Denkt man an Reflow-Konvektionslötsysteme, landet man zwangsläufig in der Blautopfstadt Blaubeuren im Alb-Donau-Kreis nahe Ulm. Berühmt ist Blaubeuren für den Blautopf und dessen unsagbar blaugrüne Wasserfärbung sowie das weitläufige unterirdische Höhlensystem, das sich unter seiner Oberfläche verbirgt. Eine Historie rankt sich um die Märchenfigur der „Schönen Lau“, die am Blautopf das Lachen wieder lernte.
Mit einem freundlichen Lächeln werde ich auch von einem Auszubildenden des Familienunternehmens Rehm Thermal Systems vom Bahnhof in Blaubeuren abgeholt und erfahre schon so allerhand auf der kurzen Fahrt auf das Werksgelände, wieso es so „cool“ ist, bei Rehm zu arbeiten. „Das hat sofort gepasst“, erzählt der junge Mann begeistert, denn auch sein Cousin würde schon bei Rehm arbeiten. Daher habe er auch den Tipp gehabt, sich dort zu bewerben. Und jetzt darf er sogar den Firmenwagen nehmen, um mich abzuholen.
Und weiter geht’s mit einem Lächeln, als Gründer und Geschäftsführer Johannes Rehm mich herzlich in seinem 2020 neu bezogenen Verwaltungs- und Entwicklungsgebäude begrüßt. Eigentlich wollte man das Gebäude mit den Technologietagen 2020 samt einem Tag der offenen Tür und mit einer Feier zum 30-jährigen Bestehen gebührend einweihen, aber es kam coronabedingt anders. Und so war schnell klar: Rehm feiert dann einen „Schnapszahl-Geburtstag“ – wieso auch nicht?
Welche Vision verfolgt Rehm?
Ich habe Johannes Rehm gefragt, aus welcher Intension heraus er sich als junger Mann unbedingt selbstständig machen wollte. „Die Idee dazu kam eigentlich über Vertriebsfirmen bei meinem damaligen Arbeitgeber. Die SMD-Technologie war noch in ihren Anfängen, als man Keramiksubstrate als Basismaterial nutzte und einfach die Anschlussbeinchen von, zum Beispiel ICs so gekürzt hat, dass sie auf dem Substrat auflagen. Man suchte einfache, günstige Lötanlagen mit einer einen Meter langen Heizung, einer 500 mm langen Kühlstrecke und einem Geflechtsband. Das habe ich mir zugetraut und die wollte ich auch in größeren Stückzahlen produzieren. In Gamerschwang in einem bäuerlichen Hof ging dann die Produktion los. Da Stickstoff-Anlagen zu der Zeit noch nicht so bekannt waren, wurden schnell Großfirmen wie Bosch und Siemens auf uns aufmerksam. Man kann sagen, dass sich unsere Firma aus dem Stickstofflöten he-raus entwickelt hat. Von der ersten Stickstoffanlage bis zur heutigen Vision-Serie ist viel passiert. Inzwischen bieten wir unseren Kunden ein vielseitiges Produktportfolio an Applikationen rund um das Löten, Beschichten und Aushärten von Baugruppen.“
Resümee nach 33 Jahren
Ein klassisches Jubiläum ist es zwar nicht, aber es interessiert mich immer, welches Resümee Firmeninhaber nach so vielen Jahren für ihr Unternehmen ziehen und so hake ich auch bei Johannes Rehm nach und frage ihn, was es ihm bedeutet, auf 33 Jahre Lebenswerk zurückzublicken.
