Neue Maßstäbe in der Löttechnik setzen

Langzeitzuverlässigkeit von bleifreien Loten mit SN100CV sicherstellen

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BalverZinn-Bild 02a-b_Ausfall_Wismut

Keine Frage: Die fortlaufenden Entwicklungen der Bauteile und Komponenten treiben auch die Forschungen von Lotmittelherstellern kontinuierlich voran. So sind etwa für bleifreie Hochtemperaur-Anwendungen die heutigen Standardlote meist nicht mehr die richtige Wahl, da sie leicht an ihre Leistungsgrenzen kommen können. Eine zukunftsweisende Lösung ist die Zugabe von Wismut in Lotsystemen – in der richtigen Dosierung.

Spricht man von hochzuverlässigen Loten, denkt man zwangsläufig an Mehrstoffsysteme mit mindestens drei Legierungsbestandteilen. Bekannteste Variante ist das Lot SAC305. Um bestimmte Eigenschaften zu erzielen, gibt es Lotsysteme mit bis zu sechs verschiedenen Legierungsbestandteilen, die alle Vor- und Nachteile mit sich bringen. Um die gesamte Wertschöpfungskette der Produktionsprozesse sicher mit einem einheitlichen Lotsystem zu bedienen, müssen unterschiedliche Lieferformen kostengünstig erhältlich sein. Oft werden im Zusammenhang mit hochzuverlässigen, bleifreien Loten jedoch hochpreisige Metalle wie Silber (Ag) oder Indium (In) verarbeitet, die den reinen Metallpreis eines Lotsystems erheblich mitbestimmen können.

Tabelle
Gegenüberstellung der physikalischen Kenngrößen, Eigenschaften und Zusammensetzung der Lotlegierungen SN100C, SN100CV und SAC305.Balver Zinn

Natürlich darf man nie die langfristige Verfügbarkeit einer Ressource außer Acht lassen, denn das beste Lot ist das lieferbare Lot. Sicherlich gilt es zu berücksichtigen, dass Legierungsbestandteile einen Einfluss auf das Oxidationsverhalten von Loten (Lotpulver für Lotpasten), oder der Produzierbarkeit von Lotdrähten haben können. Jedoch: Sollte das hochzuverlässige Lot für die breite Massenproduktion dann nicht den idealen Kompromiss von Verfügbarkeit in allen erdenklichen Lieferformen, unkritische Ressourcen-Verfügbarkeit, wirtschaftlich attraktiver Preis und technologische Stabilität darstellen?

Wismut – aber im richtigen Mix

Mit dem patentierten Lot SN100CV ist Nihon Superior (Vertrieb: Balver Zinn) ein solcher Balanceakt gelungen: Das für Highend-Anwendungen konzipierte Lot erfüllt in seiner Kombination aus drei Lotsystemen alle Voraussetzungen für den idealen Kompromiss aus Wirtschaftlichkeit und Hochzuverlässigkeit. Denn das SN100CV kombiniert silberfreie Lote mit Wismut und Mikrodotierungen von Nickel und Germanium. Das Wismut (Bi; engl. Bismut) sorgt für die Verfestigung der Zinn-Matrix (Sn) nach dem Substitutionsprinzip und erhöht die Festigkeit des Lotes um etwa 30 Prozent im Vergleich zu der bisherigen Standardlegierung SN100C. Diese Festigkeitswerte sind vergleichbar mit denen vom Standardlot SnAg3Cu0,5.

Basierend auf das eutektische Lot mit der Zusammensetzung SnCu0,7Ni0,05Ge0,005 mit dem Handelsnamen SN100C ist dem SN100CV nun 1,5 Prozent Wismut zulegiert worden. Durch die Zugabe von Wismut verschiebt sich die Schmelztemperatur von eutektischen 227 °C auf einen Schmelzbereich von 221 °C bis 225 °C. SN100CV ist als Lotpaste, Lotdraht, Massivdraht und in verschiedenen Barren- und Stangenformen erhältlich und erfüllt somit die Anforderung für alle Lötprozesse (siehe Tabelle).

