Mit der Zukunftsvision vom Autonomen Fahren geht ein steigender Bedarf an Fahrerassistenzsystemen im Fahrzeug einher, und dafür sind Closed-Loop-Prüfstände erforderlich, um millionen Kilometer virtuell zu fahren.

Mit der Zukunftsvision vom autonomen Fahren geht ein steigender Bedarf an Fahrerassistenzsystemen im Fahrzeug einher. Um diese zu validieren braucht es Millionen von Testkilometern, die in der Realität nicht möglich sind. Stattdessen kommen Closed-Loop-Prüfsysteme zum Einsatz, um virtuelle Testkilometer zu fahren. (Bild: ASAP)

Wie lassen sich Millionen von Fahrkilometern virtuell „abfahren“, um so automatisierte Fahrfunktionen realitätsnah zu testen? Die Antwort ist einfach und komplex zugleich, während gleichzeitig die Anzahl an öffentlichen Teststrecken für autonome Fahrzeuge in den vergangenen Jahren weltweit gestiegen ist. Dies ist ein wichtiger Schritt, um das autonome Fahren voranzutreiben, da mit hochautomatisierten Fahrfunktionen vor einer finalen Freigabe mehrere Millionen Testkilometer zurückgelegt werden müssen. Bedenkt man jedoch, dass ein Testfahrzeug beziehungsweise der Fahrer am Tag nur rund 1.000 km zurücklegen kann und Extremsituationen wie etwa stehende Fahrzeuge bei einer Eigengeschwindigkeit von 200 km/h kaum in der Wirklichkeit getestet werden können, wird offenkundig: Reale Versuchsfahrten alleine werden nicht ausreichen, um Fahrfreigaben für die immer vielfältigeren und komplexeren Fahrfunktionen in immer kürzeren Entwicklungszyklen zu erwirken. Deshalb sind Prüfsysteme erforderlich, mit denen Fahrerassistenzsysteme für das autonome Fahren bis Level 5 automatisiert validiert werden. Die ASAP-Gruppe konzeptioniert derartige Prüfsysteme für ihre Kunden und setzt sie in schlüsselfertige Prüfsysteme um.

Eckdaten: Closed-Loop-Prüfsysteme für hochautomatisierte Fahrfunktionen

Mit einem Closed-Loop-Prüfstand ist es möglich, im Labor die automatisierten Fahrfunktionen bis Level 5 realitätsnah zu testen. Dies spart Millionen von Testkilometern auf der Straße. Insgesamt reduziert die Validierung am Prüfstand den Bedarf an realen Fahrversuchen mit teuren Prototypen auf ein Minimum und sorgt so nicht nur für eine Zeit- sondern auch für eine Kostenoptimierung der Validierung.

Anforderungen an Prüfsysteme für ADAS-Funktionen

Eine Vielzahl von Steuergeräten sind Teil der Wirkkette hochautomatisierter Fahrfunktionen, hier als Beispiel ein Abstandsregeltempomat (ACC).

Eine Vielzahl von Steuergeräten sind Teil der Wirkkette hochautomatisierter Fahrfunktionen, hier als Beispiel ein Abstandsregeltempomat (ACC). ASAP

Die Notwendigkeit für mehrere Millionen an Testkilometern mit hochautomatisierten Fahrfunktionen liegt in ihrer hohen Komplexität. Ein Beispiel: Für das autonome Navigieren durch den Stadtverkehr müssen automatisierte Systeme Teilnehmer im Straßenverkehr sowie Objekte wie Verkehrszeichen erkennen und darauf korrekt reagieren. Nach der Erkennung müssen Motor- und Bremssteuergerät die Geschwindigkeit gemäß der Verkehrssituation anpassen und diese Änderungen auch dem Fahrer informativ anzeigen. Somit muss für eine einwandfreie Ausführung der Funktion unter anderem abgesichert werden, ob die Abstrahlwinkel der hierfür eingesetzten Sensoren jederzeit 100 Prozent des Fahrzeugumfelds abdecken, Objekte richtig erkannt und unmittelbar gemeldet werden oder auch ob die Kommunikation zwischen den Steuergeräten innerhalb einer Wirkkette funktioniert.

