototypen erprobt werden (Bild 2).

Bild 2: Nach der Funktionsentwicklung und Software-Codierung stehen die Kalibrierung und entsprechende Tests auf dem Entwicklungsfahrplan.
Bild 2: Nach der Funktionsentwicklung und Software-Codierung stehen die Kalibrierung und entsprechende Tests auf dem Entwicklungsfahrplan. (Bild: Ford Motor Company)

Der Simulator als Bindeglied

Ford hat sich zum Ziel gesetzt, die aufwendigen Fahrversuche zu reduzieren, indem bereits im frühen Entwicklungsstadium eine Vor-Kalibrierung auf einem Fahrsimulator erfolgt, sodass im Fahrversuch nur noch Feinabstimmungen erforderlich sind. Dafür hat die Abteilung Chassis Steering Controls bei Ford in Köln den bestehenden Entwicklungsablauf um einen Fahrsimulator von VI-grade erweitert, der die Lücke zwischen Offline-Simulation und Versuch schließen soll.

Die Abteilung Chassis Steering Controls widmet sich bei der Fahrzeugentwicklung unter anderem der Feinabstimmung. Bevor die finalen Prototypen gebaut sind, erhält die Abteilung ein Fahrzeugmodell, das dem Baumuster entspricht und die fahrdynamische Abstimmung aus der ersten Prototypenphase enthält. Das mechanisch validierte Lenkungsmodell, vom Zulieferer mit produktionsnaher Software versehen, ist ebenfalls aus der ersten Prototypenphase auf korrekte Unterstützung vorkalibriert. Die Algorithmen zum Spurhalten werden von Ford entwickelt und über definierte Schnittstellen der EPS-Unterstützung überlagert.

Damit verfügt die Abteilung über einen virtuellen Prototyp, der dazu genutzt wird, die Funktionen des Spurhalteassistenten weiter zu verfeinern, um später in der Prototypenphase mit den teuren Fahrzeugen wertvolle Zeit zu sparen. Dieser entspricht im Allgemeinen den in der Offline-Simulation genutzten Modellen, nur der automatisierte Fahrer wird durch den Menschen ersetzt. Der Fahrsimulator stimuliert die Sinne, um die Situation so realistisch wie möglich darzustellen und die haptische und sensorische Bewertung zu erlauben.

Dabei sind die eigentlichen Steuerungsalgorithmen bereits fertig entwickelt, das primäre Ziel ist vielmehr die Ermittlung der benötigten Verstärkungsfaktoren. Das Fahrzeug nähert sich zum Beispiel mit einer gewissen Quergeschwindigkeit einer Spurmarkierung – wie viel Lenkmoment muss die Funktion aufbringen, um das Fahrzeug in einer sinnvollen und für den Fahrer angenehmen Weise wieder auszurichten? Dabei spielen auch Euro NCAP Parameter eine Rolle, wie beispielsweise die Frage, wie weit der Reifen die Linie bei einer bestimmten Quergeschwindigkeit überfahren darf. Aber auch das subjektive Empfinden des Fahrers spielt eine Rolle - wie intrusiv lenkt die Funktion? Das führt meist zu einem Interessenkonflikt zwischen den vorgegebenen Sicherheitsparametern und der Wahrnehmung des Fahrers. Die Aufgabe besteht daher in der Bestimmung der optimalen Betriebsparameter und der Basisanpassung für das jeweilige Fahrzeug. Es gibt zwar Erfahrungen aus Vorgänger-Baureihen, aber jedes Fahrzeug ist anders und der Simulator hilft an dieser Stelle, sich der finalen Abstimmung anzunähern und damit in der anschließenden Prototypenphase Zeit zu sparen (Bild 3).

Bild 3: Der Simulator bei Ford Köln, ein Static Simulator des Unternehmens VI-grade, kommt an der Schnittstelle zwischen Offline-Simulation und realem Prototypentest zum Einsatz. Das Kalibrierungsinterface ist dabei identisch zu der im Fahrversuch verwendeten Maske und erhöht so die Akzeptanz des Benutzers.
Bild 3: Der Simulator bei Ford Köln, ein Static Simulator des Unternehmens VI-grade, kommt an der Schnittstelle zwischen Offline-Simulation und realem Prototypentest zum Einsatz. Das Kalibrierungsinterface ist dabei identisch zu der im Fahrversuch verwendeten Maske und erhöht so die Akzeptanz des Benutzers. (Bild: VI-grade)

Dabei liegen die Vorteile des Simulatoreinsatzes auf der Hand: der Simulator kann den aktuellen Entwicklungsstand der Komponenten abbilden, da die Teilmodelle sowohl als Software-in-the-Loop als auch als Hardware-in-the-Loop Lösung integriert sind und bei Bedarf schnell gewechselt werden können. Dadurch ist es möglich, unabhängig vom Entwicklungsstand der Komponenten, immer die aktuelle Version im Simulator einzusetzen und so näher am realen Fahrzeug zu sein.