BalverZinn-Bild 01a-b_Wismut-Gehalt
Bild 1a+b: Entscheidend für die Zuverlässigkeit der Lötverbindung ist der richtige Anteil an Wismut in der auf Zinn basierenden, bleifreien Lotlegierung (l.), da überschüssiges Wismut in einer Lötstelle bei Raumtemperatur ausgeschieden wird (r.).
BalverZinn-Bild 02a-b_Ausfall_Wismut
Bild 2a+b: Links gut sichtbar: Die ausgeschiedenen Wismut-Anteile können zu einer mikrostrukturellen Instabilität führen, wodurch auch die Zuverlässigkeit der Lötverbindung beeinträchtigt wird. Rechts ist die volle Löslichkeit von Wismut des SN100CV gut erkennbar.
BalverZinn-Bild 03a-b_SAC105vs305 nach dem Löten
Bild 3a+b: Bild 3a zeigt primäre Sn-Dendriten in SAC105 und SAC305 nach dem Löten. Bild 3b zeigt das Eutektikum Sn+Ag3Sn+Cu6Sn5 nach dem Löten.
BalverZinn-Bild 04a-c_SAC105-305-405_T0-T2520
Bild 4a-c: Gut zu erkennen ist das jeweilige Wachstum (Koagulieren) der Ag3Sn-Partikel und Vergröberung des Gefüges bei Loten mit verschieden Silbergehallten nach 2520 Stunden bei 125 °C.
BalverZinn-Bild 05a-b_SN100CV-SAC305
Bild 5a+b: Wechselspiel Lot zu Metallisierung. Die Graphik zeigt die geringere Empfindlichkeit (Wechselwirkung) beim SN100CV im Vergleich zu SAC305.
BalverZinn-Bild 06a-b_SN100CV_ENIG-Cu
Bild 6a-b: Die Graphik bestätigt die geringe Empfindlichkeit von SN100CV auch bei den Bauteilen mit anderen Gehäuseformen.
BalverZinn-Bild 07a-b_Kriechfestigkeit-Vergleich 100-120kg 125C
Bild 7a+b: Die Untersuchung zur Kriechfestigkeit bei 125 °C mit 100 kg sowie 120 kg zeigt, dass beim SAC305 ein schnelleres Kriechen erfolgt, da sich die Ag3Sn-Partikel vergröbern.
BalverZinn-Bild 08a-b_Isothermal-Fatigue 100C_SAC305_SN100CV
Bild 8a+b: Verminderung der charakteristischen Lebensdauer aufgrund der Lötstellen-Alterung.
BalverZinn-Bild 09a-c_Scherfestigkeit-Vergleich
Bild 9a-c: Maximale Scherkraft SN100CV und SAC305 nach Temperaturzyklen über verschiedene Bauteilgrößen hinweg.
BalverZinn-Bild 10_SN100CV-Vergleich bei T0-T1000-T2000
Bild 10: Schliffdarstellung der Lötverbindungen SN100CV und SAC305 nach Temperaturzyklen.
BalverZinn-Bild 11a-b-Vergleich 225C-240C und Schliffe
Bild11a+b: Vergleich (o.) von SAC305 und SN100CV bei den Peak-Temperaturen 225 °C, 230 °C und 240 °C. Die Schliffbilder (u.) zeigen deutlich, dass es bei den heute üblichen Peak-Temperaturen von 235 bis 240 °C ist es demnach kein Problem den größten Teil der Baugruppen zu verarbeiten.

Der optimale Wismut-Gehalt

Die Wahl des Wismut-Gehaltes (Bi) in der Sn-Matrix ist entscheidend für die Zuverlässigkeit der Lötverbindung über den gesamten Arbeitstemperaturbereich. Bei Raumtemperatur löst sich nur eine sehr begrenzte Menge Bi in der Sn-Matrix. Das Legieren von Bi-Gehalten die außerhalb der Löslichkeitsgrenze liegen (Bild 1a), sei hier als kritisch anzumerken, da es bei Abkühlung unter dieser Grenze zu einer Ausscheidung des überschüssigen Wismuts kommen kann. So ist beispielsweise ein Bi-Gehalt von rund 6 Prozent bei einer Temperatur oberhalb von etwa 60 °C vollständig in der Sn-Matrix gelöst. Wird die Lötstelle auf Raumtemperatur abgekühlt, fängt das Wismut an sich auszuscheiden (Bild 1b).

Liegen die Wismut-Anteile oberhalb der Löslichkeitsgrenze bei der betrachteten Temperatur, so können diese zu eine mikrostrukturellen Instabilität führen. Unter Umständen besteht das Lotgefüge aus zwei Phasen: den SnBi-Mischkristallen und dem ausgeschiedenen Wismut. Das bei der Betriebstemperatur der Baugruppe in Lösung gehende Wismut, kann sich beim Abkühlen unter der Löslichkeitsgrenze wieder ausscheiden. Bezogen auf die Zuverlässigkeit der Lötverbindung ist das als besonders kritisch anzusehen.

