Graping-Defekt

Bildaufnahme eines Graping-Defektes im Rehm-Technologiecenter. (Bild: Rehm)

Zweifellos hat das Konvektionslöten unter Stickstoffatmosphäre seit den 1990er Jahren weltweit einen Siegeszug angetreten. Die Vorteile des Lötens unter Stickstoff – ein größeres Prozessfenster beim Löten, weniger Lötfehler und die Möglichkeit, die Oxidation von Oberflächen zu vermeiden – wurden nicht nur im „Blei-Zeitalter“ gerne genutzt. Stickstoff ist als inertes Schutzgas optimaler Wärmeüberträger und verhindert so störende Oxidationen im Lötprozess. Welchen Einfluss der Einsatz von Stickstoff auf das Reflow-Löten und auf mögliche Fehlerbilder hat, zeigt der nachfolgende Beitrag.

Lotperlen/Beading

Ein sehr häufiger Fehler sind Lotperlen an zweipoligen Bauelementen (Chips), was im Amerikanischen Beading genannt wird. Beading entsteht durch unter das Bauelement geratene Lotkörner der Paste, die beim Umschmelzen seitlich aus dem Spalt unter dem Chip herausgequetscht werden. Bei allen untersuchten Lotpasten wurde ein geringeres Beading nach dem Reflowlöten unter Stickstoff nachgewiesen. Der Grund hierfür wird im besseren und schnelleren Zusammenschmelzen der einzelnen Lotkörner der Paste zu einem einheitlichen Lotvolumen gesehen. Der nicht vorhandene Sauerstoff kann keine Oxidhäute an der Lotkornoberfläche bilden, die ein Zusammenschmelzen behindern würden. Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Lotkörner unter den Spalt des Chips gelangen können.

Head-in-Pillow-BGA-Ball
Bildaufnahme der Analyse im Rehm-Technologiecenter eines Head-in-Pillow-BGA-Balls (Bild: Rehm)

Voiding

Ebenso wird die geringere Porenbildung, das Voiding, bei Flächen- und QFN-Lötungen auf die bessere Benetzung zurückgeführt. Das schnelle benetzende Lot kann die beim Reflowlöten entstehenden Gase effizienter aus seinem flüssigen Volumen austreiben. Allerdings können diese Ergebnisse nicht auf alle Lötstellen verallgemeinert werden.

Graping

Die Flussmitteleigenschaften werden ständig verändert und verbessert. Allerdings sind die klassischen Eigenschaften wie Cold und Hot Slump bei der Reflow-Profilerstellung nicht zu vernachlässigen. Nicht allein die Zeit über Liquidus und Anstiegsgradienten ist entscheidend, bei der Miniaturisierung ist auch die Pastenkörnung eingeschlossen. Je kleiner die Durchmesser werden, desto mehr müssen diese durch das Flussmittel „beschützt“ werden. Ist das schützende Flussmittel durch „Ausbluten“ im Vorheizbereich (Hot Slump) vom Pastenkorn verschwunden, oxidiert dieses und wird danach zwar umschmelzen, aber sich nicht mehr mit anderen Pastenteilen verschmelzen. Die Oxidschicht ist undurchdringlich und das Aussehen ähnelt einem Strang Weintrauben (= Grapes). Durch die inerte Atmosphäre wird das Prozessfenster vergrößert, aber der Einfluss des Flussmittels nicht gänzlich ausgeschlossen.

Konvektionslöten mit Gasen

Bei den Konvektionslötsystemen erfolgt der Lötprozess durch das Mitführen von Wärme über strömende Gase – hierbei sind die Systeme als Luft- oder Stickstoffanlagen erhältlich.

Typischerweise wird zum Schutz vor Oxidation Stickstoff (N2) verwendet. In Kombination mit 5 bis 10 % Wasserstoff wird das Formiergas zur Reduktion von Oxiden ebenfalls verwendet. Formiergase mit einem Wasserstoffanteil von 10 % bis zu 100 % werden erst ab 280 °C verwendet. In Abhängigkeit der Prozesstemperatur kann der Einsatz von Ameisensäure von Vorteil sein. Für ein prozessstabiles, flussmittelfreies Löten wird das inerte Trägergas (N2) mit Ameisensäure (HCOOH) angereichert.

