Die Forschenden haben eine mitlaufende Schalung und ein Verdichtungswerkzeug entwickelt, das robotisch betrieben wird.

Die Forschenden haben eine mitlaufende Schalung und ein Verdichtungswerkzeug entwickelt, das robotisch betrieben wird. (Bild: Joschua Gosslar/TU Braunschweig)

Heute weit verbreitete Baumaterialien wie Zement, Ziegelsteine und Stahl haben ein großes Problem: Bei ihrer Herstellung entstehen große Mengen von klimaschädlichem CO2. Laut dem UN 2022 status report on Buidlings and construction sind die Errichtung und Nutzung von Gebäuden UN weltweit für etwa 37 % der CO2-Emissionen verantwortlich. Die Baumaterialien stellen dabei eine besonders große Herausforderung für eine Dekarbonisierung dar. Das zeigt auch die folgende Grafik.

Treibhausgasemissionen in Deutschland 2022 nach Branchen
Treibhausgasemissionen in Deutschland 2022 nach Branchen (Bild: Statista)

Als Alternative dazu sind Wissenschaftler dabei, einen alten Baustoff wieder zu entdecken: Lehm. Seit Jahrtausenden werden Gebäude aus Lehm errichtet. „Dennoch kommt uns Lehm wie ein neuer Baustoff vor. Das Wissen um verschiedene Bauweisen und auch die Bauten selbst ist leider zum Teil in Vergessenheit geraten“, sagt Joschua Gosslar, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Tragwerksentwurf (ITE) der TU Braunschweig.

Lehm hat viele Vorteile: Er ist klimafreundlich, feuchteregulierend, wiederverwertbar, leicht abbaubar und ein fast überall verfügbarer Rohstoff, der nur wenig kostet. Gosslar: „Lehm ist unglaublich reversibel. Aus Lehm hergestellte Bauteile in einem ‚Lehmhaus‘ kann man nach 100 Jahren abreißen und im Garten verteilen oder umformen und ein neues Haus daraus bauen.“

Verarbeitung von Lehm ist extrem aufwändig

"Lehm ist ein vielseitiges Material, das überall verfügbar ist", sagt Joschua Gosslar.
"Lehm ist ein vielseitiges Material, das überall verfügbar ist", sagt Joschua Gosslar. (Bild: TU Braunschweig)

Das Problem bei Lehm ist nicht das Material, sondern die Verarbeitung: So werden für ein Stampflehm-Haus viele helfende Hände benötigt. Die alte Bautechnik basiert auf der schichtweisen Verdichtung des Lehms in einer Schalung mit Hilfe eines handgeführten Holzstampfers. Die Schalungstechnik ist inzwischen verbessert worden und automatische Stampfer haben die Handstampfer ersetzt. Das Verfahren ist jedoch nach wie vor manuell und dadurch im Vergleich zu anderen Baumaterialien und -techniken eher unwirtschaftlich. „Stampflehm ist ein extremes Luxusmaterial, obwohl der Lehm quasi nichts kostet und fast überall vorhanden ist. Allerdings ist die Verarbeitung teuer. Rund zwei Drittel der Kosten werden durch die Schalung verursacht, die sehr robust sein muss, damit sie dem Stampfdruck standhält“, so Gosslar.

Um die Verarbeitung von Lehm wieder attraktiv zu machen, haben der Wissenschaftler und seine Kollegen Anleihen bei der Additiven Fertigung genommen. Die Forschenden haben eine mitlaufende Schalung und ein Verdichtungswerkzeug entwickelt, das robotisch betrieben wird. Die Verdichtungseinheit besteht aus einer Rüttelplatte und pneumatischen Stampfern, die mit dem Schalungselement mitfahren und sich Lage für Lage hocharbeiten. Dafür kommt das Digital Building Fabrication Laboratory (DBFL), der große 3D-Drucker des Instituts, zum Einsatz. „Das Tolle am Stampflehm ist, dass man die Schalung sofort nach dem Verdichten entfernen kann. Das Material muss für eine Anfangsfestigkeit nicht aushärten, wie beispielsweise Beton. Deshalb sitzt die Schalung in unserem Projekt nur dort, wo auch verdichtet wird und dann wird sie weitergeführt. Es ist also eine aktive Gleitschalung“, erläutert der Lehmexperte.

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Auf Basis dieser Vorarbeiten wollen die Wissenschaftler*innen im neuen Projekt die robotische Stampflehmfabrikation für die Baustellenfertigung weiterentwickeln. „Wir wollen das ganze Setup so reduzieren, dass es in einem mobilen, digitalen Fertigungsprozess benutzt werden kann“, erklärt Joschua Gosslar. Die Forschenden wollen nun eine Roboter-Einheit entwickeln, die vor Ort auf der Baustelle eingesetzt werden kann. Herzstück wird ein mobiler 3-Achs-Portal-Roboter sein, der von Baustelle zu Baustelle bewegt werden kann. Hinzu kommen die Endeffektoren, sozusagen die Hände des Roboters, und eine Materialbeschickungseinheit, damit der Baustoff ganz präzise aufgetragen wird.

Ein Stampflehmbauteil, robotisch-gestützt hergestellt.
Ein Stampflehmbauteil, robotisch-gestützt hergestellt. (Bild: Joschua Gosslar/TU Braunschweig)

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