Herr Störmann, wie laufen die Geschäfte?
Axel Störmann: Die Geschäfte laufen sehr gut. Als globales Unternehmen, das mit seinen Speichern in allen Marktbereichen vom Data-Center über Industrie, Consumer und Telekom bis Automotive sehr breit aufgestellt ist, können wir marktseitige Un-balancen generell meist sehr gut abfedern. Wir sind gut ausgelastet und investieren kontinuierlich.
Bei Automotive ist die Situation etwas spezieller, was aber weniger an den Speichern liegt. Aufgrund der anhaltenden Covid-19-Pandemie nahm die Mobilität über den Jahreswechsel hinaus weltweit stark ab und im gleichen Zeitraum der Homeoffice-Betrieb signifikant stark zu. Entsprechend stieg der Bedarf an Cloudspeichern und Rechenzentren steil an, was eine limitierte Verfügbarkeit und kritische Versorgungsengpässe in allen Markbereichen zur Folge hatte – eine permanente Achterbahnfahrt, die sich erst langsam wieder in eine stabilere Lage zurückentwickeln wird.
Gibt es Lieferengpässe bei Automotive-Speichern?
Axel Störmann: Bei keinem unserer Automotive-Kunden musste wegen Kioxia ein Produktionsband stillstehen, aber auch im Jahr 2022 könnte es durchaus weiterhin noch Engpässe geben.
Automotive-Speicher haben sehr hohe Anforderungen, die wir konsequent überwachen und messen. Wenn jedoch ein Baustein beispielsweise einen bestimmten, für Automotive vorgeschriebenen Parameter nicht einhält, kann er aber oftmals noch im Consumer-Bereich zum Einsatz kommen. Dadurch können wir flexibler auf den Bedarf der einzelnen Märkte reagieren.
Was heißt das in technischer Hinsicht? Wie differenzieren Sie zwischen Automotive-Speichern und Chips für andere Anwendungen?
Axel Störmann: Der rohe Speicherchip ist zunächst einmal für alle Anwendungen gleich. Auf jedem Chip gibt es einen Registersatz, in dem wir als Hersteller letztendlich nach der Fertigung des reinen Chips das gesamte Profil des finalen Produkttypen ablegen können. Diesen Vorgang nennen wir Tunen.
Das Profil kann somit auf die individuellen Anwendungsfälle der jeweiligen Produkttypen zugeschnitten werden. Dieses Tunen ist kein Testen, sondern realisiert eine echte Chipdifferenzierung gegenüber handelsüblichen Standardkomponenten; das Testen selbst findet erst später im Rahmen unserer produktionsüblichen Standard-Ausgangstests zur grundsätzlichen Qualitätssicherung statt.
Gerade im Automotive-Bereich und insbesondere bei ADAS- und Cluster-Anwendungen müssen wir den Chip exakt tunen, damit wir die anwendungsspezifischen Use-Cases bedienen, in denen zum Beispiel hohe Robustheit und spezielle Qualitätsanforderungen sowie teilweise auch besonders definierte Temperatur- oder Schaltverhalte oder eine hohe Anzahl von Schreib/Löschzugriffen definiert sind.
Wir optimieren die Charakteristik der Flash-Zelle für die Nutzungsmodelle im Automotive-Bereich. Bei Controller-basierten Speichern steht uns zusätzlich eine integrierte ECC (Error Correction Code) sowie über die Firmware des Controllers die Option für zusätzliche Software-basierte Funktionen zur Verfügung.
Das hilft natürlich sehr auf der logistischen Seite...
Axel Störmann: Ja genau, durch das Tunen können wir unsere Frontend-Fertigung nach Wafer-Produktion flexibel z. B. in spezielle Automotive- oder Consumer-Chips aufsplitten. Wir haben bei den Speichern hier und jetzt schon von jeher eine Economy of Scale. Flexibilität ist hierbei einer der wesentlichen Schlüssel zum Erfolg. Wir müssen sehr sorgfältig darauf achten, dass unsere Produktion auf vollen Touren läuft, dass wir einen hohen Yield haben und letztendlich auch genau darauf achten, dass wir die nächsten Technologie-Shrinks marktgemäß umsetzen. Eine hohe Speicherintegration pro Baustein ist hierbei ein weiterer Kernparameter, um die Konkurrenzfähigkeit sicherzustellen. Wenn wir beispielsweise einen 3D-Baustein der 5. Generation mit 112 Layern auf dem Die haben, dann können wir in einem Gehäuse bis zu 16 oder gar 32 dieser Dies aufeinander packen, was eine Speichergröße von bis zu 2 TByte per Komponente und Gehäuse ausmacht.
