Heutige Fahrzeuge sind zunehmend mobile Rechenzentren mit umfangreichen Fahrerassistenz- und Infotainment-Systemen. Auch das hochautomatisierte und autonome Fahren wird in absehbarer Zeit Realität. Bei diesen Veränderungen spielt der zugrundeliegende Software-Stack einschließlich des Betriebssystems eine fundamentale Rolle. Heutige Automobilsoftware basiert auf proprietären, funktional eingeschränkten und eher „langsamen“ Komponenten, die mögliche Risiken und Fehler minimieren. Diese Lösungsansätze werden den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht.
Die Zukunft der Automobilindustrie liegt eindeutig in softwaregesteuerten, autonomen, vernetzten Fahrzeugen mit elektrischem Antrieb. Nur mit Fahrzeugsystemen, die eine Realtime-Datenverarbeitung und hohe Rechenleistung bieten, werden OEMs ihre Ziele in den Bereichen Konnektivität, Mobilität als Dienstleistung oder automatisiertes und autonomes Fahren erreichen – und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern. Da diese automobilen Trends immer stärker voneinander abhängen, werden die digitale Integration und die nahtlose Konnektivität für die Automobilhersteller entscheidend sein, um die Markentreue zu erhalten sowie auszubauen und um ihren Marktanteil durch neue Geschäftsmodelle zu vergrößern. Darüber hinaus ist diese Konnektivität die Grundlage für die Verbesserung des Fahrerlebnisses. Der zentrale Treiber für diese Entwicklungen ist vor allem Software.
Warum Linux für Automotive?
Linux ist in vielen Bereichen bereits ein starker Innovationstreiber. Nun erobert das Open-Source-Betriebssystem auch die Straße, und zwar auch für Anwendungsfälle mit hohen Anforderungen an die funktionale Sicherheit. Ein auf funktionale Sicherheit zertifiziertes und speziell für den Automotive-Bereich ausgelegtes Linux-Betriebssystem bringt mehr Flexibilität in das Software-Ökosystem der Automobilindustrie. Es ermöglicht den Fahrzeugherstellern und ihren Partnern, sich auf innovative Anwendungen, Services und Funktionalitäten rund um das Auto der Zukunft zu fokussieren.
Die Software bestimmt die automobile Zukunft
Software ist das Stichwort für den gravierenden Paradigmenwechsel im Automotive-Sektor, der derzeit stattfindet. In der Vergangenheit wurde das Fahrzeug durch die Hardware definiert, auf die die Software aufgesetzt wurde – jetzt verlagert sich der Schwerpunkt auf die andere Seite. Unternehmen wie Tesla zeigen, dass sie zuerst die Software konzipieren und dann das Auto bauen.
Die steigende Bedeutung der Software belegt die folgende Entwicklung: In den heutigen Fahrzeuggenerationen können mehr als 150 Steuermodule – sogenannte ECUs (Electronic Control Units) – vorhanden sein, die alle für einen bestimmten Anwendungsfall konzipiert sind, zum Beispiel für die ABS-Bremsfunktion, das Auslösen von Airbags oder die Motorsteuerung. In der Branche zeichnet sich der Trend ab, weniger, aber leistungsstärkere ECUs zu nutzen, die eine Vielzahl von Funktionen und gleichzeitig alle Anforderungen an die funktionale Sicherheit erfüllen können. Die Entwicklung dieser integrierten, funktional umfangreichen Steuergeräte wird maßgeblich durch softwaredefinierte Lösungsansätze getrieben. OEMs werden künftig also nicht mehr einfach ihre traditionellen Tier-1-Zulieferer bitten, ein motorisiertes Sitzsystem zu entwickeln, das sein eigenes Steuergerät mitbringt. Stattdessen müssen sie die Softwareentwicklung koordinieren, um ein gemeinsames und standardisiertes Konzept für bordeigene Plattformen zu etablieren.
