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(Bild: KI/ChatGBT)

Im Mai 2023 stellte die EU ihren überarbeiteten Aktionsplan für die europäische Kreislaufwirtschaft vor [1]. Das lakonische Fazit der Kommission: Um die Ziele in Sachen Ressourceneffizienz und strategischer Autonomie zu erreichen, müssen die Mitgliedsstaaten einen Zahn zulegen. Das überabeitete Framework lieferte dazu deutliche Zahlen. So ist trotz einiger Verbesserungen die EU-Wirtschaft immer noch weitgehend linear. Sekundärrohstoffe machen weniger als 12% aller in der EU-Wirtschaft verwendeten Materialien aus. Bei vielen Spezialmetallen und Seltenen Erden (wie Lithium, Gallium und Neodym) liegt die Recyclingquote am Ende des Lebenszyklus bei gerade einmal 1%. Bei Nickel und Kobalt, die beide in Batterien Verwendung finden, liegt die Quote bei immerhin 16% bzw. 22%.

Prinzipiell geht es bei der „Circular Economy“ darum, das Wirtschaftswachstum vom Verbrauch primärer Ressourcen zu entkoppeln. Die Rückführung von Materialien ist ein Kernthema. Aber auch energieeffiziente Fertigungsprozesse, eine auf Nachhaltigkeitskriterien basierende Supply Chain sowie ein auf lange Lebensdauer und Reparaturfähigkeit ausgelegtes Produkt-Design sind zentral.

Design for Environment: Lang lebe das Produkt

Tatsächlich entscheiden sich laut Einschätzung des EU Design Council [2] 80% aller Umwelteinflüsse eines Produktes bereits in der Designphase. Design for Environment bezieht daher idealerweise Aspekte der Nachhaltigkeit von Beginn an in den Entwicklungsprozess mit ein. Ein guter Ausgangspunkt ist hier eine Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA). Die systematische Analyse identifiziert alle potenziellen Umweltwirkungen und berücksichtigt unter anderem den Energieverbrauch sowie vor- und nachgeschaltete Prozesse bei der Fertigung (z.B. Herstellung der Rohstoffe). Eng daran geknüpft sind Ökodesign-Prinzipien, die ökonomische und ökologische Anforderungen gegenüberstellen und fundierte Entscheidungen entwickeln.

Die gute Nachricht für Entwickler-Teams: In manchen Fällen überschneiden sich die Nachhaltigkeitsprinzipien bereits mit Prinzipien der Lean-Entwicklung. Kompakte Baugruppen sparen nicht nur Kosten ein, sie reduzieren auch die Menge an verbautem Material (Design for Low Impact Materials). Die Konzeption eines Gehäuses kann schnelle Wartungsarbeiten erlauben und trotzdem Sicherheitsanforderungen entsprechen. Auch beim Oberflächen-Finish eines Geräts schließen sich umweltfreundliche Entsorgung und sicherheitskonformes Design nicht automatisch aus. Der Rückgriff auf lokale Zulieferer senkt den CO2-Fußabdruck entlang der Lieferkette (Design for Supply Chain). Und angesichts steigender Energiepreise gehört die Energieeffizienz von Komponenten sowie des End-Gerätes zu bestehenden Best Practices von Engineering-Teams.

High-Tech-Produkte in stark regulierten Märkten wie Healthcare & Life Sciences, der Luftfahrt und der Industrie sind von jeher auf eine lange Lebensdauer ausgerichtet (Design for Prolonged Product Use). Entscheiden sich Ingenieure hier beispielsweise für ein modulares Produkt-Design, erhöht das nicht nur die Reparaturfreundlichkeit (Design for Disassembly). Die Hersteller können auch Kosten einsparen. Bei einem Labor-Inkubator konnte der EMS-Experte Plexus die Gesamtkosten durch einen Technologiewechsel bei der Kühlung um rund ein Drittel reduzieren. Das neue Modul lässt sich sowohl schneller in der Fertigung verbauen als auch im Rahmen von Maintenance einfacher reparieren. Ein Re-Design kann also immer auch als Win-Win-Situation genutzt werden.

Strategie-Shift in der Supply Chain

Während man in der Design- und Entwicklungsphase in vielen Ansätzen bereits nachhaltig ist, zeichnet sich beim Management von Lieferketten ein monumentaler Strategiewechsel ab. Die Wunden aus der Supply Chain-Krise und den Corona-Jahren sitzen tief. Die (zumindest teilweise) Rückverlagerung der Produktion und die Auswahl lokaler Zulieferer mit kürzeren Transportwegen zielen deshalb alle in eine ähnliche Richtung: Sie sollen die Supply Chain Resilienz erhöhen und Unternehmen mehr Kontrolle und Agilität verleihen. Dass sich damit auch Möglichkeiten für nachhaltiges und umweltschonendes Sourcing eröffnen, ist mehr als nur ein schöner Nebeneffekt.

Über 90% der Treibhausgasemissionen eines Unternehmens und 50-70 % der Betriebskosten [3] sind allein auf die Lieferkette zurückzuführen. Damit besteht in doppelter Hinsicht Handlungsbedarf. Gesetzliche Initiativen wie das Lieferkettengesetz (LkSG) und der EU Supply Chain Act erhöhen den Druck zusätzlich. Nüchtern betrachtet könnte man die Nachhaltigkeitsinitiativen auch schlichtweg als Evolution bestehender Compliance-Anforderung (z.B. Konfliktmaterialien, RoHS und REACH) betrachten. Und auch der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft lässt sich als Chance für die Optimierung der Supply Chain verstehen. Denn werden Materialien in den Produktionskreislauf zurückgeführt, bringt das automatisch innovative Ansätze für das Ersatzteilmanagement, die Logistik, die Lagerhaltung und das Bestandsmanagement.

