Software-definierte Fahrzeuge im Sicherheitscheck

SDV: Bremst Cybersecurity Innovationen aus?

Die Transformation hin zum Software-defined Vehicle hat Innovationen beschleunigt – und neue Schwachstellen offengelegt. Sicherheitsanforderungen und Regulierungen setzen die Branche unter Druck. Wie lässt sich Tempo halten, ohne Cyberrisiken zu übersehen?

Wie wirken sich Software-defined Vehicles (SDVs) auf Cybersecurity Innovationen aus? Die Branche steht unter Druck, Sicherheit und Tempo zu vereinen.

Auf einen Blick

  • Sicherheit muss von Anfang an mitgedacht werden – Secure-by-Design und frühe Einbindung der Cyber-Regeln (DSGVO, UNECE, CRA) sind Pflicht beim Software-defined Vehicle (SDV).

  • Agil entwickeln und trotzdem sicher bleiben gelingt mit automatisierten Tests, digitalen Zwillingen und klarer Dokumentation.

  • KI ist zweischneidig: Sie schafft neue Angriffsflächen, schützt aber gleichzeitig durch intelligente Bedrohungserkennung in Echtzeit.

Die Zukunft der Automobilindustrie gehört den Software-defined Vehicles (SDVs). Fahrzeuge verwandeln sich zunehmend in vernetzte Computersysteme auf Rädern, ausgestattet mit cloudbasierter Software, KI-gesteuerten Fahrerassistenzsystemen und kontinuierlich aktualisierten Funktionen via Over-the-Air-Updates. Doch der rasante Innovationsdruck birgt erhebliche Cyberrisiken. OEMs und Zulieferer stehen vor der Herausforderung, agile Entwicklungsmethoden mit strengen regulatorischen Vorgaben zu vereinen.

Trotz dieser Risiken wächst der Markt für SDV selbst erst einmal rasant: Den Marktforschern von Precendence Research zufolge wird er bis 2032 ein Volumen von über 211 Milliarden US-Dollar erreichen. Diese Transformation bedeutet für Hersteller und Zulieferer nicht nur technologische Umstellung, sondern auch eine Neudefinition ihrer Geschäftsmodelle – von einmaligem Fahrzeugverkauf hin zu kontinuierlichen Software- und Serviceerlösen. Digitale Plattformen, Datenanalysen und Partnerschaften mit Cloud-Anbietern werden zu strategischen Erfolgsfaktoren.

Regulatorische Anforderungen und ihre Auswirkungen

Mit der DSGVO, den UNECE-Regelungen R155/R156 und dem EU Cyber Resilience Act (CRA) setzt der Gesetzgeber klare Maßstäbe für Datensicherheit und Cyberresilienz . Hersteller und Zulieferer sind gefordert, Sicherheitsmechanismen nicht nur nachträglich einzubauen, sondern bereits ab der ersten Entwicklungsstufe mitzudenken. Verstöße oder Nachlässigkeiten können empfindliche Sanktionen, hohe finanzielle Verluste sowie erhebliche Reputationsschäden nach sich ziehen. Gleichzeitig soll das Innovationstempo nicht verlangsamt werden – eine Gratwanderung für die gesamte Branche. OEMs und Zulieferer müssen daher frühzeitig regulatorische Vorgaben in ihre strategische Planung integrieren und kontinuierlich aktualisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Der EU Cyber Resilience Act (CRA) schafft erstmals einen verbindlichen Rahmen für die gesamte Lieferkette. Besonders betroffen sind Tier‑1- und Tier‑2-Zulieferer, die künftig Transparenz über Softwarekomponenten und Sicherheitsupdates nachweisen müssen. Parallel arbeiten UNECE und die EU-Kommission an einer stärkeren Harmonisierung globaler Standards, um fragmentierte Regelwerke zu vermeiden. Wer bereits heute Compliance-by-Design umsetzt, verschafft sich somit nicht nur regulatorische Sicherheit, sondern auch einen Wettbewerbsvorsprung in internationalen Märkten.

Secure-by-Design: Sicherheit von Anfang an

Ein zentraler Lösungsansatz liegt im Prinzip des „Secure-by-Design“. Dieses Konzept bedeutet, dass Sicherheitsanforderungen schon in der Architekturphase eines Fahrzeugs implementiert werden – nicht erst im Betrieb. Es gilt, modulare Softwarearchitekturen zu entwickeln, in denen zentrale Hochleistungsrechner (High Performance Computers) und Software-Stacks auf höchste Cybersecurity ausgelegt sind. So lassen sich Sicherheitsupdates flexibel einspielen und Schwachstellen schnell schließen. Der Vorteil: Sicherheit wird integraler Bestandteil des Entwicklungsprozesses, was langfristig Kosten reduziert und gleichzeitig eine nachhaltige Innovationskultur fördert. Zudem verbessert diese Vorgehensweise die Skalierbarkeit der Sicherheitsmaßnahmen und erleichtert es, auf zukünftige regulatorische Anforderungen flexibel reagieren zu können.

FAQ zu SDV & Cybersecurity

Was ist ein Software-defined Vehicle (SDV)?

