Die Bosch Engineering GmbH arbeitet jetzt auch bei der Entwicklung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen mit den Automobilherstellern zusammen. Schwerpunkt der Leistungen ist die System-, Funktions- und Softwareentwicklung für Antriebskonzepte und Fahrdynamiklösungen sowie deren elekDynamic Wheel Torque Controltrische und elektronische Integration. Der Fokus der Entwicklungsdienstleistungen liegt auf Prototypen und Kleinserien.
Fahrdynamik pur: Torque-Vectoring
Neben dem Antriebsstrang entwickelt Bosch Engineering für Hybrid- und Elektrofahrzeuge auch spezielle Fahrdynamikfunktionen, mit denen sich die Fahrzeughersteller differenzieren können. Eine dieser Funktionen ist Torque-Vectoring. Sie verteilt in Kurven die Antriebsmomente individuell auf jedes einzelne Rad und erhöht die Fahrdynamik so spürbar. Speziell bei Multimotorenkonzepten lässt sich die Fahrzeugcharakteristik dadurch individuell bestimmen.
Die gewünschten Fahreigenschaften lassen sich damit noch besser herausarbeiten.
Besonders im Premium-Segment sieht Heiko Weller, Projektleiter E-Mobility/Elektromobilität bei Bosch Engineering, vom Prinzip her interessante Einsatzmöglichkeiten für das Torque-Vectoring: „Ich bringe damit eine Funktion in das Fahrzeug, die der Kunde auch bezahlt.“ Allerdings bezahlen die Kunden den sicherlich recht beachtlichen Aufpreis für das Torque-Vectoring nur, wenn sie im wahrsten Sinne des Wortes selbst erfahren haben, wie Torque-Vectoring sich auf die Fahrdynamik auswirkt und wie viel Fahrspaß dadurch entstehen kann.
Dienstleistung für OEMs
Seit mehr als zwölf Jahren ist Bosch Engineering bereits als Entwicklungspartner für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren und alternativen Antrieben tätig. „Unser Leistungsspektrum bieten wir nun auch für die Hybridisierung bestehender Antriebsstränge und zur Entwicklung rein elektrischer Antriebe an“, erklärt Geschäftsführer Bernhard Bihr. „Wir greifen dabei vorrangig auf Produkte der Bosch-Gruppe zurück und passen diese individuell an.“ Dazu gehören Elektromotoren und Leistungselektroniken, die Bosch bereits in Serie produziert, aber auch die Lithium-Ionen-Batterietechnik von SB LiMotive sowie Komponenten von Drittanbietern.
Die Entwicklung eines Gesamtsystems für die Antriebsarchitektur und Fahrdynamik startet dabei mit einer umfassenden Analyse und Beratung. Nach der Systemauslegung und Simulation wählen die Bosch-Ingenieure die erforderlichen Komponenten aus und passen sie in das System ein. Anschließend erfolgt das Design des elektrischen und elektronischen Systems. „Unser Angebot reicht vom Entwurf oder der Optimierung der Systemarchitekturen über die Konzeption der Energiebordnetze bis zur Systemintegration“, umreißt Bihr das Tätigkeitsfeld von Bosch Engineering. „Auch das Auslegen von Kommunikationsbordnetzen gehört zu unseren Leistungen.“ Weiterhin entwickelt das Unternehmen Software und Funktionen für das Lade-, Motor- und Energie-Management sowie das Design eines effizienten Thermomanagements.
Hinzu kommt die Anpassung der Bremssysteme, um die Verzögerungsleistung zwischen konventioneller Reibbremse und generatorischer Bremse zu koordinieren. Im Anschluss an die vollständige Applikation aller Funktionen im Verbund erfolgt die Verifikation des Gesamtsystems. Dafür stehen Bosch Engineering eigene Testeinrichtungen mit Leistungs- und Motorprüfständen sowie ein Bordnetz- und Generatorprüfstand zur Verfügung.
Zusammen mit der Erphi Electronic GmbH übernimmt Bosch Engineering auf Kundenwunsch die vollständige Auslegung des Antriebsstrangs. Die 100-prozentige Tochter von Bosch Engineering ist anerkannter Entwicklungspartner der Automobilindustrie mit dem Schwerpunkt Konstruktion und Prototypenbau.