Fertigung: Sauber, effizient & hochautomatisiert

In der Fertigung ist die Nachhaltigkeit eng an die Automatisierung und Optimierung der Anlagen geknüpft – und damit an den Einsatz von Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), robotergesteuerte Prozessautomatisierung (RPA) und digitaler Zwilling. Sie sollen helfen, die Produktion effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Doch auch die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks, des Energieverbrauchs, der Abfallprodukte sowie des Wasserverbrauchs rücken in den Vordergrund.

Um hier Einsparungspotenziale zu identifizieren, ist eine ganzheitliche Vernetzung (Stichwort: Industrial Internet of Things, IIoT) Grundvoraussetzung. Energie-, Verbrauchs- und Prozessdaten der Maschinen, Anlagen und Produktionsgebäuden lassen sich sowohl auf ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis als auch auf ihre Ökobilanz hin evaluieren. Plexus zum Beispiel installierte in seinen weltweiten Produktionsstandorten Stromzähler, um den Verbrauch großer „Energiefresser“ zu messen – also Geräte oder Systeme, die 2% oder mehr des jährlichen Stromverbrauchs eines Standorts ausmachen. Der EMS-Dienstleister implementierte bis zu sechs intelligente Messboxen, mit denen 48 Stromkreise individuell überwacht werden können. Der Stromverbrauch wird nun mit einer detaillierten Echtzeitüberwachung von über 6.000 Stromkreisen verfolgt. Dank dieser Maßnahmen konnte Plexus die Energieintensität um 11,9 % senken.

Grundsätzlich lassen sich in der Fertigung unterschiedliche Ansätze für eine akzeptable CO2-Bilanz kombinieren. Dazu gehört die Sanierung von alten Maschinen und Anlagen, aber auch ein gesundes Energie-Portfolio, das sich mehrheitlich auf erneuerbare Energiequellen stützt.

Vielversprechende Margen im Aftermarket Services

Im Aftermarket der Elektronikindustrie geht es zunehmend darum, die Lebensdauer von elektronischen Produkten zu verlängern und im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu managen. Daher kann man mit gutem Recht zukünftig von „Sustaining Services“ sprechen. Kreislaufwirtschaft bezieht sich hier auf zwei Kernbereiche: Zum einen auf die Verlängerung der Produktlebensdauer durch vorausschauende Wartung. Zum anderen auf die Refabrikation (Aufarbeitung gebrauchter Geräte), das Refurbishing (qualitätsgesicherte Überholung und Instandsetzung von Produkten) und das Recycling (Verwendung als sekundäre Rohstoffe) von Bauteilen, um den Anteil an Elektroschrott (E-Waste) zu reduzieren und Komponenten und Materialien nachhaltig in die Wertschöpfungskette zurückzuführen.

Laut E-Waste-Monitor [4] landeten 2020 insgesamt 53,6 Mio. Tonnen Elektronikgeräte auf dem Müll. Bis 2030 soll diese Zahl auf voraussichtlich 74 Mio. Tonnen anwachsen. Schuld sind unter anderem immer kürzere Lebenszyklen sowie fehlende Reparaturmöglichkeiten. Der Müllberg aus ausrangiertem, kaputtem oder veraltetem Elektronikschrott ist dabei durchaus „Gold“ wert – nach Schätzungen mindestens 62,5 Mrd. US-Dollar [5] pro Jahr. Für Hersteller entwickelt sich damit die Wiederaufbereitung (Design for Recyclability) und die Reduzierung des elektronischen Abfalls (Design for Dematerialization) zu einem durchaus profitablen Geschäftsmodell.

Business-Potenzial der Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit bietet so auch Potenzial für gesundes „nachhaltiges“ Wachstum. Die Kreislaufwirtschaft birgt hier enorme Innovationskraft und zieht dementsprechend stark Investoren und eine neue Generation an Mitarbeitenden an – in Zeiten von Fachkräftemangel durchaus keine Selbstverständlichkeit. Laut EU-Bericht [6] beliefen sich die privaten Investitionen in spezifischen Wirtschaftssektoren, die für die Kreislaufwirtschaft relevant sind, im Jahr 2021 auf 121,6 Mrd. Euro. Das entspricht 0,8 % des BIP der EU. Schon jetzt beschäftigt der Sektor mehr als 4,3 Mio. Menschen, die Wertschöpfung des Sektors liegt bei rund 299 Mrd. Euro.

Von einer Kehrtwende zu einer kreislauffähigen Ökonomie kann daher eigentlich nicht die Rede sein. Die Elektronikfertigung befindet sich bereits im Umbruch und sucht in Zeiten des Klimawandels und wirtschaftlichen wie politischen Unsicherheiten nach neuen Strategien. Ja, es gibt viel zu tun. In Sachen Nachhaltigkeit ist aber die gute Nachricht, dass es sehr viele Ansätze gibt, etwas zu tun.

Robert Frodl, Plexus
(Bild: Plexus)

Robert Frodl

Director DACH Customer Development for Engineering Solutions, Plexus

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