Der Trend zum softwaredefinierten Fahrzeug ist nicht mehr aufzuhalten. Doch was heißt softwaredefiniert nun konkret? Es bedeutet, dass Funktionen, die herkömmlicherweise etwa in Firmware oder ROM fest kodiert sind, in einen Software-Layer überführt werden, der auf standardisierter Hardware läuft. Die Entkopplung der Software von der Hardware ermöglicht neben der Hardware-Unabhängigkeit eine Standardisierung und bietet Vorteile wie eine höhere Skalierbarkeit und Flexibilität, ein vereinfachtes Management und letztlich auch geringere Kosten. Die Abstrahierung der Software von der Hardware unterstützt darüber hinaus die Bereitstellung schnell integrierbarer Softwarekomponenten oder neuer Funktionen. Dabei werden vor allem moderne Architekturkonzepte wie Virtualisierung, Container, Linux und Open Source im Allgemeinen an Bedeutung gewinnen. Sie stammen alle aus dem Offboard-Bereich, werden aber zunehmend Bestandteil des Fahrzeugs selbst.
Linux-Betriebssysteme sind der nächste Schritt
Die Frage lautet nun: Werden auch Linux-basierte Betriebssysteme Teil dieser Zukunft sein, gerade hinsichtlich der bestehenden Standards für funktionale Sicherheit? Die Antwort lautet eindeutig ja. Viele OEM-Entwicklungen und Community-Initiativen gehen bereits in Richtung von Fahrzeugplattformen mit einem Linux-basierten Betriebssystem, auf dem die Applikationen und Services laufen.
Ein auf funktionale Sicherheit zertifiziertes und speziell für den Automotive-Bereich ausgelegtes Linux-Betriebssystem bringt mehr Flexibilität in das Software-Ökosystem der Automobilindustrie. Es ermöglicht den Fahrzeugherstellern und ihren Partnern, sich auf innovative Anwendungen, Services und Funktionalitäten rund um das Auto der Zukunft zu fokussieren. Das heißt, ein standardisiertes Linux-Betriebssystem kann als eine leistungsfähige Basis für alle darüber liegenden spezifischen Softwareplattformen der OEMs fungieren, mit denen sie sich differenzieren können: vom Hersteller-Betriebssystem über die Middleware und Applikationen bis hin zu den Services.
Allerdings muss ein Linux-basiertes Betriebssystem im Fahrzeug mehrere hohe Anforderungen erfüllen. Dazu gehören eine Workload-Orchestrierung, eine sichere Prozessisolierung, eine regelmäßige Aktualisierung und vor allem eine Zertifizierung für funktionale Sicherheit. Red Hat arbeitet intensiv an einem solchen In-Vehicle OS (Operating System), das auf bewährten Komponenten von Red Hat Enterprise Linux basiert. Hierbei kooperiert Red Hat auch mit zahlreichen OEMs und Lösungsanbietern, beispielsweise seit 2021 mit exida, einer akkreditierten Zertifizierungsstelle, die auf Automatisierungs- und Automobilsysteme spezialisiert ist.
Außerdem ist Red Hat in etlichen Gremien, Initiativen, Communities und Projektgruppen vertreten, die derzeit die Entwicklungen im Automotive-Segment aktiv vorantreiben. Dazu zählen etwa SOAFEE (Scalable Open Architecture for Embedded Edge), SDV.edge (Software-Defined Vehicle) der Eclipse Foundation oder ELISA (Enabling Linux In Safety Applications). Im Fokus stehen dabei Themen wie Software-Defined Vehicle, Edge, Linux als Betriebssystem im Fahrzeug, Container Runtime oder Cloud-Connectivity.
Normen aktualisieren
Ein Schwerpunkt der Tätigkeit von Red Hat liegt in der Beteiligung am Update-Prozess der ISO-Norm 26262. Sie definiert Modelle und Methoden für die Entwicklung und Produktion funktional sicherer elektrischer und elektronischer Komponenten in Fahrzeugen. Eine Umsetzung der Norm ist beispielsweise für die elektronischen Steuergeräte relevant. Komplexe Systeme wie Linux aber werden von der Norm bisher nicht abgedeckt. Red Hat ist Mitglied eines laufenden Projekts zur Aktualisierung dieser ISO 26262, bekannt als ISO PAS 8926. Es hat zum Ziel, ein Framework für die Qualifizierung und Zertifizierung von Softwareprodukten für sicherheitsrelevante Applikationen im Fahrzeugbereich zu konzipieren. Darunter fallen auch Open-Source-Anwendungen wie ein Linux-Betriebssystem.
Mit ELISA existiert überdies ein Projekt innerhalb der Linux Foundation, in dem Hersteller wie Red Hat an Tools und Prozessen für die Entwicklung und Zertifizierung sicherheitskritischer Anwendungen und Systeme auf Linux-Basis arbeiten. Ein zentraler Schwerpunkt sind dabei auch die Softwarelösungen für den Einsatz im Kraftfahrzeugbereich.
