FMUs in der Steuergeräte-Absicherung: Chancen & Hürden
Maximilien Perez-Stulb und Matthias HofMaximilien Perez-Stulb und MatthiasHof
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Visuelle Darstellung eines Steuergeräteaufbaus, wie im realen Fahrzeug verbaut.)(Bild: OpenAI (generiert durch M. Hof mit ChatGPT/DALL-E))
Kürzere Entwicklungszyklen und steigende Systemkomplexität fordern neue Absicherungsmethoden. Functional Mock-up Units (FMUs) bieten als digitale Zwillinge großes Potenzial – doch ihr Einsatz bringt technische, organisatorische und methodische Hürden mit sich.
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In dem Bestreben, eine effiziente Validierung und Absicherung von Steuergeräten und deren Software zu gewährleisten, ermöglicht das standardisierte Austauschformat Functional Mock-up Interface (FMI) den Austausch von dynamischen Simulationsmodellen zwischen verschiedenen Simulationswerkzeugen. So erlaubt es der FMI-Standard, ein Modell als eine Functional Mock-up Unit (FMU) zu exportieren, die in unterschiedlichsten Simulationsumgebungen (unter anderem Hardware-in-the-Loop- und / oder CAD-Tools) importiert und ausgeführt werden kann. Dabei geht es darum, den Integrationsaufwand zu reduzieren, beispielsweise durch Automatisierungen sowie die Absicherung von Steuergeräten durch den Einsatz als digitaler Zwilling. Doch um eine bessere und schnellere Integration von Modell- und Software-Artefakten für HiL-Plattformen erreichen zu können, müssen mehrere Herausforderungen bewältigt werden.
Der FMI-Standard
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Das Functional Mock-up Interface (FMI) ist ein freier Standard, der einen Container und eine Schnittstelle für den Austausch dynamischer Modelle mit einer Kombination aus XML-Dateien, Binärdateien und C-Code definiert, die als ZIP-Datei verteilt werden.
Durch Verwendung des FMI-Standards wird der Austausch von dynamischen Simulationsmodellen zwischen verschiedenen Simulationswerkzeugen unterstützt. Die Grundidee des Standards liegt in der Kombination einer Vielzahl von einzelnen (Software-)Anteilen, um daraus ein virtuelles Produkt bzw. Gesamtmodell zu erzeugen. Die FMU enthält das Modell, die Beschreibungsdateien, den Source-Code und optional auch Bibliotheken für die Simulation.
Durch die Verwendung des FMI-Standards bieten sich im Einsatz ein paar allgemeine Vorteile:
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Werkzeugunabhängigkeit: Der größte Vorteil von FMI ist die Fähigkeit, Modelle in verschiedenen Simulationswerkzeugen auszutauschen. Dies fördert die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen oder Abteilungen, die unterschiedliche Softwareversionen bzw. Tools verwenden.
Modularität: Subsysteme können als FMUs verpackt werden, was die Simulation komplexer Systeme in verschiedenen Umgebungen ermöglicht.
Leistungsfähigkeit: Co-Simulation erlaubt die parallele Simulation mehrerer Subsysteme, die jeweils mit eigenen Solvern arbeiten, was die Effizienz bei großen, gekoppelten Modellen erhöht.
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Ein Vorteil der Verwendung des FMI-Standards liegt wie erwähnt in der universellen Schnittstellenanbindung zu verschiedenen Tools von unterschiedlichen Herstellern. Beispiele von Tools mit FMI-Schnittstelle, die in der Industrie Anwendung finden, sind:
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ConfigurationDesk (dSPACE)
Dymola (DASSAULT SYSTEMES)
CATIA (DASSAULT SYSTEMES)
Matlab/Simulink (Mathworks)
TwinCAT (Beckhoff)
ASCET (etas)
CANoe/CANape (Vector)
CarMaker (IPG)
test (TraceTronic)
Durch diese bereitgestellten Schnittstellen lassen sich beispielsweise Steuergeräte-Verhaltensmodelle in Matlab/Simulink erstellen, als FMU ausleiten und im Kontext einer Restbus-Simulation mit CANoe oder dSPACE-HiLs zur Absicherung verwenden. Ebenso lassen dynamische Fahrszenarien in virtuellen Fahrszenarien via CarMaker oder dSPACE Aurelion abbilden.
