Chinesischer CEO abgesetzt
Niederlande übernehmen die Kontrolle über Nexperia
Die Nexperia-Zentrale im niederländischen Nijmegen: Von hier aus steuert der Halbleiterhersteller seine weltweiten Aktivitäten. Der Standort steht seit dem Eingriff der niederländischen Regierung im Fokus – als Symbol für den Balanceakt zwischen industrieller Souveränität und internationaler Abhängigkeit.
Nexperia
Erstmals greift ein EU-Staat in die Leitung eines Hightech-Unternehmens ein: Die niederländische Regierung übernimmt bei Nexperia das Ruder – ein Präzedenzfall im Umgang mit strategisch sensibler Technologie und globalen Abhängigkeiten.
Nexperia, einer der größten europäischen Hersteller von Standardhalbleitern, steht seit Ende September 2025 unter staatlicher Kontrolle. Die niederländische Regierung hat auf Grundlage des Goods Availability Act eingegriffen – eines Gesetzes, das in Ausnahmefällen den Schutz kritischer Technologien und Produktionskapazitäten sicherstellen soll. Nach offiziellen Angaben lagen „akute Hinweise auf schwerwiegende Führungsmängel“ vor, die eine Gefährdung für die nationale und europäische Technologiebasis darstellten. Der Schritt gilt als außergewöhnlich, denn noch nie zuvor wurde dieses Gesetz auf ein Hightech-Unternehmen angewendet.
Eingeschränkte Kontrolle für den chinesischen Eigentümer
Das Eingreifen der Regierung bedeutet: Die Führung des Unternehmens wurde teilweise entmachtet. Ein Gericht der Amsterdamer Enterprise Chamber bestätigte die Maßnahme und suspendierte den bisherigen CEO Zhang Xuezheng. Gleichzeitig wurden die Stimmrechte der chinesischen Muttergesellschaft Wingtech Technology – sie hält 100 % der Anteile an Nexperia – vorübergehend einem unabhängigen Treuhänder übertragen.
An die Spitze des Unternehmens wurde der niederländische Manager Guido Dierick gesetzt, der künftig eine entscheidende Rolle bei allen strategischen Entscheidungen spielt. Damit hat Wingtech zwar weiterhin das wirtschaftliche Eigentum, aber keine operative Kontrolle mehr über Nexperia. Die Regierung behält sich das Recht vor, Unternehmensentscheidungen zu prüfen und gegebenenfalls zu blockieren.
Was die Redaktion dazu meint
Die Niederlande zwischen den Fronten
Die niederländische Regierung selbst nennt es einen „außergewöhnlichen“ Schritt, die chinesische Außenhandelskammer in Brüssel wirft Den Haag „einen modernen Akt wirtschaftlichen Banditentums“ vor. Bereits am 30. September 2025 haben die Niederlande den Chiphersteller Nexperia, der dem chinesischen Unternehmen Wingtech gehört, übernommen. Der Schritt wurde erst jetzt durch das zuständige Gericht in den Niederlanden publik.
Die Regierung in Den Haag beruft sich auf ein Gesetz aus 1952, das bisher noch nie zum Einsatz gekommen ist. Das „Gesetz über die Verfügbarkeit von Waren“ erlaubt es dem Staat, in Ausnahmefällen einzugreifen, sollten bestimmte Waren als sicherheitsrelevant gelten. Nexperia selbst stellt vor allem Standardprodukte her, ist mit einem Marktanteil im Automotive-Bereich von 2,1 Prozent jetzt nicht der größte Zulieferer, aber bestimmt nicht unwichtig. Wingtech-Gründer und Vorstandschef Zhang Xuezheng hat man die Zügel aus der Hand genommen und gestern den deutschen CFO von Nexperia Stefan Tilger übergangsweise an die Spitze gesetzt.
