: Der Leitstand mit Bedienpanels, Video- und Audioanlagen und der gesamten Technik für die Schifffahrts- und Verkehrssignale sowie die Schrankenanlage.

Der Leitstand mit Bedienpanels, Video- und Audioanlagen und der gesamten Technik für die Schifffahrts- und Verkehrssignale sowie die Schrankenanlage. (Bild: Actemium)

Die neue Kattwykbrücke ist mit einer Länge von insgesamt 287 Metern, einer Höhe von 80 Metern und einer Spannweite von über 130 Metern Europas längste Hubbrücke. Eine ausgefeilte Elektro- und Steuerungstechnik ermöglicht unter anderem, dass das 1.800 Tonnen schwere Hubfeld für den reibungslosen Schiffsverkehr auf bis zu 55 Meter angehoben werden kann.

Für die Ausführung der kompletten Elektro-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik beauftragte SEH Engineering aus Hannover den Industriedienstleister Actemium. Die Redaktion der IEE sprach mit Mentz-Christoph Rehder, Projektleiter bei Actemium Cegelec, über die Herausforderungen eines solchen Infrastrukturprojektes und welche Prozessleit- und Automatisierungstechnik sowie Elektro-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik hierfür sinnvoll sind.

Welche Herausforderungen stellen sich bei einem Infrastrukturprojekt wie der Elektro- und Steuerungstechnik für die Kattwykbrücke?

Die Herausforderungen bei einem solchen Projekt sind vielfältig – immerhin handelt es sich bei den Anlagen um echte Unikate, die bei der Herstellung große Flexibilität erfordern. Von der Koordinierung der Schnittstellen bis hin zur Zusammenführung der einzelnen Funktionseinheiten zu einem großen Ganzen, sprich Energie-, Verkehrs- und Antriebstechnik, die Hydraulik sowie die Anforderungen der Bahn. In Summe waren es bei diesem Bauwerk 45 Einzelfunktionen. Zudem haben wir es mit einem weitläufigen und unwegsamen Baufeld zu tun. Für all das mussten wir ein Verständnis für den Bauablauf der Gesamtmaßnahmen entwickeln, um unsere eigenen Maßnahmen darauf abzustimmen und anzupassen. Die termingerechte Projektumsetzung zeigt, dass uns das erfolgreich gelungen ist.

Auf welche Produkte rund um die Prozessleit- und Automatisierungstechnik sowie Elektro-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik greifen Sie zurück?

Für das Projekt der neue Bahnbrücke greifen wir auf das Produktportfolio von Siemens zurück. Da wir herstellerunabhängig sind, beherrschen wir auch die Automatisierungssysteme etwa von Firmen wie Schneider, Mitsubishi oder HIMA, die bei anderen Projekten zum Einsatz kommen.

Auf welche Speicherprogrammierbare Steuerung greifen Sie zurück?

Zum Einsatz kam die Baureihe Siemens S7 1500, die mit TIA V15 programmiert wurde. Bei den Steuerungstypen haben wir einerseits auf Simatic S7 CPU 1515F-2 PN und andererseits auf die Version 1517TF-3 PN/DP zurückgegriffen.

Mentz-Christoph Rehder
Mentz-Christoph Rehder war für die Projektleitung der neuen Kattwykbrücke zuständig. (Bild: Actemium)

Können Sie bitte konkretisieren, welche dezentralen EA-Systeme, Bedienstellen, Switches und Steuerungen einzurichten waren?

Die Anlagen sind so aufgebaut, dass ein Großteil der Steuerungen im Betriebsgebäude 1 verbaut ist, während sich die EA-Systeme (ET200) sowie die Bedienstellen (KP900) über die gesamte Anlage verteilen. Mittels Profinet haben wir die Komponenten miteinander verbunden beziehungsweise in das Gesamtsystem eingebunden. Alles in allem sind 13 Steuerungen verbaut, die jeweils verschiedene Funktionseinheiten übernehmen. Dazu gehören etwa die Zentralsteuerung, die für die Schrittkette und die F-Link-Kommunikation zuständig ist, und eine Steuerung für die Verkehrstechnik, genauer die Schranken- und Lichtsignalanlagen. Außerdem vier Haupt- und Notantriebssteuerungen für die Gleichlaufregelung sowie spezielle Steuerungen, die die Meldungen der Schaltanlagen auswerten. Für die Profinet-Kommunikation kam zum einen das Media Redundancy Protocol (MRP) und zum anderen Isochronous Real Time (IRT) zum Einsatz.

Wie haben Sie die 5.000 Datenpunkte verknüpft?

Die Zahl ergibt sich aus der Summe der Datenpunkte, die zusammen im Leitsystem auflaufen und anteilig von den einzelnen Steuerungen verarbeitet werden. Diese sind über die gesamte Anlage verteilt und über Profinet miteinander verbunden.

„Effizienz, Transparenz und Sicherheit sind die wesentlichen Bestandteile der Zukunft von Smart Technology.“ Mentz-Christoph Rehder,Projektleiter, Actemium Cegelec

Wie könnten die im Überfluss gesammelten Daten noch effektiver genutzt werden?

Dazu ist zweierlei zu beachten: Die vom System erzeugten und angezeigten Meldungen müssen gefiltert und aufbereitet werden, um sie dem jeweiligen Instandhalter im benötigen Format zur Verfügung zu stellen. Und genau das ist die Herausforderung. Denn die Praxis zeigt, dass immer wieder unterschiedliche Anforderungen und Bedarfe bestehen. So benötigt jemand beispielsweise andere Zeitachsen, um einen Verlauf besser auswerten und analysieren zu können. Das System muss dementsprechend flexibel sein.  