Head-in-Pillow (HiP)

Der Head-in-Pillow oder auch Head-on-Pillow Effekt wird durch eine Oxidschicht auf dem BGA Ball verursacht, der ein Verschmelzen der Pastenkörner verhindert. Typischerweise wird durch Verwindung und Wölbung des BGA’s und/oder Leiterplatte eine Trennung des Pastendepots vom BGA Ball hervorgerufen. Durch die fehlende Flussmittelaktivierung bildet sich eine Oxidschicht auf dem Ball, der später das „Verschmelzen“ mit dem Pastendepot verhindert, obwohl dieser wieder in das umgeschmolzene Pastendepot „eintaucht“. Da zu diesem Zeitpunkt das Flussmittel verbraucht ist, kann die Oxidschicht nicht mehr reduziert werden und es tritt keine Verbindung ein, deswegen hat man den Eindruck, dass der Ball wie in einem Kissen ruht (Head-in-Pillow; HiP) oder auf einem Kissen ruht (Head-on-Pillow). Wird die Oxidation während der Trennung durch eine inerte Atmosphäre (N2 oder Dampfphase) verhindert, können sich Pastendepot und Ball verschmelzen. Eine geringe Rest-Aktivation durch das Flussmittel muss aber noch vorhanden sein. Auch hier schont eine inerte Atmosphäre das Flussmittel, da weniger Oxide reduziert werden müssen.

Phasen der Entstehung eines Tombstones
Phasen der Entstehung eines Tombstones (Bild: Rehm)

Benetzungsstörungen

Die guten Benetzungsverhältnisse unter Stickstoff führen in der Regel zu einer besseren Ausbreitung des Lotes und verhindert Lötfehler durch Benetzungsdefizite der Lötoberflächen (IPC 610). Das ist bekannt, doch nicht immer werden die zu erwarteten verbesserten Lötergebnisse erreicht. Chiplötungen werden unter anderem durch die Ausprägung des realisierten Meniskus charakterisiert. Dabei ist die Höhe des angestiegenen Lotes ein Qualitätsmerkmal. Unter einer Stickstoffatmosphäre kann die nachgewiesene Benetzungshöhe geringer ausfallen als unter Luft. Anders gesagt: Der nicht benetzte Bereich (Gap) nimmt zu. Ursache hierfür ist tatsächlich die bessere Lotspreitung unter Stickstoff. Da das Lot zum Benetzen des Bauelemente-Anschlusses gegen seine Schwerkraft arbeiten muss, ist das zu benetzende Leiterplattenpad bevorzugt; zusätzlich ist die Sphärenhöhe bei größerer Spreitung geringer. Es steht also weniger Lot zur Verfügung, das am Bauelemente-Anschluss aufsteigen kann.

Grabsteine (Tombstones)

Tombstones (Grabsteine) entstehen durch Differenzen der Benetzungszeiten zwischen den beiden Seiten eines Zweipolers. Schmilzt eine der Lötstellen vor der anderen auf, richten die angreifenden Benetzungskräfte und die Oberflächenspannung des flüssigen Lotes das Bauelement auf. Das zeitverzögert aufschmelzende, zweite Lotdepot hat dann keine Chance mehr, den zweiten Bauteilanschluss zu benetzen. Unter einer Stickstoffatmosphäre werden oft mehr Tombstones nach dem Reflowlöten beobachtet. Die Ursache hierfür liegt wiederum in der besseren Benetzung, womit die Benetzungszeitdifferenz zwischen den beiden Bauteilanschlüssen meist größer wird. Allerdings sind auch beim Tombstoning die Wechselwirkungen mit den anderen Einflussfaktoren teilweise erheblich.

Die Autorin

Petra Gottwald
(Bild: Hüthig)

Petra Gottwald, Chefredakteurin Productronic, nach Unterlagen von Rehm

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