Auf der dSPACE World Conference, die Ende Mai in München stattfand, hat Dr. Marc Nalbach, Vice President bei dSPACE, dazu aufgerufen, gemeinsam eine offene, branchenweite Verifikations- und Validierungsplattform zu schaffen. „Nach unseren Vorstellungen soll sich die Open Verification and Validation Industry Platform auf die Ausführung und die Optimierung des Verifikations- und Validierungsprozesses fokussieren“, erklärte Dr. Nalbach. „Dadurch ergeben sich signifikante Einsparpotenziale beim Setup und der Wartung der V&V-Toolchains, und Integrationsaufwände werden reduziert. Anwender sollen damit künftig in der Lage sein, effizienter und schneller zu testen und zu entwickeln.“ Die Plattform kann damit einen wesentlichen Baustein bei der Bewältigung der Herausforderungen komplexer werdender Systeme wie Software-Defined Vehicles darstellen.
Im Gespräch mit der Redaktion von AUTOMOBIL-ELEKTRONIK erläuterte Dr. Carsten Hoff, CEO von dSPACE, die Hintergründe: „Wir laden Marktbegleiter zum Dialog über eine standardisierte Industrieplattform ein. Unsere Kunden stecken wirklich viel Aufwand in Schnittstellen und Integration. Jetzt müssen wir uns in der Verifikations- und Validierungswelt Gedanken machen, wie man diesen Aufwand reduzieren kann – in Form einer offenen Plattform.“
Die OEMs haben aktuell das Problem, ihre Toolketten aus einzelnen heterogenen Elementen zusammenzubauen. Deshalb habe dSPACE einigen OEMs bereits im Vorfeld die Initiative zur Etablierung der Open Verification and Validation Industry Platform vorgestellt und daraufhin „positives Feedback eingeholt“, so der dSPACE CEO. „Da besteht klares Interesse, aber die OEMs möchten auch gar nicht, dass in diesem Bereich ein einziges Unternehmen dominiert. Die einhellige Meinung der OEMs: Eine Plattform sollte unabhängig sein, damit kein einzelnes Unternehmen dabei eine herausragende Stellung bekommt.“
Hohe Resonanz auf Plattforminitiative
Am ersten Tag der dSPACE World Conference rief Dr. Nalbach die Anwesenden in einem Vortrag dazu auf, im Rahmen der Plattforminitiative zu kooperieren, am zweiten Tag sagte er im Gespräch mit der Redaktion Folgendes: „Die Resonanz auf unseren Aufruf war schon sehr hoch, denn es sind bereits viele Marktbegleiter und Kunden mit sehr positivem Feedback auf die Initiative zu uns gekommen. Auch sind sie der Meinung, dass wir aufgrund der aktuellen Situation in diesem Bereich einen gemeinsamen Weg gehen müssen, denn mit der heutigen Toolkette wird man die zukünftigen Herausforderungen rund um die softwareorientierten Funktionalitäten im Fahrzeug in der erforderlichen Komplexität nur schwer bewältigen können. Wir müssen hier gemeinsam ein sehr dickes Brett bohren und als Industriegemeinschaft zusammenkommen, um die gesamte Bandbreite abzudecken. Es nutzt schließlich nichts, wenn wir jetzt nur Teillösungen in den entsprechenden Spezialgebieten abdecken können, denn das würde dem gesamtheitlichen Ansatz nicht genügen, den der Kunde braucht.“
Vom Standard zur Open Verification and Validation Industry Platform
„Die XIL-API zeigt, welches Potenzial Standards zu heben vermögen“, so Dr. Nalbach. Er ergänzt: „Wie viel mehr kann eine holistische Plattform leisten, die beispielsweise einen durchgängigen Austausch von Daten sowie deren Automatisierung bereitstellt und cloud-, software- und hardwarebasierte Toolketten integriert.“
„Im Rahmen der Plattforminitiative soll sich ein Konsortium bilden, dem auch Marktbegleiter angehören“, berichtet Dr. Hoff. Dieses werde selbstverständlich eng mit Standardisierungsorganisationen wie ASAM zusammenarbeiten. Dr. Nalbach erklärt: „Das Konsortium wird die Industrieplattform entwickeln. Das wird ein stufenweiser Prozess sein, aber wir haben uns vorgenommen, 2024 eine Lösung für erste Kunden zu haben. Viele Kunden empfinden derzeit beispielsweise eine HIL-/SIL-Durchgängigkeit als wichtiges Thema, weil beide Testmethoden benötigt werden. Hier mehr Wiederverwendbarkeit zu ermöglichen, könnte ein erster Ansatz sein, ergänzt um eine Anbindung an die Testautomatisierung.“
Eine Aufgabe für alle
Dr. Nalbach brachte die aktuelle Situation auf den Punkt: „Die OEMs brauchen jeden Freiraum und jede Kapazität, um sich auf die Entwicklung wettbewerbsdifferenzierender Software-Funktionen für ihre Fahrzeuge konzentrieren zu können.“
„Diesen Freiraum zur Effizienzsteigerung zu schaffen, ist eine Mission für alle Akteure unserer Branche“, stellt Dr. Hoff klar, um dann nochmals eine Einladung an alle auszusprechen: „Als Partner und Beteiligte der Plattform sehen wir alle, die in der Tool-Welt aktiv sind – völlig unabhängig davon, ob sie ein Wettbewerbsprodukt zu dSPACE haben oder eine Ergänzung des dSPACE Portfolios darstellen.“
Der Autor: Alfred Vollmer
Alfred Vollmer interessiert sich nicht nur für Technik per se in vielen Facetten und Einzelheiten sondern auch dafür, wie sich diese Technik im wirtschaftlich-gesellschaftlichen Rahmen sinnvoll anwenden, umsetzen und nutzen lässt. Der Dipl.-Ing. hat bereits während des Studiums der Elektrotechnik sein Faible fürs Schreiben entdeckt und ist mit über 30 Jahren Branchenerfahrung ein bestens vernetztes Urgestein der europäischen (Automobil-)Elektronik-Fachpresse. Er fragt gerne detailliert nach und lässt dabei auch die ökologischen Aspekte nicht aus. Mit vielen seiner (Elektrotechnik-)Prognosen lag er richtig, aber manchmal sorgten auch sehr spezifische Marktmechanismen dafür, dass es ganz anders kam…