
Bild 1: Schutz einer Leiterplatte innerhalb eines Sensors durch einen Klebstoffverguss. (Bild: Delo)
Das selbstfahrende Elektroauto gilt als Zukunftsmodell, das hochzuverlässige Elektronikbauteile erfordert. Allerdings sind die Umgebungsbedingungen im Automotive-Bereich eine große Herausforderung. Elektronische Komponenten im Fahrzeuginneren sind häufig Öl- und Kühlflüssigkeiten ausgesetzt. Zusätzlich wirken hohe Temperaturen in der Nähe des Motors und im Bereich von Leistungselektronik auf sie ein. Auch im Außenbereich kommt es durch extreme Wettereinflüsse oder Autowäschen zu starken Dauerbelastungen an den Bauteilen. Hinzu kommen Trends wie die voranschreitende Miniaturisierung der Elektronik, die die Komponenten fragiler macht und, gerade bei Leistungselektronik, zu verstärkter Wärmeentwicklung führt.
Der Einsatz von Gehäusedeckeln als Schutz für Sensoren oder Platinen umfasst bestimmte Vorteile, wie eine einfach Bauteilgeometrie oder eine leichte Demontage. Die Spritzgussbauteile der Gehäuse sind kostengünstig in ihrer Herstellung und können bestimmte Designvorgaben leicht erfüllen – Farben und Formen können gezielt angepasst werden. Doch angesichts steigender Anforderungen stoßen sie zunehmend auf Einschränkungen und können nicht immer den entsprechenden Schutz und die notwendige Dichtigkeit garantieren. Auf Klebstoffe basierende Vergussmassen rücken daher als Schutz sensibler Elektronik zunehmend in den Fokus.
Vergussmassen als Bauteilschutz
Meist unsichtbar im Bauteil versteckt, sind sie es, die bestimmte Technologien oft erst ermöglichen und Innovationen vorantreiben. Vergussmassen können nahezu geometrieunabhängig direkt an elektronische Bauteile und Steckerpins anfließen und diese überdecken (Bild 1). Dadurch wird der entsprechende Schutz inklusive Dichtigkeit gewährleistet. Auch kann die Masse zwischen verschiedene Komponenten fließen und somit eine Verstärkung des strukturellen Verbundes erwirken. Insbesondere als Bauteilschutz spielen die mechanischen Eigenschaften, die komplexen Bauteilgeometrien, die Medien- und Temperaturbeständigkeit, der Aushärtungsprozess sowie das Dosieren eine wichtige Rolle.
Oft sind es gerade die Kombinationen aus diesen Eigenschaften und Anforderungen, welche eine hohe Expertise in allen genannten technologischen Bereichen erfordert und eine ständige Weiterentwicklung im Vergussbereich verlang. Vergussmassen müssen z. B. weich sein, um thermische Ausdehnungen und bauteilbedingte Verformungen zu kompensieren und dennoch unter Dauerbelastung in aggressiven Medien beständig bleiben. Zudem sollte der Klebstoff mit Licht aushärten, um schnelle, automatisierbare Prozesse mit wenig Energieverbrauch und wenig CO2-Ausstoß zu ermöglichen. Der Verguss muss gleichzeitig in die Kavitäten der Bauteile fließen und dort vollständig aushärten. Auf diese Weise wird ein oberflächlicher Schutz gewährleistet, und das Entstehen von Lufteinschlüssen weitestgehend vermieden.
Den richtigen Verguss finden
Für Vergussmassen als Bauteilschutz gibt es keine Pauschallösungen. Das Angebot ist breit: von weich bis hart, von Epoxidharzen und Polyurethanen über Silikone bis zu Acrylaten. Für Automotive-Anwendungen liegt der Fokus wegen der hohen Anforderungen häufig auf Epoxidharzen, denn sie besitzen für diese Anwendungen ein besonders geeignetes Eigenschaftsprofil. Wichtig sind dabei passende Fließeigenschaften, sehr gute Medien- und Temperaturbeständigkeit, ein niedriger Wärmeausdehnungskoeffizient, ein hohe Glasübergangstemperatur und ein hoher E-Modul (Elastizitätsmodul).
Beim Dosieren des Klebstoffes in das zu Bauteil sind dessen Fließeigenschaften maßgebend. Fließt er nicht gut genug, kann Luft eingeschlossen oder ein unzureichendes Benetzen und damit eine ungenügende Haftung verursacht werden. Ist der Verguss zu dünnflüssig, kann dieser in kleine Spalten und somit in Bereiche des Bauteils eindringen, in denen kein Klebstoff sein soll.
Temperatur- und Medienbeständigkeit sind im Automotive-Bereich die wichtigsten Auswahlkriterien. Geprüft werden diese in der Designphase unter anderem durch Temperaturschockprüfungen von -40 °C bis +160 °C und Einlagerungen in Medien wie Getriebeöl und Kühlflüssigkeiten von bis zu 3000 h Lagerungsdauer – ebenfalls unter anspruchsvollen Temperaturbedingungen.
Der Wärmeausdehnungskoeffizient (CTE) spielt insbesondere bei der Auswahl von harten Klebstoffen eine wesentliche Rolle, da eine Abweichung der CTE von Klebstoff und Bauteil bei Temperaturveränderungen zu Spannungen und dadurch Ablösungen oder Rissen führen kann. Der CTE des Klebstoffes sollte demnach möglichst an den CTE der Bauteile angepasst werden. Damit zusammenhängend ist die Glasübergangstemperatur, also die Temperatur, bei der sich die physikalischen Eigenschaften des Klebstoffes, wie die Elastizität, reversibel und temporär verändern. Um eine signifikante Änderung des CTEs während des Gebrauchs der vergossenen Komponenten zu verhindern, sowie um Spannungen zwischen Bauteilen und Klebstoff zu minimieren, eignen sich Vergussmassen, deren Glasübergangstemperatur außerhalb des Temperatureinsatzbereichs der Anwendung liegt.
Beim E-Modul gibt es einen Zielkonflikt, der zu lösen ist: Einerseits sind stark vernetzte, harte Klebstoffe mit hohem E-Modul besonders geeignet, um stark belastete Vergussmassen widerstandsfähig gegenüber Temperatureinflüssen und Medien zu machen. Andererseits können flexible Klebstoffe mit niedrigem E-Modul größere Verformungen ausgleichen und sind ideal für Materialkombinationen mit unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten. Allerdings ist das weitmaschigere Netzwerk von flexiblen Klebstoffen angreifbarer und weniger geeignet für die harschen Bedingungen in der Automobilelektronik.
Abhilfe können hier neu entwickelte Klebstofflösungen schaffen. Sie kombinieren erstmals die Vorteile einer weichen Vergussmasse mit gleichzeitig hoher Beständigkeit für die Anwendungen im Automotive-Bereich und bieten sowohl Flexibilität als auch Widerstandsfähigkeit gegen extreme Bedingungen. Mit dem Ziel schnellere und umweltfreundlichere Prozesse zu etablieren, wurde ein dazu passendes Verfahren namens „Durchflussaktivierung“ entwickelt.
Durchflussaktivierung als Allround-Lösung
Die Durchflussaktivierung ist eine Weiterentwicklung der in der Industrie bekannten Voraktivierung. Sie unterscheidet sich im Zeitpunkt der Belichtung. Diese findet nicht nach, sondern bereits während des Dosierens statt. Dadurch ergeben sich für die Produkt- und Prozessgestaltung von Vergussgeometrien neue Möglichkeiten. Darüber hinaus beschleunigt das neue Belichtungsverfahren Fertigungsprozesse, senkt den CO2-Fußabdruck und reduziert die Produktionskosten.
Bei der Durchflussaktivierung werden spezielle Produkte auf Epoxidharzbasis verwendet, die mit sogenannten 'Dual-Initiatoren' ausgestattet sind. Die Klebstoffe reagieren auf zwei verschiedenen Wellenlängen – eine zum Voraktiveren des Klebstoffes, eine zur unmittelbaren Fixierung. Die Produkte sind mit unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften ausgestattet und weisen im ausgehärteten Zustand eine hohe Medien- und Temperaturbeständigkeit auf.
Bereits während des Dosiervorganges wird das gesamte Klebstoffvolumen mit einer Wellenlänge von typischerweise 460 nm belichtet. Das Licht aktiviert die Klebstoffaushärtung, die sogenannte Offenzeit beginnt. Innerhalb von fünf bis zehn Minuten besitzt der Klebstoff sowohl eine gute Fließfähigkeit als auch eine ausreichende Benetzungsfähigkeit, um zuverlässig zu fügen und zu vergießen.