Warum ist Kioxia im aus Speicher-Sicht relativ kleinen Automotive-Markt so aktiv?
Axel Störmann: Im Vergleich zu Anwendungsbereichen wie Data Center, Enterprise oder Consumer macht unser Automotive-Anteil in der Tat nur einen einstelligen Prozentsatz aus, aber die Tendenz steht klar auf Wachstum. Mittelfristig sehen wir aufgrund von 5G, ADAS, High-Performance-Computing und zukünftigen Software-Defined Cars große Skalierungsmöglichkeiten auf der Speicherseite, die nach heutigem Stand circa eine Verzehnfachung des Speicherbedarfs alle 5 Jahre mit sich bringen wird. Das wiederum prognostiziert ein solides Automotive-Wachstum, welches im Zusammenspiel mit Peripherien wie Connected Car zukünftig auch wichtige Innovationen in den zentralen Datennetzbereichen (Endpoint-Edge-Cloud) vorantreiben wird – und wir liefern nun mal einen Großteil unserer Produkte in die Bereiche Cloud und Storage. Auch der Edge-Bereich wächst ständig. Summa Summarum: Wir setzen klar auf die Wachstumsmärkte, und wollen entsprechend auch weiterhin im Bereich Automotive unsere Akzente setzen.
Warum und wie will Kioxia bei Automotive Akzente setzen?
Axel Störmann: Wir haben bereits in den 1990er Jahren im Mobiltelefon-Bereich eine elementare Erfahrung gemacht, als die damaligen Pioniere ihre ersten Falltests mit Handys durchführten. Die Geräte fielen aus ein oder zwei Metern Höhe auf einen Steinboden und wurden danach auf ihre Funktion getestet. Dieser erste Robustheitsansatz hat uns bis heute unglaublich viel Know-how gebracht – auch für andere Anwendungsbereiche. Bei Automotive ist es genau das Gleiche: Hohe Temperaturen, spezielle Use-Cases, exzessives Schreibe- oder Ein-/Ausschaltverhalten, Safety- und Security-Anforderungen etc. Alle diese technischen Herausforderungen werden unserer Meinung nach in Zukunft auch für den Mainstream kultiviert und irgendwann als selbstverständliche Produktfeatures erwartet. Wir lernen im Prinzip durch die Automobilbranche auch, in welche Richtung wir die zukünftigen Chipgenerationen entwickeln müssen. Mit unserem integrierten Ansatz wollen wir in diesem neuen, großen Netzwerk überall dabei sein: von der Cloud über Edge bis Peripherie – und zwar nicht nur im Smart-Home- und IoT-Bereich, sondern auch im Auto. Automotive ist für uns ein Technologietreiber im Speziellen, den wir jedoch definitiv bei unserem Ansatz brauchen, um auch im Gesamtportfolio stark zu sein und stark zu bleiben.
Gleichzeitig können wir mit unserer Historie zeigen, dass wir ein verlässlicher Partner für die Automotive-Branche sind. Wir waren zum Beispiel unter den ersten, die 3D-Topologien bauten, und wir sind jetzt dabei, in Richtung 162 Layer zu gehen. Wichtig dabei ist, dass wir praktisch jeden Shrink, den wir durchgeführt haben, auch zur Produktionsgüte geführt haben – und das ist extrem wichtig für unsere Kunden, denn wenn es da Überraschungen gibt, kommen gerade im Automotive-Bereich schnell große Probleme. Wichtig ist dabei auch, dass die Robustheit und Zuverlässigkeit der Speicher über eine stabile Technologie, stabile Fertigungsverfahren, Tests, mehrere geografisch voneinander getrennte Produktionsstätten und so weiter gewährleistet ist.
Wie schätzen Sie den Speicherbedarf der Automotive-Branche für die nächsten Jahre ein?
Axel Störmann: Bisher spielten die Mikrocontroller eine dominierende Rolle im Fahrzeug, aber durch den Trend Richtung Software-Defined Car und autonomes Fahren wird sich schon in den nächsten zwei bis vier Jahren der Speicherbedarf beachtlich erhöhen. Gerade Managed-NAND-Speichertypen wie eMMC oder zukünftig UFS sind dann mit Speicherkapazitäten wie 128, 256 oder auch 512 GByte sehr gefragt, und wenn in der Mitte dieses Jahrzehnts das High-Performance-Computing ins Fahrzeug Einzug hält, dann wird der Speicherbedarf noch erheblich stärker steigen.
