Software-definierte Fahrzeuge im Sicherheitscheck
SDV: Bremst Cybersecurity Innovationen aus?
Die Transformation hin zum Software-defined Vehicle hat Innovationen beschleunigt – und neue Schwachstellen offengelegt. Sicherheitsanforderungen und Regulierungen setzen die Branche unter Druck. Wie lässt sich Tempo halten, ohne Cyberrisiken zu übersehen?
Wie wirken sich Software-defined Vehicles (SDVs) auf Cybersecurity Innovationen aus? Die Branche steht unter Druck, Sicherheit und Tempo zu vereinen.
ben - stock.adobe.com
Auf einen Blick
Sicherheit muss von Anfang an mitgedacht werden – Secure-by-Design und frühe Einbindung der Cyber-Regeln (DSGVO, UNECE, CRA) sind Pflicht beim Software-defined Vehicle (SDV).
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Agil entwickeln und trotzdem sicher bleiben gelingt mit automatisierten Tests, digitalen Zwillingen und klarer Dokumentation.
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KI ist zweischneidig: Sie schafft neue Angriffsflächen, schützt aber gleichzeitig durch intelligente Bedrohungserkennung in Echtzeit.
Die Zukunft der
Automobilindustrie gehört den Software-defined Vehicles (SDVs). Fahrzeuge
verwandeln sich zunehmend in vernetzte Computersysteme auf Rädern, ausgestattet
mit cloudbasierter Software, KI-gesteuerten Fahrerassistenzsystemen und
kontinuierlich aktualisierten Funktionen via Over-the-Air-Updates. Doch der
rasante Innovationsdruck birgt erhebliche Cyberrisiken. OEMs und Zulieferer
stehen vor der Herausforderung, agile Entwicklungsmethoden mit strengen regulatorischen
Vorgaben zu vereinen.
Trotz dieser Risiken wächst der Markt für
SDV selbst erst einmal rasant: Den Marktforschern von Precendence
Research zufolge wird er bis 2032 ein Volumen von über 211
Milliarden US-Dollar erreichen. Diese Transformation bedeutet für Hersteller
und Zulieferer nicht nur technologische Umstellung, sondern auch eine
Neudefinition ihrer Geschäftsmodelle – von einmaligem Fahrzeugverkauf hin zu
kontinuierlichen Software- und Serviceerlösen. Digitale Plattformen,
Datenanalysen und Partnerschaften mit Cloud-Anbietern werden zu strategischen
Erfolgsfaktoren.
Regulatorische
Anforderungen und ihre Auswirkungen
Mit der DSGVO, den
UNECE-Regelungen R155/R156 und dem EU Cyber Resilience Act (CRA) setzt der
Gesetzgeber klare Maßstäbe für Datensicherheit und Cyberresilienz . Hersteller
und Zulieferer sind gefordert, Sicherheitsmechanismen nicht nur nachträglich
einzubauen, sondern bereits ab der ersten Entwicklungsstufe mitzudenken.
Verstöße oder Nachlässigkeiten können empfindliche Sanktionen, hohe finanzielle
Verluste sowie erhebliche Reputationsschäden nach sich ziehen. Gleichzeitig
soll das Innovationstempo nicht verlangsamt werden – eine Gratwanderung für die
gesamte Branche. OEMs und Zulieferer müssen daher frühzeitig regulatorische
Vorgaben in ihre strategische Planung integrieren und kontinuierlich
aktualisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Der EU Cyber Resilience Act
(CRA) schafft erstmals einen verbindlichen Rahmen für die gesamte Lieferkette.
Besonders betroffen sind Tier‑1- und Tier‑2-Zulieferer, die künftig Transparenz
über Softwarekomponenten und Sicherheitsupdates nachweisen müssen. Parallel
arbeiten UNECE und die EU-Kommission an einer stärkeren Harmonisierung globaler
Standards, um fragmentierte Regelwerke zu vermeiden. Wer bereits heute
Compliance-by-Design umsetzt, verschafft sich somit nicht nur regulatorische
Sicherheit, sondern auch einen Wettbewerbsvorsprung in internationalen Märkten.
Secure-by-Design:
Sicherheit von Anfang an
Ein zentraler Lösungsansatz
liegt im Prinzip des „Secure-by-Design“. Dieses Konzept bedeutet, dass
Sicherheitsanforderungen schon in der Architekturphase eines Fahrzeugs
implementiert werden – nicht erst im Betrieb. Es gilt, modulare
Softwarearchitekturen zu entwickeln, in denen zentrale Hochleistungsrechner
(High Performance Computers) und Software-Stacks auf höchste Cybersecurity
ausgelegt sind. So lassen sich Sicherheitsupdates flexibel einspielen und
Schwachstellen schnell schließen. Der Vorteil: Sicherheit wird integraler
Bestandteil des Entwicklungsprozesses, was langfristig Kosten reduziert und
gleichzeitig eine nachhaltige Innovationskultur fördert. Zudem verbessert diese
Vorgehensweise die Skalierbarkeit der Sicherheitsmaßnahmen und erleichtert es,
auf zukünftige regulatorische Anforderungen flexibel reagieren zu können.
FAQ zu SDV & Cybersecurity
Was ist ein Software-defined Vehicle (SDV)?