HiL- und SiL-Tests für autonome Fahrfunktionen

Um solche Funktionen frühzeitig validieren zu können, gewinnen neben HiL- (Hardware-in-the-Loop) die SiL-Tests (Software-in-the-Loop) immer mehr an Bedeutung. Hierbei eingesetzte Modelle spielen in diesem Kontext eine zentrale Rolle, denn sie bilden das zu entwickelnde Steuergerät, seine Verhaltenslogik, die passende Umgebungslogik, die es umgebende restliche Wirkkette und das Zusammenspiel mit anderen Steuergeräten sowie verschiedene Fahrzeugvarianten und Zielplattformen ab. Dank dieser Modelle lassen sich neue Fahrfunktionen an SiL-Plattformen und Prüfständen automatisiert validieren. Im Gegensatz zum Einsatz von SiL-Systemen, die künftig eine Großzahl der notwendigen Erprobungskilometer im virtuellen Fahrmodus einfahren müssen, ist der Einsatz von Verbundprüfständen mit realer Hardware und entsprechender Einspeisung für die erfolgreiche Abnahme autonomer Fahrfunktionen obligatorisch. Die Anforderungen an ein solches Prüfsystem sind entsprechend der Komplexität der zu testenden Funktionen sehr hoch.

Closed-Loop-System

Closed-Loop-Prüfstand für den Einsatz der Modelle beim hochautomatisierten Fahren.

Closed-Loop-Prüfstand für den Einsatz der Modelle. ASAP

Zum einen müssen die Entwickler dafür sorgen, dass das Prüfsystem beziehungsweise die im virtuellen Fahrzeug eingesetzte Sensorik bei virtuellen Testfahrten Informationen erhält – beispielsweise, dass einige Meter vor dem Fahrzeug ein anderer Verkehrsteilnehmer bremst oder ein Objekt steht. Hierfür sind die zuvor erwähnten Modelle inklusive eines virtuellen Prüfumfelds erforderlich. Darüber hinaus muss im Prüfsystem anschließend eine Rückmeldung der aufgenommenen Umgebung von der Sensorik an die Steuergeräte erfolgen; das System muss daher als Closed-Loop-System aufgebaut werden.

Unter Closed-Loop versteht man die Eigenschaft, dass ein real verbauter Steuergeräteverbund und die simulierte Umgebung in Interaktion stehen. Beschleunigen die beteiligten Steuergeräte beispielsweise virtuell auf eine bestimmte Geschwindigkeit, muss die simulierte Umgebung sich dementsprechend verändern und Rückmeldung über Steigungswinkel der Straße, Raddrehzahl und weitere Details an die entsprechenden Steuergeräte und Sensoren geben. Eine weitere Anforderung besteht darin, die Rückmeldung der Umgebung ohne Umwege von der Sensorik in das Steuergerät einzuspeisen, so dass dieses unmittelbar entsprechend der Situation reagieren kann. Hierfür müssen die Entwickler für eine Abkopplung des realen Sensors vom Steuergerät sowie für eine direkte Simulation zu den Steuergeräten sorgen. Die größte Herausforderung in der Entwicklung eines Closed-Loop-Prüfsystems für hochautomatisierte Fahrfunktionen liegt jedoch im Timing: Für sinnhafte Berechnungen und Tests muss sich aus den Modellen ein schlüssiges Gesamtbild für die Fahrzeug-Umfeldsensorik ergeben.

Damit die gesamte Sensorik zeitgleich fusioniert werden kann – sich also ein schlüssiges Szenario ergibt – muss der Prüfstand demnach alle Informationen zeitsynchron (deterministisch) zur Verfügung stellen. Erfolgt beispielsweise zur Absicherung eines Autobahnpiloten die Simulation einer Fahrt bei 130 km/h, bei der von rechts ein anderes Fahrzeug mit 90 km/h einschert, so müssen alle aufgenommen Umgebungsdaten wie Geschwindigkeit, Abstände, Verkehrsschilder oder Straßenführung gleichzeitig und unmittelbar als Gesamtbild an das Steuergerät zurückgespielt werden, damit dieses eine schlüssige Datenfusion erstellen kann. Nur so kann, im Zusammenspiel mit allen weiteren Steuergeräten der Wirkkette, in diesem Beispiel die korrekte Funktion in Form der Einleitung eines Bremsvorgangs erfolgen.

