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BMW Group

Premiumfahrzeuge enthalten heutzutage immer mehr innovative elektronische Funktionen im Bereich Fahrerassistenz und Infotainment. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt jedoch, dass mit der Funktionsmehrung auch die Komplexität der Fahrzeuge enorm steigt, insbesondere bei den fahrzeuginternen Kommunikationsnetzen. In einem aktuellen Fahrzeug sind über 70 elektronische Steuergeräte verbaut, die üblicherweise mit den Technologien LIN, CAN, FlexRay oder MOST miteinander verbunden sind und bis zu 15000 Nachrichten pro Sekunde austauschen.

Beispiel: Fehleranalyse von Busdaten

Diese Flut an Kommunikationsdaten bringt Herausforderungen in verschiedenen Bereichen der Fahrzeugentwicklung mit sich. Beispielsweise werden in der Absicherung von elektronischen Systemen unzählige Testfahrten absolviert und dabei die Buskommunikation (15000 Nachrichten/s) aufgezeichnet. Eine Aufzeichnung von einer Stunde kann dementsprechend bis zu 54 Millionen Nachrichten enthalten. Im Fehlerfall müssen die Testingenieure diese Traces (Aufzeichnungen) analysieren, damit der Fehler lokalisiert und behoben werden kann. Diese großen Datenmengen effizient und effektiv zu analysieren, stellt in der Praxis jedoch eine große Herausforderung dar.

Analysetools stoßen an ihre Grenzen

Um die Ingenieure bei der Analyse von Traces zu unterstützen, gibt es eine Vielzahl an Softwaretools, die es ermöglichen, Tracedaten zu laden, zu filtern und darzustellen. Die Darstellungsformen beruhen dabei größtenteils auf Listen wie beispielsweise Nachrichtenlisten oder einfache Diagramme wie der grafische Verlauf eines Signalwertes über die Zeit (Bild 1).

Bild 1: Ein einfaches Liniendiagramm zeigt den Verlauf des Geschwindigkeitssignals.

Bild 1: Ein einfaches Liniendiagramm zeigt den Verlauf des Geschwindigkeitssignals.BMW Group

Diese Darstellungen sind für viele Aufgaben sehr hilfreich, insbesondere, wenn Ingenieure bereits vor der Analyse eine relativ genaue Vorstellung haben, in welchen Nachrichten und Signalen sie nach der Fehlerursache suchen müssen. In diesem Fall können sie mit einem Trace nach den entsprechenden Nachrichten und Signalen filtern und deren Werte gezielt überprüfen.
Mit steigender Vernetzung und Komplexität im Fahrzeug reicht dieses Vorgehen jedoch oft nicht mehr aus. Viele Fehler entstehen durch die unvorhergesehene Interaktion zwischen Kommunikationsprozessen oder durch das Zusammenspiel von mechanischen und elektronischen Komponenten. In solchen Fällen fehlen oft klare Hypothesen über mögliche Fehlerquellen, so dass Tracedaten explorativ analysiert werden müssen: Spezielle Ingenieure navigieren bei der Analyse durch die Flut an Informationen, versuchen sich einen Überblick zu verschaffen, Zusammenhänge zu verstehen, und alles in einen sinnvollen Kontext zu setzen, der zur Hypothesenbildung und Fehlerfindung beiträgt. Herkömmliche Tools unterstützten diese Art von explorativer Datenanalyse jedoch nur bedingt.

Lösung: Visualisierung?

Ein möglicher Ansatz, um diese Probleme in den Griff zu bekommen, ist die Visualisierung von Traces. Selbstverständlich verwenden auch traditionelle Tools Visualisierung, wobei damit zumeist Widgets gemeint sind, wie beispielsweise virtuelle Tachometer (Bild 2),

Bild 2: Bringt ein virtueller Tachometer wirklich einen Mehrwert bei der Traceanalyse?