Anschließend können offenliegende Klebstoffbereiche via UV-Fixierung erneut belichtet werden. Dadurch erhält der Verguss eine Art Deckelung und somit eine sofortige Anfangsfestigkeit und kann in der Produktionskette direkt weiterverarbeitet werden, ohne dass etwa Bauteile verrutschen.

Anschließend härtet der durchflussaktivierte Verguss bei Raumtemperatur bis zur Endfestigkeit aus und hat anschließend seine charakteristischen Eigenschaften.

Die Durchflussaktivierung eignet sich dadurch insbesondere für lichtundurchlässige Bauteile mit Hinterschneidungen bei komplexeren Geometrien und Schattenzonen. Auch temperaturempfindliche Bauteile verkleben sie ohne Wärmeeintrag schonend und spannungsarm. Optimal nutzbar ist die Durchflussaktivierung zum Beispiel bei Vergüssen für Sensoren, Pins und Stecker, da sie die Bauteile trotz Schattenzonen und Hinterschneidungen zuverlässig abdichten, ohne deren Funktionen einzuschränken.

CO2-Fußabdruck und Ersparnisse
Die Durchflussaktivierung ist ein ressourcenschonender und effizienter Vergussprozess. Das zeigt sich besonders im Vergleich zu Warmhärtungsprozessen, wie sie bislang in der Automobilbranche wegen der hohen Beständigkeitsanforderungen an den Klebstoff typisch sind. Dadurch dass ein ganzer Prozessschritt eingespart wird, verringern sich Prozesskosten (Equipmentkosten, Kosten für Räumlichkeiten, Energiekosten). Bei großflächigen Produktionslinien mit Ofenstationen und Produktionsmengen von 500.000 Bauteilen pro Jahr kann die Durchflussaktivierung ebenfalls die CO2-Emissionen um mehr als 98 Prozent reduzieren.
Fazit
Klebstoffe als Vergussmasse bieten einen optimalen und zielgerichteten Schutz für Elektronikbauteile im Automobil. Voraussetzungen hierfür sind die Wahl der richtigen thermomechanischen Eigenschaften, das Fließverhalten des Klebstoffes und die Bauteilgeometrie an sich. Die neue Generation an Produkteigenschaften und Aushärteprozessen erfüllen zudem schwierig zu erreichende Anforderungskombination. Die Durchflussaktivierung ist ein Verfahren, das sowohl die Anforderungen an den zuverlässigen Schutz der Elektronik als auch an energieeffiziente und nachhaltige Produktionsprozesse ermöglicht. (na)