Vorteile der Anwendungen der FMUs
So vielfältig die Tools mit FMU-Unterstützung sind, so vielfältig sind auch die Einsatzmöglichkeiten. Einige Beispiele aus den konkreten Einsätzen im HiL- und Absicherungsbereich lassen sich hier exemplarisch aufzeigen. Besonders in einer industriellen Umgebung kann das Modellieren eines Systems beispielsweise in MATLAB/Simulink und das Bereitstellen als FMU in anderen Tools dazu beitragen, Entwicklungszeiten zu verkürzen.
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Weiterführend stellt der FMI-Standard sicher, dass Modelle, die als FMU exportiert werden, mit standardisierten C-APIs (Application Programming Interface) kompatibel sind, die wiederum von vielen Tools verstanden werden. Dadurch wird die Abhängigkeit von proprietären Schnittstellen reduziert.
Entwicklungspotenziale der Anwendungen der FMUs
Den Vorteilen stehen allerdings auch einige Entwicklungspotenziale gegenüber. In der Co-Simulation können Leistungsprobleme auftreten, da verschiedene Solver auf unterschiedlichen Zeitskalen arbeiten. Besonders bei echtzeitkritischen Anwendungen oder stark gekoppelten Systemen kann dies zu Instabilitäten oder Ungenauigkeiten führen.
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Für große, komplexe Modelle kann zudem die Verwaltung und Handhabung der FMUs schwieriger sein, insbesondere wenn mehrere FMUs in ein Simulationsmodell integriert werden müssen. Dies kann zu erhöhtem Speicherverbrauch und längeren Ladezeiten führen.
Der Einsatz von digitalen Zwillingen in der Absicherung bietet viele Vorteile.(Bild: 2019 Chesky/Shutterstock)
Einsatz als digitaler Zwilling
Einer der Anwendungsbereiche ist der Einsatz als digitaler Zwilling zu einer realen ECU (Electronic Control Unit) am HiL-Prüfstand. Der Prüfstand eines OEMs wurde zur Umschaltung zwischen realer Bremsen-ECU und vECU (virtuelle ECU) im FMU-Standard befähigt. Die FMU kommt zum Einsatz, wenn es Probleme mit der realen ECU auf Hardwareebene gibt (zum Beispiel bei einem Hardwarebruch in der Steuergeräte-Entwicklung). Zur Absicherung dynamischer Fahrsituationen, bei denen ein Eingriff interner Bremsengrößen notwendig ist, wird die vECU verwendet. Zur Absicherung des E/E-Verbundes, mit besonderem Fokus auf normkonforme Bus-Kommunikation, findet die reale ECU ihre Verwendung. Der Einsatz von digitalen Zwillingen in der Absicherung bietet einige Vorteile:
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Kürzere Entwicklungszyklen durch virtuelle Absicherung
Kostenreduktion durch weniger Steuergeräte als Hardware-Echtteile
Verbesserte Testmöglichkeiten durch Aufbrechen der strikten Trennung zwischen SiL- und HiL-Tests
Der Einsatz von FMUs als digitaler Zwilling hat sich bewährt. Aufgrund der unterschiedlichen Testmöglichkeiten in Kombination aus realer ECU und vECU kann ein Mehrwert in der Absicherung kreiert werden. Jedoch müssen auch Schwierigkeiten etwa bei der logischen Verarbeitung und Weitergabe der Daten und Signale gelöst werden.
Der Einsatz als modulare Funktionscluster in einer Simulation- oder der Software-Entwicklung kann zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen. Hier als Beispiel die (vereinfachte) Erstellung von Code für ein Bremsensteuergerät.
