Der Zeitplan war eng, die Anforderungen aus der Automobilindustrie hoch. Ohne eigene Erfahrung im Vergussbereich brachte Abatec mit Unterstützung von Werner Wirth ein Steuergerät für Geländemotorräder in die Serienproduktion.
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Begleitet von brausenden Sprühfahnen rauscht ein Off-Road-Biker durch die Untiefe eines Flusses. Nässe, Schmutz, Erschütterungen müssen sein, wenn man mit dem Geländemotorrad unterwegs ist. Und dennoch: Auch diese Disziplin fordert ein hohes Niveau an elektronischer Überwachung und Steuerung. Für einen renommierten Hersteller von Geländemotorrädern hat das österreichische Unternehmen Abatec ein Steuergerät mit integrierter GPS-Antenne entwickelt und in Serie gebracht. Es zeichnet umfangreiche Leistungsdaten des Motorrads auf und analysiert sie, so dass der Fahrer seine Fahrweise optimal an die Streckenbedingungen anpassen kann. Die technische Herausforderung dabei: Die empfindliche Elektronik sitzt ungeschützt auf dem vorderen Kotflügel – genau dort, wo Wasser, Schmutz und Vibrationen am heftigsten zuschlagen. Und trotzdem muss sie absolut zuverlässig arbeiten.
„Elektronik verlagert sich zunehmend an die Peripherie“, erklärt Sven Höppner, Geschäftsführer von Werner Wirth, einem Spezialisten für Komponentenschutz und Verbindungstechnik. „Mit der Miniaturisierung zieht sie an Einsatzorte, die früher undenkbar waren.“ Ein Paradebeispiel dafür ist das Steuergerät des Off-Road-Bikes – es überstand die Flussdurchfahrt ohne Fehlfunktion und lieferte präzise Messdaten. Möglich machte das der robuste Schutz durch einen Hotmelt-Spritzguss, den Abatec für die Serienproduktion einsetzt.
Abatec hat seinen Sitz im oberösterreichischen Regau und entwickelt sowie fertigt elektronische Baugruppen – darunter Leistungselektronik, Sensoren, Displays und komplexe Steuergeräte. Inzwischen zählt auch das Vergießen von Elektronikbauteilen zum festen Bestandteil des Fertigungsportfolios. Das Steuergerät für das Geländemotorrad markierte eines der ersten Projekte, mit dem das Unternehmen den Einstieg in diese Schutztechnologie erfolgreich umgesetzt hat.
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Seit Mitte 2024 fertigt Abatec auf einer TM 6800 von Werner Wirth den Komponentenschutz der Motorrad-Steuergeräte in Serie(Bild: Werner Wirth / ABATEC)
Von der ersten Idee bis zur Serienfertigung
„Der Hotmelt-Prozess war für uns komplettes Neuland“, erinnert sich Ulrich Zehner, Prozessingenieur bei Abatec. „Deshalb war uns wichtig, nicht nur eine Maschine zu bekommen, sondern auch fundierte Unterstützung beim gesamten Verfahren.“ Die Wahl fiel schnell auf Werner Wirth. „Wir begleiten unsere Kunden im Bereich Komponentenschutz und Verbindungstechnik von der ersten Idee bis zur Serienfertigung“, erklärt Bernd Conrad, Business Development Manager bei Werner Wirth und Ansprechpartner für Vergusstechnologien. „Unser Vorteil: Wir beherrschen sämtliche gängigen Verfahren – vom Hotmelt Moulding über Potting bis zu Conformal Coating und Bonding – und können diese Kompetenzen nahtlos mit unserem eigenen Werkzeug- und Maschinenbau verzahnen.“
Das Ziel war klar: Abatec wollte zügig mit der Serienfertigung des vergossenen Steuergeräts starten. Die größte technische Hürde war dabei die Qualifizierung der Maschine selbst. Um den strengen Anforderungen der Automotive-Industrie gerecht zu werden, musste die Anlage eine Maschinenfähigkeitsuntersuchung (MFU) bestehen. Bei dieser Kurzzeitstudie wird ermittelt, in welchem Maße die Maschine festgelegte Toleranzgrenzen einhalten kann. Dabei geht es darum, wie stabil und reproduzierbar die durchgeführten Produktionsschritte sind und in welchem Maße mit Ausschuss und Nacharbeit zu rechnen ist.
