Düstere Straße ins Nichts

Die wachsende Rolle der E-Mobilität stellt manche Zulieferer vor eine ungewisse Zukunft. (Bild: Lukas – Adobe Stock)

Durch den Schwenk weg vom klassischen Antriebsstrang (ICE, internal combustion engine) hin zur E-Mobilität stehen Automobilzulieferer vor dem größten Bruch in der jahrzehntelangen Geschichte. Vor diesem Hintergrund hat Berylls Strategy Advisors in der diesjährigen Zuliefererstudie Top 100 ein Stimmungsbild der Branche erstellt und Führungskräfte von 44 europäischen Automobilzulieferern befragt. Die Zuliefererbetriebe sind von unterschiedlicher Größe, einige gehören zu den TOP-100-Zulieferern der jährlichen Umfrage. Alle eint ein Charakteristikum: ein erheblicher Teil ihres Umsatzes ist vom konventionellen Verbrennungsmotor abhängig.

Auch in fünf Jahren noch abhängig vom ICE

Aktuell erzielen 70 Prozent der Befragten mehr als ein Viertel des Umsatzes mit dem ICE-Geschäft, erwarten jedoch, dass dieser Anteil in den nächsten fünf Jahren auf 51 Prozent sinken wird. Die Zulieferindustrie befindet sich also bereits im tiefgreifenden Wandel, wobei die meisten Unternehmen der ICE-Abhängigkeit durch eine Änderung des Produktportfolios entgegenwirken. Trotzdem gehen viele Zulieferer davon aus, auch in fünf Jahren noch stark vom ICE-Geschäft abhängig zu sein.

Fast 80 Prozent erkennen in der Elektrifizierung des Antriebsstrangs viel Potenzial und weniger als zehn Prozent sehen in der E-Mobilität ein Risiko. Eine überwältigende Mehrheit von 95 Prozent glaubt, strategisch gut oder ziemlich gut auf diese Herausforderung vorbereitet zu sein. Die vorherrschende Stimmung ist daher optimistisch. Eine Mehrheit erwartet, dass die E-Mobilität die Einnahmen und die Rentabilität steigern wird. 75 Prozent sehen einen positiven Einfluss auf das Wachstum ihres Unternehmens in den nächsten fünf bis zehn Jahren und nur 13 Prozent gehen von negativen Auswirkungen auf die Gewinnspannen aus.

Erwartungen und Realität bei E-Mobility sind nicht deckungsgleich

Die meisten befragten Zulieferer sind zwar optimistisch, was die langfristigen Auswirkungen der E-Mobilität angeht, aber es liegt noch ein langer Weg vor ihnen. Auch wenn sich einige Produktgruppen etwa von Zellherstellern sehr gut entwickeln, erkennen Berylls Zulieferer-Experten eine ganze Reihe von Herausforderungen, wenn die Branche einen Anteil am E-Mobilitätsmarkt gewinnen will:

  • Anhaltend niedrige Stückzahlen, durch langsamen Hochlauf der E-Mobilität
  • Hohe F&E-Investitionen
  • Starke Nachfrage nach Ressourcen
  • Starker Preisdruck durch Wettbewerb und neue Konkurrenten
  • Erheblicher Anstieg der Risikoexposition

Auftragsvolumen bleibt zunächst niedrig

Obwohl fast alle OEMs angekündigt haben, die Modellpaletten im nächsten Jahrzehnt vollständig auf elektrisch umzustellen, bleiben die BEV-Stückzahlen im Vergleich zu den gewohnten ICE-Produktionsmengen noch lange sehr niedrig. Viele der angekündigten Modelle befinden sich noch in der Entwicklung.

Den noch geringen Stückzahlen stehen hohe Entwicklungskosten gegenüber. Denn während die konventionellen Benzin- und Diesel-Antrieb ausgereift sind, stehen die elektrifizierten Antriebsstränge noch am Anfang. Um ihr Potenzial zu heben, sind in den kommenden Jahren erhebliche Investitionen notwendig.