Grafische Darstellung eines Modells zur Zusammenarbeit zwischen Automobilhersteller, Zulieferer und Entwicklungsdienstleister.(Bild: ASAP Gruppe)
Die ECU-Basis-Software kann von dem Automobilhersteller bereitgestellt werden. Darin werden zum Beispiel Einschlaf- und Aufstartverhalten geregelt. Im Idealfall kann dieses Funktionscluster allgemein modelliert und in verschiedensten ECUs wiederverwendet werden. Bus-Kommunikationsanteile mit Zugriff zum Beispiel auf CAN-Controller werden von einem Entwicklungsdienstleister bereitgestellt, ABS-Regelfunktion von einem Zulieferer und die Bremskraftverstärkung durch einen zweiten Zulieferer. Alle vier Parteien liefern ihre Softwareanteile mit definierten Schnittstellen und im FMU-Format, wodurch bei allen Anteilen die Geheimhaltung sichergestellt werden kann. Die Funktionscluster sind dadurch modular und zum Beispiel bei einem Zuliefererwechsel jederzeit austauschbar.
FMU als universelles Austauschformat für Verhaltensmodelle
In der Praxis wird der FMU-Standard auch als gängiges Austauschformat für Steuergeräte-Verhaltensmodelle zwischen OEMs, Entwicklungsdienstleistern und Zulieferern verwendet. Das bietet sich besonders an Stellen an, wo sensible Inhalte als Blackbox geschützt werden müssen und/oder verschiedene Tools bei den Prozesspartnern im Einsatz sind. Durch die weitsichtige Definition von Prozessen zur Erstellung und zum Austausch sowie durch die zur Verfügung stehenden Schnittstellen der FMUs kann sichergestellt werden, dass alle Partner die gleichen Simulations- und Testergebnisse erzielen können trotz unterschiedlicher Hersteller von Testplattformen. Ebenfalls können darüber Hürden wie unterschiedliche Tool-Release-Versionen und/oder -Patch-Versionen mit einfachen Mitteln überwunden werden. Dieses standardisierte Austauschformat bietet eine große Flexibilität bei Automatisierungen für eine spätere Integration an HiL-Prüfständen für Absicherungstests etwa bei dem OEM oder dem Lieferanten.
Automatisierte FMU-Generierung
Ein weiterer Vorteil der Anwendung von FMUs in der Modellbereitstellung zwischen mehreren Entwicklungspartnern ist der hohe Grad an Automatisierung. Über die Matlab-API-Schnittstelle (Application Programming Interfaces) beispielsweise kann die Generierung ermöglich werden, sowohl mit externem Code als auch direkt mit Matlab-Skripten.
Testdurchführungen
FMUs mit der Vereinheitlichung der Schnittstellen durch den FMI-Standard werden für Integrations-, Validierungs- und Absicherungstests verwendet. Der Ablauf ist vergleichbar mit dem Testen von Software für Embedded-Systeme: vom Unit-Test, durch Modell- und Hardware-Integration bis zu den Systemtests.
Bei den Unit-Tests wird erstmalig die Lauffähigkeit der alleinstehenden FMU geprüft und sichergestellt. Bei einem Unit-Test werden bestimmte Eingänge in die FMU eingegeben und durchsimuliert, die Outputs dieser FMU werden aufgezeichnet und ausgewertet. Dieser Unit-Test kann dann einzeln für jede erstellte FMU durchgeführt werden und lässt sich in einem globalen Automatisierungsprozess leicht umsetzen.
Als nächste Ausbaustufe in der Test- und Validierungsphase eines FMU-Modells kommt die Modell- und Hardware-Integration. In der Entwicklung sind meistens mehrere Partner involviert, so unter anderem Entwicklungsdienstleister, OEM sowie Lieferant, die alle unterschiedliche FMU-Artefakte bereitstellen können. Bei der Modellintegration werden diese unterschiedlichen FMUs zusammengebaut und miteinander durch den FMI-Standard verbunden und verknüpft. Anschließend wird das Gesamtmodell zum Beispiel in einer Matlab/Simulink über ein Model-in-the-Loop durchsimuliert.