Ein Fahrzeug, dessen Funktionen primär durch Software definiert, per Over-the-Air aktualisiert und durch zentrale Rechnerarchitekturen bereitgestellt werden.

Welche Rolle spielt der EU Cyber Resilience Act (CRA)?

Der CRA erzwingt Cyberresilienz über den gesamten Produktlebenszyklus – inklusive Nachweis zu Komponenten (SBOM), Schwachstellenmanagement und zeitnahen Sicherheitsupdates.

Wie passt Agilität zu Sicherheitsanforderungen?

Durch CI/CD-Pipelines mit automatisierten Security-Checks, Policy-as-Code, simulierte Tests über digitale Zwillinge und revisionssichere Dokumentation.

Was bedeutet Secure-by-Design im SDV-Kontext?

Sicherheitsanforderungen werden bereits in Architektur und Entwicklung verankert: modulare Software-Stacks, gehärtete HPCs, Least-Privilege, sichere Update-Mechanismen.

Ist KI im Fahrzeug eher Risiko oder Schutz?

Beides: KI kann angegriffen werden (z. B. Datenvergiftung), dient aber auch als Sensor für Anomalien und unterstützt die frühzeitige Erkennung und Abwehr von Bedrohungen.

Cybersecurity und agile Softwareentwicklung im Einklang

Heutige SDVs erfordern agile Entwicklungsprozesse, wie sie aus der IT-Branche bekannt sind: Kontinuierliche Integration und kontinuierliche Bereitstellung (CI/CD), DevOps-Methoden sowie regelmäßige Over-the-Air-Updates prägen den Entwicklungszyklus. Diese agilen Methoden kollidieren jedoch oft mit den zeitintensiven Sicherheitsprüfungen, die zwingend erforderlich sind, um regulatorische Vorgaben einzuhalten.

Hier bieten automatisierte Sicherheitschecks, digitale Zwillinge und Simulationstechnologien Lösungsansätze. Virtuelle Tests erlauben eine schnelle und effiziente Validierung neuer Softwarekomponenten, ohne die Sicherheit zu gefährden. So bleibt die Balance zwischen Innovationstempo und Sicherheitsanforderungen ausgewogen und es gelingt, neue Funktionen schneller und dennoch sicher auf die Straße zu bringen. Ergänzend ermöglichen transparente und nachvollziehbare Dokumentationsprozesse, regulatorische Anforderungen nachweisbar zu erfüllen.

KI – Risikofaktor und Schutzschild zugleich

Im Kontext der SDVs nimmt Künstliche Intelligenz eine besondere Rolle ein: Sie ist Sicherheitsrisiko und zentrale Schutztechnologie zugleich. Denn KI-Systeme in Fahrzeugen, etwa zur Objekterkennung oder personalisierten Nutzererfahrung, erweitern die Angriffsflächen deutlich. So lassen sich KI-Algorithmen manipulieren, um beispielsweise falsche Sensorinformationen zu generieren oder unerlaubt Funktionen zu aktivieren.

Doch KI bietet ebenso erhebliche Vorteile für die Cybersecurity selbst. Predictive Cybersecurity setzt auf KI, um ungewöhnliches Verhalten frühzeitig zu erkennen und automatisiert gegenzusteuern. Avenga nutzt solche intelligenten Systeme beispielsweise, um Cyberbedrohungen in Echtzeit zu analysieren und frühzeitig zu neutralisieren. Diese Lösungen reduzieren nicht nur die Reaktionszeiten auf Cyberangriffe erheblich, sondern erhöhen insgesamt die Sicherheit von SDV-Systemen signifikant. Zudem erlaubt KI eine dynamische Anpassung der Sicherheitsstrategien an ständig wechselnde Bedrohungsszenarien, was angesichts der zunehmenden Komplexität und Geschwindigkeit von Cyberangriffen essenziell ist.

Warum ist Cybersecurity auch ein Wettbewerbskriterium?

Automobilunternehmen müssen Sicherheit und Innovation nicht gegeneinander ausspielen. Durch Secure-by-Design, agile Prozesse und intelligente KI-Technologien können Hersteller und Zulieferer regulatorische Anforderungen erfüllen, ohne ihre Innovationsfähigkeit einzuschränken. Die Zukunft gehört Unternehmen, die diesen Weg konsequent gehen und Cybersecurity als integralen Bestandteil ihrer Innovationsstrategie begreifen. Nur so bleibt der Sektor langfristig konkurrenzfähig und sicher zugleich.

Die Wettbewerbsdynamik der nächsten Dekade entscheidet sich nicht allein an innovativen Funktionen, sondern an der Fähigkeit, Vertrauen durch Sicherheit zu schaffen. Software-defined Vehicles werden nur dann Akzeptanz finden, wenn Sicherheit, Datenschutz und Nutzererlebnis eine untrennbare Einheit bilden. Unternehmen, die dieses Zusammenspiel beherrschen, definieren die Mobilität von morgen – sicher, intelligent und nachhaltig.

Der Autor

Stefan Marxreiter, VP Mobility & Automotive bei Avenga