Matthias Sester, Geschäftsführer Fritsch Elektronik, auf der SMTConnect 2022.

Sieht und fordert strukturellen Wandel für den EMS-Markt: Matthias Sester, Geschäftsführer Fritsch Elektronik, auf der SMTConnect 2022. (Bild: Fritsch Elektronik)

Die Auftragslage könnte für Elektronikfertiger besser nicht sein, die Folgen daraus nicht schlimmer: Querbeet in der gesamten Branche klagen bundesdeutsche und europäische Elektronikfertiger über Bauteilknappheit, die zu strukturellen Rissen führt. Matthias Sester, Geschäftsführer der badischen Fritsch Elektronik GmbH, sieht einen strukturellen Wandel für den EMS-Markt. So seien es laut Sester die bis zu 90 Prozent gefüllten Bauteilläger, die aufgrund der fehlenden Restmenge an Bauteilen zu einer enormen Kapitalbindung führen, die kleine und mittelständische EMS-Betriebe nahezu in die Knie zwingen. „Im Grunde genommen machen wir derzeit nichts anderes, als Geld verleihen. Nicht nur, dass Vorfinanzierungen dieser bislang ungeahnten Größenordnung Unternehmen an ihre Belastungsgrenze führen. Es ist die in weiten Teilen der Auftraggeber vorherrschende Haltung, dass rechtzeitige Vorhaltung aller Bauteile schlichtweg erwartet wird. Auch der Umstand, dass aufgrund noch steigender Energie- und Personalkosten die Preise von 2018 nicht mehr gehalten werden können, setzt sich auf der Auftraggeberseite nur zögerlich durch. Da ist einfach noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten“, ist Matthias Sester überzeugt. Letztendlich würden diese Umstände weiter den Trend befeuern, dass die Größeren der EMS-Branche durch Aufkäufe gefährdeter Existenzen eine weiterführende Marktbereinigung mit sich bringe.

Wie und warum sich die Kernkompetenzen der EMS-Unternehmer verändern müssen

Seinen Erkenntnissen zufolge spiele die grundsätzliche Verlagerung der Lieferkette in Billiglohnländer des Ostens und nach Fernost und der krisenbedingt anfälligen Logistik dem Dilemma eindeutig zu.

So habe es dazu geführt, dass die eingesetzten Bauteile der hiesigen Baugruppenproduktion (DACH-Region) gerade mal noch acht Prozent des Weltmarktaufkommens ausmachen, mit weiter sinkender Tendenz, auch für die europäische Baugruppenfertigung. Auffällig sei dabei, dass die Hersteller in den Jahren 2020/21 nicht weniger geliefert hätten. Vielmehr sei es unter der Pandemie zu einem erhöhten Bedarfsaufkommen an Elektronik gekommen, beispielsweise in der Unterhaltungselektronik. Auch der Ausbau von Netzinfrastrukturen und Servern wegen der Zunahme an Videokonferenzen führte zu einer auffällig anderen Gewichtung der Bedarfsfelder. Da die dafür angefragten Produkte schon traditionell in Asien gefertigt werden, ist demnach auch die gesamte Wertschöpfungskette dort etabliert. „Wir in Europa schauen da nur zu. Wir sind der Beifang, für den sich kein Bauteilhersteller interessiert“, äußert Matthias Sester, „da wundert es mich nicht, wenn ein großer deutscher Distributor meint, für 200 angefragte Prozessoren würde er sich nicht bewegen.“ Dass demnach die größeren Abnehmer bevorzugt beliefert würden, läge seiner Ansicht nach auf der Hand. In seinen Augen ist der Umstand „für die mittelständische Industrie schlichtweg reines Marktversagen“. In der Folge sieht der für sein mittelständisches EMS-Unternehmen verantwortliche Geschäftsführer zwei gravierende Veränderungen und fordert von jedem Unternehmen branchenbezogene Eigeninitiative:

  • Die Kernkompetenz des EMS wird nicht mehr die Fertigung sein, sondern liegt künftig beim Einkauf. Qualitätsfertigung und Geschwindigkeit sind schon jetzt zu einer generischen, im Wettbewerb austauschbaren Leistung mutiert. Sie wird, im Gleichklang aller Geräteparks, bei allen Anbietern einfach vorausgesetzt.
  • Was bleibt, ist, an den Stellschrauben der Logistik, am Dispositionsprozess zu drehen. Die zurückliegenden und noch andauernden Krisen zeigen einen ungeahnt hohen Distributionsbedarf, um bei der Bauteilrecherche fündig zu werden. Die Suche nach Einzelbauteilen bei wesentlich mehr Bezugsquellen, Alternativen zu ermitteln oder Ersatzteile zu besorgen, treiben die Personal- und Investitionskosten weiter in die Höhe. Die Zeiten des reibungslosen Durchbestellens sind definitiv vorbei.