Bild 2: Bringt ein virtueller Tachometer wirklich einen Mehrwert bei der Traceanalyse?BMW Group

die bestimmte Signalwerte in Anlehnung an reale Messinstrumente darstellen. Der Mehrwert solcher Darstellungsformen zur Datenanalyse ist jedoch fraglich. Im Gegensatz zur realen Fahrsituation, in der eine intuitive und einfache Darstellung im Vordergrund steht, ist es im Analysebetrieb von Vorteil, möglichst viel relevante Information aus den Daten abzuleiten und parallel darzustellen. Ein virtueller Tachometer kann jedoch nur einen einzigen Wert pro Zeiteinheit darstellen. Verwendet man hingegen zum Beispiel ein einfaches Liniendiagramm wie in Bild 1, kann man sich neben der aktuellen Geschwindigkeit auch die Historie der Geschwindigkeit darstellen lassen und hat somit einen höheren Informationsgehalt bei gleichem Bildschirmplatz.

AutobahnVis: Ein Visualisierungsprototyp

Im Forschungsbereich Informationsvisualisierung beschäftigen sich Wissenschaftler mit eben solchen Fragen und untersuchen, wie große und abstrakte Datenmengen sinnvoll visualisiert, exploriert und in wertvolle Erkenntnisse umgesetzt werden können. Basierend auf Methoden der Informationsvisualisierung haben Spezialisten der BMW Group Forschung und Technik eine Reihe verschiedener Softwareprototypen entwickelt, die Busdaten auf neuartige Art und Weise visualisieren.
Bild 3 zeigt das Tool „AutobahnVis“, das zur Unterstützung von Testingenieuren in ihrer Analyse von Tracedaten entwickelt wurde. Das Herzstück des Tools ist die AutobahnView (links oben im Bild) genannte Ansicht. Die Metapher hinter dieser Ansicht ist eine Nachrichten-Autobahn: horizontale „Autobahnen“ stellen Bussysteme dar, die einzelnen „Spuren“ auf den Autobahnen jeweils die angeschlossenen Steuergeräte und Rechtecke auf diesen Spuren („Autos“) repräsentieren Nachrichten. Alle Nachrichten sind an einer horizontalen Zeitachse angeordnet und jeweils dann auf einer Steuergeräte-Spur eingezeichnet, wenn die entsprechende Nachricht versendet wurde. Der Nutzer kann mit der Ansicht über Zoom & Pan interagieren – wie bei Google Maps: Zoomt man weit heraus, bekommt man eine Übersicht über viele tausende Nachrichten. Zoomt man weit hinein, ist es möglich, genau zu untersuchen, wann welche Nachrichten gesendet wurden.
Um dem Nutzer das Verständnis von Zusammenhängen zwischen Mechanik und Elektronik zu erleichtern, wurde der AutobahnView durch eine 3D-Ansicht erweitert (rechts oben im Bild 3). 

Bild 3: Oberfläche des Tools AutobahnVIS.

Bild 3: Oberfläche des Tools AutobahnVIS.BMW Group

Wenn man mit der Maus im Autobahnview beispielsweise über eine Nachricht fährt, hebt das Programm im 3D-Model das sendende Steuergerät visuell hervor. Der Nutzer kann hierzu die Transparenz der Fahrzeughülle des 3D-Models verändern, um in das Fahrzeug „hinein“, also auf die Komponenten der Bussysteme, zu blicken. Diese als „Linking and Brushing“ bezeichnete Kopplung zwischen den beiden Views (Ansichten) ermöglicht es dem Nutzer, in einfacher Art und Weise eine Verknüpfung zwischen elektronischen Komponenten und mechanischen Verbauorten herzustellen. Zudem lassen sich über das 3D-Modell auch mechanische Vorgänge wiedergeben, die während der Traceaufzeichnung stattfanden: Sobald der Nutzer bei der zeitlichen Navigation im AutobahnView (Panning entlang der x-Achse) über ein mechanisches Ereignis fährt (zum Beispiel das Öffnen einer Fahrzeugtüre), wird dieses auch in der 3D-Ansicht animiert. Der analysierende Ingenieur erhält hierdurch einerseits die Möglichkeit, mechanische Vorgänge nachzuvollziehen, andererseits kann er zu jeder Zeit den Kontext des mechanischen Fahrzeugzustandes im Auge behalten.
Zusätzlich zur 3D-Ansicht, wurde der Prototyp mit klassischen Listen- (unten im Bild 3) und Diagrammansichten ausgestattet. Wie aus traditionellen Tools bekannt, sind diese Sichten bestens dafür geeignet, um Details beispielsweise über Nachrichten, Signale oder Busse anzuzeigen; diese sollten daher nicht ersetzt, sondern durch neuartige Tools erweitert werden.