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Die Werkzeugaufnahme der TM 6800 erfolgt mit einer Schließkraft von bis zu 60 kN durch extern angeordnete pneumatische Verstärker(Bild: Werner Wirth)
Werner Wirth bietet ein umfangreiches Maschinenportfolio für Hotmelt Moulding – entwickelt und gebaut im eigenen Haus. Die Anlagen werden auf Wunsch mit Prüfprotokoll und Seriennummer geliefert und vor Ort auf Funktion getestet. Für das Projekt entschied sich Abatec für die Spritzgussplattform TM 6800 – und diese bestand die MFU ohne Beanstandungen.
Spritzgussplattform für vielseitige Anwendungen
Die TM 6800 ist eine Hotmelt-Spritzgussanlage für den Großserieneinsatz – flexibel konfigurierbar und für ein breites Teilespektrum ausgelegt. Sie ermöglicht sowohl identische als auch unterschiedliche Umspritzungen in einem Durchlauf und bietet Platz für Werkzeuge mit großen oder mehrfachen Kavitäten. Beladen wird sie über zwei Werkzeugaufnahmen, die sich unabhängig voneinander steuern lassen. Die Bedienung erfolgt ergonomisch per Zwei-Hand-Steuerung bei einer Schließkraft von bis zu 60 kN.
„Die Technik ist durchweg unkompliziert im Handling“, berichtet Stipo Sic, Produktionstechniker bei Abatec. „Unsere Mitarbeitenden konnten sehr schnell eigenständig vergießen.“ Die intuitive Benutzeroberfläche und der geringe Wartungsaufwand überzeugten ebenfalls im Produktionsalltag. Wie viele Anlagen von Werner Wirth verfügt auch die TM 6800 über einen Onlinezugang, der im Bedarfsfall schnelle Fernwartung durch den technischen Support ermöglicht. Sämtliche Betriebsdaten werden dokumentiert, sodass sich etwaige Störungen oder Unregelmäßigkeiten eindeutig rückverfolgen und effizient beheben lassen.
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Die Vergussstation TM6800 kann vielseitig und damit projektspezifisch konfiguriert werden.(Bild: Werner Wirth)
Herausforderung Material-Mix und Werkzeugbau
Auch das Produkt selbst stellte hohe Anforderungen an die Vergussexpertise. Die Elektronik des Steuergeräts musste innerhalb eines Hartkunststoffgehäuses zuverlässig fixiert werden – geschützt vor Stößen, Vibrationen, Feuchtigkeit und Schmutz. Die Herausforderung bestand hier, die beiden Materialien – Hotmelt und Rigid Plastic – fest miteinander zu verbinden. Dazu musste einerseits das Kunststoffgehäuse konstruktiv eine Verzahnung ermöglichen. Andererseits musste die Materialauswahl des Hotmelt-Vergusses stimmen und dieses dann möglichst blasenfrei verarbeitet werden, so dass das abgehende Kabel auch hohe Zugkräfte aushalten kann.
Die Lösung entstand in enger Abstimmung zwischen Abatec und Werner Wirth: Die Auswahl eines geeigneten Hotmelt-Werkstoffs, Konstruktion und Herstellung des passenden Vergusswerkzeugs sowie die Feinabstimmung der Maschinenparameter bildeten die zentralen Bausteine. Selbst ein zusätzliches Schutzelement, das erst in einer späten Projektphase hinzukam, konnte noch integriert werden – das Werkzeug wurde kurzerhand angepasst und das Design entsprechend erweitert.
„Wir haben viel mitgenommen für die Zukunft“, lautet das Fazit von Ulrich Zehner von Abatec. „Wir haben zum Beispiel gelernt, wie wichtig der Werkzeugbau für den Verlauf des gesamten Projekts ist.“ Für Bernd Conrad von Werner Wirth liegt genau darin der Schlüssel zum Erfolg: „Wir denken Konstruktion, Maschinenfunktion und Material immer als Einheit.“
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Abatec zeigt sich mit der Zusammenarbeit rundum zufrieden. „Wir haben nicht einfach nur eine Maschine und ein Werkzeug bekommen – Werner Wirth hat uns durch den gesamten Prozess begleitet und aktiv bei der Integration in unsere Fertigung unterstützt“, betont Zehner. Die enge Kooperation zahlt sich aus: Ein weiteres gemeinsames Projekt ist bereits in Vorbereitung.
Petra Gottwald
Chefredakteurin Elektronik-Titel, nach Unterlagen von Werner Wirth, Hamburg