Osnabrück gilt schon lange als feste Größe bei der Digitalisierung von Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Nun ist es dem Dreigestirn aus Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Hochschule Osnabrück und Agrotech Valley Forum gelungen, diese Position weiter auszubauen. Mit agrifoodTEF entsteht in Europa in aktuell drei Ländern jeweils ein Knotenpunkt von Testumgebungen für KI und Agrarrobotik. Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen aus ganz Europa können künftig in der Region Osnabrück in Niedersachsen KI-Komponenten in Prototypen erproben und validieren, die es bis zur Marktreife schaffen sollen. Mit bis zu 10 Millionen Euro spezialisieren sich die Osnabrücker auf Agrarrobotik im Ackerbau.
Stichwort: Precision Farming
Precision Farming ist eine landwirtschaftliche Praxis, bei der moderne Technologien wie GPS, Geoinformationssysteme, das Internet of Things sowie Drohnen und Sensoren eingesetzt werden, um die Ressourcen effizienter zu nutzen und eine höhere Ertragsqualität zu erzielen. Dies beinhaltet die genaue Überwachung und Analyse von Faktoren wie Boden, Klima und Pflanzenbedingungen, um optimale Bedingungen für das Wachstum zu schaffen und zugleich den Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden und Wasser zu minimieren.
Nebel in der norddeutschen Tiefebene oder Steillagen in den Weinbergen des Trentino stellen die autonomen Helfer in der Landwirtschaft vor unterschiedliche Herausforderungen. Die Fragen, die beantwortet werden müssen, um die Technik für die jeweiligen Anwendungen nutzbar zu machen, werden jetzt in Deutschland, Italien und Frankreich in so genannten “Test- und Experimentiereinrichtungen für den Agrar- und Lebensmittelbereich” bearbeitet.
Mit der europaweiten Förderinitiative agrifoodTEF stellen die Europäische Union (EU) und die beteiligten Mitgliedsländer den führenden Institutionen in den nächsten fünf Jahren bis zu 50 Millionen Euro für deren Betrieb zur Verfügung. Neben den drei deutschen Ländern mit jeweils bis zu 10 Millionen Euro beteiligen sich Österreich, Polen, Schweden und Belgien mit einem Fördervolumen von jeweils bis zu 5 Millionen Euro. In Deutschland wird das Projekt vom Bundeslandwirtschaftministerium gefördert.
„Die Grundlagen sind weit erforscht. In agrifoodTEF betrachten wir den letzten wichtigen Schritt in der Transferkette der Technologie hin zu KI-basierter Agri-Food-Technik in der Praxis", erklärt Prof. Joachim Hertzberg, Leiter des Forschungsbereichs Planbasierte Robotersteuerung des DFKI am Standort Niedersachsen. Maschinen und ihre Komponenten könnten so in der realen Welt, mit allem, was dort auf sie einwirkt, getestet und gehärtet werden.
Elektronikkomponenten aus Obstabfällen
- Im Rahmen eines interdisziplinären Projekts haben mehrerer Fakultäten der Freien Universität Bozen eine Technologie entwickelt, um aus Obstabfällen (etwa von Äpfeln, Kiwis und Trauben) ein Papier herzustellen, das als Substrat für flexible gedruckte elektronische Bauteile verwendet werden kann.
- Für die Produktion der elektronischen Komponenten wird die Oberfläche eines Zellulosesubstrats, das aus den Obst-Reststoffen gewonnen wird, mittels Laserdruck karbonisiert. Die so gewonnenen Papiersubstrate sind ein Ersatz für Zellstoff-basierte Substrate. Somit wird der Verbrauch einer natürlichen Ressource wie Holz verringert; gleichzeitig werden Lebensmittelabfälle sinnvoll verwertet.
- Durch unterschiedliche Laserparameter konnten die Forschenden elektronische Bauteile wie Kondensatoren, Biosensoren und Elektroden für Lebensmitteltests (z. B. zur Überprüfung des Reifegrads von Früchten) entwickeln.
- Die Verwendung eines natürlichen Substrats eröffnet aber auch gleich zwei neue Strategien für das Recycling der Komponenten. So können sie sich entweder innerhalb von 40 Tagen bei Raumtemperatur in Zitronensäure auflösen. Als Alternative können sie als Pflanzendünger oder Bodenverbesserungsmittel wieder in die Natur eingebracht werden.
Das DFKI und die Hochschule Osnabrück gehen beispielsweise in einem aktuellen Projekt der Frage nach, wie autonome Landmaschinen ihre Umgebung zuverlässig erfassen können und haben dafür ein Testfeld auf einem Bauernhof aufgebaut. Mit einem Schienensystem, einem beweglichen Schlitten und Dummys im Maisfeld suchen die Forscherinnen und Forscher nach der besten Sensorkonfiguration und testen die Qualität von KI-Algorithmen. Eine solche Anlage kann als Benchmark dienen, um andere Systeme zu testen.
Firmen und Forschende können mit eigenen Ideen auf die drei Osnabrücker Partner zukommen und die für sie passenden Umgebungen gestalten oder auf existierende Infrastruktur in Osnabrück zurückgreifen.
Auf dem Gelände der Hochschule befindet sich das Agro-Technicum. Dabei handelt es sich um eine mehr als 500 Quadratmeter große Halle mit großem Laborbereich und angrenzendem Versuchsfeld. Innerhalb von zwei Minuten können hier Landmaschinen und Agrarroboter ins Freie gefahren werden, um sie unter realistischen Bedingungen zu testen. Auch Langzeitversuche mit autonomen Systemen sind möglich.
Der Bedarf der Wirtschaft an KI- und Robotiklösungen für die Land- und Ernährungswirtschaft sei groß, sagt Dr. Henning Müller. Er ist Vorsitzender des Agrotech Valley Forum e.V., einem Netzwerk, in dem sich der agrartechnische Mittelstand der Region zwischen Oldenburg und Münster zusammengeschlossen hat: „Die Hersteller von Agrarsystemtechnik wollen einsteigen und können das auch bald. Wir haben bereits erste Anfragen, das Angebot von agrifoodTEF zu nutzen. Diese Unternehmen sind sehr erfolgreich in dem, was sie tun. Gleichzeitig müssen sie auch in den neuen Themenfeldern Sensorsysteme, KI und Robotik erfolgreich sein.“
Ohne KI in den Produkten werde es künftig immer schwieriger, die vielfältigen Anforderungen von Kunden, Gesellschaft und Politik, etwa in Form des europäischen Green Deals, zu erfüllen. „Auch in der Tierproduktion und Lebensmittelverarbeitung wird das Interesse an KI steigen. agrifoodTEF erleichtert den Zugang zu den notwendigen Daten und Kompetenzen und kann so dazu beitragen, die KI-gestützte Agrartechnik in Deutschland und Europa zu verbessern oder neu entstehen zu lassen. "
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