Als letzter Schritt erfolgen die Systemtests an einem HiL-Prüfstand, wo das FMU-Gesamtmodell gegen einen oder mehrere Prüflinge in Betrieb genommen wird. An dem Prüfstand wird für das Steuergerät zum Beispiel als Erstes ein Vollsystem- oder Vollfunktionstest durchgeführt, bei dem von ECU-Seite sichergestellt wird, dass die Parametrierungen der Software, der Hardware und des Modells konsistent zueinander sind. Sobald dieses Vollsystem am HiL-Prüfstand erreicht wurde, können mit dem FMU-Gesamtmodell vollumfänglich Absicherungstests durchgeführt werden.
Alles zur Automotive Computing Conference
Die Automotive Computing Conference konzentriert sich auf die Herausforderungen der Sicherheit, der funktionalen Sicherheit, der Cloud-Konnektivität und der zunehmenden Komplexität des Fahrzeugdesigns. Das Ziel ist es, traditionelle Ansätze zu revolutionieren und an die Bedürfnisse der Automobilindustrie anzupassen. Hochkarätige Referenten werden am 13. und 14. November 2025 in München in die Welt des Automotive High Performance Computing eintauchen und ein breites Spektrum an Aspekten abdecken.
In der vielfältigen Welt der Functional Mock-up Units bietet ASAP als Entwicklungspartner ein breites Know-how. Die Unterstützung beginnt bei der Beratung für Einsatzmöglichkeiten von FMUs sowie der Mehrwertgenerierung in deren Verwendung und in der Pflege sowie der technischen und inhaltlichen Weiterentwicklung von Simulationsmodellen von Steuergeräten und Wirkketten. Im nächsten Schritt finden Identifikationen zur Verbesserung der Modularisierung von Simulationsmodellen statt sowie die Etablierung und Pflege von Automatisierungen für die FMU-Generierung, zum Beispiel über Continuous-Integration beziehungsweise Continuous-Deployment-Pipelines wie Jenkins oder Zuul.
Weiterführend bietet die ASAP Gruppe die entsprechenden Lösungen, um die FMUs in den Target-Tools automatisiert in ein Gesamtmodell einzubinden, zu kompilieren und das Kompilat an den entsprechenden Hardware-in-the-Loop-Prüfständen oder abgesicherten Austauschlaufwerken automatisch bereitzustellen. Optional können die Artefakte und/oder die FMU in einem maßgeschneiderten Warenausgangstest automatisiert von ASAP auf Lieferumfang, Grundfunktionen und erweiterte Qualitätsmerkmale getestet werden.
Schematische Darstellungen der zur Verfügung stehenden Leistungen.(Bild: ASAP Gruppe)
Übergreifend bietet ASAP zielgenaue, individuelle Lösungen für die Einsatzbereiche und Anwendungen von vECUs beziehungsweise von digitalen Zwillingen in der Automobilindustrie für die Steuergeräte-Absicherung.
Zusammenfassung
Wie aufgezeigt, sind die Automatisierungsfähigkeit der Generierung von FMUs und die Diversität an Integrations- und Einsatzmöglichkeiten in der Automotive-Steuergeräte-Absicherung vielfältig. Die Herausforderungen liegen jedoch in der Akzeptanz und der durchgängigen Verwendung von FMUs als standardisiertes Austauschformat.
Lösungen lassen sich generieren durch "Proof-Of-Concepts" (POC) und das praktische Aufzeigen der Anwendungsfälle in konkreten Beispielen. Entscheidend ist zudem der zielgenaue Einsatz. Dann kann in Zeiten kürzerer Entwicklungszyklen und zunehmender Komplexität der Systeme eine deutlich schnellere und effizientere Integration von Modell- und Software-Artekfakten für HiL-Plattformen für eine effizientere Validierung und Absicherung von Steuergeräten sowie deren Software erreicht werden. (na)