Unterscheidet sich die gesamte Technik für die Schifffahrts- und Verkehrssignale sowie die Schrankenanlage gegenüber Technik für Produktionsstraßen?

Der Hauptunterschied liegt darin, dass die ablaufenden Prozesse bei einer Technik wie der Kattwykbrücke wesentlich langsamer sind, als das bei einer Produktionsstraße der Fall ist. Immerhin kommt es hier bei der Verarbeitung nicht auf Millisekunden an. Andererseits handelt es sich bei der neuen Hubbrücke um eine Maschine, bei der unsere Technik in der Lage ist, das Hubfeld millimetergenau zu positionieren.

Wie kann die Zukunft der Smart Technology aussehen, die Sie Ihren Kunden propagieren?

Effizienz, Transparenz und Sicherheit. Diese Themen sind die wesentlichen Bestandteile der Zukunft von Smart Technology und unsere Argumente, die wir unseren Kunden vermitteln wollen.

Wie sollte die Industrie nach Ihrer Meinung vorgehen, um die Möglichkeiten der Smart Technology umfassender ausnutzen zu können?

Eine sinnvolle Vorgehensweise für die Industrie liegt im schrittweisen Einsatz von Smart Technology. Dabei sollten genau die Fragen im Vordergrund stehen, welche die Vorteile hervorheben: Wie können wir unsere Anlage effizienter machen? Wie können wir die Prozesse transparenter gestalten, um eine umfassende Einsicht in die Anlage zu erhalten? Was können wir zur Risikominderung beitragen, um mehr Sicherheit in die Anlage einzubringen? Aus dem Portfolio der Smart Technology kann auf innovative Lösungsansätze zurückgegriffen werden, um dieser Ziele zu erreichen.

ERKUNDET

Seit 2020 ist die neue Kattwykbrücke in Betrieb.
Seit 2020 ist die neue Kattwykbrücke in Betrieb. (Bild: Actemium)

Steuerungs- und Energietechnik für die weltweit größte Hubbrücke

Mit ihrer Fertigstellung 1973 war die Kattwykbrücke in Hamburg damals die weltweit größte Hubbrücke und lange Zeit auch Deutschlands größte Brücke ihrer Art. Jahrzehntelang ermöglichte die alte Kattwykbrücke über die Süderelbe einerseits die Durchfahrt großer Seeschiffe und andererseits dem Eisenbahn- und Straßenverkehr die Flussüberquerung. Um den Verkehr insgesamt zu optimieren, wurde daher der Bau einer zusätzlichen bimodalen Brücke beschlossen. Seit 2020 ist die neue Kattwykbrücke in Betrieb. Eine ausgefeilte Elektro- und Steuerungstechnik ermöglicht unter anderem, dass das 1.800 Tonnen schwere Hubfeld für den reibungslosen Schiffsverkehr auf bis zu 55 Meter angehoben werden kann.

Gesicherter Verkehrsfluss über die Süderelbe

Eine Maschinentechnik mit einer Anschlussleistung von rund 1.000 kW, die von vier Antrieben mit jeweils 245 kW bewegt werden, hebt das schwere Hubfeld der Bahnbrücke an. Damit alles zuverlässig funktioniert, wurde die Maschinentechnik mit der Steuerungstechnik zuvor in einem Testaufbau in Bruchsal umfangreich erprobt. Der Dienstleister Actemium installierte das umfassende Steuerungssystem, das den reibungslosen Zug- und Schiffsverkehr sicherstellt. Eine große Herausforderung bei dem Projekt bestand darin, die 40 dezentralen EA-Systeme, 20 Bedienstellen, 68 Switches und 13 fehlersichere und speicherprogrammierbare Steuerungen einzurichten und zusätzlich 5.000 Datenpunkte zu verknüpfen.

Im fünften Obergeschoss des westlichen Betriebsgebäudes befindet sich der Leitstand, der einen besonders wichtigen Teil des Steuerungssystems darstellt. Der Dienstleister lieferte und erstellte dazu das komplette Leitsystem, inklusive Software-Programmierung, Visualisierung, Bedienpanels, Video- und Audioanlagen und schließlich die gesamte Technik für die Schifffahrts- und Verkehrssignale sowie die Schrankenanlage. Die im Brückenbau und im Betriebsgebäude untergebrachten Steuer- und Schaltschränke wurden zudem in vollem Umfang direkt in Kavelstorf gefertigt.

Energietechnische Herausforderung

Ein solches in Deutschland einmaliges Infrastrukturprojekt stellte die Teams bei der Errichtung der Energietechnik vor besondere Herausforderungen. So mussten insgesamt rund 60.000 Meter Kabel verlegt werden – und das teils mit Einzellängen von 600 Metern. Dazu hatte der überwiegende Teil der Kabel eine Strecke von 550 Metern von einem Betriebsgebäude zum anderen zurückzulegen. Actemium führte die Kabel zum einen durch die Brücke und deren fast 40 Meter tiefe Pfeiler und zum anderen durch den Düker – eine 35 Meter unter der Elbe liegende Röhre. Hinzu kam die Installation der umfassenden Energietechnik, die aus zahlreichen Einzelkomponenten bestand: vier Transformatoren, zwei Mittelspannungsanlagen, 26 Niederspannungshaupt- und unterverteilungen, eine Netzersatzanlage, einer unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) sowie die elektrotechnische Antriebstechnik.

Autor

Mentz-Christoph Rehder,

Projektleiter, Actemium Cegelec

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