Insbesondere das so zu verändernde Geschäftsmodell, mit zugleich geringeren Margen, kann langfristig von vielen EMS-Betrieben nicht mehr mitfinanziert werden. Selbst größere Branchenunternehmen äußern, so Matthias Sester, bei voluminösem Neugeschäft bei Bauteileinkäufen per Vorkasse ihre Bedenken. Das alles überfordere die einzelnen Unternehmen.

Die Branche käme aus seiner Sicht, insbesondere die klein- und mittelständischen Unternehmen, nicht umhin, mehr in Allianzen zu denken, um sich marktgerecht auszurichten, zu vertretbaren Kosten. Erste Ansätze und Gesprächsbereitschaft dort, wo sich früher hohe Hürden zeigten, deuten einen Richtungswechsel an. Wichtig sei, Vertrauen zueinander zu gewinnen. „Ich bin mir sicher, dass sich dafür eine eigenständige Dienstleistung für den Distributionsprozess gestalten lässt“, äußert der im badischen Achern ansässige Unternehmer. Sie stünde nach seiner Vorstellung als kalkulierbare Investitionsgröße, als Dienstleistungsmodul somit allen EMS-Unternehmen zur Verfügung. Ein derartiges Netzwerk könne beispielsweise Sourcing größeren Umfangs in China und an anderen Spots betreiben, den Nutznießern des Modells weitaus bessere Konditionen offerieren. Sester: „Es ist der Dienst am Kunden, den die großen Distributeure für die EMSler nicht mehr leisten. Not macht erfinderisch. Auch hier wird sich der Markt bald konsolidieren.“

Herr Sester, Sie sagen, dass die Kernkompetenzen des EMS wird künftig nicht mehr in der Fertigung sondern im Einkauf liegen. Welche Kompetenzen genau sollten EMS hier aufbauen?

Das gesamte Ökosystem der Produktion und Distribution elektronischer Bauteile und Komponenten hat durch die pandemiebedingten Lockdowns der vergangenen zwei Jahre und der damit immer noch bestehenden Zerrüttung der Lieferketten eine hohe Anfälligkeit auf regionaler Ebene hervorgerufen, die zum Umdenken zwingt.

Als größte Sorge und zugleich als größte Herausforderung, vor der wir nicht erst morgen, sondern schon heute stehen, zeigt sich im Umgang mit der Art der Distribution. Die Nichtverfügbarkeit von Bauteilen führt dazu, die „Politik der linearen Beschaffung“, die Bestellung über wenige ausgewählte Distributoren und die damit bislang gesicherte Belieferung, aufzugeben. Eigeninitiative ist gefragt, die jedoch zu gravierenden Einschnitten in die Arbeit des EMS-Dienstleisters führt. Die Bauteilrecherche, bisherige Domäne der Lieferanten, verlagert sich unwiederbringlich in großem Stil auf den Einkauf eines jeden EMS-Unternehmens.

Abgesehen von der operativen Problematik, den zusätzlichen zeitlich und personell bedingten Mehraufwand, der den Kunden derzeit nicht in Rechnung gestellt wird, zu kompensieren, ergeben sich Fragen, wie der Einkauf hinsichtlich der fachlichen Qualifikation der Aufgabe ausreichend gerecht werden kann. So beschränkten sich Gespräche fachlicher Tiefe bei der Bauteilbeschaffung mit Distributoren bislang zumeist auf Ausnahmen, wie beim Produktauslauf oder bei Abkündigungen, um Alternativen zu ermitteln.