Neue Einsichten in Traces

Forscher der BMW Group untersuchten AutobahnVis in verschiedenen Versionen im realen Analysebetrieb. Während dieser Testphase zeigte sich, dass vor allem der AutobahnView zu neuen Einsichten in Trace-Daten führte, die produktiv zur Fehleridentifizierung zum Einsatz kamen. So deckte diese Ansicht beispielsweise Message-Bursts („Ein Steuergerät sendet sehr viele Nachrichten in kürzester Zeit auf den Bus“) auf (siehe Bild 4, Pfeil 1). Dieses Phänomen kann dazu führen, dass andere Nachrichten vom Bus verdrängt werden, wodurch unvorhergesehene Fehler auftreten können. Mit herkömmlichen Darstellungsmethoden ist es jedoch äußerst schwer zu erkennen, wann und wo Message-Bursts auftreten.
Zudem wurde der AutobahnView dazu verwendet, Nachrichtenzyklen besser zu verstehen – insbesondere, wenn Gruppen von zyklischen Nachrichten auftreten (vergleiche Bild 4, Pfeil 2).

Bild 4: Ein Ausschnitt aus dem AutobahnView zeigt Message-Bursts (1) sowie Nachrichtenzyklen (2).

Bild 4: Ein Ausschnitt aus dem AutobahnView zeigt Message-Bursts (1) sowie Nachrichtenzyklen (2).BMW Group

Baustein zur Komplexitätsbewältigung

Bei gezieltem Einsatz stellt Informationsvisualisierung ein sehr hilfreiches Mittel dar, um die Datenflut, die durch die hohe Funktionalität im Fahrzeug entsteht, in den Griff zu bekommen. Neben AutobahnVis zeigten auch andere Visualisierungsprojekte bei der BMW Group Forschung und Technik ähnliche Erfolge im praktischen Einsatz. Wichtiger Erfolgsfaktor bei all diesen Projekten war die Entscheidung, Daten grafisch so darzustellen, dass ein wirklicher Mehrwert für die zugrundeliegende Aufgabe entsteht und nicht lediglich eine schönere und realitätsnähere Darstellung der bereits vorhandenen Informationen erfolgt.
Zu bedenken ist allerdings, dass Visualisierung alleine nicht sämtliche Probleme der Datenanalyse lösen wird, sondern lediglich ein Baustein in einer vielfältigen Methodenpalette zur Bewältigung großer Datensätze ist. Visualisierung ist vor allem immer dann wichtig, wenn Experten Daten explorativ analysieren müssen. Sobald sich ein Prozess automatisieren lässt, hat die Visualisierung ihren Zweck erfüllt, und Techniken aus dem Bereich Machine Learning, Data Mining oder Statistik bieten adäquate Analysemethoden.
 

Dr. Michael Sedlmair

: promovierte zum Thema „Visual Analysis of In-car Networks“ bei der BMW Group Forschung und Technik. Aktuell arbeitet er als PostDoc an der University of British Columbia in Vancouver/Kanada. Dr. Michael Schraut von der BMW Group Forschung und Technik sowie Wolfgang Hintermaier von der BMW Group sind Co-Autoren.

(av)

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