Konzeption und Umsetzung eines Closed-Loop-Prüfsystems

Zu Beginn der Konzepterstellung für einen Closed-Loop-Prüfstand stehen zunächst die elektrische und die mechanische Planung. Neben der Auswahl der geeigneten Messtechnik und Simulations-Hardware erfolgt auch die Definition der Rahmenbedingungen, zum Beispiel hinsichtlich der benötigten elektrischen Spannung, bevor dann die Einplanung aller Komponenten erfolgt: Neben Messtechnik und Kfz-Elektronik werden benötigte Schnittstellen eingerichtet und alle Steuergeräte der Wirkkette der zu validierenden Funktionen integriert. Bei hochautomatisierten Fahrfunktionen sind eine Vielzahl von Steuergeräten Teil einer Wirkkette – angefangen von Kameras, Radar-Sensoren und Ultraschallsensoren über Motorsteuergeräte und Head-Unit bis hin zum Bremssystem. Jede Komponente einer Wirkkette beleuchten die Entwickler bei der Planung individuell. Dabei legen sie fest, ob das Steuergerät im Prüfstand real verbaut werden muss, eine Simulation genügt oder die Möglichkeit zum Umschalten notwendig ist. Das Umschalten zwischen realem und simuliertem Steuergerät sorgt für eine höhere Flexibilität des Testens am Prüfstand, da so in der Entwicklungsphase sich die Wirkkette zunächst mit der Simulation und erst später mit Prototypen beziehungsweise dem finalen Steuergerät überprüfen lässt. Zusätzlich wird die Integration simulierter Steuergeräte in der frühen Entwicklungsphase bevorzugt, da sie eine mögliche Fehlerquelle ausklammern können. Daher simulieren diese Systeme grundsätzlich all die Steuergeräte, die keine tragende Rolle in der Wirkkette spielen, sondern lediglich vorhanden sein müssen.
Die nächste große Herausforderung in der Entwicklung des Prüfsystems liegt in der Kommunikation aller Steuergeräte untereinander. Sie muss im Prüfstand fehlerfrei abgebildet sein und die hierfür benötigten Kommunikationsleitungen zwischen den Steuergeräten müssen im Prüfsystem korrekt verdrahtet werden. Im zuvor beschriebenen Beispiel der Absicherung des Autobahnpiloten sorgen die Kommunikationsleitungen dafür, dass die Fahrzeug-Umfeldsensorik das von rechts langsamer einscherende Fahrzeug erkennt und die Information unmittelbar an das entsprechende Steuergerät übermittelt, damit dieses das Signal an das Bremssystem schickt.

Ist die Entwicklung des Prüfstands so weit vorangeschritten, dass die vorausgehend beschriebenen Planungsschritte alle berücksichtigt sind und das Gesamtsystem komplett abgebildet ist, überprüfen die Entwickler nochmals den Bedarf an benötigter Messtechnik und Messpunkten: Da sich die im Prüfstand eingeplanten Komponenten alle noch in der Entwicklung befinden, ergibt sich zu diesem späteren Zeitpunkt meist noch an mehreren Stellen ein Änderungsbedarf, der sich jetzt durch Änderungen nachträglich berücksichtigen lässt. So bleibt der Aufbau des Prüfsystems bis kurz vor Fertigstellung flexibel für die individuellen Anforderungen des Testsystem-Endnutzers.

Modelle für den Einsatz am Prüfstand

Zeitgleich zu Beginn der Konzepterstellung für den Closed-Loop-Prüfstand beginnt mit der Erstellung der bereits erwähnten Modelle, die später zur Validierung am Prüfstand zum Einsatz kommen, die Modellbereitstellung in enger Abstimmung mit dem Bereich Prüfsysteme. Umgebungsmodelle für die Absicherung von Komponenten oder Wirkketten müssen alle am Prüfsystem nicht real verbauten Steuergeräte, Bussysteme und das Fahrzeugverhalten realistisch simulieren können. Mit steigendem Reifegrad der Steuergeräte nimmt auch die Komplexität der Modelle zu.