Herausforderung Setup und Implementierung

Die Herausforderung bei der Implementierung des VI-grade Simulators in die bestehenden Entwicklungsabläufe lag insbesondere bei den Schnittstellen und Datenformaten. So wurde im ersten Projekt, der Pilotphase des Simulatoreinsatzes, viel Aufwand in die Anpassung an die Ford-spezifische Entwicklungslandschaft investiert. Die Abteilung Chassis Steering Controls profitiert dabei von vorhandenen, validierten Simulationsmodellen aus dem Ford-Umfeld in Bezug auf das Gesamtfahrzeug sowie von Teilmodellen wie z. B. die Lenkung des Zulieferers. Darüber hinaus wurden die Schnittstellen zum Simulator dahingehend angepasst, dass die verwendete Kalibriersoftware mit ihren spezifischen Kalibrierungslayouts zwischen Simulator und realem Fahrzeug zu 100 Prozent kompatibel ist. Die Parametersätze können sowohl im Simulator als auch im Fahrzeug verändert, gespeichert und gelesen werden. Dies ist nicht nur eine erhebliche Erleichterung im Arbeitsablauf, es reduziert darüber hinaus die Fehleranfälligkeit und erhöht die Akzeptanz des Werkzeugs bei den Entwicklern.

Herausforderung Teststrecke

Die Herausforderung im physikalischen Versuch liegt in der Verfügbarkeit einer geeigneten Teststrecke. Das System muss nicht nur auf einer geraden Autobahn arbeiten, sondern es muss auch auf Kurven mit beliebigen Radien, sich ändernden Radien und Kurvenübergängen abgestimmt sein. Zusätzlich bilden unterschiedliche Spurbreiten und Straßenneigungen unzählige Situationen. Da die bestehenden Teststrecken allerdings nur eine endliche Anzahl an Fahrsituationen und Streckenführungen abbilden, kann der Fahrversuch auch nur eine begrenzte Anzahl an Variationen abdecken, und genau da spielt der Simulator seine Vorteile aus.

Für den Fahrsimulator werden Strecken, mit genau den Parametern wie der Testfahrer sie gerade wünscht, automatisiert über Skripte erstellt. Der Ingenieur gibt einen Radius, eine Länge der Kurve, den Übergang der Kurve, eine Spurbreite und die Querneigung vor. Anschließend wird die entsprechende Straße mit den gewählten Parametern für den Simulator generiert (Bild 4).

 

Bild 4: Die Freigabe von in der Entwicklung befindlichen Lenksystemen für öffentliche Straßen und die Reisezeit zu bestimmten Testorten erschweren bisher eine umfassende Validierung.
Bild 4: Die Freigabe von in der Entwicklung befindlichen Lenksystemen für öffentliche Straßen und die Reisezeit zu bestimmten Testorten erschweren bisher eine umfassende Validierung. (Bild: Ford Motor Company)

Mehr Nachhaltigkeit durch weniger Prototypen: Das können die Fahrsimulatoren von VI-grade.

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil des Simulators liegt darin, dass der Fahrer nach dem Durchfahren seiner gewünschten Kurve nicht die gesamte Runde zu Ende fahren muss, um die gleiche Kurve ein zweites Mal, diesmal mit anderen Parametern für das Spurhaltesystem, zu testen. Er kann sich eine Strecke generieren, bei der beliebig viele Kurven direkt aufeinander folgen und er kann nach jeder dieser Kurven pausieren, die Parameter ändern und die Testfahrt fortsetzen – er hat somit in viel schnellerer Abfolge die Möglichkeit, diese eine Situation zu bewerten und die Parameter entsprechend optimal einzustellen.

Zusammenfassung

Vor dem Einsatz des Simulators bot der Fahrversuch die einzige Möglichkeit herauszufinden, wie sich das Fahrzeug oder die spezielle Funktion „anfühlt“. Durch Erfahrungen aus Vorgängermodellen wurde versucht, die Parameter schon möglichst nahe am Ziel einzustellen und so die Tests mit den neuen Prototypen vorzubereiten. Diese Vorarbeit kann jetzt im Simulator erheblich detaillierter erfolgen. Dadurch kann die Vorkalibrierung früher, schneller und genauer stattfinden und es kann ein deutlich größeres Anwendungsspektrum untersucht werden. Die aus dem Simulator gewonnenen Erkenntnisse über subjektives Empfinden des Fahrers können darüber hinaus wiederum in Richtung der Offline-Simulation zurückgegeben werden, was natürlich die günstigste Möglichkeit der Vorbereitung ist.

Der VI-grade Fahrsimulator stellt bei Ford erfolgreich das Bindeglied zwischen Offline-Simulation und Versuch dar. Mit dem Simulator als Schnittstelle werden die Entwicklungszeiten komprimiert, und die Ingenieure können sehr früh mehr Aspekte in Betracht ziehen und schneller die besten Parametereinstellungen für die haptische Wahrnehmung bestimmen. Die Versuche, die dann wirklich mit den realen physikalischen Prototypen durchgeführt werden, sind dadurch qualitativ auf einem deutlich höheren Level. (na)

Jens Dornhege, Ford
(Bild: Ford Motor Company)

Jens Dornhege

Technical Expert, Chassis Steering Controls, bei Ford

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