Konzeptfahrzeug
Aus diesem Grund hat Bosch Engineering als Technologiedemonstrator ein Konzeptfahrzeug auf Basis eines Audi A5 erstellt. Dr. Martin Lenz, Senior Expert Energy Systems im Project E-Mobility bei Bosch Engineering, betont dabei ausdrücklich, dass es sich bei diesem Konzeptfahrzeug um keinerlei Kooperation mit Audi handelt. Der A5 sei aber für diese Aufgabe gut geeignet, weil er per se bereits über einen Allradantrieb verfüge, der Bauraum ausreiche und der A5 „schon diverse Bosch-Komponenten enthält, so dass wir leichter eingreifen konnten“, betont Dr. Lenz. Bei der Hinterachse handelt es sich um die Originalachse, wobei sich je ein Elektromotor vor und einer hinter der Achse befindet. Auch das HMI im Cockpit hat Bosch übernommen, aber an die Erfordernisse eines E-Fahrzeugs angepasst.
Mit 1900 kg Gesamtgewicht ist dieses Fahrzeug zwar 350 kg schwerer als ein Original-A5, aber die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h ist mit 7 s bereits recht deutlich wahrnehmbar. Die integrierte Lithium-Ionen-Batterie weist mit ihren 390 V Nennspannung und 500 kg Masse eine Kapazität von 45 kWh auf, so dass die theoretische Reichweite des auf 130 km/h begrenzten Fahrzeugs im FTP75 insgesamt 200 km beträgt. Bei extremen Fahrmanövern auf dem Bosch-Testgelände in Boxberg musste der umgebaute A5 allerdings teilweise bereits nach 40 km wieder für etwa 5 Stunden an die Ladestation. Das passende 10-kW-Ladegerät ist im Kofferraum verbaut. „Wenn die Reichweite auf Grund der Fahrweise auf einen derart niedrigen Wert von etwa 40 km absinkt, dann müssen wir allerdings auch nach etwa 150 km wieder neue Reifen aufziehen“, ergänzt Dr. Martin Lenz.
Während der „Anzug“ des Konzeptfahrzeugs zumindest bei den unteren Geschwindigkeiten zwar beachtlich, aber für die Fahrzeug-Eckdaten ja noch relativ moderat ist, präsentieren sich die fahrdynamischen Eigenschaften bei eingeschaltetem Torque-Vectoring als fantastische Möglichkeit, um hochagiles Fahren zu erleben: Mit seinem radindividuellen Antrieb von 4 x 60 kW (ergo in Summe 240 kW, etwa 326 PS) liefert das Konzeptfahrzeug an jedem einzelnen Rad ein Drehmoment von 780 Nm und damit ein Gesamt-Drehmoment von 3120 Nm – und das spürt man.
Durch die radindividuelle Steuerung der Antriebsmomente ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für rasante Kurvenfahrten, und bei entsprechend agiler Fahrweise fühlt sich der Körper des Fahrers nach dem Durchfahren eines längeren Slalom-Kurses auch schon einmal an wie nach ein paar Fahrtrunden in einer extremen Achterbahn. Um die hohe Leistung an die Räder zu bringen, implementierte Bosch übrigens zwei parallele Hochvolt-Stränge innerhalb des Fahrzeugs.
Bei sehr agilem Fahren mit intensiven Lenkbewegungen greift in Grenzbereichen eine DWT-B (Dynamic Wheel Torque Control by Brake) genannte Funktionalität ein, um per ESP dem Unter- beziehungsweise Übersteuern entgegen zu wirken. Es muss aber nicht immer die Bremse sein, die für die entsprechende Verzögerung sorgt. Im Normalfall regelt nämlich „nur“ eine von Bosch Engineering DWT-E (Dynamik Wheel Torque Control by E-Machine) genannte Funktionalität die Fahrdynamik des Fahrzeugs, noch bevor das ESP per DWT-B in Aktion tritt.
So kann im Rahmen von DWT-E durch rein elektronische Ansteuerung beispielsweise bei einem Lenken nach rechts das hintere linke Rad sehr stark beschleunigt, das vordere linke Rad stark beschleunigt und das vordere rechte Rad moderat beschleunigt werden, während das rechte Hinterrad bereits rekuperiert.
Strategien für regeneratives Bremsen
Das Konzeptfahrzeug ermöglicht jedoch auch das Erfahren individueller Rekuperationsstrategien. Wenn der Fahrer den Fuß vom „Gaspedal“ nimmt, simuliert das System in der Standardeinstellung die Trägheit eines Verbrennungsmotors. Damit sind 7% Rekuperation möglich, weil das hydraulische Bremssystem vom Prinzip her unverändert ist. Nach Angaben von Dr. Lenz bestand das Entwicklungsziel allerdings nicht darin, die maximale Rekuperation zu ermöglichen.