Mythen und Fakten getrennt
Was Quantencomputer können – und was nicht
Quantencomputing steht im Fokus zahlreicher Diskussionen – doch vieles davon beruht auf Fehlannahmen. Europachef Dr. Mark Mattingley-Scott benennt sieben weitverbreitete Mythen – und erklärt, was wirklich hinter der Technologie steckt.
PB und News Optimization V2 sagte: Je nach Perspektive gelten Quantencomputer entweder als Schlüssel zur Lösung globaler Herausforderungen oder als Risiko für bestehende Systeme. Wie so oft liegt die Wahrheit dazwischen.
Ideogramm
Auf einen Blick: 7 Mythen rund um Quantencomputer aufgeklärt
- Quantencomputer lösen nur spezialisierte Aufgaben, nicht den klassischen Alltag – sie ergänzen, ersetzen aber nicht.
- Performance hängt von Qubit-Qualität, Fehlerpräzision und Algorithmen ab, nicht von der reinen Qubit-Zahl.
- Post-Quanten-Kryptographie wird entscheidend, weil sie langfristig sichere Kommunikation trotz künftiger Quantenrechner gewährleistet.
Ähnlich wie die Fusionsenergie zählen Quantencomputer zu den technologischen Hoffnungsträgern der Zukunft. Beide stehen sinnbildlich für das Versprechen, fundamentale Herausforderungen in Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft neu zu bewältigen. Während die Fusionsenergie als potenzielle Quelle nahezu unbegrenzter, sauberer Energie gilt, eröffnen Quantencomputer neue Perspektiven für die Lösung bisher unzugänglicher Rechenprobleme.
Spätestens seit der Verleihung des Physiknobelpreises in diesem Jahr ist das Thema Quantencomputer wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt – passend zum Quantenanjahr 2025. Rund um die Funktionsweise und das Potenzial dieser komplexen Technologie kursieren jedoch zahlreiche Mythen. Dr. Mark Mattingley-Scott, Europachef des deutsch-australischen Quantenhardware-Herstellers Quantum Brilliance, klärt auf.
Mythos 1: Quantencomputer sind klassischen Computern überlegen
Das ist als pauschale Aussage nicht korrekt, entscheidend ist das Einsatzgebiet. Auf einem Quantencomputer lässt sich zum Beispiel gängige Office-Software nicht sinnvoll betreiben. Geht es hingegen um die Lösung von Problemen durch die Berechnung komplexer Wahrscheinlichkeitsverteilungen, haben Quantencomputer massive Vorteile gegenüber klassischen binären Systemen.
Mythos 2: Quantencomputer können alle Lösungen eines Problems parallel berechnen und gleichzeitig liefern
Das ist nicht zu 100 Prozent korrekt, denn ein Quantencomputer erschafft keine mysteriöse neue Dimension, in der alles parallel abläuft. Allerdings sind Quantenrechner sehr effizient darin, komplexe Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Denn sie nutzen Superposition und können so viele mögliche Zustände gleichzeitig darstellen. Das bedeutet aber nicht, dass sie alle Lösungen parallel „durchrechnen“ und am Ende automatisch alle Ergebnisse ausgeben. Beim Messen kollabiert der Quantenzustand in genau eine Lösung. Der Vorteil entsteht erst durch Quantenalgorithmen, die Interferenz gezielt einsetzen, um die Wahrscheinlichkeit der richtigen oder nützlichen Lösung zu verstärken und andere zu unterdrücken.
Mythos 3: Qubits können unbegrenzt viele Informationen speichern
Qubits „speichern“ keine Informationen im herkömmlichen Sinne. Was mit ihrer Anzahl jedoch exponentiell wächst, ist der Zustandsraum, also der Raum aller möglichen Überlagerungen (Superpositionen) und Verschränkungen. So spannen beispielsweise 32 Qubits einen Zustandsraum von 232 Dimensionen auf, was etwa 4,3 Milliarden Basiszuständen entspricht. Das bedeutet aber nicht, dass all diese Informationen gleichzeitig gespeichert oder ausgelesen werden können – beim Messen erhält man immer nur ein Ergebnis mit einer Länge von 32 Bits.
