Man spürte schon förmlich den „Spirit der Elektronikfertigung“ nach dem Einchecken ins Konferenzhotel, denn viele Teilnehmer ließen es sich nicht nehmen und trafen bereits am frühen Nachmittag ein. Schnell tummelten sich unter Einhaltung der 3G-Regel zahlreiche Fachleute im Foyer des Hotels und die pure Freude über ein Wiedersehen nach so langer Zeit machte sich lautstark breit.
Die etablierte Tagung wird seit 2005 von den sieben Unternehmen, ASM, Asys Group, Christian Koenen, Heraeus, Rehm, Vliesstoff Kasper und Zevac veranstaltet. Wie in den Jahren zuvor zeigte das Seminar in elf Fachvorträgen und direktem Erfahrungsaustausch mit hochkarätigen Experten und Kollegen einen umfangreichen Überblick, welche Technologien in Zukunft im Bereich Aufbau- und Verbindungstechnik die größten Erfolgsaussichten bieten. Die Themen spannten einen weiten Bogen beginnend beim Drucken, über standardisierte Schnittstellen und Fertigungsplanung in der digitalen Fabrik, den Schutz sensibler Elektronik durch Conformal Coating bis zu den Trends in der Aufbau- und Verbindungstechnik. Nachfolgend ein Auszug aus dem Vortragsprogramm.
Von der Schablone zum smarten Drucken
Wer kennt sie nicht, die Studie aus 1990, in der C.-H. Mangin die These aufstellte, dass 60 % der Fehler in der Elektronikfertigung aus dem Lotpastendruck stammen? Man bedenke jedoch, dass im Jahr 1990 die Fertigungsqualität mit „gut“ definiert wurde, wenn man <100 dpm erreichte. Heute erwartet man von einer Fertigung eine Qualität von <10 dpm, sodass sich nach neusten Erkenntnissen die Fehlerrate je nach Prozess verschoben hat. Drucken ist dabei mit 33% immer noch der fehleranfälligste Prozess, gefolgt vom Bestücken mit 23%.
Wie tricky dabei das präzise Drucken auf unebenen Flächen ist, zeigte anhand von einigen Kundenbeispielen Michael Zahn von Christian Koenen. Er berichtete, dass in der Elektronik/Semiconductor-Industrie zunehmend Dispenserprozesse durch den Schablonendruck ersetzt werden. Die Herausforderung dabei ist, in einem Rakelzyklus auf verschiedenen Ebenen zu drucken. Ein Auftrag für den Schablonenspezialisten war, auf größeren Flächen mit Leitkleber Depots zu drucken, auf denen dann Chips bestückt wurden. Gelöst wurde dies, indem die Erhebungen auf dem Leadframe in einer dicken Schablone von der Unterseite eingearbeitet und von oben eine Stufe zum Drucken der Kleberdepots eingebracht wurde.
Was braucht eine digitale Fabrik?
Ganz klar: Schnittstellen. Obwohl sich Schnittstellen nur „an der Oberfläche“ eines Systems befinden und „Interna“ verbergen sollen, bestimmen sie doch in hohem Maße die Funktion eines Gesamtsystems. „Standardisierung ist für Industrie 4.0 unabdingbar – doch gleichzeitig ist sie hochkomplex,“ so die Aussage von Dr. Kai Kammers, VP Global Software Development bei Asys. Erfüllen die modernen standardisierten Schnittstellen das Versprechen, eine funktionierende und noch dazu smarte Fabriklösung durch simples Verbinden zu liefern? Oder eignen sich standardisierte Schnittstellen nur für standardisierte Aufgaben? Diese Fragen wurden heiß diskutiert.
Referent Norbert Heilmann von ASM brachte es auf den Punkt, dass bei sich verändernder Anschluss- und Verbindungstechnik neue Anforderungen an Bestückmaschinen gestellt werden müssen, wenn zum Bespiel in der Automobilelektronik gleichzeitig Bauteile kleiner werden und auch mehr große und immer mehr THT-Bauteile bestückt werden. Dafür müssen passende Funktionen bereitgestellt werden, die nicht immer mit dem Wunsch vereinbar sind, gleichzeitig auch noch die Durchlaufzeiten zu verringern.
