Die Konferenz DLD (Digital Life Design) in München ist eine der wichtigsten Veranstaltungen im Spannungsfeld von Technologie, Politik und Kunst. Einmal im Jahr geben sich dort in München Nobelpreisträger, Konzernchefs und Spitzenpolitiker das Mikrofon in die Hand, um ihre Sicht der Dinge zu präsentieren. Eine der Haupt-"Personen" auf dem Podium in diesem Jahr blieb jedoch stumm - und sorgte dennoch für Aufsehen.
Auf der DLD präsentierten das Konstanzer Start-up Organifarms und Würth Elektronik den Ernteroboter Berry - das erste Ergebnis einer noch jungen Kooperation der beiden Unternehmen. Organifarms entwickelt KI-basierte Software für das sogenannte Indoor-Farming - etwa in Gewächshäusern und sogenannten Poly-Tunneln. Würth Elektronik steuert eine LED-basierte Beleuchtung für das Vision-System des Roboters bei.
Dass diese Kooperation Thema auf der DLD-Konferenz war zeigt, welche Bedeutung das Thema Automated Farming bekommen wird. Treiber dafür ist vor allem das Wachstum der Weltbevölkerung, das gleichzeitig auf einen sich verschärfenden Arbeitskräftemangel in entwickelten Ländern durch die demographische Entwicklung trifft. Verschärft hat sich die Situation in der Landwirtschaft im vergangenen Jahr durch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Laut dem EU-Statistikamt Eurostat sind die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent gestiegen. Bei Düngemitteln lag der Preisanstieg sogar bei 87 Prozent - eine enorme Belastung für landwirtschaftliche Betriebe und Konsumenten.
Ein Ausweg kann die Automatisierung der Landwirtschaft sein: Auftritt Berry. Entwickler Organifarms basiert dessen Hardware auf Industriekomponenten von Partnern, die in ihrem jeweiligen Bereich über großes Know-how verfügen, so Organifarms-Mitgründerin Hannah Louise Brown. So wird etwa der Arm von Berry vom Münchner Unternehmen Franka Emika hergestellt, für die mobile Plattform kooperiert Organifarms mit dem niederländischen Unternehmen Metazet FormFlex aus dem Gartenbaubereich. Brown: „Wir konzentrieren uns in unserer Entwicklung auf die innovative Software und das Zusammenspiel der Komponenten“.
Die Software von Organifarms ertüchtigt den Roboter, rund 240 Kilogramm Erdbeeren pro Tag zu ernten und zusätzlich dazu die Qualitätskontrolle und das Verpacken der Früchte zu übernehmen. „Dass der Roboter 24 Stunden am Tag arbeiten können soll, war für uns früh klar“, so Dominik Feiden, CEO und Mitgründer von Organifarms. So lässt sich eine stündliche Ernteleistung, die aktuell noch unterhalb der eines menschlichen Erntehelfers liegt, durch den Rund-um-die Uhr-Betrieb des Roboters weitgehend kompensieren.
Verpassen Sie keine News
Die Software ist ist mithilfe künstlicher Intelligenz in der Lage, den Reifegrad der Früchte zu erkennen und den Roboterarm so zu steuern, dass die reife Beere an ihrem Stängel abgeschnitten wird, sodass keine Druckstellen auf der Frucht zurückbleiben. Der Landwirt kann dabei den gewünschten Reifegrad über Beispielbilder definieren, mit denen die KI dann trainiert wird. Die Treffsicherheit der Software soll dabei bis zum Marktstart im Verlauf dieses Jahres einen Zielwert von 95 % erreichen.
Für Probleme sorgen in Gewächshäusern - genauso wie in Fertigungsumgebungen - die häufig wechselnden Lichtverhältnisse, die eine saubere Erkennung durch das Vision-System erschweren. Und das umso mehr, als der Roboter rund um die Uhr arbeiten soll, also auch eine nächtliche Ernte möglich sein muss. Zur Lösung dieses Problems kam der Elektronikspezialist Würth Elektronik mit an Bord. "Unser Herz schlägt dafür, Start-ups bei der Hardware-Entwicklung zu helfen", sagt Alexander Gerfer, CTO von Würth Elektronik. Dass Gerfer selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, hat im Fall der Kooperation mit Organifarms sicher nicht geschadet.
Würth Elektronik hat für Berry in seinem neuen Münchner Hightech Innovation Center ein LED-Panel entwickelt, das durch eine Kombination aus sichtbarem Licht und unsichtbaren Wellenlängen ein Spektrum erzeugt, das eine zuverlässige Erkennung der zu pflückenden Erdbeeren erlaubt. Gerfer verwies in diesem Zusammenhang auf die vielfältigen Möglichkeiten, die Lichtdesign im Indoor-Farming haben kann, wie zum Beispiel die Steuerung des Reifeprozesses durch eine Bestrahlung durch Licht einer bestimmten Farbzusammensetzung.
Berry ist in der Lage, die Früchte zu scannen, ihren Reifegrad zu bewerten und auf Grundlage der Ergebnisse zu ernten. Die Landwirte können den gewünschten Reifegrad einstellen, bei dem alle Früchte vom Roboter geerntet werden sollen. Die Früchte werden direkt in die Verkaufsschalen gelegt. Diese werden vom Roboter gewogen und können in bis zu 8 Kisten gelagert werden. "Dieses Lagersystem ist sehr effizient, da der Roboter nicht zu einer Basis zurückkehren muss, um die Körbe zu leeren. Das spart uns eine Menge Zeit bei der Ernte", sagt Marian Bolz, Mitgründer und CTO von Organifarms. Berry braucht durchschnittlich 7 Sekunden, um eine Beere zu ernten, einschließlich aller Vorgänge wie das Wechseln der Reihen im Gewächshaus und das Auswechseln der Batterie des Fahrerlosen Transportsystems - was zweimal am Tag geschehen muss.
Organifarms hat Berry im Sommer 2022 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und ist gerade dabei, das System in Zusammenarbeit mit Pilotkunden in Deutschland, Niederlande und Großbritannien zu optimieren. Beim Marktstart, der in diesem Jahr geplant ist, soll ein Komplettsystem rund 100.000 Euro kosten. 2023 sollen zunächst die Pilotkunden mit einer einstelligen Zahl von Systemen beliefert werden, für 2024 hat das in Konstanz am Bodensee ansäßige Unternehmen Organifarms eine Ausweitung der Produktion geplant. Auf der Agenda steht auch eine Ausweitung der mit Berry zu erntenden Früchte etwa auf Tomaten.
Auf dem Podium beim DLD waren sich Hannah Louise Brown und Alexander Gerfer jedenfalls einig: Um die Menschheit auch in Zukunft zuverlässig zu ernähren und dabei auch kleinen und mittleren Landwirten eine Chance zu geben, brauche es ein "new Age of Farming" mit einem klugen Einsatz von Technologie.
Der Autor: Peter Koller
Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein, der ihn bei seiner neuen Aufgabe als Chefredakteur der IEE unterstützt.