Mythos 4: Quantencomputer benötigen energiefressende Kryo-Kühlsysteme, die den Stromverbrauch exorbitant in die Höhe treiben
Der Energiebedarf von Quantencomputern hängt von den eingesetzten Qubits ab. Quantenprozessoren, die Stickstoff-Fehlstellen-Zentren in Diamantsubstraten (NV-Zentren) als Qubits nutzen, brauchen keine energieintensive Kühlung. Denn dank des stabilen Gitters aus Kohlenstoffatomen bleiben die nötigen Quanteneigenschaften auch bei Zimmertemperatur erhalten. Supraleitende Qubits hingegen müssen mit einem Kryo-Kühlsystem bis nahe dem absoluten Nullpunkt gekühlt werden, was große Mengen an Strom verbraucht.
Mythos 5: Je mehr Qubits ein Quantenrechner hat, desto leistungsfähiger ist er
Die Anzahl der Qubits ist eine der wichtigsten Kennzahlen im Quantencomputing. Mit jedem Qubit verdoppelt sich der Zustandsraum, wächst also exponentiell. Das heißt: Mit einem Qubit lassen sich zwei Zustände darstellen, mit zwei Qubits vier Zustände, mit 12 Qubits 212, also 4096 Zustände und mit „nur“ 32 Qubits schon knapp 4,3 Milliarden Zustände. Ein wichtiges Detail in diesem Zusammenhang ist aber: Es geht hier immer um Qubits, die miteinander verknüpft sind und die Rechenleistung durch „Zusammenarbeit“ kombinieren. Damit diese Zusammenarbeit funktioniert, spielen verschiedene Parameter wie Kohärenzzeit (wie lange „arbeiten“ die verschiedenen Qubits zusammen?) und Fidelität (wie präzise sind die Operationen auf dem Quantencomputer?) eine zentrale Rolle.
FAQ zu Quantencomputern
Was unterscheidet Quantencomputer von klassischen Rechnern?
Quantencomputer arbeiten mit Überlagerung und Verschränkung und berechnen Wahrscheinlichkeiten, während klassische Rechner binär rechnen.
Wie relevant ist die Anzahl der Qubits für die Leistung?
Die Zahl der Qubits ist nur ein Faktor. Kohärenzzeit, Fehlerraten und die Qualität der Verschränkung bestimmen die tatsächliche Leistungsfähigkeit.
Arbeiten alle Quantencomputer nur mit extremen Kühlsystemen?
Nein. Systeme auf Basis von NV-Zentren in Diamant funktionieren bei Raumtemperatur. Supraleitende Qubits benötigen dagegen Kryotechnik.
Wann sind Quantencomputer im breiten Einsatz?
Spezialisierte Anwendungen kommen Schritt für Schritt. Universelle, fehlertolerante Systeme benötigen noch mehrere Entwicklungszyklen.
Wie schützt Post-Quanten-Kryptographie vor Angriffen?
PQC nutzt mathematische Verfahren, die selbst mit zukünftigen Quantenrechnern nicht praktikabel zu brechen sind. Erste Standards existieren bereits.
Mythos 6: Quantencomputer werden klassische Systeme ablösen
Quantencomputer werden herkömmliche Systeme nie vollständig ablösen. Klassische Rechenoperationen wie die Multiplikation großer Zahlen funktionieren auf binären Rechnern sogar wesentlich besser. Geht es aber beispielsweise um eine Primfaktorzerlegung großer Zahlen, sind wiederum Quantenrechner viel effizienter – wenn sie beispielsweise den Shor-Algorithmus nutzen. Das wahrscheinlichste Szenario sind hybride Systeme, bei denen Quantencomputer als Beschleuniger eingesetzt werden, um klassische Rechner bei bestimmten Berechnungen zu unterstützen.
Mythos 7: Quantencomputer machen gängige Verschlüsselungsverfahren bald obsolet
Abhängig von der Definition von „bald“ ist das möglich. Sollte es in den nächsten fünf Jahren keinen fundamentalen Durchbruch geben, dann wird das noch einige Jahrzehnte dauern. Umso wichtiger wird die Weiterentwicklung von Post-Quanten-Kryptographie (PQC). Deren kryptographischen Bausteine und Verfahren (Primitives) können, im Gegensatz zu den meisten aktuell verwendeten asymmetrischen Kryptosystemen, auch mit Quantencomputern nicht entschlüsselt werden. Entsprechende PQC-Key-Exchange-Verfahren gibt es bereits, ebenso wie einige gesetzliche Initiativen. So empfiehlt die EU ihren Mitgliedsstaaten in einem koordinierten Implementierungsfahrplan die Absicherung kritischer Infrastruktur bis spätestens Ende 2030.