Dominik Göttler kennt diese Herausforderungen aus erster Hand. Er und sein Team beraten Unternehmen insbesondere beim Obsoleszenz-Management. Göttler erklärt: „Im Kern geht es darum, die Lieferfähigkeit eines Unternehmens für seine Kunden zu sichern, trotz des ständigen Aufkommens neuer und der Abkündigung bestehender Technologien. Dabei geht es nicht nur um die Aktualisierung von Hard- und Software, sondern um das gesamte Spektrum von Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Support. Durch das Sicherstellen, dass kritische Elemente aktuell und relevant bleiben, minimiert das Obsoleszenz-Management das Risiko von Unterbrechungen, vermeidet kostspielige Notfälle und maximiert die Investitionsrendite.“
Wie sieht es in der Praxis aus?
Oftmals beginnt es harmlos: Die Feeder werden für die hauseigene SMT-Fertigungslinie bestückt und alles scheint normal zu laufen. Doch plötzlich fällt eine Rolle auf, die nur noch sehr wenige Bauteile enthält. Ein Blick auf den in SAP vermerkten Lagerbestand offenbart eine Diskrepanz: Die tatsächliche Stückzahl der Microcontroller weicht von den im System angegebenen Mengen ab. Das Sicherheitslager ist unterschritten worden.
Nächster Halt: Einkauf. Nach Rücksprache mit dem strategischen Team stellt sich heraus, dass die benötigten Microcontroller bei keinem Lieferanten mehr verfügbar sind. Weitere Nachforschungen bringen Klarheit: Das Bauteil wurde bereits abgekündigt und ist nicht mehr lieferbar. Auch der Versuch, über Broker auf dem freien Markt fündig zu werden, bleibt erfolglos. Schließlich muss dem Kunden mitgeteilt werden, dass die Produktion aufgrund des fehlenden Bauteils stillsteht.
Zeitgleich beginnt intern die Suche nach Lösungen. Ein Redesign der Leiterplatten wird in die Wege geleitet, was einen erheblichen finanziellen Aufwand bedeutet. Die notwendigen Qualifizierungstests ziehen sich über ein ganzes Jahr hin. Die Folge? Durch die Nichteinhaltung des Liefervertrages mussten bereits die ersten Vertragsstrafen an den Kunden gezahlt werden. Zusammen mit den Kosten für das Redesign entsteht ein finanzieller Schaden, den nur wenige Unternehmen verkraften können – und all das nur wegen eines abgekündigten Teils, das in der Produktionsplanung übersehen wurde. Solche Vorkommnisse sind üblich. Oftmals fehlen in Unternehmen schlichtweg die Kapazitäten, um diesen Bereich der Fertigungsplanung abzudecken und entsprechend vorzusorgen. Es fehlt an effektivem Obsoleszenz-Management. Wie verhindert dieses aber in so einem Beispiel mögliche Lieferverzögerungen und Vertragsstrafen?
“Absolut wichtig ist es, bereits bei der Komponentenauswahl, in der Entwicklungs-stufe der Baugruppe, entscheidende Risiko-faktoren wie EOL, Bestände und Multisourcing zu berücksichtigen. Genau in dieser Phase wird der Grundstein für eine reibungslose und langanhaltende Serienfertigung gelegt.“
Bereits in der Designphase anfangen
Zu Beginn sollten alle unternehmensinternen Stücklisten (BOMs) in einer PDM-Datenbank verwaltet werden. Jede interne Artikelnummer ist mit einer oder mehreren Herstellerteilenummern (HTN) verknüpft. Ziel ist es, den Life Cycle Status aller Bauteile in den Stücklisten zu ermitteln. Ebenso sind direkte Informationen über zukünftige Änderungen oder Abkündigungen von Produkten unerlässlich.
Beim proaktiven Obsoleszenz-Management werden bereits vorsorglich Alternativen für alle eingesetzten Bauteile und Komponenten definiert und darauf geachtet, dass deren End of Life Prognose mindestens 5 bis 10 Jahre in der Zukunft liegt. Das gelingt unter anderem durch Herstellerlisten, die eine Erhaltung der Bauteile für z.B. die nächsten 15 Jahre gewährleisten. Manuelles Management stößt hier schnell an seine Grenzen.