„Anfangs konnte ich mir nicht vorstellen, wohin sich das Ganze entwickelt, wenn man bedenkt, wie wir auf 45 Quadratmetern die Firma Rehm Anlagenbau 1990 ins Leben gerufen haben. Zehn Jahre später gründeten wir die Zeitarbeitsfirma H und R Personaldienste. 2003 gliederten wir den Bereich Blechbearbeitung aus und gründeten die Tochterfirma Blechtec, die inzwischen nahezu 70 % ihres Gesamtumsatzes außerhalb der Rehm Gruppe generiert. Dass ich dies nicht allein bewerkstelligen konnte, war mir von Anfang klar. Aus diesem Grund bin ich stolz, wie meine Mitarbeiter das Wachstum bzw. die stetige Weiterentwicklung, die die Kunden von uns forderten, mitgetragen haben. Einige sind von Anfang an dabei und die ganze Mannschaft musste viele Jahre lang Mehrarbeit leisten. Das hieß, auch am Wochenende zu arbeiten, wenn die Maschinen unbedingt fertig gestellt werden mussten. Aber der Zusammenhalt war einfach da und das habe ich meinen Mitarbeitern auch all die Jahre honoriert.“
Auch schwere Jahre gehen vorbei
Auf meine Frage, wie er und seine Mitarbeiter durch die letzten drei Corona-Jahre gekommen sind, antwortete er mir Folgendes: „ Ich muss sagen, dass wir sehr schnell reagiert haben. Mit dem neuen Bürogebäude konnten wir die Mitarbeiter räumlich gut trennen. Auch in der Kantine haben wir uns weit auseinandergesetzt. Wie alle Unternehmen haben wir ständig getestet, sodass wir wirklich wenige Krankheitsfälle zu verzeichnen hatten. Ein Jahr lang haben wir in Kurzarbeit gearbeitet, da kamen dann auch einige, die stärker von der Kurzarbeit betroffen waren, an ihre Grenzen. Die haben wir, so gut es ging, finanziell unterstützt. Klar, jeder Betrieb kämpft heutzutage um die Fachkräfte, das ist schon eine Art Verdrängungswettwerb. Mir ist immer wichtig, dass Rehm nahbar und familiär ist, nicht nur, weil es bei uns immer ein Sommerfest und auch eine Weihnachtsfeier gibt. In der Kantine sitzen wir queerbeet ohne Hierarchiedenken an einem Tisch, sodass sich alle Ebenen austauschen können.“
Kunden bestellen früher
„Auch schon vor der Pandemie waren die Auftragsvorläufe länger. Früher hatten wir 10, nun 30 Wochen Lieferzeit. Die Steuerungen sind das Problem. Wir brauchen schon ein halbes Jahr Vorlaufzeit, um die Programmierung zu ändern. Und wenn dann die Anlage mit Sicherheits-SPS ausgestattet ist, muss man mit mehreren Steuerungen arbeiten, das dauert auch entsprechend länger. Allerdings kann ich über die momentane Auftragslage nicht klagen. Das Gute an der Pandemie war, dass unsere Kunden einfach früher bestellen und wir dadurch langfristiger planen konnten.“
Welche neuen Projekte gibt es?
Auf die Hoffnung, Herrn Rehm schon ein Projekt zu entlocken, mit dem er sich für den 5. productronica Innovation Award bewirbt, antwortete er mir wie folgt: „Wir werden weiter im Kundenauftrag neue Maschinen entwickeln. Wachstumschancen sehen wir im Bereich Medizintechnik oder bei Wearabels. Allerdings werden die Anforderungen an die Prozessvielfalt immer größer. Aus diesem Grund setzen wir verstärkt darauf, dass die Kunden bei uns im Testcenter ihren Prozess prüfen können. Ein wichtiges Thema wird in Zukunft auch das Thema vorausschauende Wartung ein, sodass wir mittels KI Datenerhebungen bereits in das System einpflegen können.“
Was Sie noch nicht über Rehm wussten
- Es gab immer einen Plan B: Sollte es mit dem Unternehmen nicht klappen, wollte Johannes Rehm eine Reparaturwerkstatt für hochpreisige Unfallautos eröffnen
- Print oder digital? Johannes Rehm liest die productronic sowohl als E-Paper als auch als gedruckte Ausgabe.
- Azubis als Energiespar-Scouts: Alle Azubis bei Rehm bekommen bei der IHK eine Schulung, um sie fürs Energiesparen zu sensibilisieren. Im Betrieb sind sie dann dafür verantwortlich, dass zum Beispiel die Laptops oder die Anlagen nach Feierabend ausgeschaltet sind.
- Nachhaltig: Die 500 Megawatt Strom, die Rehm pro Jahr verbraucht, produziert das Unternehmen mittels Photovoltaik auf den Dächern komplett selbst.
- Rehm Thermal Systems ist im „Who is who der deutschen Familienunternehmen“ von DDW (Die Deutsche Wirtschaft) auf Rang 4539 gelistet.
Wie geht es weiter bei Rehm?
In einem Managementbuch habe ich zum Thema Nachfolge Folgendes gelesen: Eine frühzeitige Planung der Unternehmensnachfolge stärkt die Verhandlungsposition und erleichtert den strukturierten Prozess der Übergabe. Mein Gesprächspartner Johannes Rehm sieht das ebenso: „Eine Entscheidung darüber ist in den nächsten 2-3 Jahren geplant, aber der Plan ist, einen CEO-Nachfolger zu benennen, den wir schon im Auge haben und der unseren Kundenstamm kennt. Ich werde dann in eine Art Vorstand wechseln, aber nicht mehr operativ tätig sein. In den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass es als Geschäftsführer einfacher wurde, denn die Verantwortung ist auf mehrere Schultern im Betrieb verteilt. Das gelingt nur, wenn man seinen Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, eigenständig zu arbeiten. Das gilt hier wie auch in unserem Betrieb in China.“
Technologietage
Vom 26. bis 27. April 2023 fanden bei Rehm die diesjährigen Technologietage statt – pünktlich zum 33-jährigen Firmenjubiläum. Sei es die Kunst einer nachhaltigen Elektronikfertigung, Konnektivität und Vernetzung, künstliche Intelligenz oder Smart Automation: Besucher aus aller Welt erwartete ein bunter Mix an Themen aus aktueller Forschung und angewandter Praxis. Und natürlich wurde auch ordentlich der 33. Geburtstag gefeiert.