Von der Dampfmaschine bis zur Künstlichen Intelligenz: immer wieder haben technologische Fortschritte die Automatisierung vorangetrieben. Wir stellen die Köpfe vor, die hinter den Erfindungen standen.

Von der Dampfmaschine bis zur Künstlichen Intelligenz: immer wieder haben technologische Fortschritte die Automatisierung vorangetrieben. Wir stellen die Köpfe vor, die hinter den Erfindungen standen. (Bild: Adobe Stock / Mdisk)

Wilhelm Schickard-Porträt von 1632. In der rechten Hand hält er das von ihm erfunden Handplanetarium, in der linken eine konisch geformte Karte der Mondlaufbahn.
Wilhelm Schickard-Porträt von 1632. In der rechten Hand hält er das von ihm erfunden Handplanetarium, in der linken eine konisch geformte Karte der Mondlaufbahn. (Bild: MUT / V. Marquardt)

Seit die Menschen das Rechnen erfunden haben, gab es über tausende von Jahren eigentlich nur eine "Rechenmaschine": das menschliche Gehirn, unterstützt von gekritzelten Zeichen auf Tontafeln oder Pergament. Den Traum, mathematische Operationen auf mechanischem Weg ausführen zu lassen, gab es schon früh: ein Beispiele dafür ist etwa der Kompasswagen oder Südzeiger, der in der chinesischen Literatur das erste Mal etwa 2.500 vor Christus erwähnt wird. Es handelt sich um einen Wagen mit einer darauf montierten Figur. Durch einen Zahnrad-Mechanismus ähnlich einem Differential-Getriebe wird erreicht, dass die Figur immer in die gleiche Himmelsrichtung zeigt, auch wenn der Wagen Kurven fährt.

Die Leistung, die erste allgemeine mechanische Rechenmaschine erfunden zu haben, wird aber allgemein dem Tübinger Universalgelehrten Wilhelm Schickard zugeschrieben. In einem Brief an seinen Freund, den berühmten Astronomen Johannes Kepler, schreibt er am 20. September 1623: „Ferner habe ich dasselbe, was Du rechnerisch gemacht hast, kürzlich auf mechanischem Wege versucht und eine aus elf vollständigen und sechs verstümmelten Rädchen bestehende Maschine konstruiert.“ Mit feinen Linien skizzierte Schickard den Bauplan seiner Erfindung.

So funktionierte Schickards Rechenmaschine:

Die Konstruktion konnte mit maximal sechsstelligen Zahlen in allen Grundrechenarten operieren: Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Vor allem aber gelang der automatische Zehnerübergang, bei dem wahrscheinlich eine kleine Glocke läutete, wenn die letzte Ziffer von 9 auf 0 sprang. Kernstück der Rechenmaschine war ein Addierwerk mit sechs Zahnrädern, die jeweils die Ziffern von 0 bis 9 aufwiesen und zum Addieren im Uhrzeigersinn und zum Subtrahieren gegen den Uhrzeigersinn gedreht werden konnten. Für die Multiplikation integrierte Schickard ein System, das an die Rechenstäbe des schottischen Gelehrten John Napier erinnerte, und kombinierte es mit den Rädern des Addierwerks, die den Multiplikator bestimmten. Die Zahlen mussten nur noch eingestellt und die Ergebnisse abgelesen werden - die eigentliche Rechenoperation übernahm die Maschine.

Wer die Funktionsweise der Rechenmaschine besser verstehen will, kann sich über diesen Link eine App herunterladen und damit Schickards Erfindung ausprobieren.

Ein Nachbau von Wilhelm Schickards Rechenmaschine, der im Museum der Universität Tübingen steht.
Ein Nachbau von Wilhelm Schickards Rechenmaschine, der im Museum der Universität Tübingen steht. (Bild: MUT / V. Marquardt)

Theologe, Mathematiker und Mechaniker

Für die Erfindung entscheidend war vermutlich, dass Schickard nicht nur Gelehrter, sondern auch ein äußerst geschickter Mechaniker war - heute würde man ihn wohl einen genialen Ingenieur nennen. Das Interesse an vielfältigen geistigen und handwerklichen Themen wurde ihm quasi in die Wiege gelegt: Schickard war der Sohn eines Schreiners und einer Pfarrerstochter und der Neffe eines Baumeisters. Das Konstruieren und Experimentieren begleitete Schickards Wirken an der Universität Tübingen. Der Theologe wurde 1619 zum Professor für Hebräisch und andere biblische Sprachen berufen. Für seine Studierenden entwickelte er eine Lernhilfe aus aufeinander liegenden, drehbaren Scheiben mit hebräischen Verben und Endungen. So konnten sie sich die komplizierten Konjugationen leichter merken. Selbst Isaac Newton besaß ein Exemplar.

Im Jahr 1631 wurde Schickard als Nachfolger des Astronomen und Mathematikers Michael Mästlin auf die Professur für Astronomie, Mathematik und Geodäsie berufen. Durch ein Handplanetarium stellte er die Bewegungen von Sonne, Erde und Mond dar, eine konisch geformte Himmelskarte erleichterte das Auffinden der Sternbilder. Als Schulaufseher inspizierte er Lateinschulen in Württemberg und vermaß auf seinen Reisen das Land. Anschließend zeichnete er aus den Daten viel genauere Karten, als es sie bis dahin gegeben hatte.

