Stellen Sie sich einmal vor: Die Mikroelektronik wird zum modischen Accessoire und verleiht Kleidungstücken neue Funktionen. Das Wort „Mode“ weckt in den Meisten Gedanken an Schnitte, Farben und Muster – warum aber eigentlich nicht an Live-Auswertungen von Vitalfunktionen oder Trainingseinheiten für Reha-Patienten? Bislang sind Produkte der Modebranche weitestgehend analog. Um jedoch Kleidung in der Ära des Digitalen smart zu gestalten, wurde das Projekt Re-Fream ins Leben gerufen. Forschende und Künstler arbeiten Seite an Seite, entwickeln innovative und nachhaltige Ideen sowie Umsetzungsvarianten für den Mode-Bereich und setzen Impulse für Nutzer-orientierte Synergien aus Textil und Technik.
Einige Projekte sind so in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IZM in die Praxis umgesetzt worden. Eine Schwierigkeit, die die Forschenden dabei lösen müssen, sind die elektronischen Kontaktstellen zwischen Elektronik und Textilien, denn diese müssen im industriellen Maßstab fertigbar und bei textiltypischer mechanischer Belastung sowie Waschreinigung zuverlässig funktionieren. Eine weitere Herausforderung sind die elektronischen Module. Am Fraunhofer IZM werden die elektronischen Komponenten so stark miniaturisiert, dass sie im Kleidungsstück nicht auffallen. Die verbindenden Leiterbahnen werden schließlich auf die Stoffe laminiert oder gestickt.
Connextyle: Smartes Reha-Shirt sammelt Gesundheitsdaten
Im Vorhaben „Connextyle“ rund um Designerin und Produktentwicklerin Jessica Smarsch wollte das Team nutzerorientierte Rehabilitationskleidungsstücke entwickeln. Nach einem Schlaganfall müssen die Patienten ihren Körper trainieren, um neue Nervenbahnen im Gehirn zu schaffen. Regelmäßiges tägliches Üben ist unerlässlich, und die typische Therapie wird unter Beobachtung beurteilt.
Im Vorhaben „Connextyle“ rund um Designerin und Produktentwicklerin Jessica Smarsch wollte das Team nutzerorientierte Rehabilitationskleidungsstücke entwickeln. Nach einem Schlaganfall müssen die Patienten ihren Körper trainieren, um neue Nervenbahnen im Gehirn zu schaffen. Die mit textilen Leiterplatten (Tex PCBs) und laminierten EMG-Sensoren versehenen Oberteile messen Muskelaktivitäten und optimieren damit Rehabilitationsprozesse. Eine App liefert visuelles Feedback aus den gesammelten Daten, generiert Berichte über den Heilungsprozess und erleichtert es Therapeuten, die Maßnahmen anzupassen. Während das Konzept für viele Arten der Rehabilitation anwendbar ist, wurde das daraus entstandene Hemd ursprünglich für Schlaganfallpatienten entwickelt, die die volle Nutzung des Oberkörpers verloren haben.
Monitoring in der Unterwäsche
So vielseitig die Kooperationspartner in Re-Fream sind, so ist auch jedes Teilprojekt eine unikale Gemeinschaftsleistung. Die italienische Designerin Giulia Tomasello möchte zum Beispiel in ihrem Vorhaben „Alma“ Tabus rund um die weibliche Gesundheit aufdecken und ein Monitoring der vaginalen Flora realisieren. Das Team aus Designern, einer Anthropologin und Fraunhofer-Forschern entwickelt Unterwäsche mit integriertem pH-Sensor: Somit sollen eine nicht invasive Diagnose von bakterieller Vaginose sowie fungaler Erkrankungen im Alltag ermöglicht und schwerwiegende Entzündungen verhindert werden.
Im Zwickel der Unterwäsche sammelt der wiederverwendbare Biosensor Daten und leitet diese an ein circa ein Quadratzentimeter kleines Modul. Dank eines modularen Aufbaus kann der Mikrocontroller problemfrei von den Textilien gelöst werden. Auch der textile Sensor kann aus der Unterwäsche entnommen werden. Neben der technologischen Lösung stehen die ästhetischen Ansprüche im Vordergrund. „Durch die enge Kooperation mit den Künstlerinnen und Künstlern haben wir besondere Einblicke in die Nutzerperspektive erhalten und sie wiederum in die der anwendungsorientierten Technologien. Wir haben uns gegenseitig gefordert und eine Lösung gefunden, die Medizintechnik, Wearables und eine zirkuläre Produktionsweise vereint“, so Max Marwede, der „Alma“ am Fraunhofer IZM technisch begleitet hat.
Besonders herausfordernd ist die Kollaboration in der Gestaltung nachhaltiger und zirkulärer Produktionsdesigns in der Mode. Bereits beim Design werden ökologische Prinzipien berücksichtigt, sodass negative Auswirkungen auf die Umwelt entlang des Produktlebenszyklus minimiert werden. Dazu zählt, wie zuverlässig die Ankontaktierungen der Komponenten sind, wie lang die Sensoren auf dem Textil haften, die Materialauswahl und der modulare Aufbau, um die Mikrocontroller wiederverwenden zu können. Die Teams erstellen jedoch keine Einzelstücke – sie wollen zeigen, dass der Weg zu High-Tech Fashion auch ein umweltfreundlicher sein kann. Hier wurde auch an zirkulären Geschäftsmodellen gearbeitet, die zur nachhaltigen Mission der Projekte passen.
Mit weiterführenden Untersuchungen zu geeigneten leitfähigen Materialien entwickeln die Forscher sensorische Textilien und Textil-geeignete Kontaktierungstechnologien. Zudem arbeiten sie an thermoplastischen Substraten, die in fast alle Textilien integriert werden können.
Olga Putsykina
(pg)
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