Im ADAS-Bereich haben wir mit 8 GByte Flash-Speicher begonnen; heute sind wir schon bei 32 bis 64 GByte. Bei höherer Integration und zusätzlichen Features steigt der Bedarf an Flash-Speicher schnell auf 128 oder 256 GByte. Bei der Implementierung von Navigation und integriertem Cockpit benötigt man zukünftig eher 256 oder 512 GByte – Tendenz steigend.
Welche Auswirkungen hat das Software-Defined Car auf die Speicherwelt?
Axel Störmann: Zunächst ist es wichtig, dass wir als Speicherhersteller direkt mit den Herstellern der Architekturen und Plattformen, aber auch mit den Automobilherstellern selbst eng zusammenarbeiten – und das machen wir schon seit vielen Jahren, seit die Flash-Speicher mit damals noch ziemlich minimalen Anforderungen in die Navigationsumgebung Einzug gehalten haben.
Mit dem Übergang von vielen kleinen Mikrocontroller-basierten Einzel-ECUs zu einer zentralen Rechenarchitektur rücken ganz andere, eher zentrale Speicherarchitekturen in den Fokus. Bei den Einzel-ECUs kommen feste Speichergrößen für die einzelnen Funktionsbereiche zum Einsatz, aber bei den Hochleistungs-Rechenarchitekturen sind Shared-Memory und große Speicherdichten gefragt, die in verschiedene Partitionen aufgeteilt werden – oftmals dynamisch.
Auch der prozentuale DRAM-Anteil verändert sich zu Gunsten der Flash-Speicher, weil DRAMs speziell für den Automotive-Temperaturbereich erheblich teurer sind. Von daher gibt es stets Überlegungen, welche Teile des DRAM-Speicherbereichs sich beispielsweise in den Flash-Bereich auslagern lassen, denn der Kostenunterschied zwischen DRAM und TLC-NAND-Flash liegt bei mindestens Faktor 10.
DRAMs sind zwar ideale Elemente zur Speicherung, weil sie sehr robust sind, fast schon unbegrenzt viele Schreib-/Lese-Zyklen ermöglichen und zudem noch sehr schnell sind. Jedoch sind DRAM-Speicherzellen um ein Vielfaches größer als NAND-Flash-Zellen. Andererseits ist die NAND-Flash-Technologie von Hause aus in verschiedene Robustheits- und Integrations-Kategorien unterteilt.
Immer dann, wenn die BoM sehr speicherlastig ist, wird es interessant, denn dann lohnt es sich, den Speicher in einen aktiven, dynamischen DRAM-Bereich und einen Storage-Bereich zu unterteilen. Gerade die Bereiche Künstliche Intelligenz, Deep-Learning etc. benötigen große lese-intensive Speicher, die nur selten überschrieben werden – und dann kann Flash-Speicher zu einem beachtlichen Preisvorteil führen. Daher ist es wichtig, auf der Anwendungsseite richtig abzuwägen und mit Bezug auf die Cost-Performance zugeschnitten zu kombinieren.
Im Übrigen haben wir mit Kioxia XFMEXPRESS eine auch für den Automotive-Bereich besonders geeignete austauschbare Speicherlösung, die über eine standardisierte mechanische Steckverbindung an das System angebunden werden kann. Das ist ähnlich wie bei einer SSD und könnte sich zur zukünftigen PCIe-Lösung im Bereich Automotive und Software-Defined Car etablieren. Wenn beispielsweise in einer späteren Ausbaustufe des Fahrzeugs mehr Speicher erforderlich sein sollte, dann steckt man diesen Speicher mit an und macht ein OTA-Update, aber bei Auslieferung spart sich der OEM das Geld für den Speicher.
Welche Anforderungen stellt die Safety an die Automotive-Speicher von morgen?
Axel Störmann: Ein Halbleiter per se ist ja nicht ASIL-konform, aber er kann ein ASIL-konformes Systemdesign aktiv unterstützen. Dafür arbeiten wir über unser integriertes Netzwerk schon seit Jahren sehr intensiv mit OEMs und Tier-1s, aber auch mit Prozessor- und SoC-Herstellern zusammen, um herauszufinden, wie die Use-Cases aussehen und wie das System den Speicher ansteuern möchte. Wir sprechen da über sehr viele Details von der Anzahl der Schreib-Lese-Zyklen bis zu Spannungsspitzen oder was passiert, wenn die Spannung in einem Fahrzeug abgeschaltet wird. Speicher sind da sehr sensible Glieder in der
Kette. Wir simulieren im weiten Vorfeld, also schon viele Jahre vor Produktionsbeginn, mit den Beteiligten verschiedene Use-Cases, um dann nachweisen zu können, dass sie sich mit den Speichern auch umsetzen lassen.