Mutter war als Hexe angeklagt

Johannes Kepler, der wie Schickard an der Universität Tübingen studiert hatte, wurde bereits 1617 auf den jüngeren, „Mathematik liebenden“ Kollegen aufmerksam. Offensichtlich erkannte Kepler bei dieser Begegnung sofort den gewaltigen Intellekt des jungen Schickard und ermutigte ihn, sich mit den Naturwissenschaften zu beschäftigen. Fortan korrespondierten Kepler und Schickard miteinander und es kam zu weiteren Treffen, nachdem Kepler 1620 nach Württemberg heimgekehrt war, um seiner Mutter in einem Hexereiprozess beizustehen.

Der Astronom schätzte Schickards handwerkliches und künstlerisches Geschick - er nannte ihn einmal einen "beidhändigen Philosophen" - und beauftragte ihn mit Kupferstichen und Holzschnitten für sein epochales Werk „Harmonice mundi“, in dem Kepler die Gesetze der Planetenbewegungen formulierte. Schickard seinerseits wusste um die vielen Stunden, die Kepler mit der Berechnung von Planetenbahnen verbrachte. Diese Aufgabe wollte er seinem Freund offenbar erleichtern.

Die Helden der Automatisierung:

Von der Dampfmaschine bis zur Künstlichen Intelligenz: immer wieder haben technologische Fortschritte die Automatisierung vorangetrieben. Wir stellen die Köpfe vor, die hinter den Erfindungen standen.
Von der Dampfmaschine bis zur Künstlichen Intelligenz: immer wieder haben technologische Fortschritte die Automatisierung vorangetrieben. Wir stellen die Köpfe vor, die hinter den Erfindungen standen. (Bild: Adobe Stock / Mdisk)

James Watt: Das bescheidene Genie

Nicolas Minorsky: Der mathematische Kosmopolit

 

Zweite Rechenmaschine wurde ein Raub des Feuers

Nachdem er das Grundprinzip der Rechenmaschine erkannt und ausgearbeitet hatte, gab Schickard den Bau der „Rechen-Uhr“ – so seine eigene Bezeichnung – bei seinem „Mechanicus“ Johann Pfister in Auftrag. Der baute1623 ein Exemplar für Schickard und später ein zweites Exemplar, das für Kepler bestimmt war. Doch nun machte das Schicksal Schickard einen Strich durch die Rechnung: Keplers Exemplar wurde noch in Pfisters Werkstatt durch ein Feuer vernichtet.

Es blieb nicht der letzte Schicksalsschlag: Schickards Leben endete tragisch. In der Anfangszeit des Dreißigjährigen Kriegs konnte sich Tübingen durch hohe Geldzahlungen vor Zerstörung bewahren. Doch nach der verlorenen Schlacht von Nördlingen 1634 quartierten sich kaiserliche Truppen in Tübingen ein und brachten die Pest mit.

Zuerst raffte die Seuche Schickards Frau und seine drei Töchter dahin. Schickard selbst erkrankte, konnte sich aber erholen. Im Oktober 1635 erkrankte er erneut und starb, einen Tag vor seinem neunjährigen Sohn.

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Konstruktionspläne waren Jahrhunderte verschollen

Nachbau des von Wilhelm Schickard konstruierten Handplanetariums, das auch auf dem Portrait des Mathematikers oben zu sehen ist.
Nachbau des von Wilhelm Schickard konstruierten Handplanetariums, das auch auf dem Portrait des Mathematikers oben zu sehen ist. (Bild: Wikimedia / cc-by-sa 3.0)

Nach dem Pest-Tod von Wilhelm Schickard und seiner Familie ging das Wissen um die Rechenmaschine und Schickards Exemplar in den Wirren des 30-jährigen Kriegs verloren. Historiker erklärten irrtümlicherweise den französischen Philosophen Blaise Pascal, der zwanzig Jahre später eine eigene mechanische Rechenmaschine entwickelte, zu ihrem Erfinder.

Schickards Skizzen tauchten jedoch über Umwege wieder auf. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es, die Maschine an der Universität Tübingen zu rekonstruieren und ihre Funktionsfähigkeit nachzuweisen.

Die Tübinger Rechenmaschine stand in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Aufschwung der exakten Wissenschaften zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die Arbeiten der Astronomen Tycho Brahe, Galileo Galilei und Johannes Kepler hatten gezeigt, dass Naturphänomene – wie etwa die Bewegung der Planeten – durch Beobachten, Messen und Berechnen präzise vorhergesagt wer-den konnten. Mit den zunehmend komplexeren Berechnungen stiegen die mathematischen Anforderungen. Das Rechnen mit großen Zahlen aber ist fehleranfällig. „Insbesondere beim Addieren größerer Zahlenreihen hätte Schickards Rechenmaschine zu einer Erleichterung führen können, da sie helfen konnte, Rechen-fehler zu vermeiden“, erklärt der Tübinger Informatiker Professor Herbert Klaeren.

„In Schickards Konstruktion sind die Kernelemente der Informatik enthalten“, ordnet Professor Oliver Bringmann, Sprecher des Fachbereichs Informatik an der Universität Tübingen, die Erfindung ein. „Sie definiert Rechenvorschriften und wendet sie gleich in einem automatisierten Verfahren an.“ Erst im 18. Jahrhundert sollten Rechenmaschinen mit höherer Leistungsfähigkeit gebaut werden.

Zum 400-Jahr-Jubiläum von Schickards Rechenmaschine wird das Bundesfinanzministerium gemeinsam mit der Universität Tübingen im September 2023 eine 20-Euro-Sammlermünze und eine 85-Cent-Sonderbriefmarke zu Ehren von Wilhelm Schickard und seiner Erfindung vorstellen.

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