In einem aktuellen Projekt erstellen Mitarbeiter der ASAP-Gruppe die für die Entwicklung von ADAS-Funktionen benötigten Modelle für SiL- und HiL-Tests, die viele verschiedene Fahrzeugmodelle inklusive aller Optionen für Sonderausstattungen bedienen. Im Modell zur Validierung der autonomen Navigation durch den Stadtverkehr etwa sind das Steuergerät selbst, seine Verhaltenslogik, die passende Umgebungslogik, die es umgebende Wirkkette sowie das Zusammenspiel mit anderen Steuergeräten, aber auch verschiedene Fahrzeugvarianten und Zielplattformen abgebildet. Für die Nachbildung der Verhaltenslogik – also der Reaktion des Steuergeräts auf eingehende Signale – werden zunächst alle relevanten Komponenten der Wirkkette definiert. Nichtrelevante Signale, die keine Auswirkung auf die Wirkkette haben, kommen von einer statischen Restbussimulation. Dynamische Anteile der Wirkkette simuliert das System so realitätsnah wie möglich. Ein solches Modell besteht aus etwa 60 bis 70 kleinteilig aufgebauten Modulen. Falls im Laufe der Entwicklung Änderungen notwendig werden, können diese schnell und gezielt am entsprechenden Modul innerhalb des Gesamtmodells umgesetzt werden. Anschließend erfolgt automatisiert die Verifizierung des Modells mit zusätzlichen Eigenschaften – und zwar vor dem produktiven Einsatz an einem Closed-Loop-Prüfstand.

Nach Inbetriebnahme 24/7 im Einsatz

Vor den Tests am Prüfstand nehmen die Entwickler des Testsystems direkt beim OEM oder Zulieferer in Betrieb, wobei sie in einem ersten Schritt das Gesamtsystem hinsichtlich Funktionalität der Elektrik überprüfen. Anschließend schalten sie die Steuergeräte aktiv und kontrollieren deren Kommunikation mit anderen Steuergeräten sowie deren Erreichbarkeit für die Diagnose. Die Diagnosewerte wiederum dienen dann als Analyse-Basis für eine finale Überprüfung des gesamten Prüfsystems.

Nach erfolgreicher Inbetriebnahme bietet der Closed-Loop-Prüfstand für die Entwicklung hochautomatisierter Fahrfunktionen diverse Vorteile. Zum einen ist durch den Einsatz einer Testautomatisierung die Absicherung nicht auf manuelle Eingaben angewiesen, so dass der Prüfstand rund um die Uhr kostengünstig seinen Dienst verrichten kann; er dokumentiert dabei alle Ergebnisse automatisiert. Darüber hinaus ermöglicht der Prüfstand die gezielte Reproduktion von Fehlern, so dass es möglich ist, Funktionen auf die ausgewählten häufigsten Fehlerquellen hin zu untersuchen. Die Reproduzierbarkeit ermöglicht zudem ein kontinuierliches Re-Testing der Steuergeräte unter exakt gleichen Prüfbedingungen.

Im Vergleich zum realen Fahrversuch lassen sich am Prüfstand Funktionen mit deutlich gesteigerter Prüftiefe über eine Vielzahl von Parameterräumen umfassend absichern: Für jedes Steuergerät bietet der Prüfstand sowohl die Option zu Tests an einem Einzelprüfplatz als auch zur Validierung im vernetzten System der Wirkkette. Verglichen mit realen Fahrversuchen werden die Funktionen am Prüfstand darüber hinaus in sicherer Umgebung erprobt: Würde etwa die Sensorik oder die Verarbeitung ihrer Daten durch die Fahrfunktionen bei einem Test am Prüfstand versagen, führt dies nicht wie unter realen Testbedingungen zu kostspieligen Schäden am Fahrzeug oder der Testumgebung. Den Millionen an Testkilometern zur Absicherung hochautomatisierter Fahrfunktionen von morgen steht damit nichts mehr im Wege.

Martin Schiefenhövel

Leiter Prüfsysteme bei der ASAP-Gruppe

(av)

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