Zudem ist Red Hat bei der Entwicklung seines In-Vehicle OS für den Automotive-Bereich auch mit einer eigenen Open-Source-basierten Partner-Community in der Automotive SIG (Special Interest Group) des CentOS-Projekts aktiv. Sie hat im März 2022 mit AutoSD (Automotive Stream Distribution) eine binäre Distribution vorgestellt, die als Preview auf das kommende Fahrzeugbetriebssystem von Red Hat dient.
Nicht zuletzt ist Red Hat seit Kurzem auch Mitglied im branchenübergreifenden Gemeinschaftsprojekt AGL (Automotive Grade Linux), dem unter anderem Automobilfirmen wie Ford, Honda, Mazda, Mercedes, Toyota oder VW angehören. Das Projekt verfolgt das Ziel, eine Open-Source-Plattform für alle vernetzten Fahrzeugtechnologien zu entwickeln. Red Hat will dabei seine Open-Source- und Linux-basierte Erfahrung in das Software-Ökosystem der Automobilindustrie einbringen, um eine sichere, zuverlässige und flexible Grundlage für softwaredefinierte Fahrzeuge zu schaffen.
Kooperation mit OEMs
Der Automotive-Bereich ist bereits seit Längerem ein zentraler Branchenfokus von Red Hat. Intensiv arbeitet das Unternehmen etwa mit großen deutschen OEMs wie Audi, BMW, Porsche oder VW an der Bewältigung aktueller technologischer Herausforderungen. Dabei geht es etwa um das Autonome Fahren, automatisierte Testumgebungen für Technologien rund um das vernetzte Fahrzeug oder die Nutzung einer Enterprise-Kubernetes-Plattform für die schnelle Anwendungsentwicklung und -bereitstellung. Diese Projekte zeigen die Fähigkeit von Red Hat, den digitalen Lifecycle des softwaredefinierten Fahrzeugs zu unterstützen – sowohl bei der Onboard- als auch bei der Offboard-Entwicklung.
Erst vor Kurzem haben zudem Red Hat und GM (General Motors) bekannt gegeben, dass sie im Rahmen einer Kooperation die Entwicklung von softwaredefinierten Fahrzeugen forcieren. Die Unternehmen wollen ein Ökosystem von Innovationen rund um das Red Hat In-Vehicle OS aufbauen. Das Linux-Betriebssystem, das für funktionale Sicherheit zertifiziert werden soll, wird auch als Basis für die laufende Weiterentwicklung der Ultifi-Softwareplattform von GM dienen.
Die kombinierte Softwarelösung soll eine Vielzahl von sicherheitsrelevanten und nicht sicherheitsrelevanten Anwendungen im Fahrzeug unterstützen. Dazu zählen Infotainment, fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme oder Konnektivität. Die Einbindung des Red Hat In-Vehicle OS in die Ultifi-Plattform wird mehrere Vorteile bieten: So reduziert die Konsolidierung und Wiederverwendung von Software auf einer gemeinsamen Plattform die Kosten. Zudem können durch die Optimierung des Entwicklungszyklus zusätzliche Anwenderfunktionen und Softwareverbesserungen schneller umgesetzt werden. Auch die Konzeption neuer Geschäftsmodelle oder Services und die Generierung weiterer Umsatzquellen wird damit unterstützt.
Open-Source-Software ebnet den Weg
Für die anstehenden disruptiven Veränderungen stellen traditionelle Ansätze bei der Konzeption von Fahrzeugplattformen ein Hindernis dar. Beispielsweise können spezifische Entwicklungen nur schwer über Fahrzeuglinien und Modelljahre hinweg wiederverwendet werden. Systembeschränkungen führen überdies zu kostspieligen und aufwendigen Software-Updates. Die Einführung von Open-Source-Software anstelle von proprietären Lösungen ebnet einen Weg zur Etablierung gemeinsamer Standards. Durch den Einsatz von Open-Source-Software kann die Automobilindustrie viele aktuelle Herausforderungen bewältigen und ihre Strategien modifizieren, wobei sie zugleich die steigenden Kundenanforderungen mit der schnellen und besseren Umsetzung von Innovationen erfüllt. Ein Linux-basiertes, durchgängig zertifiziertes und funktionssicheres Betriebssystem für Kraftfahrzeuge wird dabei ein wesentlicher Bestandteil der automobilen Zukunft sein. (na)