Nexperia ist wegen seines chinesischen Eigentümers in den letzten Jahren immer wieder in Bedrängnis geraten: die Waferfab in Newport musste aufgrund von Druck aus der britischen Regierung wieder veräußert werden (dass das Unternehmen noch eine weitere Fab in Manchester betreibt, hat damals niemanden gestört), in Deutschland flog das Unternehmen von der Förderliste und nun dies. Laut dem niederländischen Wirtschaftsminister Vincent Karremans steckt hinter der Entscheidung kein ausländischer Einfluss.
Wirklich? Nexperia steht auf der schwarzen Liste des US-Handelsministeriums, unter anderem deshalb könnten verschiedene Maschinen bei Nexperia nicht von US-Firmen gewartet werden. Es gilt nun seit Anfang Oktober eine Übergangsfrist von 60 Tagen, um US-Sanktionen abzuwenden. China hat den Export von in China verbauten Komponenten untersagt. Außerdem wurde auch der Zugang zu Rohstoffen wie Gallium und Germanium von der chinesischen Regierung wieder erschwert, Trump reagierte darauf mit erneuten Zöllen.
Und schon steht wieder das Schreckgespenst „Stillstand“ im Raum. Denn erinnern wir uns an die sogenannte Chipkrise: es waren nicht die Leading-Edge-Halbleiter die gefehlt haben, sondern es waren die Standardprodukte – wie sie eben Nexperia produziert.
Hintergrund: Ein europäisches Unternehmen unter chinesischem Dach
Nexperia war ursprünglich Teil von NXP Semiconductors und wurde 2017 als eigenständiges Unternehmen ausgegliedert. Seit der Übernahme durch Wingtech im Jahr 2019 steht der Hersteller immer wieder im Fokus politischer Debatten – insbesondere wegen seiner Bedeutung für die europäische Halbleiterproduktion.
Das Unternehmen beschäftigt rund 14.000 Mitarbeitende und produziert Dioden, Transistoren, MOSFETs und Logikchips für die Automobil-, Industrie- und Konsumgüterelektronik. Wichtige Standorte sind Nijmegen in den Niederlanden, Manchester in Großbritannien und Hamburg in Deutschland. In Hamburg hatte Nexperia zuletzt rund 180 Millionen Euro in neue Fertigungskapazitäten investiert.
Einfluss der USA und internationale Reaktionen
Die Entscheidung der niederländischen Regierung fiel nicht im luftleeren Raum. Nach übereinstimmenden Berichten von Reuters und The Guardian hatten die USA im Vorfeld Druck auf Den Haag ausgeübt. Washington befürchtete, dass sensible Technologien über Nexperia an chinesische Stellen gelangen könnten, und drohte mit Sanktionen, sollte keine interne Neuausrichtung erfolgen.
Wingtech selbst steht seit Ende 2024 auf der US-amerikanischen Entity List, die den Zugang zu US-Technologien einschränkt. Diese Maßnahme betrifft Nexperia bislang nicht direkt, sorgt aber für zusätzliche Unsicherheit.
Die chinesische Regierung reagierte empört auf den niederländischen Eingriff. Sie bezeichnete ihn als „politisch motiviert“ und als Beispiel für eine zunehmende Instrumentalisierung wirtschaftlicher Entscheidungen. Wingtech kündigte rechtliche Schritte an und bat Peking um diplomatische Unterstützung.
Aktueller Status und Ausblick für Nexperia
Trotz des Eingriffs läuft der Betrieb bei Nexperia weiter. Laut offizieller Erklärung der niederländischen Behörden ist die Produktion an allen Standorten gesichert. Die staatliche Aufsicht soll vorerst ein Jahr bestehen, in dem alle größeren Managemententscheidungen einer Genehmigungspflicht unterliegen.
Damit befindet sich Nexperia derzeit in einem stabilen, aber politisch angespannten Zustand: wirtschaftlich handlungsfähig, rechtlich eingeschränkt und geopolitisch im Mittelpunkt. Der Fall zeigt, wie eng Industriepolitik, Technologie und Sicherheit inzwischen miteinander verflochten sind – und wie schnell ein Halbleiterhersteller zur strategischen Frage werden kann.