Industrielle Computertomographie ist in der Automobil-Herstellung nichts Neues. Jetzt aber fasst sie auch bei der Qualitätsanalyse von Lithium-Ionen-Zellen Fuß und nutzt künstliche Intelligenz für die Bildauswertung.

Industrielle Computertomographie ist in der Automobil-Herstellung nichts Neues. Jetzt aber fasst sie auch bei der Qualitätsanalyse von Lithium-Ionen-Zellen Fuß und nutzt künstliche Intelligenz für die Bildauswertung. (Bild: AdobeStock 397729207, Nischaporn)

Lithium-Ionen-Batterien sind ein Anwendungsfeld für die industrielle CT, das immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Nachfrage kommt maßgeblich von Fahrzeugherstellern bzw. Fahrzeugbatterie-Herstellern. Das ist nicht überraschend, denn die Automobilindustrie nutzt die Technologie schon seit vielen Jahren für die Untersuchung von Gussbauteilen oder diversen Kunststoff- und Multimaterialkomponenten. Die großen Vorteile: die CT arbeitet zerstörungsfrei, die Ergebnisse bezüglich Maßhaltigkeit und Materialzustand sind in kurzer Zeit auf dem Bildschirm sichtbar.

Batteriezelle unter der Lupe

Eine Batteriezelle ist ein komplexer Materialverbund aus unterschiedlichen Stoffen. Die wichtigsten Komponenten sind Anode und Kathode, die beiden Elektroden bzw. Aktivmaterialien. Beide sind auf einer Metallträgerfolie aufgebracht, dem Stromableiter, und werden durch eine Separatorfolie getrennt. Die Anode besteht in aller Regel aus Graphit, die Kathode aus einer Li-Verbindung, häufig aus Lithium-Kobalt-Dioxid (LiCoO2). Andere Li-Verbindungen mit Mangan, Nickel, Eisen oder Aluminiumoxid, also ohne Kobalt, kommen ebenso zum Einsatz. Um eine möglichst hohe Kapazität der Zellen zu erreichen, werden die Elektrodenfolien zu einem flachen Paket für prismatische Zellen oder zu einem Zylinder gewickelt. Eine weitere Bauform sind gestapelte Pouchzellen.

Die zentralen qualitätsrelevanten Merkmale sind Fremdkörper, Delaminationen und der Anodenüberstand. Fremdkörper können Schnittreste der Trägerfolie sein, allgemein Verunreinigungen, eventuell auch Schweißperlen, die beim Anbringen von Kontakten oder Verschließen prismatischer Zellen mit dem Laser entstehen. Delaminationen sind Ablösungen des Aktivmaterials von der Trägerfolie. Dabei reduzieren sich die Kontaktflächen. Der Anodenüberstand ist ein vom Hersteller definiertes Maß. Die Anode muss die Kathode stets überlappen, weshalb beide unterschiedlich breit zuzuschneiden sind. Ohne Überlappung kommt es schneller zum so genannten Lithium-Plating. Bei diesem Vorgang lagert sich metallisches Li auf der Anode ab, das dann nicht mehr für die Bildung von Ionen zur Verfügung steht – die Batterie verliert Kapazität. Das metallische Li kann außerdem den Separator beschädigen, ein Brand ist dann nicht ausgeschlossen. Folglich ist der Anodenüberstand ein wichtiges Kriterium für eine lange Lebensdauer und den sicheren Betrieb einer Batterie.

Bild 1: Mit dem Tool Paint and Segment ist die Segmentierung einzelner Details mit wenigen Klicks möglich. Dabei läuft im Hintergrund ein Machine-Learning-Prozess ab.
Bild 1: Mit dem Tool Paint and Segment ist die Segmentierung einzelner Details mit wenigen Klicks möglich. Dabei läuft im Hintergrund ein Machine-Learning-Prozess ab. (Bild: Volume Graphics)

Neues Tool zur Segmentierung

Nach dem Scannen in der CT-Anlage erhält der Qualitätstechniker Grauwertbilder seiner Objekte. Im Falle von Batterien steht er vor einer besonderen Herausforderung: Anode und Kathode haben sehr ähnliche Grauwerte bzw. geringe Kontraste. Hinzu kommen sehr häufig Scan-Artefakte, welche die Strukturen überlagern. Geringe Grauwertkontraste bewirken, dass sich die Details im Scan nur mit Mühe segmentieren lassen. Eine präzise Segmentierung ist aber stets die Vorstufe für weitere quantitative Analysen wie Messungen. Demzufolge verfügt die Software über entsprechende Funktionen, die den Nutzer bei dieser Arbeit unterstützen.