Ein Tabuthema – Conformal Coating?
Das muss es laut Gianfranco Sinistra, Director Sales Dispensing & Coating bei Rehm, nicht sein, wenn man den Überblick nicht verliert. Die Beschichtungstechnologie in der Elektronikindustrie schreitet immer weiter voran. Die Vielzahl an Materialien und Auftragsverfahren werden speziell auf die zu fertigende Baugruppe abgestimmt. Mit einer geeigneten Auswahl und Umsetzung des passenden Verfahrens muss das nicht unnötig kompliziert sein.
Torsten Vegelhan, Produktmanager bei Ekra, und sein Team arbeiten dagegen weiter an dem autonomen Drucker in der autonomen Fabrik. Ziel sei es, den im letzten Jahr vorgestellten Drucker Serio 6000 mit einem AIV (autonomous intelligent vehicle) so einzusetzen, dass das AIV nicht nur den Drucker umrüsten, sondern auch für andere Materialflüsse an der Linie eingesetzt werden kann.
Die Forschung am Lehrstuhl Angewandte Mechanik am KIT Karlsruhe unter der Leitung von Prof. Dr. Norbert Willenbacher widmet sich der Rheologie und Formulierung komplexer Fluide sowie der Entwicklung druckbarer Funktionsmaterialien. Aktuell hat er mit seinen Forschenden eine Silberpaste mit 25 % weniger Silberanteil für die Solarzellenfertigung sowie silberhaltige Drucktinten für den Einsatz bei flexibler gedruckter Elektronik entwickelt.
AVT-Trends bei 3D-MID
Um die Zuverlässigkeit von räumlicher Elektronik (3D-MID) deutlich zu steigern und deren Marktdurchdringung weiter voranzutreiben, ist das Bestreben groß, mögliche Ursachen für Delamination und Rissbildung zu unterbinden. Maximilian Barth (Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V.) gab einen detaillierten Überblick, mit welchen Tests die Lebensdauer und die Alterung von 3D-MID-Bauteilen vorausgesagt werden können und prognostizierte eine höhere Lebensdauer der SMD, wenn es angussfern platziert und längs zur Faserorientierung ausgerichtet wird.
Was macht ein Kelly bei den Elektronikfertigern?
Für etwas VIP-Gefühl und abseits von technischen Themen sorgte Joey Kelly in seinem Key-Note-Vortrag "Wie schaffe ich mein Ziel"! Er referierte sehr amüsant über sein extrem bewegtes Leben, als Sportler, Musiker und Manager der Kelly Family. Dabei lautet sein Motto unentwegt: „Du musst Dir ein Ziel setzen, und dann musst Du einfach anfangen. Wenn es mal einen Rückschlag gibt, egal: Du glaubst an Dein Ziel, und machst einfach weiter“.
No Risk no Fun oder die Truthahn-Illusion?
Durch die zweitägige Veranstaltung führte gekonnt Prof. Dr. Íng. Mathias Nowottnick von der Universität Rostock. Als Schlussreferent ließ er es sich nicht nehmen, anhand der Truthahn-Illusion von Prof. Ginzinger (Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin) die Sicherheit und Risiken der Elektronik zu beschreiben. Die Truthahn-Illusion beschreibt die Illusion, dass man alle unbekannten Risiken berechnen kann. Truthähne denken: Wurde ich gestern gefüttert, werde ich auch morgen gefüttert und immer so weiter. Eine falsche Rechnung, die Thanksgiving und den Tag der Schlachtung nicht kennt. Solche Thanksgivings kennt man auch in der Elektronik, wie die Tatsache, dass Angelika Merkel zum G20-Gipfel in Argentinien im November 2018 zu spät kam, weil die Stromversorgung in ihrer Regierungsmaschine aufgrund einer fehlerhaften Lötstelle ausfiel. Hätte man dies voraussagen können? Vielleicht findet man darauf entsprechende Antworten auf dem nächsten Expertenseminar „Wir gehen in die Tiefe“ im Herbst 2022.
Die Autorin
Petra Gottwald, Chefredakteurin productronic