Problematisch ist auch, dass Fachkräfte knapp und damit teuer sind. So treibt die wachsende Nachfrage nach Hardware-, Software- und Mechatronik-Ingenieuren die F&E-Kosten der Zulieferer. Und dieser Kampf um die besten Köpfe findet nicht nur innerhalb der Automobilindustrie statt –  auch in anderen Branchen steigt der Bedarf an Fachleuten für Spezialgebiete wie Hochvolt-Hardware-Layouts, mechatronische Systeme und Software.

Ressourcen sind stark nachgefragt

Angesichts der prognostizierten Volumina für Elektrofahrzeuge ist es klar, dass es zu einem dramatischen Produktionsanstieg kommen wird. Nicht nur Forschung und Entwicklung benötigen mehr Ressourcen und Investitionen, auch andere Funktionen nehmen mit dem Anstieg der BEV-Volumina zu. Sogar die Umrüstung bestehender ICE-Produktionsanlagen bindet Ressourcen, etwa um den kommenden Abgasstandard Euro VII zu erfüllen.

Außerdem kann ein Produktionsauftrag für BEV-Komponenten dazu führen, dass ein völlig neuer Produktionsstandort geschaffen werden muss. So entstehen zusätzliche direkte Kosten etwa für den Bau, die maschinelle Ausstattung und die Einstellung von Mitarbeitern sowie indirekte Kosten für die Verwaltung und Qualitätskontrolle, allein um den Betrieb aufzunehmen.

Schwerpunktthema: E-Mobility

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(Bild: Adobe Stock, Hüthig)

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Feindliches Umfeld für die Gewinnspanne

Insgesamt sind die Zulieferer also mit einem multiplen Bedarf an mehr Ressourcen konfrontiert, um den Übergang zur E-Mobilität zu gestalten – und das wirkt sich offensichtlich auf die Rentabilität aus. Niedrige Produktionsmengen, hohe F&E-Investitionen und Preisdruck aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs schaffen ein feindliches Umfeld für die Erzielung durchschnittlicher oder gar überdurchschnittlicher Gewinnspannen. Viele Automobilzulieferer sind davon betroffen, wie die Studie zeigt. In der aktuellen Situation muss das konventionelle Geschäft mit nicht E-relevanten Komponenten vielfach die E-Mobilitätssegmente subventionieren, was zu Reibungen innerhalb und zwischen den Geschäftsbereichen führen kann.

Dazu kommt die schlechter werdende Planbarkeit der Produktion. Dass ein Zulieferer relativ verlässliche Prognosen vom OEM erhält und die Produktionskapazität für Jahre im Voraus planen kann, ist aktuell kaum noch möglich. Denn die Mengen schwanken ständig, da der Markterfolg von BEV-Modellen weit weniger vorhersehbar ist.

E-Mobilität erhöht die Risikoexposition

Planung und Preisgestaltung sind für die Lieferanten somit kompliziert, nicht zuletzt durch große Gewährleistungsrisiken. Das gilt besonders für hochwertige BEV-Komponenten und -Module, die ihre Qualität und Haltbarkeit noch nicht langfristig auf der Straße nachweisen konnten. Insgesamt erhöht die E-Mobilität offenbar die Risikoexposition der Zulieferer, die in einigen Fällen weit über das Gewinnrisiko hinausgehen kann.

Als zentrale Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Transformation sieht Berylls Strategy Advisors daher vor allem eine klare und durchdachte Strategie, die Vergrößerung der Produktionsvolumina, den Aufbau von Fähigkeiten zur Skalierung, die Sicherstellung operativer Exzellenz und ein vorausschauendes Ressourcenmanagement, um das nötige Wachstum überhaupt zu ermöglichen und den momentan herrschenden Optimismus zu rechtfertigen.

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