Diese Überlegungen, den Rechercheprozess in Gang zu setzen und aufrecht zu erhalten, sind jetzt von eher komplexer Natur. Sie wandern nun bereits an den Beginn eines Produktlebenszyklus und herrschen kontinuierlich, sozusagen seismografisch bis zum Ende eines Produktlebens vor, da nicht bekannt ist, welches Bauteil morgen noch verfügbar ist.

Diese Arbeit in den Reihen der EMS-Fertiger muss künftig als Schlüsseldienstleistung erkannt und als fester Bestandteil in das Unternehmensportfolio integriert werden. Ein Zurück in alte Zeiten, nach dem Prinzip „weiter so, wie bisher“ wird es nicht geben. Die Erfahrung jedoch zeigt, dass hier noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten ist, tradiertes Verhalten abzubauen.

Nutzt der EMSler diesen Veränderungsprozess als Chance, sichert er fachliche Kompetenzen, kann er daraus handfeste Wettbewerbsvorteile ziehen. Es gibt ihm Handlungsspielraum für die eigene Preisgestaltung. Gute, auf Qualifikation beruhende Recherchen, das Wissen um Quellen verbessern die Lieferfähigkeit. Außerdem wird es ihm möglich sein, interne Ressourcenschonung zu betrieben. Derzeit fahren nicht wenige Unternehmen ihren Rechercheprozess bis an die Grenze des Erträglichen, ein Umstand der auf Dauer zum Wohle der Belegschaft zu ändern ist. Auch hier muss den Unternehmen der EMS-Branche klar sein, dem Markt initiativ begegnen zu müssen. Man kann in der eigenen Strategiegestaltung nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen.

Zitat

Ein Zurück in alte Zeiten, nach dem Prinzip „weiter so, wie bisher“ wird es nicht geben.

Matthias Sester, Geschäftsführer Fritsch Elektronik

Sie sprachen von Allianzen, die EMSler bilden sollen. Wie genau sollen diese aussehen?

Es gibt nur noch einen verschwindend geringen Teil der führenden Unternehmen der Chipindustrie, die noch in Eigenregie produzieren. Die wenigen bedeutenden Großproduzenten haben sich allesamt in Asien angesiedelt. Das schafft Abhängigkeiten. Durch einen hohen Anteil an Hard- und Software und am Design an der gesamten Wertschöpfungskette, verstärkt sich zudem das Ausfallrisiko.

Hinzu kommt, dass die Produktion von Halbleitern dabei nur einen geringen Anteil ausmacht. Da stellt sich zwangsläufig die Frage, wie unter den veränderten Marktbedingungen aufgrund von Lockdowns, Gefährdung der Energiezufuhr, Klimaveränderungen und kriegerischen Auseinandersetzungen der klein- und mittelständische EMS-Betrieb künftig gewachsen sein wird. Das Einzelkämpferdasein der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts funktioniert einfach nicht mehr.

Erste Ansätze, sich hier in den Reihen der EMS-Unternehmen zu formieren, werden praktiziert. Das „Netzwerk EMS“, ein loser Zusammenschluss von neun Unternehmen an Elektronik-Fertigern, zu deren Gründungsmitgliedern auch die Fritsch Elektronik zählt, zeigt auf, dass gedanklicher Austausch das Problembewusstsein zu schärfen vermag. Im themenbezogenen Interessenverbund agiert dieser Kreis wie ein Großunternehmen. Erstmals finden sich Menschen und Betriebe zusammen, die gemeinsame Grundsätze zur Unternehmensführung formulieren und danach eigenverantwortlich handeln. Synergieeffekte entstehen im Austausch, Kompetenzen werden gebündelt, um mit Lösungen strategisch auf Marktveränderungen zuzugehen. Derzeit repräsentiert das „Netzwerk EMS“ durch seine Mitgliedsunternehmen ein Umsatzvolumen von 128 Millionen Euro, mit über 800 Kunden. Es gehört nicht viel Vorstellungsvermögen dazu, welches Marktvolumen sich formiert, wenn die Mitgliederzahl weiterhin wächst. Ein Beispiel, das Schule machen kann, um insbesondere dem Elektronik verarbeitenden Gewerbe künftig handlungsaktive Rollen und Räume zu geben.

Die Fragen stellte Martin Large, Redakteur all-electronics

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Fritsch Elektronik GmbH

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77855 Achern
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