Die klassische Methode segmentiert nach absoluten Grauwerten, die der Nutzer definiert – das so genannte Schwellwertverfahren. Bei geringen Kontrasten gelangt diese Methode aber schnell an ihre Grenzen. Für das aktuelle Release der Software entwickelten die Programmierer daher das Tool „Paint & Segment“, das neben Grauwerten auch Strukturen berücksichtigt, etwa dass Anode und Kathode als sehr dünne Lagen vorliegen (Bild 1). Das Tool eignet sich für Mikrostrukturen, wie sie in Batterien vorkommen, ist aber auch für andere Anwendungen einsetzbar. Der Nutzer markiert mit einem virtuellen Stift im Grauwertbild die Bereiche, die er segmentieren möchte, und lässt sich per Preview das Ergebnis anzeigen. Da die Struktur einer Zelle bekannt ist, markiert er nicht willkürlich. Das erste Ergebnis ist meistens noch nicht perfekt. Der User kann aber erkennbar falsch klassifizierte Bereiche übermalen. Die Software zeigt ihm in einem Bruchteil einer Sekunde eine neue Segmentierung an. Das System lernt dabei, denn im Hintergrund läuft ein klassisches Machine Learning ab. Sämtliche Details oder Defekte einer Zelle lassen sich mit dieser Technologie unterscheiden, auch der Anodenüberstand, Delaminationen oder Fremdkörper.

Bild 2: Der Anodenüberstand ist ein wichtiges Maß für die Batteriehersteller. Die Software bietet dafür ein eigenes Tool, das die Ergebnisse der Messung mit Hilfe einer Farbskala darstellt. Das Bild zeigt die Auswertung einer 18650-Zelle, der Überstand liegt im Bereich 0,1 bis 1,12 mm.
Bild 2: Der Anodenüberstand ist ein wichtiges Maß für die Batteriehersteller. Die Software bietet dafür ein eigenes Tool, das die Ergebnisse der Messung mit Hilfe einer Farbskala darstellt. Das Bild zeigt die Auswertung einer 18650-Zelle, der Überstand liegt im Bereich 0,1 bis 1,12 mm. (Bild: Volume Graphics)

E-Mobility: Batterie und Sicherheit

ae_emobility_batterie_940x250.jpg
(Bild: AdobeStock_277540900)

Wie entstehen bessere E-Auto-Batterien und sind sie sicher? Bewährte und neue Batterietechnologien von Entwicklung bis Recycling, Brandschutz von Simulation über Materialien bis Batteriemanagement und Safety-Konzepten, sowie Testverfahren von EMV bis Sicherheit. Die Technologien dahinter finden Sie hier.  

Mit dem Paint & Segment-Tool bewegt sich der Nutzer an der Schwelle der künstlichen Intelligenz, jedoch braucht er dafür kein KI-Experte zu sein. Die Bedienung ist, gemessen an der Komplexität der internen Prozesse, sehr einfach. Jeder Qualitätstechniker mit CT-Erfahrung kommt laut Volume Graphics damit zurecht. Das Tool ist zudem automatisierbar, der Einsatz in zukünftigen Inline-Szenarien also bereits angedacht. In diesen Szenarien, die in anderen Anwendungsbereichen bereits Realität sind, werden CT-basierte Analysen produktionsbegleitend durchgeführt. Aufgrund des sehr aufwendigen Produktionsvorgangs bei Batterien machen CT-basierte Analysen bereits während der Produktion Sinn. Damit ist es möglich, fehlerhafte Bauteile frühzeitig aus der Prozesskette zu entfernen und gegebenenfalls Kosten zu sparen, denn je später defekte Batterien erkannt werden, umso höher sind bekanntlich die Folgekosten.

Jede Inline-Qualitätsüberwachung konkurriert jedoch mit dem Produktionstakt, denn das Scannen der Bauteile und Auswerten der CT-Daten erfordert Zeit. Um den Takt einzuhalten, verzichten die CT-Anwender häufig auf hochauflösende Scans bzw.  große Datenmengen. Die Kehrseite: die Segmentierung dieser weniger genauen Datensätze wird noch um ein gutes Stück anspruchsvoller. Doch auch dafür gibt es inzwischen eine Lösung: Das Deep-Learning-Verfahren. Der Anwender begibt sich damit vollends auf das Feld der KI. Da das Training der Daten ein hohes Maß an Fachexpertise erfordert, übernimmt das Consulting von Volume Graphics bei Bedarf diesen Arbeitsschritt. Im Anwendungsbereich Leichtmetallguss gibt es bereits erste Projekte. Festzuhalten ist noch: für die nachgelagerten Auswertungen spielt es keine Rolle, nach welcher Methode die CT-Modelle segmentiert wurden, ob mit Hilfe des Schwellwertverfahrens, des Paint & Segment-Tools, oder mittels neuronaler Netze.

CT-Analyse mit KI

Bei der Analyse kontrastarmer Grauwertbilder scheiden sich oft die Geister. Die zentrale Frage lautet: Welcher Voxel ist ein Defektvoxel, welcher nicht (Voxel = kleinstes 3D-Element im CT-Modell, ähnlich Pixel im 2D-Bild). Hinzu kommen Streustrahlungen und Artefakte. Selbst erfahrene Qualitätstechniker kommen häufig zu unterschiedlichen Einschätzungen. Ihnen bleibt nur übrig, die Scanparameter ihrer Anlage entsprechend zu justieren bzw. zu variieren und gegebenenfalls bestimmte Regions of Interest (ROI) besonders in den Blick zu nehmen. Dies ist die konventionelle Vorgehensweise. Sie führt zum einen zu subjektiven Ergebnissen, zum anderen beansprucht sie zusätzliche Zeit.