Daher ist der Wismut-Gehalt beim SN100CV bewusst auf 1,5 Prozent beschränkt worden. Mit diesem unkritischen Wertanteil wird diesem Phänomen entgegengewirkt. Dadurch ist es möglich, die volle Löslichkeit von Wismut über den gesamten Arbeitstemperaturbereich sicherzustellen (Bild 2a + b).

Langzeitzuverlässigkeit sicherstellen

Im SN100CV erhöht Wismut die Festigkeit des Lotes. Die Mischkristallverfestigung sorgt beim Erstarren für das „Verspannen und Verzerren“ des Metallgitters, was für zusätzliche Festigkeit sorgt. Dadurch wird das System somit thermisch stabil. Im Bezug auf Zugfestigkeit, Streckgrenze und Scherfestigkeit ist das SN100CV den kostenintensiveren Standard-Silberloten ebenbürtig – in einigen Bereichen schneidet die Wismut-Legierung gar besser ab (Bild 3a+b).

Die thermische Stabilität von SN100CV wird somit nicht signifikant durch die Ausscheidungsverfestigung beeinflusst, bei dem das schnelle Phasenwachstum zur Versprödung führt. Anhand von Temperatur-Auslagerung (im konkreten Fall 2520 h bei 125 °C) von Loten mit verschiedenen Silbergehalten sollten die Grenzen der Ausscheidungsverfestigung aufgrund des „Ostwald Ripening“ genannten Effektes dargestellt werden. Dabei wachsen (Koagulieren) die Ag3Sn-Partikel und vergröbern so das Gefüge der Lötverbindung (Bild 4a-c). Dieser Vorgang ist als Ostwald-Reifung (auch Umlösung genannt) bekannt.

Oft wird im Zusammenhang mit Lebensdauer- und Ausfallwahrscheinlichkeiten von elektronischen Baugruppen (Lötstellen) die sogenannte Weibull-Verteilung als statistische Auswertung zurate gezogen. Die Weibullverteilung beschreibt die Ausfallwahrscheinlichkeit elektronischer Baugruppen unter Berücksichtigung ihrer „Vorgeschichte“ in Form von Alterung unter realen oder simulierten Einsatzbedingungen. Diese lässt sich an die jeweiligen technischen Systeme und Bedingungen anpassen.

Ein weiterer Einflussfaktor der Langzeitzuverlässigkeit von Lötverbindungen sind Bauteile und Metallisierung der Leiterplatten. Um diesen Einfluss darzustellen, wurden in einer Testreihe Kupfer- und ENIG-Oberflächen verwendet und in Wechselwirkung mit Standardloten und mikrodotierten Legierungen untersucht (Bild 5). Der Einfluss der Bauelemente wurde dabei mit oberflächenmontierten Bauteilen der Gehäuseformen DRMLF156, MLF100 und BGA360 untersucht. Während der Einfluss der Bauelemente eher auf die spezifiche Eigenschaft in der Verbindungs-Mikrostruktur zu suchen ist, spiegeln sich bei den getesteten Loten Unterschiede.

Verglichen mit den getesteten Loten, zeigt SN100CV eine geringe Empfindlichkeit gegenüber der Metallisierung der Leiterplattenoberfläche nach dem Temperatur-Wechseltest (Bild 6). Dieser Umstand ist mit der Zulegierung von Nickel zu erklären. Nickel hat eine stabilisierende Wirkung auf die hexagonale Form der Cu6Sn5-Phase. Daher können Lote, die ohne Nickeldotierung auskommen, von diesem seit langem bekannten Effekt – speziell auf Kupfersubstraten – nicht profitieren.

Maßstäbe mit SN100CV setzen

Mit SN100CV steht eine Lotlegierung zur Verfügung, die sich durch ausgeklügelte Legierungsbestandteile für die Langzeitzuverlässigkeit elektronischer Baugruppen besonders eignet. Vor allem für Hochtemperatur-Anwendungen ist dieses neue Lotmaterial ausgelegt. In einem Whitepaper stellt Balver Zinn die Vorzüge von SN100CV anhand zahlreicher Untersuchungen detailliert dar.

Ergebnisse der Testreihen und Analysen

Ausgehend von der isothermen Scherfestigkeit wurden die getesteten Lote auf den Baugruppen unter konstanten Bedingungen bei Zeit T0 und nach Temperaturauslagerung (125 °C) bei T1100 h, T1680 h, T2520 h und T4200 h untersucht und die Daten verglichen. Der Versuchsaufbau zum Simulieren der Kriechfestigkeit sah das Belasten der Probenkörper mit zwei verschiedenen Gewichten (100 kg und 120 kg) bei einer konstanten Temperatur von 125°C vor (Bild 7). Ausgehend von den bisher beschriebenen Verfestigungs- und Alterungsmechanismen, zeigt SN100CV eine erhebliche Festigkeitszunahme gegenüber SN100C und eine thermische Langzeitstabilität auf Niveau SAC305 oder besser (Bild 8).

