Sie werden bis zu fünfmal geschliffen, 26-mal belichtet und 27-mal auf bis zu 1.100 Grad Celsius erhitzt: Die Transformation eines Roh-Wafers zu einem Wafer voller Halbleiter ist ein hochkomplexes Verfahren. Halbleiter machen Elektroantriebe intelligent und Autos smart. Mit der Zunahme automatisierter Fahrfunktionen müssen Autos zudem immer komplexere Entscheidungen treffen. Der Bedarf an und die Bedeutung von Mikrochips wird daher in den kommenden Jahren enorm wachsen. Die Eröffnung des neuen Bosch Produktionsstandorts für Halbleiter in Dresden kommt also genau zur richtigen Zeit und wird dazu beitragen, die angespannte Liefersituation zu entspannen. Nach einer Bauzeit von knapp zweieinhalb Jahren befindet sich das Werk momentan in der Anlaufphase. Eine sehr spannende und auch entscheidende Phase: Erste Halbleiter-Wafer haben die vollautomatisierte Fertigung bereits erfolgreich durchlaufen – ein wichtiger Meilenstein für den Start der Serienproduktion.
Wie Prozessgleichheit erneuten Freigaben von Automobilherstellern überflüssig macht
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der neuen Chip-Fabrik in Dresden wird dabei ein reibungsloser und schneller Anlauf der Serienproduktion sein. Dazu gehören auch die unterschiedlichen Erprobungs- und Lieferfreigabe-Prozesse der Kunden. Eine Transferstrategie bei der Verlagerung der bisher auf Wafern mit einem Durchmesser von 200 Millimetern gefertigten Produkte soll diese zeitraubenden Freigaben nicht nur stark verkürzen, sie soll eine erneute Erprobung durch den Kunden gänzlich unnötig machen. Warum? Weil Bosch für seine Kunden Prozessgleichheit innerhalb der einzelnen Produktgruppen sicherstellen kann – ganz gleich, ob die Bauelemente im neuen Werk in Dresden oder am Standort in Reutlingen bei Stuttgart gefertigt werden.
Bosch füttert seinen neuen Standort Dresden mit Erfahrung und Daten
Die ersten Chips aus dem neuen Werk werden Leistungshalbleiter für Bosch-Steuergeräte sein. Diese Leistungs-Chips und die damit bestückten Steuergeräte sind millionenfach im Feld und verrichten dort zuverlässig ihre Arbeit. Genauer: In den mehr als einer Milliarde bereits gefertigten Bauelementen stecken jahrelange Fertigungserfahrung am Halbleiter-Standort Reutlingen. Prüftore und Qualitätsmanagement-Prozesse wie In-Circuit-Tests oder End-of-Line-Tests haben sich millionenfach bewährt und sind über die Zeit kontinuierlich optimiert worden. Das hat zu einer hervorragenden Qualitätssituation geführt.
Es sind genau diese etablierten Produkte mit unverändertem Design, die in der Dresdner Chip-Fabrik als Erstes gefertigt werden. Das heißt, Fertigungserfahrung mit erprobten Prozessen und optimierten Prozessgrenzen treffen auf neue State-of-the-Art-Fertigungslinien. Diese Transferstrategie in Kombination mit hochmoderner Datenanalyse sichert die Beibehaltung der hohen Qualität ab.
360°-Rundgang durch Boschs Waferfab in Dresden
KI trifft etablierte Wertströme in der Halbleiterfertigung
Der Produktwechsel von 200-Millimeter-Wafern, wie sie am Standort Reutlingen zum Einsatz kommen, auf die 300-Millimeter-Fertigungstechnologie in Dresden verläuft dank dieser Transferstrategie ganz reibungslos. Doch nicht nur deswegen. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist ein Bosch-eigener KI-Ansatz in den Bereichen Defect-Engineering und Signatur-Erkennung – beides wesentliche Kontrollinstrumente der Halbleiterfertigung. Beim Defect-Engineering wird jeder Wafer entlang des Wertstroms viele Male auf eventuell eingeschlossene Partikel, Kratzer oder Medienrückstände hin untersucht. Bei der Signatur-Erkennung wird nach wiederkehrenden Mustern auf dem Wafer, sogenannten Defektsignaturen, gesucht. Grund dafür können etwa Abweichungen an den eingesetzten Maschinen oder an spezifischen Prozessen sein. Eine rasche Identifikation solcher Signaturen oder Defekte hilft, die Ursache zu erkennen und abzustellen. Mittels KI lassen sich solche Signaturen hochakkurat und sehr schnell erkennen.
Dank dieses Ansatzes ist es möglich, Fehlerursachen bereits in wenigen Stunden zu identifizieren – und nicht erst nach Wochen. Die Folge: eine frühere Prozessstabilität und damit früher eine hohe Qualität. Besonders beim Ramp-up einer neuen Halbleiterfertigung wie am Standort Dresden helfen KI-gestütztes Defect-Engineering und die Signatur-Erkennung enorm. Ergänzt wird dieses Vorgehen durch einen detaillierten Abgleich der Produktionsstandorte auf Basis des Process Control Monitorings (PCM) und des Electrical Wafer Sort (EWS). Mit dieser KI-gestützten Transfer-Strategie kann Bosch sicherstellen, dass Komponenten aus der Chipfabrik in Dresden von Anfang an Gut-Teile in höchster Qualität und Funktionalität sind. Genau dieser Umstand macht eine erneute Erprobung der nach Dresden verlagerten Bauelemente im Steuergerät unnötig.
Bosch wird mit derselben Transferlogik weitere Halbleiterprodukte in das neue Werk überführen und im nächsten Schritt dort auch Boschs System-ICs, das sind integrierte Schaltungen in Mixed-Signal-Prozessen, fertigen.
Da geht noch mehr: vorwärtsorientierte Prozessregelung dank AIoT
Es sind die Themenbereiche Industrie 4.0, IoT (Internet of Things) und KI (Englisch: AI, Artificial Intelligence) in Entwicklung und Fertigung, die den Takt vorgeben. Sind erst einmal alle Einzelschritte des Fertigungsablaufs unter Kontrolle, besteht künftig bereits in frühen Phasen der Produktion die Möglichkeit, eine Prognose über die zu erwartende Qualität des fertigen Produkts zu treffen. In dieser vorwärts orientierten Prozessregelung wird die Produktfunktionalität zukünftig durch einen KI-Ansatz aus Informationen des Herstellungsprozesses vorhergesagt und in Prüftoren bestätigt. Kurz: Dank AIoT (Artificial Intelligence of Things) lassen sich Fehler vermeiden, bevor sie entstehen.
Potenzial, neue Standards in der Lieferketten-Resilienz zu setzen
Ein solches Vorgehen eröffnet Chancen, Freigabeprozesse der Automobilelektronik grundlegend auf den Prüfstand zu stellen und mithilfe von Digitalisierung, Datenanalyse und künstlicher Intelligenz neue Standards zu setzen und so Prozesszeiten signifikant zu verkürzen. Das macht Autohersteller und deren Zulieferer viel schneller und flexibler, wenn es etwa bei Engpässen innerhalb der Lieferkette zu Verlagerungen kommen soll. Kurz gesagt: Die Lieferketten-Resilienz erhöht sich deutlich – und das ganz ohne erneute, zeitintensive Freigaben und Erprobungen im Versuchsfeld. Besonders in der aktuellen Zeit sind erfolgreiche Strategien wie diese notwendiger denn je. (av)
Autor
Jens Fabrowsky, Mitglied des Bereichsvorstands Automotive Electronics der Robert Bosch GmbH