Die optimale Lösung ist eine in die IT-Landschaft integrierte PDM-PLM-Software, die diese Strategie automatisiert umsetzt. Das PDM- und PLM-System von Bay-Soft sorgt dank implementierter API-Technologie dafür, dass alle Informationen zu HTN und Artikeln eines Unternehmens stets aktuell sind. Verfügbare Daten von gängigen Anbietern wie Silicon Expert, IHS Accuris oder Nexar werden automatisiert in Echtzeit oder periodisch über Nacht in das System geladen. Ein Vorteil dieser Herangehensweise besteht darin, dass Entwickler bereits während der Designphase alle notwendigen Informationen haben und die Verfügbarkeit der Komponenten dadurch eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der „eindesignten“ Komponenten spielt.
Infos nutzen, Lieferstopps vermeiden
Nachdem die Datenbank vollständig gefüllt und alle möglichen Änderungsinformationen (PCN) für die Teile übermittelt wurden, sind strategische Reaktionen planbar. Kritische Änderungen an Bauteilen können frühzeitig erkannt und geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Lieferfähigkeit zu sichern. Wird eine PCN übermittelt, bleibt zu überprüfen, ob die darin enthaltenen Änderungen kritisch sind, ob in der Stückliste (BOM) bereits Alternativen definiert wurden und welche Produkte konkret betroffen sind. Kommt es zu dem Punkt, dass keine Alternativen vorliegen, einführbar sind oder der notwendige Lagerbestand fehlt, erfolgt eine Bevorratung der Bauteile. Die Menge des Last Time Buys erhebt sich dabei auf Basis der internen Planzahlen, der aktuellen Lagerbestände und einem Zieljahr, bis wann die Produktion sichergestellt werden soll.
“ Ohne Obsoleszenz-Quellen im Blick zu behalten und vorzusorgen, ist es nahezu unmöglich, eine langfristige Lieferfähigkeit sicherzustellen und kurzfristige kostspielige Redesigns zu vermeiden.“
Eine Automatisierung der Prozesse ist in diesem Bereich unverzichtbar. Stücklisten, die seit Jahren in Produkten verwendet werden, müssen kontinuierlich auf ihre Zukunftsfähigkeit überprüft werden. Der „Bay-2 Availability Check“ zeigt auf einen Blick, bei welchen Komponenten das geschätzte End-of-Life-Datum näher rückt, das Multi-Sourcing-Risiko hoch ist oder die Lagerbestände der Distributoren knapp sind. Mit der Funktion „Teileverwendung“ lässt sich mit einem Klick erkennen, in welchen Stücklisten das risikobehaftete Teil verbaut ist. Um das Multi-Sourcing-Risiko zu minimieren, sucht Bay-2 per API automatisiert nach baugleichen Alternativen und importiert diese ins System. Diese Vorgehensweise ermöglicht es Unternehmen, ihre Produktion langfristig zu sichern und zeitgleich mögliche Änderungen im Produktionsplan oder anfallende Investitionen für Redesigns in der Zukunft einzuplanen.
Fazit
Die Elektronikfertigung steht vor vielfältigen Herausforderungen, die durch proaktives Lifecycle- und Multisourcing-Management erfolgreich bewältigt werden können. Die kontinuierliche Überwachung und Analyse von Daten sind unerlässlich. Unternehmen sollten in Systeme investieren, die Echtzeit-Daten über den Status von Bauteilen, Lieferanten und Markttrends liefern. Dies ermöglicht eine schnelle Reaktion auf Veränderungen und unterstützt die Entscheidungsfindung. Diese Strategien bieten Unternehmen die Möglichkeit, ihre Lieferketten zu stabilisieren, Kosten zu optimieren und flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren. Durch den Einsatz moderner Technologien und eine enge Zusammenarbeit mit Lieferanten können Unternehmen eine sorgenfreie Elektronikfertigung ermöglichen und somit den Schlüssel zum Erfolg in einem dynamischen Marktumfeld finden.