Neben der Scherfestigkeit und der Kriechfestigkeit wurde im Projekt überdies ein Temperaturschock von -40 °C bis +125 °C in schnellen Zyklen von 15 min. zur Bewertung der Eigenschaften und zur Simulation der Lötstellenalterung durchgeführt. Bereits bei T0 zeigt SN100CV gleiche oder teilweise bessere Festigkeitswerte verglichen zu den Standard-Loten SAC305. Das bestätigte sich auch nach 1000 oder 2000 Temperaturwechselzyklen in ähnlicher Form (Bild 9).

Die Auswertung der Schliffbilder nach T500 h, T1000 h und T2000 h zeigt das feinkörnige Gefüge von SN100CV. Alterungsbedingte Schädigungen der Lötverbindungen sind sowohl in SN100CV als auch – stärker ausgeprägt – in SAC305, vor allem ab 2000 Zyklen festzustellen. Durch die Zugabe von Wismut ist es also gelungen, die hervorragenden Eigenschaften von SN100CV auf das Niveau silberhaltiger und somit hochpreisiger Lote wie das SAC305 zu bringen, oder diese Lote teilweise sogar zu übertreffen, wie die Schliffbilder belegen (Bild 10).

Durchaus erweckt es den Anschein, dass SN100CV verglichen mit SAC305 nur Vorteile hat. Tatsächlich sind anhand der Testreihen kaum Nachteile feststellbar. Für den Prozesstechnologen stellt sich dennoch eine grundsätzliche Frage: Mit welchem Reflowprofil soll ein Lotsystem mit 221 bis 225 °C Schmelztemperatur verarbeitet werden, da die Liquidustemperatur 6 °C über der von SAC305 liegt? Um dies herauszufinden, wurden Baugruppen bei 225 °C; 230 °C; 235 °C und 240 °C Peak-Temperatur prozessiert und anschließend optisch und im Schliffbild hinsichtlich Benetzung untersucht und bewertet (Bild 11a).

Reflowprofile mit 225 °C Peaktemperatur sind erwartungsgemäß nicht in der Lage, die SN100CV-Lotpaste umzuschmelzen, währen das SAC305 mit identischem Flussmittel bereits umgeschmolzen wird. Es zeigt sich aber deutlich, dass selbst ein optimal eingestelltes Reflowprofil mit 230 °C bereits sehr gute Lötmenisken ausbildet und gute Benetzung aufweist. Mit den heute üblichen Peak-Temperaturen von 235 bis 240 °C ist es demnach kein Problem den größten Teil der Baugruppen zu verarbeiten (Bild 11b).

Zusammenfassung

Als die Herausforderung „bleifrei“ auf Balver Zinn zukam, haben wir diese mit dem innovativem Lot SnCu0,7Ni0,05Ge0,005 angenommen. Daraus etablierte sich das genormte Standardlot SN100C (Alloy 403 gemäß DIN EN ISO 9453:2014-12). Kaum sind Standards im Markt etabliert, stellen sich die nächsten Herausforderungen ein, wie etwa Lotpasten mit feineren Pulverkörnungen (Typ 5; Typ 6 und feiner), Lotsysteme mit niedrigen Schmelztemperaturen zur nachhaltigen Baugruppenherstellung oder Lote für längere, zuverlässigere Lebensdauer in harschen Umgebungsbedingungen. Wir stellen uns diesen Anforderungen nun mit SN100CV.

Viele, die den Begriff „Kompromiss“ hören, denken zwangsläufig an „Einschränkungen“. Wir von Balver Zinn sehen das anders: Ein Kompromiss stellt für uns ein System, eine Lösung oder ein Produkt dar, das 80 bis 90 Prozent der Aufgabenstellung kostengünstig, vielseitig in allen gefragten Lieferformen und langzeitzuverlässig erfüllen kann. SN100CV stellt ein solches Produktsystem dar. Es ist kostengünstiger als SAC-Lote, in den gängigen Lieferformen (Lotpaste; Lotdraht; Massivdraht; Barren) ressourcenschonend und langfristig erhältlich. Zudem erfüllt es die hohen Forderungen an die Langzeitzuverlässigkeit.

Paolo Corviseri

geprüfter technischer Betriebswirt und Head of Technical Support & Area Sales Manager von Balver Zinn
Paolo Corviseri ist European Support & Area Sales Manager von Balver Zinn
Paolo Corviseri ist European Support & Area Sales Manager von Balver Zinn

(mrc)

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