In so gelagerten Fällen – Batterien gehören in der Regel dazu – erweist sich die Deep-Learning-Methode als besonders effektiv. Das Deep Learning kommt aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz und fußt auf künstlichen neuronalen Netzen (KNN). Die Anwendung eines solchen Netzes in der CT-Defekterkennung liefert sehr treffsichere Ergebnisse in kürzester Zeit. Das Netz benötigt dafür so etwas wie ein Gedächtnis, d. h. es ist mit Defektdaten zu „trainieren“.

Doch woher kommen diese Daten? Eine Möglichkeit besteht darin, die Defekte künstlich nach dem Vorbild realer Defekte mit Hilfe einer speziellen Software zu simulieren. Volume Graphics übernimmt bei Bedarf diesen Arbeitsschritt und das Training eines KNN. Der Nutzer von VGSTUDIO MAX erhält einen Algorithmus, der genau zu seiner Problemstellung passt. Bei der Anwendung des trainierten KNN auf den Praxisfall werden die Unregelmäßigkeiten in den realen Scans mit den Defektdaten „im Gedächtnis“ verglichen. Gemeinsamkeiten werden sicher erkannt. Die Ausgangsfrage, was ein Defektvoxel ist uns was nicht, wird zuverlässig entschieden. Die Methode ist auch bei geringeren Auflösungen, also im Falle kürzerer Scanzeiten, sehr treffsicher.

Bild 3: Delaminationen in den Wickelpaketen von Batteriezellen aufgrund von Alterungserscheinungen lassen sich mit Hilfe der CT sehr leicht sichtbar machen und quantifizieren.
Bild 3: Delaminationen in den Wickelpaketen von Batteriezellen aufgrund von Alterungserscheinungen lassen sich mit Hilfe der CT sehr leicht sichtbar machen und quantifizieren. (Bild: F. & G. Hachtel GmbH & Co. KG)

Wichtiges Kriterium: Anodenüberstand

Für die Ermittlung des Anodenüberstandes musste der Nutzer bisher auf allgemeine Messtechnikfunktionen von VGSTUDIO MAX zurückgreifen. Mit dem aktuellen Release der Software steht nun ein Instrument für genau diese Aufgabe zur Verfügung, das „Battery Analysis Module“. Die Bestimmung des Überstandes wird für den Nutzer stark vereinfacht. In der Schnittdarstellung in Bild 2 misst die Software beispielsweise automatisch den Abstand zwischen den Außenkanten von Anode und Kathode. Bei der dort gezeigten 18650-Zelle (D=18 × 650 mm²) sind das ca. 20 Messwerte. Der ungefähre Mittelwert des Überstandes liegt bei 0,5 mm. Die Wicklungen zeigen bei der Analyse häufig unterschiedliche Maße im Innen- und Außenbereich. Das hat offenbar mit dem Wickelprozess zu tun. Beim Anwickeln der Folien ist das Gebilde gegebenenfalls noch labil, nach mehreren Wicklungen stabilisiert sich der Prozess. Da sich die überstehende Anode je nach Zelltyp leicht krümmt, kann das Tool auch die entsprechende Biegung anzeigen. Für manche Batteriehersteller ist die Krümmung der Anode von Bedeutung. Auf deren Wunsch wurde dieses Feature integriert.

2nd-Life-Batterien

Die CT-basierte Qualitätskontrolle kann künftig auch für das 2nd-Life-Geschäft mit Li-Ionen-Batterien eine wichtige Rolle spielen. Wenn gebrauchte Fahrzeugbatterien ein bestimmtes Kapazitätslimit unterschreiten, werden sie ausgemustert. Diese Exemplare müssen aber noch lange nicht dem Recycling zugeführt werden. Aufgrund der im BattG vorgeschriebenen Rücknahme- und Verwertungsverpflichtungen rechnet sich eine möglichst lange Nutzung. Fahrzeugindustrie und Energieversorger haben daher bereits 2nd-Life-Projekte ins Leben gerufen. Die gebrauchten Batterien eignen sich z. B. für die Zwischenspeicherung von Energie aus Wind- oder Solarkraftanlagen. Wichtiges Qualitätskriterium für die Weiterverwendung der Zellen sind Delaminationen. Sie liegen im Neuzustand einer Batterie allenfalls im Mikrometerbereich, sind also so gut wie nicht erkennbar. Nach mehreren hundert Ladezyklen ergibt sich oft ein anderes Bild. Bedingt durch die Wärmentwicklung erlangen die Ablösungen schnell eine segmentier- bzw. messbare Größenordnung von 0,1 bis 0,2 mm oder mehr (Bild 3). Hier könnte die CT dazu beitragen, die Spreu vom Weizen zu trennen. (na)

Richard Läpple

Freier Journalist

Sie möchten gerne weiterlesen?