Safety gemäß ISO 26262 ist ja ein systematischer Ansatz, und den unterstützen wir mit diversen Features. So enthalten unsere Flash-Speicher zum Beispiel Monitoring-Register, in denen die genaue Anzahl der Lese- und Schreibzugriffe über die Lebensdauer abgelegt ist. Damit können die Systeme erkennen, wann sie den sicheren Bereich verlassen und bei Bedarf eine Wartung bzw. ihren Austausch anfordern.
Was dürfen wir im Flash-Bereich für die Zukunft erwarten?
Axel Störmann: Toshiba hat Mitte der 1980er Jahre die Flash-Zelle erfunden und sie patentiert. Kioxia ist ja aus Toshiba Memory hervorgegangen. Damals ging es um NOR-Flash, aber NOR-Flash-Zellen sind sehr viel größer und teurer als NAND-Flash. Heute sprechen wir von 3D Charge Trap-Technologie, die als Standard in Tripple Level, kurz in TLC ausgeführt ist.
Auch QLC, also Quadruple Level Cell, haben wir auf der Agenda und bereit zur Produktion. An PLC, Penta Level Cell mit fünf Leveln, arbeiten wir schon und spielen bereits mit Kioxia Twin BiCS die nächste Technologie-Generation Flash an. Hierbei wird eine reguläre 3D-Zelle halbiert, so dass in einem Zellstück zwei physikalisch getrennte „Halbzellen“ existieren. Das hat den praktischen Vorteil, dass wir die Speicherdichte bei gleichem Raummaß physikalisch nochmals verdoppeln können.
Weil wir mit diesen hochdichten NAND-Flash-Speichern den höchsten Ansprüchen in puncto Geschwindigkeit, Robustheit, Lese-Schreib-Zyklen etc. in vielen Bereichen gerecht werden können, spielt NOR-Flash-Speicher mittlerweile eine untergeordnete Rolle. Spätestens bei 64 oder 128 GByte wird ein NOR-Flash dann Schwierigkeiten haben, in puncto Kosten mitzuhalten, so dass beim Software-Defined Car praktisch nur noch NAND-Flash-Speicher zum Einsatz kommen wird, weil dort Speichergrößen weit über 128 GByte gefragt sein werden.
Wie wird sich die Speicherwelt im Fahrzeug konkret verändern?
Axel Störmann: Beeinflusst durch die Entwicklung von 5G kann in Zukunft auch Edge und Cloud mit in die System-Architektur für Automotive eingebaut werden, die Realisierbarkeit von Realtime über 5G wird hier zum Game Changer. Neue massiv parallele HPC-Konzepte (High Performance Compute) mit eher zentralen Rechnerarchitekturen werden Schritt für Schritt die traditionell dezentralen Strukturen ersetzen; hierbei benötigen wir Shared-Memory, auf den viele CPUs mehr oder weniger gleichzeitig zugreifen können. Beim Speicher-Interface wird hierbei mehr und mehr auf PCIe/NVMe gesetzt.
Dabei wird Richtung SSD in Zukunft sicherlich auch der XL-Flash-Speicher zum Einsatz kommen, der sehr kleine Page-Größen aufweist und sich äußerst schnell ansteuern lässt. Ein gutes Beispiel hierfür ist – zur Zeit zunächst nur für den Enterprise-Bereich angeboten – die XL-Flash-basierte Kioxia Storage Class Memory SSD FL6.
Was sind die Herausforderungen im NAND-Markt heute und wie ist Kioxia diesbezüglich aufgestellt?
Axel Störmann: Dank unserer Pionierstellung im Bereich Flash-Technologie können wir auf eine lange Historie und einen großen Erfahrungsschatz auch zur Unterstützung anspruchsvoller Anwendungen, wie beim Thema Automotive, zurückgreifen. Weitreichende Zertifizierungen bezüglich Design und Fertigung sowie höchste Verbindlichkeit bei Produktion und Qualität zeichnen uns aus und ermöglichen uns, auch in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben. Wir sind gut vorbereitet.