Ein Fahrzeug, dessen Funktionen primär durch Software definiert, per Over-the-Air aktualisiert und durch zentrale Rechnerarchitekturen bereitgestellt werden.
Welche Rolle spielt der EU Cyber Resilience Act (CRA)?
Der CRA erzwingt Cyberresilienz über den gesamten Produktlebenszyklus – inklusive Nachweis zu Komponenten (SBOM), Schwachstellenmanagement und zeitnahen Sicherheitsupdates.
Wie passt Agilität zu Sicherheitsanforderungen?
Durch CI/CD-Pipelines mit automatisierten Security-Checks, Policy-as-Code, simulierte Tests über digitale Zwillinge und revisionssichere Dokumentation.
Was bedeutet Secure-by-Design im SDV-Kontext?
Sicherheitsanforderungen werden bereits in Architektur und Entwicklung verankert: modulare Software-Stacks, gehärtete HPCs, Least-Privilege, sichere Update-Mechanismen.
Ist KI im Fahrzeug eher Risiko oder Schutz?
Beides: KI kann angegriffen werden (z. B. Datenvergiftung), dient aber auch als Sensor für Anomalien und unterstützt die frühzeitige Erkennung und Abwehr von Bedrohungen.
Cybersecurity und agile
Softwareentwicklung im Einklang
Heutige SDVs erfordern agile
Entwicklungsprozesse, wie sie aus der IT-Branche bekannt sind: Kontinuierliche
Integration und kontinuierliche Bereitstellung (CI/CD), DevOps-Methoden sowie
regelmäßige Over-the-Air-Updates prägen den Entwicklungszyklus. Diese agilen
Methoden kollidieren jedoch oft mit den zeitintensiven Sicherheitsprüfungen,
die zwingend erforderlich sind, um regulatorische Vorgaben einzuhalten.
Hier bieten automatisierte
Sicherheitschecks, digitale Zwillinge und Simulationstechnologien
Lösungsansätze. Virtuelle Tests erlauben eine schnelle und effiziente
Validierung neuer Softwarekomponenten, ohne die Sicherheit zu gefährden. So
bleibt die Balance zwischen Innovationstempo und Sicherheitsanforderungen
ausgewogen und es gelingt, neue Funktionen schneller und dennoch sicher auf die
Straße zu bringen. Ergänzend ermöglichen transparente und nachvollziehbare
Dokumentationsprozesse, regulatorische Anforderungen nachweisbar zu erfüllen.
KI – Risikofaktor und
Schutzschild zugleich
Im Kontext der SDVs nimmt
Künstliche Intelligenz eine besondere Rolle ein: Sie ist Sicherheitsrisiko und
zentrale Schutztechnologie zugleich. Denn KI-Systeme in Fahrzeugen, etwa zur
Objekterkennung oder personalisierten Nutzererfahrung, erweitern die
Angriffsflächen deutlich. So lassen sich KI-Algorithmen manipulieren, um
beispielsweise falsche Sensorinformationen zu generieren oder unerlaubt
Funktionen zu aktivieren.
Doch KI bietet ebenso
erhebliche Vorteile für die Cybersecurity selbst. Predictive Cybersecurity
setzt auf KI, um ungewöhnliches Verhalten frühzeitig zu erkennen und
automatisiert gegenzusteuern. Avenga nutzt solche intelligenten Systeme
beispielsweise, um Cyberbedrohungen in Echtzeit zu analysieren und frühzeitig
zu neutralisieren. Diese Lösungen reduzieren nicht nur die Reaktionszeiten auf
Cyberangriffe erheblich, sondern erhöhen insgesamt die Sicherheit von
SDV-Systemen signifikant. Zudem erlaubt KI eine dynamische Anpassung der
Sicherheitsstrategien an ständig wechselnde Bedrohungsszenarien, was angesichts
der zunehmenden Komplexität und Geschwindigkeit von Cyberangriffen essenziell
ist.
Warum ist Cybersecurity auch ein Wettbewerbskriterium?
Automobilunternehmen müssen
Sicherheit und Innovation nicht gegeneinander ausspielen. Durch
Secure-by-Design, agile Prozesse und intelligente KI-Technologien können
Hersteller und Zulieferer regulatorische Anforderungen erfüllen, ohne ihre
Innovationsfähigkeit einzuschränken. Die Zukunft gehört Unternehmen, die diesen
Weg konsequent gehen und Cybersecurity als integralen Bestandteil ihrer
Innovationsstrategie begreifen. Nur so bleibt der Sektor langfristig
konkurrenzfähig und sicher zugleich.
Die Wettbewerbsdynamik der
nächsten Dekade entscheidet sich nicht allein an innovativen Funktionen,
sondern an der Fähigkeit, Vertrauen durch Sicherheit zu schaffen.
Software-defined Vehicles werden nur dann Akzeptanz finden, wenn Sicherheit,
Datenschutz und Nutzererlebnis eine untrennbare Einheit bilden. Unternehmen,
die dieses Zusammenspiel beherrschen, definieren die Mobilität von morgen –
sicher, intelligent und nachhaltig.
Der Autor
Stefan Marxreiter, VP Mobility
& Automotive bei Avenga